BGer 5F_6/2015 | |||
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BGer 5F_6/2015 vom 22.05.2015 | |
{T 0/2}
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5F_6/2015
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Urteil vom 22. Mai 2015 |
II. zivilrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter von Werdt, Präsident,
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Bundesrichter Schöbi, Bovey,
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Gerichtsschreiber Möckli.
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Verfahrensbeteiligte | |
B.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Sandor Horvath,
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Gesuchstellerin,
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gegen
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A.A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jost Schumacher,
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Gesuchsgegner,
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C.A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Paul von Moos,
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D.A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Paul von Moos.
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Gegenstand
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Revision des bundesgerichtlichen Urteils 5A_51/2015 vom 25. März 2015.
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Sachverhalt: | |
A. A.A.________ (geb. 1971) und B.________ (geb. 1976) haben die drei gemeinsamen Kinder E.A.________ (geb. 1999), C.A.________ (geb. 2001) und D.A.________ (geb. 2004).
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Mit Scheidungsurteil vom 19. Juni 2013 brachte das Bezirksgericht U.________ (Ungarn) den Sohn E.A.________ beim Vater und die beiden Töchter bei der Mutter unter. Mit Berufungsurteil vom 17. Oktober 2013 teilte der Gerichtshof Székesfehérvár die Obsorge über die beiden Töchter dem Vater zu; es verpflichtete die Mutter, diese innerhalb von 15 Tagen an den Vater zu übergeben.
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Bereits am 4. September 2013 hatte die Mutter die Töchter C.A.________ und D.A.________ ohne Zustimmung des Vaters in die Schweiz verbracht.
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Am 31. Januar 2014 stellte der Vater in Ungarn einen Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung des Entscheides des Gerichtshofes Székesfehérvár. Mit Gesuch vom 14. Mai 2014 verlangte er beim Kantonsgericht Luzern die Anerkennung und Vollstreckung des genannten Urteils, die Wiederherstellung seines Sorgerechtes über die Kinder C.A.________ und D.A.________, die Rückgabe der beiden Kinder sowie die Sicherstellung der Rückgabe für den Fall der Bewilligung der Vollstreckung.
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Mit Entscheid vom 29. Dezember 2014 wies das Kantonsgericht Luzern das Gesuch ab.
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B. In dahingehender Gutheissung der Beschwerde des Vaters vom 20. Januar 2015 anerkannte das Bundesgericht mit Urteil 5A_51/2015 vom 25. März 2015 das Urteil des Gerichtshofes Székesfehérvár vom 17. Oktober 2013 und erklärte es für vollstreckbar, unter Rückweisung der Sache an das Kantonsgericht Luzern für die Organisation und den Vollzug der Rückführung von C.A.________ und D.A.________.
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Mit Entscheid vom 30. April 2015 regelte das Kantonsgericht Luzern die Rückführung von C.A.________ und D.A.________ nach Ungarn.
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C. Gegen das bundesgerichtliche Urteil 5A_51/2015 hat die Mutter am 24. April 2015 ein Revisionsgesuch eingereicht mit den Begehren um dessen Aufhebung und Abweisung der Beschwerde des Vaters vom 20. Januar 2015 bzw. Bestätigung des Entscheides des Kantonsgerichts Luzern vom 29. Dezember 2014, um Aufschiebung des Vollzuges des Urteils 5A_51/2015 und Anweisung des Kantonsgerichts, einen allfälligen zwischenzeitlichen Vollstreckungsentscheid aufzuheben.
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Erwägungen: | |
1. Angefochten ist innert der Frist von Art. 124 Abs. 1 lit. b BGG das bundesgerichtliche Urteil 5A_51/2015. In drei Punkten wird Art. 121 lit. d BGG als Revisionsgrund angeführt (dazu E. 4, 6 und 7) und in einem dieser Punkte zusätzlich Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG (dazu E. 5). Auf die Eintretensvoraussetzungen ist jeweils im Sachzusammenhang einzugehen.
