BGer 2C_338/2015 | |||
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BGer 2C_338/2015 vom 12.05.2015 | |
{T 0/2}
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2C_338/2015
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2D_22/2015
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Urteil vom 12. Mai 2015 |
II. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Zünd, Präsident,
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Bundesrichter Donzallaz, Haag,
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Gerichtsschreiber Hugi Yar.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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zzt. Anstalten X.________,
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Beschwerdeführer,
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vertreten durch Rechtsanwalt Bruno Habegger,
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gegen
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Amt für Migration und Personenstand
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des Kantons Bern,
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Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern.
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Gegenstand
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Widerruf der Niederlassungsbewilligung
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und Wegweisung infolge Straffälligkeit,
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Beschwerden gegen das Urteil des
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Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
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vom 23. März 2015.
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Erwägungen: |
Erwägung 1 | |
1.1. A.________ (geb. 1982) stammt aus der Türkei und reiste 1985 in die Schweiz ein, wo er und seine Familie bis zum 24. Mai 1991 über Asyl und den Flüchtlingsstatus verfügten. Nachdem A.________ bereits früher (mit untergeordneten Taten) strafrechtlich aufgefallen war, verurteilte das Regionalgericht Emmental-Oberaargau ihn am 24. Januar 2013 wegen versuchten qualifizierten Raubes, Geiselnahme, Diebstahls und Nötigung (je begangen am 7. September 2010), Raubes (begangen am 30. Dezember 2008), Diebstahls (begangen am 6. August 2010), Lagerns falschen Geldes (begangen im April 2011) sowie mehrfacher Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrs- und das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten.
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1.2. Aufgrund dieses Verhaltens widerrief das Amt für Migration und Personenstand des Kantons Bern am 7. Mai 2014 die Niederlassungsbewilligung von A.________, gleichzeitig wies es ihn weg und hielt ihn an, das Land auf den Zeitpunkt der Beendigung des Strafvollzugs zu verlassen. Die hiergegen gerichteten kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.
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1.3. A.________ beantragt vor Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (2C_338/2015) bzw. mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde (2D_22/2015), das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 23. März 2015 aufzuheben. Ihm sei die Niederlassungsbewilligung zu belassen und für das kantonale Rechtsmittelverfahren entgegen dem vorinstanzlichen Urteil die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu bewilligen. Gegebenenfalls sei festzustellen, dass sich die Wegweisung als willkürlich erweise bzw. ihm eine angemessene Ausreisefrist gewährt werden müsse.
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Erwägung 2 | |
2.1. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den Widerruf der Niederlassungsbewilligung zulässig (Art. 83 lit. c Ziff. 2, Art. 86 Abs. 1 lit. d sowie Art. 90 BGG; BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4), hingegen nicht gegen kantonale Wegweisungsentscheide (Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG; BGE 137 II 305 ff.); diesbezüglich steht die subsidiäre Verfassungsbeschwerde offen, soweit deren Eintretensvoraussetzungen erfüllt sind (Urteil 2C_64/2007 vom 29. März 2007 E. 2.2). Der Beschwerdeführer hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern beide Rechtsmittel je separat ergriffen, statt dies in einer Eingabe zu tun, wie Art. 119 BGG das verlangt. Dies gereicht ihm indessen nicht zum Nachteil (vgl. BGE 131 I 291 E. 1.3 S. 296) : Die Verfahren sind vielmehr zusammenzulegen und in einem gemeinsamen Entscheid zu erledigen.
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Erwägung 2.2 | |
2.2.1. Das Bundesgericht prüft unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht grundsätzlich nur die geltend gemachten Vorbringen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, wie die Vorinstanz ihn festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann diesen - soweit entscheidrelevant - nur berichtigen oder ergänzen, wenn er offensichtlich unrichtig oder in Verletzung wesentlicher Verfahrensrechte ermittelt worden ist (Art. 105 Abs. 2 BGG). Die betroffene Person muss rechtsgenügend dartun, dass und inwiefern der Sachverhalt bzw. die beanstandete Beweiswürdigung klar und eindeutig mangelhaft - mit anderen Worten willkürlich - erscheint (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.3; 133 III 350 E. 1.3).
