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Informationen zum Dokument  BGer 1C_6/2015  Materielle Begründung
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BGer 1C_6/2015 vom 29.04.2015
 
{T 0/2}
 
1C_6/2015
 
 
Urteil vom 29. April 2015
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Chaix, Kneubühler,
 
Gerichtsschreiberin Pedretti.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Krumm,
 
gegen
 
Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern, Schermenweg 5, Postfach, 3001 Bern.
 
Gegenstand
 
Sicherungsentzug des Führerausweises für Motorfahrzeuge,
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 13. August 2014 der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Daraufhin entzog das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern mit Verfügung vom 2. Juni 2014 A.________ aufgrund einer (mindestens) mittelschweren Widerhandlung den Führerausweis für Motorfahrzeuge für immer gestützt auf Art. 16b Abs. 1 lit. a, Abs. 2 lit. f und Art. 17 Abs. 4 SVG sowie Art. 33 der Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV, SR 741.51). Diese Entzugsdauer ergab sich aufgrund eines früher ausgesprochenen Sicherungsentzugs des Führerausweises auf unbestimmte Zeit mit zweijähriger Sperrfrist gemäss Art. 16c Abs. 2 lit. d SVG (Ablauf der Massnahme Ende Januar 2009).
1
 
B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid über einen Führerausweisentzug. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen; ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben (Art. 83 BGG). Auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, weshalb auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist.
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1.2. Unzulässig ist hingegen der Sachantrag des Beschwerdeführers, der Polizeirapport vom 11. Dezember 2013 sei aus den Akten zu entfernen. Es handelt sich um ein neues, im vorangehenden kantonalen Verfahren nicht vorgebrachtes Begehren, das unzulässig ist (Art. 99 Abs. 2 BGG).
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1.3. Gleiches gilt für das Vorbringen des Beschwerdeführers, es bestehe die Möglichkeit, dass die Frontscheibe bei Antritt der kurzen Fahrt in Schritttempo bei Weitem nicht derart vereist gewesen sei, wie es die Fotos der Polizei dokumentierten. Die Sicht habe sich aufgrund von Beschlag von der Innenseite her oder der Ausweitung der Eiskristalle durch den kühlen Wind auf der Aussenseite merklich verschlechtert. In der Replik, und damit ohnehin verspätet (Art. 42 Abs. 2 BGG), wird präzisiert, er habe sein Fahrzeug aufgrund spontan vollständig vereister Scheibe und kompletter Sichtverhinderung sofort gestoppt und sei ausgestiegen. Abgesehen davon, dass diese Tatsachenbehauptungen unglaubwürdig erscheinen und früheren Aussagen des Beschwerdeführers widersprechen, werden sie erstmals im bundesgerichtlichen Verfahren vorgebracht. Sie stellen daher neue Tatsachen dar und sind unzulässig (Art. 99 Abs. 1 BGG).
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1.4. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Bundesrecht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Die Verletzung von Grundrechten prüft es dagegen nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und genügend begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen).
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Erwägung 2
 
Die Kritik des Beschwerdeführers ist zu weiten Teilen appellatorisch. Soweit überhaupt darauf einzutreten ist, kann festgehalten werden, dass sich die Vorinstanz hinreichend mit der Sachlage sowie den geltend gemachten Rügen und Argumenten auseinandergesetzt hat. Aus den Akten ist zudem ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer sowohl am 26. März 2014 als auch am 6. Mai 2014 Gelegenheit eingeräumt wurde, sich zur Sache zu äussern. Von beiden Möglichkeiten hat er Gebrauch gemacht, wie er selber in seiner Beschwerdeschrift an die Rekurskommission einräumt (Ziff. 3 S. 4). Seine Aussagen bildeten sodann ergänzend zum Polizeirapport die Grundlage für die Beurteilung der Widerhandlung durch die Vorinstanz. Zwar trifft es zu, dass diese nicht explizit auf die Fahrtgeschwindigkeit eingegangen ist, doch ist diese unter den gegebenen Umständen für sich allein nicht ausschlaggebend (vgl. nachfolgend E. 3.5). Es liegt somit keine Gehörsverletzung vor.
6
 
