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Informationen zum Dokument  BGer 1C_108/2014  Materielle Begründung
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BGer 1C_108/2014 vom 23.09.2014
 
{T 0/2}
 
1C_108/2014, 1C_110/2014
 
 
Urteil vom 23. September 2014
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Merkli, Eusebio, Chaix,
 
Gerichtsschreiberin Gerber.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1C_108/2014
 
1. StWEG A.________,
 
2. StWEG B.________,
 
3. StWEG C.________,
 
4. D.________,
 
5. E.________,
 
6. F.________,
 
7. G.________,
 
8. H.________ und I.________,
 
9. J.________ und K.________,
 
10. L.________ und M.________,
 
11. N.________,
 
12. O.________ und P.________,
 
13. Q.________ und R.________,
 
14. S.________ und T.________,
 
15. U.________ und V.________,
 
16. W.________ und X.________,
 
Beschwerdeführer 1,
 
1C_110/2014
 
Gemeinde Weiningen,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Felix Huber,
 
Beschwerdeführerin 2,
 
gegen
 
Bundesamt für Strassen (ASTRA),
 
Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK).
 
Gegenstand
 
Ausführungsprojekt Nationalstrasse N1/N20, Ausbau Nordumfahrung Zürich (Plangenehmigung),
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 15. Januar 2014 des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
E.
 
 
F.
 
 
G.
 
 
H.
 
 
I.
 
 
J.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
 
Erwägung 3
 
 
Erwägung 4
 
4.1. Das Westportal des Gubristtunnels liegt am Siedlungsrand von Weiningen. Unmittelbar südlich der Autobahn befindet sich ein markanter Endmoränenwall, der vom Linthgletscher während eines Rückzugsstadiums der letzten Eiszeit geformt wurde. Dieser ist als überkommunales Landschaftsschutzobjekt geschützt (geologisch-geomorphologisches Objekt gemäss Inventar der Natur- und Landschaftsschutzobjekte von überkommunaler Bedeutung).
1
4.2. Aufgrund dieser Unterlagen durften die Vorinstanzen grundsätzlich davon ausgehen, dass es sich (mit Ausnahme des geschützten Endmoränenwalls) nicht um eine besonders schützenswerte Landschaft handelt, auch wenn sie ein Aufwertungspotenzial aus Sicht von Natur und Erholung aufweist.
2
4.3. Gemäss Art. 3 NHG muss das heimatliche Landschaftsbild geschont und, wo das allgemeine Interesse an ihm überwiegt, ungeschmälert erhalten werden (Abs. 1), unabhängig von der Bedeutung des Objektes im Sinne von Artikel 4 (Abs. 3). Diese Bestimmung - wie auch Art. 5 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen vom 8. März 1960 (NSG; SR 725.11) - gebietet eine umfassende Interessenabwägung. Dabei ist nicht nur zu prüfen, ob auf die geplanten Bauten und Anlagen gänzlich verzichtet werden könnte (so ausdrücklich Art. 3 Abs. 2 lit. a NHG), sondern es müssen auch Alternativen geprüft werden, sofern diese ernsthaft in Betracht fallen. Varianten, die gewichtige Nachteile oder keine wesentlichen Vorteile aufweisen, können bereits aufgrund einer summarischen Prüfung ausgeschieden werden (vgl. zuletzt BGE 139 II 499 E. 7.3.1 S. 516 und Urteil 1C_648/2013 vom 4. Februar 2014 E. 4.1, in: URP 2014 S. 309 mit Anm. PETER M. KELLER S. 314).
3
4.4. Bei der gebotenen Interessenabwägung sind insbesondere die Planungsgrundsätze des RPG zu berücksichtigen: Die Landschaft ist zu schonen (Art. 3 Abs. 2 RPG); insbesondere sollen der Landwirtschaft genügende Flächen geeigneten Kulturlandes, insbesondere Fruchtfolgeflächen, erhalten bleiben (lit. a); Siedlungen, Bauten und Anlagen müssen sich in die Landschaft einordnen (lit. b) und naturnahe Landschaften und Erholungsräume sollen erhalten bleiben (lit. d). Wohngebiete sind vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen wie Luftverschmutzung, Lärm und Erschütterungen möglichst zu verschonen (Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG). Für die öffentlichen oder im öffentlichen Interesse liegenden Bauten und Anlagen sind sachgerechte Standorte zu bestimmen; dabei sollen nachteilige Auswirkungen auf die natürlichen Lebensgrundlagen, die Bevölkerung und die Wirtschaft vermieden oder gesamthaft gering gehalten werden (Art. 3 Abs. 4 lit. c RPG).
4
 