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2.2.2. Der Beschwerdeführer beschränkt sich weitestgehend darauf, die bereits vor dem Verwaltungsgericht erhobenen, von diesem jedoch verworfenen Einwände zu wiederholen und zu behaupten, die Vorinstanz habe die Ausführungen zu seiner Situation nicht zur Kenntnis genommen bzw. nicht hinreichend gewürdigt. Mit den Darlegungen im angefochtenen Entscheid zu seinen bereits dort vorgebrachten Argumententen setzt er sich kaum weiterführend auseinander; er stellt sachverhaltsmässig und hinsichtlich der Beweiswürdigung lediglich seine Sicht der Dinge derjenigen der Vorinstanz gegenüber, ohne darzulegen, inwiefern deren Schlussfolgerungen offensichtlich unhaltbar wären. Der rechtlichen Beurteilung sind die vorinstanzliche Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellung zugrunde zulegen; in rechtlicher Hinsicht sind nur die hinreichend begründeten Ausführungen zu berücksichtigen.
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Erwägung 2.3 | |
2.3.1. Soweit der Beschwerdeführer den mit dem Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung als gesetzliche Folge (vgl. Art. 64 Abs. 1 lit. c AuG) verbundenen Wegweisungsentscheid beanstandet, ist auf seine Beschwerde nicht einzutreten, da er nicht dartut, dass und inwiefern dieser besondere verfassungsmässige Rechte verletzen würde (vgl. BGE 137 II 305 ff.). Er behauptet lediglich, bei einer Rückkehr in die Türkei zum Militärdienst eingezogen und an die "gefährliche" syrische Grenze geschickt zu werden, womit er einer "grossen Lebensgefahr" ausgesetzt würde, was ihm nicht zugemutet werden könne. Er tut diesbezüglich indessen nicht in vertretbarer Weise dar, inwiefern ihm in diesem Zusammenhang eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben ("real risk") im Sinne der Rechtssprechung zu Art. 2 bzw. 3 EMRK drohen würde; dies ist auch nicht ersichtlich, nachdem er zurzeit über keine militärische Ausbildung verfügt und er nach den unbestrittenen Angaben im angefochtenen Urteil die Möglichkeit hat, sich gegebenenfalls vom Militärdienst loszukaufen. Der Beschwerdeführer weist zudem darauf hin, dass er nach der Haftentlassung eine angemessene Ausreisefrist benötige, da er sich von seinen Bezugspersonen noch verabschieden wolle; er legt indessen wiederum nicht dar, inwiefern die Annahme der Vorinstanz, dies sei auch während des Strafvollzugs möglich, verfassungswidrig wäre. Mangels hinreichender Beschwerdebegründung (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG) ist auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht einzutreten.
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Erwägung 3 | |
3.1. Der Beschwerdeführer hält sich seit seinem dritten Lebensjahr in der Schweiz auf ("zweite Generation"), doch ist er hier zuerst in untergeordneter Weise (Strassenverkehr, Drogenkonsum), danach jedoch immer schwerer straffällig geworden. Er liess sich weder von den verschiedenen früheren Sanktionen beeindrucken, noch von den von ihm angerufenen familiären Beziehungen davon abhalten, schwere Gewalt- und Vermögensdelikte mit Gefährdungen von Leib und Leben zu begehen. Nur anderthalb Wochen nach der Entlassung aus der mehrmonatigen Untersuchungshaft hat er während des laufenden Strafverfahrens wiederum eine (verbotene) Waffe gekauft und erneut Straftaten begangen. Der Beschwerdeführer ist am 24. Januar 2013 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt worden, wobei sein Verschulden straf- wie ausländerrechtlich schwer wiegt: Bei dem mit geladener Waffe brutal und rücksichtslos durchgeführten Raubüberfall (Abfeuern der mit Schrotpatronen geladenen "Pump-Gun" ausserhalb des überfallenen Bistrots und Bedrohung der Gäste mit dieser) versetzte er mehrere Opfer in Todesangst; eines ist nach wie vor arbeitsunfähig und bezieht eine Invalidenrente (posttraumatische Belastungsstörung). Bei seinen Delikten handelte der Beschwerdeführer jeweils aus rein egoistischen Beweggründen; zudem legte er eine beachtliche kriminelle Energie an den Tag, indem er nicht davor zurückschreckte, Dritte an Leib und Leben konkret zu gefährden.
