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Informationen zum Dokument  BGer 1B_80/2015  Materielle Begründung
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BGer 1B_80/2015 vom 30.06.2015
 
{T 0/2}
 
1B_80/2015
 
 
Urteil vom 30. Juni 2015
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Karlen, Eusebio, Chaix, Kneubühler,
 
Gerichtsschreiber Uebersax.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stefan Flachsmann,
 
gegen
 
1. Peter Frey,
 
c/o Bezirksgericht Affoltern,
 
Im Grund 15, 8910 Affoltern am Albis,
 
2. Marina Schellenberg,
 
c/o Bezirksgericht Affoltern,
 
Im Grund 15, 8910 Affoltern am Albis,
 
3. Tobias Emanuel Walthert, c/o Bezirksgericht Affoltern,
 
Im Grund 15, 8910 Affoltern am Albis,
 
Beschwerdegegner,
 
Bezirksgericht Affoltern,
 
Im Grund 15, 8910 Affoltern am Albis.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; Ausstand,
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 6. Februar 2015 des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Gegen A.________ läuft im Kanton Zürich ein Strafverfahren wegen Mordes. Am 11. Dezember 2013 stellte das Bezirksgericht Affoltern in einem Teilurteil fest, A.________ habe die ihm vorgeworfene Handlung vom 7. Januar 2009 begangen. Im Übrigen ist das Verfahren noch offen.
1
Am 14. April 2014 reichte die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich eine Nachtragsanklage gegen A.________ wegen Gefährdung des Lebens, Nötigung und Widerhandlung gegen das Waffengesetz ein. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft vereinigte das Bezirksgericht dieses Verfahren am 30. September 2014 mit demjenigen der Mordanklage.
2
B. A.________ stellte für die Behandlung der Nachtragsanklage am 6. Oktober 2014 ein Ausstandsgesuch gegen die bereits am Teilurteil vom 11. Dezember 2013 beteiligten Richter, nämlich Gerichtspräsident Peter Frey, Bezirksrichterin Marina Schellenberg und Ersatzrichter Tobias Walthert. Mit Beschluss vom 6. Februar 2015 wies das Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, dieses Ausstandsgesuch ab.
3
C. Mit Beschwerde in Strafsachen vom 13. März 2015 an das Bundesgericht beantragt A.________, den Beschluss des Obergerichts aufzuheben und dieses anzuweisen, die Befangenheit von Peter Frey, Marina Schellenberg und Tobias Walthert zur Beurteilung der Nachtragsanklage vom 14. April 2014 festzustellen. Überdies ersucht A.________ um Erteilung der aufschiebenden Wirkung sowie der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. Zur Begründung wird im Wesentlichen geltend gemacht, mit dem Teilurteil vom 11. Dezember 2013 hätten die daran beteiligten Richter die Tathandlung in der Mordanklage bereits A.________ zugeschrieben, weshalb sie bei der Beurteilung der ihm mit der Nachtragsanklage vorgeworfenen Nachfolgetat nicht mehr unvoreingenommen seien, was insbesondere für die Aussagen der Hauptzeugin gelte, die auch das Opfer der angeklagten Nachfolgetat sei.
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Das Obergericht verzichtete auf eine Stellungnahme. Peter Frey, Marina Schellenberg und Tobias Walthert sowie das Bezirksgericht Affoltern liessen sich innert Frist nicht vernehmen.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Beim angefochtenen Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich über den Ausstand von drei Mitgliedern des Bezirksgerichts Affoltern handelt es sich um einen selbständig anfechtbaren, kantonal letztinstanzlichen (vgl. Art. 59 Abs. 1 lit. b StPO) Zwischenentscheid, gegen den gemäss Art. 78 ff. in Verbindung mit Art. 92 BGG die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht offen steht.
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1.2. Mit der Beschwerde an das Bundesgericht kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft die bei ihm angefochtenen Entscheide aber grundsätzlich nur auf Rechtsverletzungen hin, die von den Beschwerdeführern geltend gemacht und begründet werden (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 106 Abs. 2 BGG).
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2. Art. 56 StPO zählt verschiedene Gründe auf, die zum Ausstand von in einer Strafbehörde tätigen Personen führen. Nach Art. 56 lit. f StPO trifft dies namentlich aus anderen (als den in lit. a-e der gleichen Bestimmung genannten) Gründen zu, insbesondere wenn die in der Strafverfolgung tätige Person wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand befangen sein könnte. Art. 56 StPO konkretisiert die Verfassungsbestimmung von Art. 30 Abs. 1 BV. Danach hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Art. 30 Abs. 1 BV soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess erforderlichen Offenheit des Verfahrens im Einzelfall beitragen und damit ein gerechtes Urteil ermöglichen. Die Garantie des verfassungsmässigen Richters wird verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Solche Umstände können entweder in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters oder in gewissen äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur begründet sein (BGE 131 I 113 E. 3.4 S. 116). Bei der Anwendung von Art. 56 lit. f StPO ist entscheidendes Kriterium, ob bei objektiver Betrachtungsweise der Ausgang des Verfahrens noch als offen erscheint. Die Mehrfachbefassung mit derselben Angelegenheit, nicht zuletzt im Zusammenhang mit einem prozessualen Zwischenentscheid, genügt dafür ebenfalls nicht, solange das Verfahren noch als offen erscheint (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1B_170/2012 vom 19. Juni 2012 E. 4.2). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erscheint es insbesondere heikel, wenn verschiedene Teilnehmer einer gleichen Straftat durch dasselbe Richtergremium beurteilt werden, nachdem dieses bereits einmal in der Sache entschieden hat. Ausschlaggebend dafür, ob ein Schuldvorwurf wegen der Beurteilung eines Mitbeschuldigten in einem separaten Verfahren als nicht mehr offen gilt, sind jedoch die konkreten Umstände (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1P.648/2002 vom 4. März 2003).
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Erwägung 3
 
