BGer 9C_191/2015 | |||
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BGer 9C_191/2015 vom 01.06.2015 | |
{T 0/2}
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9C_191/2015
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Urteil vom 1. Juni 2015 |
II. sozialrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
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Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
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Gerichtsschreiber Schmutz.
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Verfahrensbeteiligte | |
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
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Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jean-Pierre Menge,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung (Invalidenrente),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
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vom 20. Februar 2015.
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Sachverhalt: | |
A. A.________, geboren 1978, ist gelernter Automonteur und war zuletzt von 2002 bis 2007 in der Firma B.________ AG als Mitarbeiter in der Montage tätig. Er meldete sich am 13. Mai 2008 wegen starker Panikattacken bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die Ärztinnen der Psychiatrischen-Dienste diagnostizierten eine Agoraphobie mit Panikstörungen (Schreiben vom 30. April 2008). Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen klärte die medizinischen, persönlichen und beruflich-erwerblichen Verhältnisse des Versicherten ab. Nach gescheiterten Eingliederungsbemühungen der Arbeitslosenversicherung gab sie bei der MEDAS ein Gutachten (vom 4. November 2010) in Auftrag. Die Experten diagnostizierten mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit eine Agoraphobie mit Panikattacken (ICD-10 F40.01), den Status nach Hüft-Arthrodese wegen angeborener Hüftdysplasie und Korrektur-Osteotomie, Beinverkürzung links (ICD-10 Q65.8 / M24.6) und ein rezidivierendes lumbovertebrales Syndrom (ICD-10 M54.5). Sie befanden A.________ in einer leidensangepassten Tätigkeit psychiatrischerseits zu 70 % arbeitsfähig. Mit Vorbescheid vom 1. Dezember 2011 und Verfügung vom 4. Dezember 2012 wies die IV-Stelle das Rentengesuch ab (Invaliditätsgrad von 30 %).
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B. Die gegen die Verfügung erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 20. Februar 2015 teilweise gut. Es gewährte A.________ einen leidensbedingten Abzug von 10 % und sprach ihm bei einem Invaliditätsgrad von 42 % eine Viertelsrente zu und wies die Sache zur Festsetzung des Rentenbeginns und zur Ausrichtung der geschuldeten Leistungen an die IV-Stelle zurück.
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C. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt die Aufhebung des kantonalen Entscheides und die Bestätigung der Verfügung vom 4. Dezember 2012. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
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A.________ und die Vorinstanz beantragen die Abweisung der Beschwerde, der Versicherte zudem die Abweisung des Gesuches um aufschiebende Wirkung. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen: |
Erwägung 1 | |
1.1. Nachdem der angefochtene Rückweisungsentscheid lediglich der Umsetzung der zugesprochenen Viertelsrente dient, ist er als Endentscheid zu qualifizieren (vgl. statt vieler Urteil 9C_684/2007 vom 27. Dezember 2007 E. 1.1).
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1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG).
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2. Streitig und zu prüfen ist, ob ein leidensbedingter Abzug zu gewähren ist.
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2.1. Ob und in welcher Höhe statistische Tabellenlöhne herabzusetzen sind, hängt von sämtlichen persönlichen und beruflichen Umständen des Einzelfalles ab, die nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen sind. Relevante Merkmale sind leidensbedingte Einschränkung, Alter, Dienstjahre, Nationalität/Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad (BGE 126 V 75 E. 5b/bb S. 80). Ob ein Abzug vom Invalideneinkommen vorzunehmen sei, ist eine frei überprüfbare Rechtsfrage.
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2.2. Die Vorinstanz begründete den Abzug von 10 % damit, der Beschwerdegegner vermöge seine Arbeitsfähigkeit nur noch in einem eingeengten Spektrum möglicher Bereiche zu verwerten. Aus psychiatrischer Sicht dürfe er in seiner Arbeit nicht unter Druck gesetzt werden. Er müsse die Möglichkeit erhalten, in einem grösseren Raum mit direktem Weg ins Freie zu arbeiten. Auch brauche er ein Umfeld mit einem väterlichen Chef, der bestimmt und klar führe. Ebenso seien die körperlichen Beschwerden zu berücksichtigen, denn die Tätigkeit müsse wechselbelastend sein und dürfe kein längeres Knien erfordern.