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2. Die Gesuchstellerin macht unter dem Titel "Ausstand" geltend, die Beurteilung der Revisionsbegehren in gleicher Besetzung setze die absolute Bereitschaft voraus, noch einmal vollkommen unvoreingenommen und unabhängig zu entscheiden; es sei menschlich, wenn Bundesrichter und Gerichtsschreiber ein persönliches Interesse daran haben könnten, jene Argumente, die für eine Abweisung der Revision sprechen, höher zu gewichten als jene, die zu deren Gutheissung führen würden.
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3. Gemäss Art. 121 lit. d BGG kann die Revision eines bundesgerichtlichen Entscheides verlangt werden, wenn das Gericht in den Akten liegende erhebliche Tatsachen aus Versehen nicht berücksichtigt hat.
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4. Als Hauptpunkt bringt die Gesuchstellerin vor, es sei die in den Akten liegende tatsächlich erwiesene Gefahr eines "double return" und einer Trennung der Geschwister nicht berücksichtigt worden.
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4.1. Die Gesuchstellerin hatte im Verfahren 5A_51/2015 im Zusammenhang mit Art. 10 Abs. 1 lit. a des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens (ESÜ, SR 0.211.230.01) behauptet, die ältere Tochter werde bald 14-jährig und sie werde dann gestützt auf § 74 des ungarischen Familiengesetzbuches sofort ein Gesuch um Verlegung des Aufenthaltsortes stellen und die ungarische Behörde werde dieses Gesuch umgehend gutheissen, so dass ein "double return" drohe (Beschwerdeantwort vom 6. März 2015, S. 15; Urteil 5A_51/2015, E. 5.3).
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4.2. Die Gesuchstellerin macht geltend, das Bundesgericht habe übersehen, dass § 4:171 Abs. 4 BGB und nicht § 4:152 Abs. 4 BGB die Nachfolgenorm von § 74 des Familiengesetzbuches sei. Nach dieser Bestimmung müsse das Gericht das Kind anhören und könne eine Entscheidung, soweit es sein 14. Lebensjahr vollendet habe, in Bezug auf die elterliche Sorge und seine Unterbringung mit seinem Einverständnis getroffen werden, ausser wenn die Wahl des Kindes seine Entwicklung gefährde.
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4.3. Entgegen der Ansicht der Gesuchstellerin geht es nicht um Tatsachen und schon gar nicht um Aktenstellen, welche übersehen worden sind, sondern um Rechtsanwendung. Dabei handelt es sich nicht um eine Anwendung ausländischen Rechts im Sinn von Art. 16 IPRG, weil das ungarische Recht nicht als Sachrecht angewandt wurde, sondern einzig im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage, ob der Ausschlussgrund von Art. 10 Abs. 1 lit. a ESÜ gegeben sein könnte. Nichtsdestoweniger handelte es sich aber um reine Rechtsanwendung, wie dies auch bei Art. 16 IPRG der Fall ist. Dort wendet der Richter das ausländische Recht nicht nur in den nicht vermögensrechtlichen, sondern selbst bei vermögensrechtlichen Angelegenheiten nach dem Grundsatz "iura novit curia" von Amtes wegen an (BGE 121 III 436 E. 5a S. 438; 135 III 562 E. 3.2 S. 564; KELLER/GIRSBERGER, Zürcher Kommentar, N. 18 und 34 zu Art. 16 IPRG; MÄCHLER-ERNE/WOLF-METTIER, Basler Kommentar, N. 1, 5 und 15 zu Art. 16 IPRG). Der Unterschied besteht einzig darin, dass es dem Richter in vermögensrechtlichen Angelegenheiten erlaubt ist, die Parteien zur Mitwirkung bei der Eruierung des ausländischen Rechtes anzuhalten ( KELLER/GIRSBERGER, a.a.O., N. 20 zu Art. 16 IPRG; MÄCHLER-ERNE/WOLF-METTIER, a.a.O., N. 1, 5, 9, 11 und 13 zu Art. 16 IPRG), wobei es sich nicht um einen Tatsachenbeweis handelt, weil ausländisches Recht auch in vermögensrechtlichen Angelegenheiten Normcharakter hat (BGE 138 III 232 E. 4.2.4 S. 237). Ein Revisionsgrund im Sinn von Art. 121 lit. d BGG ist mithin nicht gegeben (vgl. E. 3 und dortige Hinweise), umso weniger als es um eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit ging.