3.1. Mit dem Teilurteil vom 11. Dezember 2013 stellte das Bezirksgericht Affoltern in der Zusammensetzung der drei Richter, deren Ausstand der Beschwerdeführer verlangt, fest, der des Mordes angeklagte Beschwerdeführer habe die ihm vorgeworfene Tathandlung vom 7. Januar 2009 begangen. In diesem Punkt haben sich die Bezirksrichter demnach bereits festgelegt, auch wenn Anschlussfragen wie das Schuldmass und die Folgen auf Seiten des Beschwerdeführers wie insbesondere die ihm allenfalls aufzuerlegende Sanktion noch offen sind (vgl. Art. 342 StPO). Mit der Nachtragsanklage wird wiederum dem Beschwerdeführer Gefährdung des Lebens, Nötigung und Widerhandlung gegen das Waffengesetz vorgeworfen. Es steht mithin nicht - wie im vom Beschwerdeführer angerufenen Urteil des Bundesgerichts 1P.648/2002 vom 4. März 2003 - die Beteiligung anderer Täter an der bereits beurteilten Tathandlung in Frage, sondern es geht um die Beurteilung einer anderen Straftat des gleichen mutmasslichen Täters. Dass derselbe Richter oder das gleiche Richtergremium eine andere Tat desselben Angeklagten im gleichen oder in einem späteren Strafverfahren beurteilt, stellt nach ständiger Praxis keine massgebliche Vorbefassung und damit keinen Ausstandsgrund dar. Zu prüfen ist, ob allenfalls der Zusammenhang zwischen der bereits beurteilten Tathandlung und dem nachträglich angeklagten neuen Tatvorwurf im vorliegenden Fall zu einer ausnahmsweise anderen Beurteilung führt, weil der Ausgang des zweiten Strafverfahrens nicht mehr offen erscheint.
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3.2. Der Beschwerdeführer soll nach Begehung der ersten Tat die mutmassliche Hauptzeugin derselben bedroht und zum Schweigen aufgefordert haben. Dabei handelt es sich um eine Folgetat im Anschluss an die erste Tathandlung, die massgeblich von der Aussage des mutmasslichen Opfers abhängt, das bereits eine wesentliche Zeugin der ersten bereits beurteilten Tat ist. Allerdings ist nicht bekannt, welchen Stellenwert das Bezirksgericht Affoltern bei der Beurteilung der als Mord angeklagten Tathandlung der Aussage der Zeugin, des mutmasslichen Opfers der Zweittat, beigemessen hat, weil die entsprechende Urteilsbegründung noch nicht vorliegt. Darauf kommt es aber nicht an. Trotz des zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs von Haupt- und Folgetat handelt es sich um zwei verschiedene Tatvorwürfe. Wie auch immer das Bezirksgericht Affoltern in seinem Teilurteil vom 11. Dezember 2013 die Glaubwürdigkeit der Zeugin und zugleich des mutmasslichen Opfers der Nachfolgetat eingeschätzt hat, bleiben die Richter für die Beurteilung der Folgetat frei. Es geht um zwei verschiedene Tatvorwürfe, bei denen grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die Richter fähig und willens sind, die Tatumstände auch separat nach der jeweils vorliegenden Beweislage zu prüfen und zu beurteilen, sofern es nicht besondere Anhaltspunkte dafür gibt, dass dem nicht so ist. Der Sachzusammenhang für sich allein genügt für die Annahme von Vorbefassung oder Voreingenommenheit nicht. Massgebliche besondere Hinweise für eine solche Ausnahme werden jedoch nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer begründet den angeblichen Anschein von Befangenheit einzig mit dem engen Zusammenhang der beiden mutmasslichen Straftaten. Das genügt zur Rechtfertigung des Ausstandes der beteiligten Richter nicht. Vielmehr erscheint der Verfahrensausgang für den Vorwurf der Zweittat weiterhin offen.
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3.3. Der angefochtene Beschluss verstösst demnach nicht gegen Bundesrecht.
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Erwägung 4
 
4.1. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen.
12
4.2. Dem offenkundig bedürftigen unterliegenden Beschwerdeführer, dessen Rechtsbegehren nicht als von vornherein aussichtslos erscheinen, ist für das bundesgerichtliche Verfahren antragsgemäss die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung mit seinem Rechtsvertreter zu gewähren (vgl. Art. 64 BGG). Damit sind keine Kosten zu erheben, und es ist dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eine angemessene Parteientschädigung aus der Bundesgerichtskasse auszurichten.
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4.3. Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos.
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird gutgeheissen und es wird dem Beschwerdeführer Rechtsanwalt Dr. Stefan Flachsmann als unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben.
 
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
4. Rechtsanwalt Dr. Stefan Flachsmann wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- ausgerichtet.
 
5. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bezirksgericht Affoltern und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, und zur Kenntnis der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 30. Juni 2015
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Uebersax
 
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