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2.3. Die Beschwerdeführerin rügt, der Tabellenlohn umfasse eine Vielzahl von leichten und mittelschweren Tätigkeiten. Dem Beschwerdegegner seien solche, sofern sie zumindest teilweise oder überwiegend sitzend ausgeführt würden, ohne wesentliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit möglich. Dass die Tätigkeit wechselbelastend sein müsse und kein längeres Knien erforderlich sein dürfe, rechtfertige somit keinen Abzug vom Tabellenlohn. Eine Behinderung dürfe auch nicht mit einem reduzierten Pensum und zusätzlich mit einem Abzug doppelt berücksichtigt werden. Eine psychisch bedingte verstärkte Rücksichtnahme seitens Vorgesetzter und Arbeitskollegen gelte nicht als eigenständiger abzugsfähiger Umstand.
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Erwägung 3 | |
3.1. Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass in somatischer Hinsicht für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten - zumindest teilweise oder überwiegend sitzend - keine wesentliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit besteht. Demgegenüber ist die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdegegners aus psychiatrischen Gründen in einer körperlich leidensangepassten Tätigkeit zu 30 % eingeschränkt. Wie sich dem massgebenden MEDAS-Gutachten vom 4. November 2010 entnehmen lässt, bezieht sich diese Einschränkung auf eine ganztägige Beschäftigung mit reduzierter Leistung.
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3.2. Dass der Beschwerdegegner die Möglichkeit erhalten sollte, in einem grösseren Raum mit direktem Weg ins Freie arbeiten zu können, hängt unmittelbar mit dem psychiatrisch diagnostizierten Leiden (Agoraphobie mit Panikstörung) zusammen. Der Vorgabe, dass der Versicherte nicht unter Druck gesetzt wird, wird Rechnung getragen, indem der Beschwerdegegner seine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit in Form einer ganztägigen Beschäftigung erbringen kann. Dieser Umstand wie auch das Krankheitsbild machen einen erheblichen Unterschied zu den von der Vorinstanz zitierten Urteilen 9C_796/2013 vom 28. Januar 2014 E. 3.4 und 9C_236/2014 vom 29. September 2014 E. 4 aus. Mit anderen Worten sind hier die psychischen Aspekte der gesundheitlichen Beeinträchtigung bereits bei der Schätzung der zumutbaren Arbeitsfähigkeit berücksichtigt worden und können nicht nochmals mit einem Abzug angerechnet werden. Zudem gilt eine psychisch bedingte verstärkte Rücksichtnahme seitens Vorgesetzter und Arbeitskollegen nicht als eigenständiger abzugsfähiger Umstand (vgl. statt vieler Urteil 8C_97/2014 vom 16. Juli 2014 E. 4.2 mit weiteren Hinweisen). Schliesslich schränkt das ärztlich umschriebene Anforderungsprofil (wechselbelastende Tätigkeiten ohne längeres Knien) die Einsatzmöglichkeiten des Beschwerdegegners nicht weiter ein. Abgesehen davon, dass er während 6-7 Jahren eine solche Tätigkeit in einem Beschichtungsbetrieb ausgeübt hat, wie aus dem MEDAS-Gutachten erhellt, und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Versicherte dabei unterdurchschnittlich entlöhnt worden ist, enthält der Tabellenlohn im Anforderungsniveau 4 eine Vielzahl von leichten und mittelschweren Tätigkeiten, wie eine solche hier in Frage kommt (vgl. statt vieler 8C_924/2014 vom 2. April 2015 E. 5.2.2 mit weiteren Hinweisen). Der von der Vorinstanz vorgenommene Abzug verletzt demnach Bundesrecht.
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3.3. Es ist unbestritten, dass sich der Invaliditätsgrad ohne Abzug auf 35 % beläuft, was keinen Rentenanspruch vermittelt. Die Beschwerde erweist sich als begründet und ist gutzuheissen.
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4. Mit dem Entscheid in der Sache erweist sich das Gesuch um aufschiebende Wirkung als obsolet.
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5. Dem Verfahrensausgang entsprechend gehen die Gerichtskosten zu Lasten des Beschwerdegegners (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 20. Februar 2015 wird aufgehoben und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 4. Dezember 2012 bestätigt.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
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3. Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 1. Juni 2015
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Glanzmann
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Der Gerichtsschreiber: Schmutz
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