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Informationen zum Dokument  BGer 5A_94/2015  Materielle Begründung
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BGer 5A_94/2015 vom 06.08.2015
 
{T 0/2}
 
5A_94/2015
 
 
Urteil vom 6. August 2015
 
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
 
Bundesrichter Herrmann, Schöbi,
 
Gerichtsschreiber V. Monn.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.C.________,
 
vertreten durch Advokat D.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
B.C.________,
 
vertreten durch Advokat Adrian Schmid,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Eheschutz, Wiederherstellung der Rechtsmittelfrist,
 
Beschwerde gegen die Entscheide des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivilrecht, vom 16. Dezember 2014 und vom 22. Dezember 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.a. Die Eheleute A.C.________ und B.C.________ führen vor den Gerichten des Kantons Basel-Landschaft einen Eheschutzprozess, den die Ehefrau am 27. Mai 2014 vor dem Zivilkreisgericht Basel-Landschaft West anhängig gemacht hat.
1
A.b. Am 2. Oktober 2014 führte das Zivilkreisgericht in Anwesenheit der Parteien und deren Rechtsvertreter eine Verhandlung durch. Mit Entscheid vom selben Tag bewilligte die Gerichtspräsidentin den Eheleuten die Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes. Sie stellte die gemeinsame Tochter unter die Obhut der Ehefrau, regelte den persönlichen Verkehr zwischen Vater und Kind und verpflichtete B.C.________, seiner Frau und seiner Tochter Alimente zu zahlen. Beiden Parteien wurde die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt. Die Entschädigung von B.C.________s unentgeltlichem Rechtsbeistand bestimmte die Gerichtspräsidentin auf Fr. 3'178.45 (inkl. Auslagen und MWST). Der schriftlich begründete Entscheid wurde Advokat D.________, dem Rechtsvertreter der Ehefrau, am 21. Oktober 2014 zugestellt.
2
A.c. In Gestalt einer als "Rektifikat" bezeichneten Urkunde vom 22. Oktober 2014 sandte das Zivilkreisgericht den Entscheid vom 2. Oktober 2014 (s. Bst. A.b) den Parteien ein zweites Mal. Darin ist die Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistands des Ehemannes auf Fr. 3'502.45 (inkl. Auslagen und MWST) bestimmt.
3
 
B.
 
B.a. Mit Berufung vom 31. Oktober 2014 gelangte Advokat D.________ namens und im Auftrag der Ehefrau an das Kantonsgericht Basel-Landschaft. Die Ehefrau liess im Wesentlichen die Unterhaltsregelung anfechten und stellte diesbezügliche Berufungsanträge. Laut Sendungsverlauf der Schweizerischen Post wurde die Berufungseingabe am Montag, 3. November 2014, um 06.24 Uhr bei der Postagentur in Rünenberg aufgegeben. Zusammen mit der Berufung sandte der Rechtsvertreter dem Kantonsgericht eine separate Eingabe vom 1. November 2014. Darin beantragte er, die Berufungsschrift in Wiederherstellung der am 31. Oktober 2014, 24.00 Uhr, endenden Berufungsfrist als rechtzeitig eingereicht entgegenzunehmen und auf die Berufung einzutreten.
4
B.b. Mit Verfügung vom 4. November 2014 sistierte das Kantonsgericht das Berufungsverfahren betreffend den Eheschutzentscheid bis zum Entscheid über das Gesuch um Wiederherstellung der Frist zur Einreichung der Berufung. In der Folge wies es dieses Gesuch ab (Entscheid vom 16. Dezember 2014). Mit Entscheid vom 22. Dezember 2014 hob es die Sistierung des Berufungsverfahrens im Eheschutzstreit auf und trat auf die Berufung von A.C.________ nicht ein.
5
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
 