Erwägung 3
 
3.1. Gemäss Art. 16a SVG begeht eine leichte Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft (Abs. 1 lit. a). Nach der Rechtsprechung müssen eine geringe Gefahr und ein leichtes Verschulden kumulativ vorliegen (BGE 135 II 138 E. 2.2.3 S. 141 mit Hinweisen). Gemäss Art. 16b SVG begeht eine mittelschwere Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Abs. 1 lit. a). Nach einer mittelschweren Widerhandlung wird der Führerausweis für immer entzogen, wenn in den vorangegangenen fünf Jahren der Ausweis nach Art. 16c Abs. 2 lit. d SVG entzogen war (Abs. 2 lit. f).
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Die mittelschwere Widerhandlung nach Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG liegt vor, wenn nicht alle privilegierenden Elemente einer leichten Widerhandlung nach Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG und nicht alle qualifizierenden Elemente einer schweren Widerhandlung nach Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG gegeben sind. Ist die Gefährdung gering, aber das Verschulden hoch, oder umgekehrt die Gefährdung hoch und das Verschulden gering, liegt eine mittelschwere Widerhandlung vor (BGE 136 II 447 E. 3.2 S. 452 mit Hinweisen).
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3.2. Nach Art. 29 SVG dürfen Fahrzeuge nur in betriebssicherem und vorschriftsgemässem Zustand verkehren. Sie müssen so beschaffen und unterhalten sein, dass die Verkehrsregeln befolgt werden können und dass Führer, Mitfahrende und andere Strassenbenützer nicht gefährdet werden. Die Scheiben und Rückspiegel müssen sauber gehalten werden (Art. 57 Abs. 2 der Verkehrsregelnverordnung [VRV, SR 741.11]). Scheiben, die für die Sicht des Führers oder der Führerin nötig sind, müssen eine klare, verzerrungsfreie Durchsicht gestatten (Art. 71a Abs. 4 der Verordnung über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge [VTS, SR 741.41]).
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3.3. Die Rekurskommission erwog, dem Beschwerdeführer könne aufgrund des Führens eines Personenwagens trotz komplett vereister Windschutzscheibe und fehlender Sicht auf die Fahrbahn nicht mehr nur ein leichtes Verschulden vorgeworfen werden. Dabei könne ihm nicht zugute gehalten werden, dass er die Anwohner durch das Reinigen der Scheiben nicht habe stören wollen, bedeute dies doch nichts anderes, als dass ihm die ungenügende Sicht bewusst gewesen sei. Doch selbst wenn man das Verschulden als leicht qualifizierte, könne die durch die mangelhafte Betriebssicherheit des Fahrzeugs geschaffene - jedenfalls erhöhte abstrakte - Gefährdung nicht als gering gewertet werden. Der Beschwerdeführer habe ein recht dicht besiedeltes Quartier passiert, wo auch Fussgänger oder Velofahrer hätten unterwegs sein können. Deshalb sei eine einwandfreie Rundumsicht unerlässlich, auch um auf unerwartete Hindernisse reagieren zu können.
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3.4. In seiner Rechtsprechung ging das Bundesgericht in vergleichbaren Fällen mindestens von einer mittelschweren Widerhandlung aus: Es schloss in Fällen, in denen auf der Windschutzscheibe selbst ein kleines Guckloch auf der Höhe der Augen des Fahrzeugführers enteist wurde (Urteile 6A.16/2006 vom 6. April 2006 E. 2.2.1; 6A.58/2006 vom 9. Oktober 2006 E. 1.1) oder in denen nur die Seitenscheiben schneebedeckt bzw. vereist waren (Urteile 1C_23/2012 vom 2. Juli 2012 E. 3.2; 1C_813/2013 vom 9. Januar 2014 E. 3.3) auf eine mittelschwere Widerhandlung. Eine schwere Widerhandlung nahm es in einem Fall an, in welchem die betroffene Person trotz vereisten Scheiben ein Motorfahrzeug führte (Urteil 1C_532/2009 vom 28. Januar 2010 E. 2).
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3.5. Vor diesem Hintergrund ist die Würdigung der Vorinstanz nicht bundesrechtswidrig und es kann auf sie verwiesen werden. Das Verhalten des Beschwerdeführers verletzt die einschlägigen Strassenverkehrsvorschriften (vgl. oben E. 3.2) und stellt eine erhöht abstrakte Gefährdung der Verkehrssicherheit dar, da eine Sicht durch die Vereisung der Front- und Seitenscheiben sowohl nach vorne als auch seitlich nicht gegeben bzw. stark eingeschränkt war. Daran vermag auch die geringe Geschwindigkeit nichts zu ändern. Aufgrund der fehlenden resp. ungenügenden Rundumsicht war er praktisch blind unterwegs. Ein Abkommen von der Fahrspur, was auch bei geringem Tempo ein erhebliches Risiko für den entgegenkommenden Verkehr darstellt, ist dabei wahrscheinlich. Sodann hätte der Beschwerdeführer bei Strassenkreuzungen oder Einfahrtsstrassen kaum rechtzeitig auf andere Verkehrsteilnehmer reagieren können. Wie bereits die Vorinstanz feststellte, fuhr er durch ein Wohnquartier, in welchem die Präsenz von Fussgängern oder Fahrradfahrern auch frühmorgens nicht auszuschliessen ist. Hinzu kommt, dass die Strassen an jenem Tag gemäss Polizeirapport teilweise vereist waren und es um jene Uhrzeit noch dunkel war, was die Sicht zusätzlich erschwerte.
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Das Verschulden des Beschwerdeführers kann nicht als leicht eingestuft werden. Dass sein Verhalten gefährlich war, räumte er selber ein, wie dem Schreiben vom 31. März 2014 an das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt zu entnehmen ist. Darin führt er aus, dass er seine unüberlegte Tat sehr bereue, da er einsehe, was alles hätte passieren können, auch bei einer kurzen Fahrt in die Nebenstrasse, um die Scheiben zu enteisen. Seine Verkehrsregelverletzungen sind deshalb nicht auf ein Zusammenspiel unglücklicher Umstände zurückzuführen. Der Einwand, er habe die Nachbarn vor Lärmemission schützen wollen, vermag ihn nicht zu exkulpieren, da er sich auch nach einer ca. 50 m langen Fahrt immer noch in der Nähe von Wohnhäusern befand.
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Die Rekurskommission hat somit kein Bundesrecht verletzt, indem sie das Verhalten des Beschwerdeführers als mittelschwere Widerhandlung im Sinne von Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG qualifizierte.
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Erwägung 4
 
5. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG) und ihm steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
 
4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt, der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern und dem Bundesamt für Strassen, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 29. April 2015
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Die Gerichtsschreiberin: Pedretti
 
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