VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 1C_232/2013  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 1C_232/2013 vom 14.11.2013
 
{T 0/2}
 
1C_232/2013
 
 
Urteil vom 14. November 2013
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
 
Gerichtsschreiberin Gerber.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Helvetia Nostra,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
X.________,
 
Beschwerdegegner,
 
Gemeinde Lumnezia.
 
Gegenstand
 
Baueinsprache,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 5. Kammer,
 
vom 31. Januar 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Am 8. November 2012 beantragte X.________ die Erteilung einer Baubewilligung für den Bau von sechs Häusern auf den Parzellen 210, 211 und 212 in Crestas, Vignogn. Dagegen erhob die als Verein konstituierte Helvetia Nostra Einsprache. Mit Entscheid vom 11. Dezember 2012 trat die Baubehörde auf die Einsprache mangels Legitimation nicht ein und erteilte die Baubewilligung.
1
B. Dagegen erhob die Helvetia Nostra am 14. Januar 2013 Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses wies die Beschwerde am 31. Januar 2013 ab. Es teilte die Auffassung der Gemeinde, dass die Helvetia Nostra nicht zur Einsprache legitimiert sei. Im Übrigen ging es davon aus, dass Art. 75b BV und seine Übergangsbestimmungen (Art. 197 Ziff. 9 BV) intertemporalrechtlich noch nicht anwendbar seien. Daraus ergebe sich, dass auch in Gemeinden wie Vignogn, in denen die kritische Grenze von 20 % Zweitwohnungen überschritten sei, im Jahr 2012 noch Baubewilligungen für Zweitwohnungen nach bisherigem Recht erteilt werden könnten.
2
C. Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid hat die Helvetia Nostra am 25. Februar 2013 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Eventualiter sei der angefochtene Entscheid in dem Sinne zu ändern, dass die dem Projekt von X.________ erteilte Baubewilligung aufgehoben werde.
3
D. Mit Verfügung vom 26. März 2013 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Das Verfahren wurde bis zum Vorliegen eines Grundsatzentscheids des Bundesgerichts zur Frage der Beschwerdebefugnis der Helvetia Nostra und der Anwendbarkeit von Art. 75b BV und Art. 197 Ziff. 9 BV sistiert.
4
E. Am 22. Mai 2013 fällte das Bundesgericht die ersten Leitentscheide: Es bejahte die Beschwerdebefugnis der Helvetia Nostra (BGE 139 II 271) sowie die direkte Anwendbarkeit von Art. 75b BV und Art. 197 Ziff. 9 BV ab dem 11. März 2012 (BGE 139 II 243 und 263).
5
F. Mit Verfügung vom 2. Juli 2013 wurde das Verfahren wieder aufgenommen und dem Beschwerdegegner, der Gemeinde und dem Verwaltungsgericht Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Alle drei haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
6
G. Bereits am 25. Mai 2012 hatten die Gemeindeversammlungen von Cumbel, Degen, Lumbrein, Morissen, Suraua, Vella, Vignogn und Vrin der Fusion dieser Gemeinden zur neuen Gemeinde Lumnezia zugestimmt. Der Fusionsvertrag ist am 1. Januar 2013 in Kraft getreten.
7
 
Erwägungen:
 