Erwägung 3
 
 
Erwägung 4
 
 
Erwägung 5
 
 
Erwägung 6
 
6.1. Nach Art. 148 Abs. 1 ZPO kann das Gericht auf Gesuch einer säumigen Partei eine Nachfrist gewähren oder zu einem Termin erneut vorladen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie kein oder ein nur leichtes Verschulden an der Säumnis trifft. Art. 148 Abs. 1 ZPO ist damit weniger streng als Art. 50 Abs. 1 BGG, Art. 13 Abs. 1 BZP und Art. 33 Abs. 4 SchKG, die für die Wiederherstellung einer Frist ein unverschuldetes Hindernis verlangen (vgl. zur diesbezüglichen Praxis die Urteile 6B_318/2012 vom 21. Januar 2013 E. 1.3 und 8C_294/2013 vom 18. Juni 2013 E. 3, je mit Hinweisen). Diese gegenüber der säumigen Partei grosszügigere Lösung der ZPO ist vom Gesetzgeber gewollt (Dominik Gasser/Brigitte Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurzkommentar, 2. Aufl. 2014, N 2 zu Art. 148 ZPO). Ihr ist auch dann Rechnung zu tragen, wenn das Bundesgericht die korrekte Anwendung von Art. 148 Abs. 1 ZPO - wie hier (E. 1) - bloss auf die Verletzung verfassungsmässiger Rechte hin überprüft (Urteil 5A_393/2013 vom 17. Oktober 2013 E. 2.1). Welche tatsächlichen Umstände die Beschwerdeführerin zu ihrer Entschuldigung glaubhaft gemacht hat, betrifft die Beweiswürdigung und ist Tatfrage (vgl. Urteil 5P.199/2006 vom 13. Juli 2006 E. 4.2). Rechtsfrage ist hingegen, ob das Verschulden der Beschwerdeführerin angesichts der erstellten Umstände noch als leicht im Sinne von Art. 148 Abs. 1 ZPO einzustufen ist.
6
6.2. Der Streit dreht sich um die Frage, ob der an Angina pectoris leidende Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin durch eine "ungewöhnlich heftige Herzattacke", die ihn am Freitag, 31. Oktober 2014, gegen 22.30 Uhr überrascht haben soll, daran gehindert wurde, die Berufungsschrift bis zum Ende dieses Tages nach Massgabe von Art. 143 ZPO einzureichen. Das Kantonsgericht hält dem Rechtsvertreter entgegen, er anerkenne selbst, für seine Darstellung der Ereignisse am letzten Abend vor Ablauf der Rechtsmittelfrist bloss "sein Wort" anbieten zu können. Zwar liege es "im Bereich des Möglichen", dass den Rechtsvertreter bei einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Prozessstoff, der ihm persönlich sehr nahe geht, eine Herzattacke ereilt. Ebenso wahrscheinlich erscheine allerdings, dass ein Anwalt bei der Bearbeitung des Prozessstoffes "in qualifizierten Verzug" gerät und die Frist deswegen versäumt. Das nachgereichte Attest des Hausarztes hält das Kantonsgericht für untauglich, weil es ausdrücklich auf einer blossen nachträglichen Schilderung des Patienten beruhe und die Bestätigung eines bekannten Krankheitszustandes - hier der Angina pectoris des Rechtsvertreters - regelmässig nicht zur Anerkennung eines Hindernisses im Sinne von Art. 148 Abs. 1 ZPO genüge. Das Kantonsgericht hält dem Rechtsvertreter vor, trotz seines Wissens um die bekannten Symptome nicht zeitgerecht zweckmässige Vorkehren getroffen und sich nicht so organisiert zu haben, dass er die Frist auch bei aussergewöhnlichen Verhältnissen wahren konnte. Dass der Rechtsvertreter angesichts einer heftigen Herzattacke - auch um sich den Beweis dafür zu sichern - nicht sofort ärztliche Hilfe angefordert habe, wecke begründete Zweifel an der "Gewichtigkeit des Geschehens". Soweit der Anwalt am späteren Abend des 31. Oktober 2014 noch in der Lage gewesen sei, wiederholt einen Zerstäuber mit Glyceroltrinitrat zur Gefässerweiterung zu bedienen, wäre wohl auch ein elektronischer Versand der Fassung der Berufungsschrift möglich gewesen, wie sie um 23.00 Uhr vorgelegen habe. Das Kantonsgericht kommt zum Schluss, so oder anders würden sich die Ausführungen des Rechtsvertreters zu den Ereignissen kurz vor Ablauf der Rechtsmittelfrist letztlich in Behauptungen erschöpfen, die nicht überzeugen.
