BGer 2C_55/2015 | |||
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BGer 2C_55/2015 vom 06.08.2015 | |
{T 0/2}
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2C_55/2015
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Urteil vom 6. August 2015 |
II. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Zünd, Präsident,
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Bundesrichter Stadelmann,
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Bundesrichter Haag,
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Gerichtsschreiberin Mayhall.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Anwaltskammer Solothurn, Rathaus.
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Gegenstand
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Disziplinarverfahren,
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Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 28. November 2014.
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Sachverhalt: |
A. | |
B. Gegen den Beschluss der Anwaltskammer vom 22. Mai 2014 liess Rechtsanwalt A.________ Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn führen. Er beantragte die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und den Freispruch vom Vorwurf der Verletzung einer Berufspflicht. Das kantonale Verwaltungsgericht wies diese Beschwerde mit Urteil vom 28. November 2014 ab.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 16. Januar 2015 beantragt Rechtsanwalt A.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 28. November 2014 sowie der Beschluss der Anwaltskammer vom 22. Mai 2014 seien kostenfällig aufzuheben. Seiner Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
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Erwägungen: |
Erwägung 1 | |
2. Der Beschwerdeführer rügt, das angefochtene vorinstanzliche Urteil beruhe auf einer unrichtigen Anwendung und Auslegung von Art. 12 lit. a BGFA. Der Vorwurf, die Kritik des Beschwerdeführers sei nicht bzw. nur "indirekt" sachbezogen und deshalb unzulässig gewesen, sei nicht haltbar und überdehne die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht im Sinne von Art. 12 lit. a BGFA. Die geäusserte Kritik sei nicht über das Notwendige hinausgegangen; sie sei nur geäussert worden, um einen Ablehnungsantrag gegenüber den Richtern und dem Gerichtsschreiber zu begründen. Trifft diese Rüge zu, ist das angefochtene Urteil aufzuheben, und ist auf die gerügten Verletzungen des Verfassungs- und Konventionsrechts (Art. 16, Art. 27 BV; Art. 6, 7 und 10 EMRK) nicht weiter einzugehen. Sie ist deswegen vorab zu behandeln.
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2.1. Das BGFA regelt in Art. 12 die Berufspflichten der Anwältinnen und Anwälte. Diese haben ihren Beruf insbesondere "sorgfältig und gewissenhaft auszuüben" (Art. 12 lit. a BGFA). Diese Verpflichtung hat für die gesamte Berufstätigkeit Geltung und erfasst neben der Beziehung zum eigenen Klienten sowohl die Kontakte mit der Gegenpartei als auch jene mit den Behörden (BGE 130 II 270 E. 3.2 S. 276; VALTICOS, in: Commentaire romand de la Loi sur les avocats, 2010, N. 51 zu Art. 12 BGFA).
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2.2. Als Berufspflicht obliegt den Anwältinnen und den Anwälten in erster Linie, die Interessen ihres Klienten bestmöglich zu vertreten. Als Verfechter von Parteiinteressen sind sie einseitig tätig. Dabei dürfen sie energisch auftreten und sich den Umständen entsprechend scharf ausdrücken. Verfassungsrechtlich sind die Äusserungen einer Anwältin oder eines Anwalts in Wahrnehmung der Interessen ihres Klienten durch die Meinungsfreiheit (Art. 16 BV) gedeckt (BGE 125 I 417 E. 3 S. 421 ff.; Urteile 2C_652/2014 vom 24. Dezember 2014 E. 3.2; 2C_1138/2013 vom 5. September 2014 E. 2.2; 2C_737/2008 vom 8. April 2009 E. 3.2).
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Erwägung 3 | |
3.1. Die Äusserungen, für welche der Beschwerdeführer disziplinarrechtlich sanktioniert wurde, erfolgten anlässlich der Vertretung von B.________ in einem sozialversicherungsrechtlichen Verfahren.
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3.1.1. Mit Verfügung vom 4. Januar 2013 hatte die IV-Stelle die bisherige ganze Invalidenrente von B.________ auf eine halbe Invalidenrente herabgesetzt und einer Beschwerde gegen diese Verfügung die aufschiebende Wirkung entzogen. Dagegen liess B.________ am 7. Februar 2013, vertreten durch den Beschwerdeführer, Beschwerde vor dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn erheben.