Erwägung 5
 
5.1. Im UVB (Ziff. 10.1.3 S. 130 f.) wird festgehalten, dass der nach Westen verschobene Halbanschluss Weiningen den grössten Eingriff in die Landschaft verursachen werde. Auf der Nordseite komme die Auffahrt am Rand der von Wiesen und Äckern geprägten offenen Ebene südlich von Weiningen zu liegen. Die Auffahrt überrage das heutige Terrain. Auf der Südseite müsse die Endmoräne des Linthgletschers, die bereits von der heutigen Autobahn angeschnitten werde, auf einer Länge von ca. 250 m um maximal ca. 40 m nach aussen abgetragen werden. Der Abtrag erfolge bis leicht südlich des höchsten Punktes der Moräne (Büel, 424.4 m.ü.M.). Er stehe im Widerspruch zum Inventarziel der grösstmöglichen Erhaltung der Endmoräne.
5
5.2. Die kantonale NHK hielt in ihrer Stellungnahme vom 3. Juni 2009 (S. 12) fest, dass die geplanten Bauwerke einen beträchtlichen Einfluss auf das Ortsbild und die Kulturlandschaft haben. Der geplante, nach Südwesten verlegte Halbanschluss habe nicht nur einen weiteren Kulturlandverlust zur Folge, sondern bringe mit dem nötigen Lärmschutzdamm auch eine beträchtliche Erhebung mit sich. Diese konkurrenziere einerseits die umliegende Hügellandschaft in ihrer Wirkung und stelle eine Störung der natürlichen Topografie dar. Andererseits führe sie zu einem Einkesseln der Neubaugebiete, die teilweise vom Weininger Feld abgetrennt würden. Auf Unterengstringer Seite werde der nördliche Abhang des Chriesihogers auf einer Länge von 250 m um maximal 40 m südlich der Autobahntrassees angeschnitten und in diesem Bereich abgetragen. Dieses Anschneiden des Hügels sei bereits an sich als problematisch zu bewerten. Weil der Hügel jedoch auch ein geomorphologisches Objekt (würmeiszeitlicher Endmoränenwall) darstelle und deshalb als überkommunal bedeutendes Natur- und Landschaftsschutzobjekt verzeichnet sei, werde das Vorhaben noch problematischer und verletze das Gebot der grösstmöglichen Schonung.
6
5.3. Das Bundesverwaltungsgericht verwies auf die Ausführungen des UVB und der NHK, ging also ebenfalls von einem erheblichen Eingriff in das heimatliche Landschaftsbild aus. Es bezweifelte allerdings mit der NHK, dass die beantragte Verschiebung des Halbanschlusses zum Limmattaler Kreuz eine weitere Beeinträchtigung des Landschaftsbildes ausschliessen würde.
7
 
Erwägung 6
 
6.1. Das Alternativprojekt "Chance Gubrist" wurde von den Vorinstanzen vor allem aus Gründen der Verkehrssicherheit abgelehnt, weil die 270 m lange Überdeckung die offene Strecke zwischen dem Gubrist und dem Limmattaler Kreuz, die für die Verflechtung der Verkehrsströme zur Verfügung stehe, zu stark verkürze. Im vorliegenden Verfahren wird nur noch die Verlegung des Halbanschlusses verlangt, die per se keine Nachteile für die Verkehrssicherheit erkennen lässt.
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6.2. Die Variante "Chance Gubrist" wurde ferner aufgrund der erheblichen Mehrkosten als unverhältnismässig erachtet. Die Mehrkosten entfielen jedoch in erster Linie auf die Überdeckung und die damit verbundenen Änderungen (z.B. der Tunnelentlüftung). Insofern ist davon auszugehen, dass der Halbanschluss gemäss Vorstudie "Chance Gubrist" jedenfalls nicht wesentlich teurer wäre als das Auflageprojekt.
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6.3. Das ASTRA wendet in seiner Vernehmlassung ein, dass es sich beim Halbanschluss Weiningen um ein bestehendes Bauwerk handle, das lediglich verschoben werden solle. Es diene im Wesentlichen der Entlastung des Verkehrs nach und von Weiningen. Es sei daher zweckmässig, den Halbanschluss möglichst nahe an Ausgangspunkt und Ziel jener Verkehrsteilnehmer zu rücken, die ihn am meisten nutzen, um die zurückgelegten Strecken und damit auch die Umweltbelastung zu reduzieren. Hinzu komme, dass ein Anschluss erfahrungsgemäss weitere Bauten wie Einkaufszentren oder Geschäftsgebäude anziehe. Der bestehenden Raumplanung werde daher am besten Rechnung getragen, wenn das Bauwerk nur um etwa 150 m und nicht um mehrere hundert Meter verschoben werde.
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6.4. Umstritten ist in erster Linie, ob das Alternativprojekt aus Sicht des Landschaftsschutzes wesentliche Vorteile bietet.
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6.5. Unklar sind schliesslich noch die Auswirkungen einer Verlegung des Halbanschlusses auf den Lärmschutz und - damit zusammenhängend - die erforderlichen Lärmschutzbauwerke.
12
6.6. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Alternativprojekt "Chance Gubrist" (ohne die 270 m lange Überdeckung) in verschiedener Hinsicht Vorteile gegenüber dem Ausführungsprojekt aufweist (Verkehrssicherheit; Landverbrauch) und jedenfalls nicht zu erheblichen Mehrkosten führen würde. Insofern entspricht es grundsätzlich den Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 NSG an eine sichere und wirtschaftliche Abwicklung des Verkehrs. Es verzichtet auf die dominanten Rampen und Wälle des Ausführungsprojekts, was aus Sicht des Landschaftsschutzes positiv zu bewerten ist. Dagegen ist noch nicht geklärt, ob die Höherverlegung der Umfahrungsstrasse, die längere Brücke, die auffällig geschwungene Auffahrt und allfällige Lärmschutzbauwerke sich negativ auf die Landschaft auswirken könnten, und ob die Verlegung des Halbanschlusses zu einer grösseren Einsehbarkeit aus gewissen Richtungen führen würde. Unklar ist zudem, inwieweit das Alternativprojekt die geschützte Moräne beeinträchtigen würde. Allerdings sieht auch das Ausführungsprojekt erhebliche Lärmschutzbauten vor und bedeutet einen schweren Eingriff in die Landschaft und den geschützten Endmoränenwall.
13
 