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3.2. Im Strafverfahren zeigte sich der Beschwerdeführer weder kooperativ noch einsichtig; er gestand jeweils nur zu, was ihm bewiesen werden konnte und deckte seine Mittäter; das Strafgericht kam deshalb zum Schluss, dass er "nicht wirklich" Einsicht und Reue zeige; erst an der Hauptverhandlung habe er sich bei einem der Opfer entschuldigt. Im Strafvollzug verwüstete er mit einem Mitinsassen seine Zelle, zudem mussten wegen schlechter Führung Disziplinarmassnahmen gegen ihn ergriffen werden. Vom Angebot, sich vollzugsbegleitend und deliktsorientiert therapieren zu lassen, hat er keinen Gebrauch gemacht, obwohl er immer wieder erklärt hatte, dass er dies an und für sich tun wolle; dass es bis heute zu keiner entsprechenden Behandlung gekommen ist, hat er seinem eigenen Verhalten zuzuschreiben, hätte hierzu zeitlich doch längst die Möglichkeit bestanden. Das Amt für Freiheitsentzug und Betreuung des Kantons Bern hat es am 22. April 2014 abgelehnt, den Beschwerdeführer in den offenen Vollzug zu versetzen, da bei ihm ein "deutliches strukturelles Rückfallrisiko" für erneute Raubdelikte, aber auch für "allgemeine delinquente Handlungen" bestehe. Die Vorinstanz durfte gestützt hierauf in antizipierter Beweiswürdigung und ohne Einholen eines weiteren Gutachtens von einer konkreten Rückfallgefahr ausgehen, auch wenn früher (26. März 2012) keine "schwere, behandlungs-bedürftige psychische Störung" diagnostiziert worden war.
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3.3. Was der Beschwerdeführer weiter einwendet, überzeugt nicht: Er tut keine Elemente dar, die einen Entwicklungs- und Reifeprozess bzw. ein tragfähiges Zukunftsprojekt belegen würden, welche die konkretisierte Rückfallgefahr auf ein bei hier aufgewachsenen ausländischen Personen tolerierbares Mass reduzieren würde. Seine Einwände beschränken sich auf den Hinweis, dass er im Strafvollzug gereift sei, wobei sein bisheriges Verhalten indessen hiergegen spricht. Der Beschwerdeführer hat keine Berufsbildung abgeschlossen, sondern sich ausschliesslich auf seine sportliche Karriere konzentriert, die er wegen eines Fussbruchs ab 2003 nicht mehr fortsetzen konnte. Mit der Vorinstanz ist festzustellen, dass sich sein Verhalten nicht allein damit erklären lässt. Er war bereits zuvor (in untergeordnetem Masse) straffällig geworden, zudem erklärt dies sein späteres deliktisches Verhalten als Erwachsener in keiner Weise. Von einer "spätpubertären Phase" kann bei einer Straffälligkeit zwischen 19 und 29 Jahren nicht die Rede sein. Wie in den kantonalen Verfahren behauptet der Beschwerdeführer vor Bundesgericht lediglich, zahlreiche Kontakte zu hier lebenden Personen zu pflegen; entgegen den ihm von den Vorinstanzen diesbezüglich wiederholt in Erinnerung gerufenen Mitwirkungspflichten (Art. 90 AuG) belegte er diesen Einwand auch nicht ansatzweise. Die von ihm im März 2010 im Zusammenhang mit seinem Sportunfall erhaltene Entschädigung von Fr. 200'000.-- gab er innerhalb von zweieinhalb Monaten für Casinobesuche, Frauen, Kleider, Kokain usw. aus. Im Zeitpunkt seiner am stärksten ins Gewicht fallenden Straffälligkeit war er arbeitslos, zudem bezog er Sozialhilfeleistungen. Bereits vor seiner Straffälligkeit war er verschuldet; die entsprechenden Ausstände dürften heute über Fr. 150'000.-- liegen, womit aufgrund des Umfelds ein Rückfall in seine bisherigen Verhaltensmuster in einem Grad absehbar erscheint, welcher zum Schutz der in Frage stehenden Rechtsgüter ausländerrechtlich nicht hingenommen werden kann.