1. Die Plafonierung des Zweitwohnungsbaus gemäss Art. 75b BV stellt eine Bundesaufgabe dar, die der Schonung der Natur und des heimatlichen Landschaftsbildes dient. Die nach Art. 12 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz (NHG; SR 451) beschwerdebefugten Organisationen im Bereich des Natur- und Heimatschutzes - zu denen auch die Helvetia Nostra gehört - können daher Baubewilligungen wegen Verletzung von Art. 75b BV und seiner Übergangs- und Ausführungsbestimmungen anfechten (BGE 139 II 271 E. 11 S. 276 ff.). Das Verwaltungsgericht Graubünden hat somit die Einsprache- und Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführerin zu Unrecht verneint.
8
2. Das Verwaltungsgericht ging überdies davon aus, dass die neuen Verfassungsbestimmungen nicht anwendbar seien auf Baubewilligungen, die zwischen dem 11. März 2012 und dem 31. Dezember 2012 erstinstanzlich erteilt wurden (Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV e contrario).
9
Das Bundesgericht hat in BGE 139 II 243 (E. 9-11 S. 249 ff.) entschieden, dass Art. 75b Abs. 1 BV seit seinem Inkrafttreten am 11. März 2012 anwendbar ist. Zwar bedarf diese Bestimmung in weiten Teilen der Ausführung durch ein Bundesgesetz. Unmittelbar anwendbar ist sie jedoch insoweit, als sie (in Verbindung mit Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV) ein Baubewilligungsverbot für Zweitwohnungen in allen Gemeinden anordnet, in denen der 20 %-Zweitwohnungsanteil bereits erreicht oder überschritten ist. Dies hat zur Folge, dass Baubewilligungen für Zweitwohnungen, die zwischen dem 11. März und dem 31. Dezember 2012 in den betroffenen Gemeinden erteilt wurden, auf Beschwerde hin aufzuheben sind.
10
3. Wird ein Nichteintretensentscheid angefochten, kann das Bundesgericht in der Regel nicht selbst in der Sache entscheiden, sondern muss diese zu materieller Beurteilung an die Vorinstanz zurückweisen. Auf eine Rückweisung kann jedoch ausnahmsweise verzichtet werden, wenn das Durchlaufen der kantonalen Instanz eine leere zwecklose Formalität wäre (vgl. BGE 121 I 1 E. 5a/bb S. 11 mit Hinweisen).
11
Vorliegend ist unstreitig, dass es sich um Baubewilligungen für Ferienhäuser, d.h. um Zweitwohnungsbauten, handelt, und dass der 20%-Anteil in der Gemeinde überschritten ist.
12
Damit steht bereits fest, dass die angefochtene Baubewilligung gegen Art. 75b BV verstösst. Die Beschwerdeführerin hat (wenn auch im Eventualantrag) die Aufhebung der Baubewilligungen und damit (sinngemäss) die Abweisung der Baugesuche beantragt. Der Beschwerdegegner und die Gemeinde haben sich diesem Antrag nicht widersetzt. Unter diesen Umständen erscheint es sinnvoll, in Gutheissung des Eventualantrags der Beschwerdeführerin in der Sache zu entscheiden, d.h. die Baubewilligung und den Einspracheentscheid aufzuheben und das Baugesuch abzuweisen.
13
4. Bei diesem Ausgang des Verfahrens obsiegt die Beschwerdeführerin; der Beschwerdegegner wird daher kostenpflichtig (Art. 66 und 67 BGG). Zwar hat er weder vor Verwaltungsgericht (mangels Schriftenwechsels) noch vor Bundesgericht die Abweisung der Beschwerde beantragt. Er hat jedoch durch die Einreichung des Baugesuchs das Verfahren veranlasst und ist deshalb im vorliegenden Verfahren notwendigerweise Gegenpartei bzw. Beschwerdegegner; als solcher trägt er grundsätzlich das Prozess- und Kostenrisiko (BGE 123 V 156 E. 3c S. 158). Dem Vernehmlassungsverzicht und der damit verbundenen Verkürzung des Verfahrens ist jedoch bei der Kostenbemessung Rechnung zu tragen.
14
Da die Beschwerdeführerin weder vor Bundesgericht noch vor Verwaltungsgericht anwaltlich vertreten war, ist ihr praxisgemäss keine Parteientschädigung zuzusprechen. 
15
Die Sache wird an die Gemeinde zurückgewiesen, um die Kosten des Baubewilligungs- und Einspracheverfahrens neu zu verlegen
16
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 31. Januar 2013, die Baubewilligung und der Einspracheentscheid der Gemeinde Vigogn vom 11. Dezember 2012 werden aufgehoben. Das Baugesuch von X.________ für Parzellen 210, 211 und 212 in Crestas, Vignogn (heute: Gemeinde Lumnezia) wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- für das bundesgerichtliche Verfahren und von Fr. 1'033.-- für das verwaltungsgerichtliche Verfahren werden dem Beschwerdegegner (X.________) auferlegt.
 
3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
 
4. Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des Baubewilligungs- und Einspracheverfahrens an die Gemeinde Lumnezia zurückgewiesen.
 
5. Dieses Urteil wird den Parteien, der Gemeinde Vignogn und dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 14. November 2013
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).