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3.1.2. Diese Ankündigung einer möglichen reformatio in peius veranlasste den Beschwerdeführer, namens und auftrags der Klientin ein Ausstandsgesuch gegen die am Verfahren beteiligten Gerichtspersonen einzureichen. Der Beschwerdeführer stellte in seiner Eingabe vom 11. September 2013 die Kernthese auf, die Androhung der reformatio in peius sei aus unsachlichen Gründen erfolgt. Ein Anschein der Befangenheit des Gerichts sei in der laufenden Verschlechterung der Rechtsposition der Klientin durch das Gericht zu erblicken, welche in der Androhung dieser reformatio in peius gemündet habe. Wörtlich führte der Beschwerdeführer in seiner Eingabe aus:
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Erwägung 3.2 | |
3.2.1. Wie die Vorinstanz zutreffend festhielt, sind in einem aufsichtsrechtlichen Disziplinarverfahren die Äusserungen einer Anwältin oder eines Anwalts nicht daran zu messen, ob ein eingereichtes Ausstandsgesuch gegen die am Verfahren beteiligten Gerichtspersonen im Nachhinein - wie vorliegend, vgl. Urteil 9C_821/2013 vom 29. Januar 2014 - als unbegründet beurteilt wurde (vgl. oben, E. 2.2). Ebenso zutreffend ist, dass in der vorgängigen Ankündigung einer reformatio in peius und der Einräumung der Gelegenheit zum Beschwerderückzug
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3.3. Das kantonale Versicherungsgericht begründete in seiner verfahrensleitenden Verfügung vom 22. August 2013 die Möglichkeit einer reformatio in peius mit ihrem in vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgtem Schluss, das Gutachten der MEDAS Interlaken GmbH vom 6. Juli 2011 sei grundsätzlich beweiskräftig. Sollte diese vorläufige Würdigung zutreffen, wäre von einer gesundheitlichen Verbesserung und damit von einem Revisionsgrund für die Invalidenrente auszugehen; die Beschwerdeführerin könne ihre Schmerzstörung allenfalls mit einer zumutbaren Willensanstrengung auch zu mehr als 50 % überwinden. Dass der Beschwerdeführer angesichts dieser Begründung das Vorliegen der Voraussetzungen einer reformatio in peius in Zweifel zog, erscheint als nachvollziehbare, sachbezogene, und mit Bezug auf einen konkreten Verfahrensabschnitt geäusserte Kritik. Die weiteren Mutmassungen des Beschwerdeführers über die angeblichen Beweggründe des kantonalen Versicherungsgerichts - systematische Schwächung der Rechtsposition bzw. Demontierung der Klientin, um sie zum Beschwerderückzug zu bewegen, Druckausübung mit unsachlichen Argumenten, Disziplinierung wegen der Erfrechung, neue Unterlagen einzureichen und neue Beweismittel zu bezeichnen, "kontaminiertes" Verfahren - waren für die Stellungnahme zur in Aussicht gestellten reformatio in peius unnötig und hätten unterbleiben können. Allerdings kommt den Anwältinnen und Anwälten eine weitgehende Freiheit (Urteil 2C_551/2014 vom 9. Februar 2015 E. 4.1; ["grande liberté", Urteile 2C_652/2014 vom 24. Dezember 2014 E. 3.2; 2C_1180/2013 vom 24. Oktober 2014 E. 4.1.1]) zu, Behörden und insbesondere die Justiz zu kritisieren (vgl. zur Zulässigkeit, die Fähigkeit eines Regierungsstatthalters zur Amtsausübung wegen Paranoia in Zweifel zu ziehen, Urteil 2C_551/2014 vom 9. Februar 2015 E. 4; zur Vermutung, ein Vorgehen eines Staatsanwaltes gegen seinen Klienten beruhe ausschliesslich auf rassistischen Beweggründen ["approche au caractère purement raciste de l'affaire relative à son client"] Urteil 2C_652/2014 vom 24. Dezember 2014 E. 3). Diese Äusserungen des Beschwerdeführers, die im Verfahren zur Begründung eines Ausstandsbegehrens erfolgten, sind als blosse, noch nicht sanktionswürdige Übertreibungen anzusehen. Die Beschwerde erweist sich als wegen Verletzung von Art. 12 lit. a BGFA begründet, und das angefochtene vorinstanzliche Urteil ist aufzuheben.
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4. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Dem bei Einreichung der Beschwerdeschrift anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer ist eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- auszurichten (Art. 68 Abs. 1 BGG).
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Die Vorinstanz wird die Kosten und Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen Verfahrens neu verlegen (Art. 67, Art. 68 Abs. 5 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird, und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 28. November 2014 wird aufgehoben.
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2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3. Der Kanton Solothurn hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- auszurichten.
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4. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 6. August 2015
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Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Zünd
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Die Gerichtsschreiberin: Mayhall
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