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5. Die Gesuchstellerin macht weiter geltend, das Bundesgericht habe im Urteil 5A_51/2015 von sich aus das zwischenzeitlich in Kraft getretene ungarische BGB bzw. dessen § 4:152 Abs. 4 als neue Tatsache eingeführt und den kantonsgerichtlich festgestellten Sachverhalt entsprechend korrigiert, ohne ihr zu dieser Frage vorgängig das rechtliche Gehör gewährt zu haben. Sie habe von der Gesetzesänderung in Ungarn nicht wissen müssen und erst aufgrund des bundesgerichtlichen Urteils davon Kenntnis erhalten. Sie habe folglich erst nachträglich von einer erheblichen Tatsache erfahren bzw. ein entscheidendes Beweismittel aufgefunden, weshalb in diesem Zusammenhang auch der Revisionsgrund von Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG gegeben sei.
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6. Die Gesuchstellerin macht ferner geltend, das Bundesgericht habe die Aussagen der beiden Mädchen falsch gewürdigt, indem es nicht von einem eigentlichen Widersetzen ausgegangen sei. So hätten sie anlässlich der Anhörung ausgesagt, sowieso hier zu bleiben und sich nicht vorstellen zu können, beim Vater zu wohnen (D.A.________), bzw. keinen Kontakt mit ihm zu wollen, ihn nicht zu vermissen und nicht in Ungarn bei ihm leben zu wollen (C.A.________). Sodann habe ihm C.A.________ in einer E-Mail vom 20. Oktober 2013 geschrieben, sie reise nicht, sondern bleibe hier, und D.A.________ habe ihm in einer E-Mail vom 12. November 2013 geschrieben, dass sie in der Schweiz bleibe und es nicht die Mutter sei, die sie nicht gehen lasse. Daraus ergebe sich klar, dass sich die Mädchen einer Rückführung widersetzen würden, und das Bundesgericht habe diese Tatsachen aus Versehen nicht berücksichtigt, denn sonst hätte es zum Schluss kommen müssen, dass eine Rückführung nicht zulässig sei.
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7. Die Gesuchstellerin macht schliesslich geltend, das ESÜ setze ein unzulässiges Verbringen ins Ausland voraus. Indes sei das Berufungsurteil des Gerichtshofes Székesfehérvár nach der Abreise in die Schweiz ergangen, weshalb kein unrechtmässiges Verbringen im Sinn von Art. 12 i.V.m. Art. 1 lit. d ESÜ vorliege, denn das Berufungsurteil enthalte keine entsprechende nachträgliche Erklärung. Als Rechtsfolge ergebe sich, dass das ESÜ gar nicht anwendbar sei bzw. alle Versagensgründe nach Art. 10 ESÜ zur Anwendung kommen könnten, also auch Art. 10 Abs. 1 lit. b ESÜ. Das Bundesgericht habe diese in den Akten liegenden Tatsachen aus Versehen nicht berücksichtigt.
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8. Zusammenfassend ergibt sich, dass das Revisionsgesuch abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Das Revisionsgesuch wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Es werden keine Kosten erhoben.
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3. Für das Revisionsverfahren werden die Rechtsanwälte Sandor Horvath und Jost Schumacher mit je Fr. 1'500.-- sowie Rechtsanwalt Paul von Moos mit Fr. 500.-- aus der Gerichtskasse entschädigt.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien, C.A.________, D.A.________, dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung, und dem Bundesamt für Justiz Zentralbehörde für Kindesentführungen schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 22. Mai 2015
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Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: von Werdt
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Der Gerichtsschreiber: Möckli
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