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3.4. Auch wenn der Beschwerdeführer wegen der Dauer seines Aufenthalts und mit Blick auf sein Alter bei der Einreise ein gewichtiges privates Interesse an einem Verbleib geltend macht, überwiegt das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Massnahme: Der Beschwerdeführer ist unverheiratet und kinderlos. Mit den kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnissen in seiner Heimat ist er nach wie vor vertraut. Er spricht Türkisch, hat hier während dreier Jahre bei seiner Tante in einer türkischen Livebar gearbeitet und seine Heimat unbestrittenermassen bereits zwei- oder dreimal besucht. Die Vorinstanz hat angenommen, dass sich sein Vater inzwischen ebenfalls wieder dort aufhält; der Beschwerdeführer wendet - wie vor der Vorinstanz - nur ein, dass dies nicht als bewiesen gelten könne; er bestreitet die entsprechende Annahme in der Sache selber indessen nicht. Seine Angehörigen können ihn von der Schweiz aus in persönlicher oder finanzieller Hinsicht unterstützen, sollte dies nötig sein. Zwar dürfte ihm eine Eingliederung nicht leicht fallen, doch ist eine solche dennoch möglich und ihm zumutbar. Mit seiner Heimat verbindet ihn - wie dargelegt - nicht nur seine Staatsbürgerschaft (vgl. ZÜND/HUGI YAR, a.a.O., N. 4 und 42 mit Hinweisen auf die Praxis des UN-Ausschusses für Menschenrechte zu Art. 12 des UNO-Pakts II [SR 0.103.2] und die Praxis des EGMR; Urteil 2C_740/2014 vom 27. April 2015 E. 4.2.3).
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Erwägung 4 |
Erwägung 5 | |
5.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten wird; auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist nicht einzutreten. Dies kann im Verfahren nach Art. 109 BGG geschehen. Ergänzend wird auf die Darlegungen im angefochtenen Entscheid verwiesen (Art. 109 Abs. 3 BGG).
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5.2. Die vorliegenden Beschwerden, welche sich weitgehend darin erschöpften, die Argumente aus den vorinstanzlichen Verfahren zu wiederholen, hatte aufgrund der detaillierten Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts keine ernsthaften Aussichten auf Erfolg (Art. 64 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren ist abzuweisen. Bei der Festsetzung der Gerichtskosten, die dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen sind (Art. 66 BGG), wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Bundesgericht über das Gesuch nicht vorweg entschieden hat, was dem Beschwerdeführer ermöglicht hätte, seine Eingaben allenfalls noch zurückzuziehen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1.
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1.1. Die Verfahren 2C_338/2015 und 2D_22/2015 werden vereinigt.
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1.2. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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1.3. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.
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2.
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2.1. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
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2.2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3.
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Lausanne, 12. Mai 2015
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Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Zünd
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Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar
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