Erwägung 7
 
7.1. Die NHK führte in ihrem Gutachten (S. 12) Folgendes aus:
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7.2. Hinzu kommen Aspekte der Verkehrstechnik und -sicherheit: Die N1/N20 Nordumfahrung Zürich zwischen dem Limmattaler Kreuz und der Verzweigung Zürich Nord ist mit rund 95'000 Fahrzeugen täglich ein Nadelöhr des schweizerischen Nationalstrassennetzes, mit beinahe täglich auftretenden Staus und Unfällen (Technischer Bericht S. 7 Ziff. 1.1; Plangenehmigungsverfügung S. 9). Auf der kurzen Strecke zwischen den Westportalen des Gubristtunnels und dem Limmattaler Kreuz sind - je nach Fahrtrichtung - verschiedene Spurenwechsel erforderlich, die sich überkreuzen können. Dieses komplexe und äusserst anspruchsvolle System wird durch den zwischen Tunnelportal und Limmattaler Kreuz platzierten Halbanschluss Weiningen weiter kompliziert; bei Überlastung der Ausfahrt Weiningen besteht die Gefahr von Rückstaus in den Tunnelbereich mit dem Risiko von Auffahrunfällen. Durch den Verzicht auf den 1985 errichteten Halbanschluss Weiningen könnte die Verkehrsanlage einfacher und sicherer gestaltet werden.
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7.3. Das UVEK behandelte den Antrag der NHK nur kurz (in Ziff. 3.2 S. 21 des Plangenehmigungsentscheids). Es begnügte sich damit, die Stellungnahme des ASTRA wiederzugeben, wonach der Verzicht auf den Halbanschluss zu grossräumigen Verkehrsverlagerungen im Limmattal mit aufwendiger und langdauernder Verkehrsplanung führen würde und ein neues Generelles Projekt erforderlich wäre. Damit kam es seiner eigenen Prüfungs- und Begründungspflicht nicht nach (vgl. angefochtener Entscheid E. 6.3.3).
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7.4. Der Verzicht auf diesen Halbanschluss wurde von den Beschwerdeführern nicht verlangt. Das Bundesverwaltungsgericht ist jedoch verpflichtet, im Rahmen des Streitgegenstandes das Recht von Amtes wegen anzuwenden und ist an die Begründung der Parteien nicht gebunden (Art. 62 Abs. 4 VwVG [SR 172.021]). Es kann daher eine Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen (teilweise) gutheissen (vgl. E. 45.4 des angefochtenen Entscheids).
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Erwägung 8
 
8.1. Unter diesen Umständen braucht auf die Rügen betreffend die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das UVEK oder das Bundesverwaltungsgericht nicht mehr eingegangen zu werden.
18
8.2. Zu prüfen ist noch, wie die Rückweisung betreffend den Halbanschluss Weiningen mit derjenigen des Bundesverwaltungsgerichts zur Prüfung einer 100 m langen Überdeckung des westlichen Portalbereichs zu koordinieren ist.
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Erwägung 9
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
a)einer Verschiebung des Halbanschlusses Weiningen von rund 600 m in Richtung Limmattaler Kreuz, mit oder ohne eine angemessene Überdeckung;
 
b) des Verzichts auf den Halbanschluss Weiningen, mit oder ohne eine angemessene Überdeckung.
 
3. 
 
4. 
 
5. 
 
6. 
 
Lausanne, 23. September 2014
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber
 
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