7
6.3. Als willkürliche Beweiswürdigung wirft die Beschwerdeführerin dem Kantonsgericht vor, die Relevanz der Belege gemäss ihrer Eingabe vom 11. November 2014 nicht zu beachten. Mit der Kassaquittung, der Postversandquittung und der Kopie des Zustellumschlags habe sie nachgewiesen, dass ihr Anwalt die Berufung nicht am 3. November 2014, sondern am 1. November 2014 der Post zum Versand übergeben habe. Die Beschwerdeführerin folgert daraus, dass die eingesandte Berufung dem "Sachbearbeitungsstand" per 31. Oktober 2014 entspreche und den Herrschaftsbereich des Anwalts spätestens am 1. November 2014 um 11.11 Uhr verlassen habe. Sie tut jedoch nicht dar, warum das Kantonsgericht deshalb zwingend hätte zum Schluss kommen müssen, dass sie die zur Entschuldigung ihrer Säumnis vorgetragenen Tatsachen glaubhaft gemacht hat. Von vornherein unbehelflich ist auch ihr Hinweis auf Art. 60 ZPO, wonach das Gericht von Amtes wegen prüft, ob die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind. Die Begründetheit des Wiederherstellungsgesuchs, die allein hier zur Debatte steht, ist keine Prozessvoraussetzung. Entsprechend kann auch nicht die Rede davon sein, dass das Kantonsgericht zur Prüfung der Begründetheit des Restitutionsbegehrens gemäss Art. 153 ZPO von Amtes wegen hätte Beweise erheben müssen und sich wegen dieser vermeintlichen Pflichtverletzung dem Vorwurf aussetzen würde, das rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) der Beschwerdeführerin verletzt zu haben. Im Weiteren geisselt die Beschwerdeführerin den Vorwurf, ihr Anwalt habe sich "schuldhaft ungenügend organisiert", zwar als unzulässige Schlussfolgerung und Willkür. Sie verstrickt sich aber sogleich in Widersprüche, gesteht sie doch selbst ein, dass die gesundheitliche Störung, an der ihr Anwalt leidet, bei diesem zu nicht voraussehbaren krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit führen kann. Unbehelflich ist auch ihr weiterer Einwand, die Verfahrensakten seien ihr erst am 27. Oktober 2014 zur Verfügung gestellt worden. Denn inwiefern ihr Anwalt zur Niederschrift der Berufungseingabe auf Akten angewiesen war, von denen er nicht schon im erstinstanzlichen Verfahren Kenntnis nehmen konnte, zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf. Vergebens beteuert sie auch, dass eine Herzattacke, wie ihr Rechtsvertreter sie erlitten habe, keine nachweisbaren Spuren hinterlasse, weshalb auch ein umgehender Anruf beim Hausarzt am 31. Oktober 2014 nichts zum Ausmass der Attacke hätte "hergeben" können. Dass das Kantonsgericht der Beschwerdeführerin den strikten Beweis von Spuren dieser Herzattacke abverlangen würde, lässt sich dem angefochtenen Entscheid nicht entnehmen. Die Vorinstanz führt der Beschwerdeführerin lediglich vor Augen, dass der Nachweis einer sofortigen (fernmündlichen) Konsultation eines Arztes zur Glaubhaftmachung des Wiederherstellungsgrundes nützlich gewesen wäre.
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6.4. Nach dem Gesagten vermag die Beschwerdeführerin die vorinstanzliche Einschätzung, wonach sie die Tatsachen zur Begründung ihres Wiederherstellungsgesuchs nicht glaubhaft gemacht hat, nicht als verfassungswidrig auszuweisen. Das Schicksal ihrer Beschwerde an das Bundesgericht ist damit besiegelt, und es kann offenbleiben, was es mit dem Verschulden des Rechtsvertreters auf sich hat, das sich die Beschwerdeführerin gegebenenfalls anrechnen lassen müsste (BGE 119 II 86 E. 2 S. 87 mit Hinweisen), falls sie die streitigen Umstände glaubhaft hätte. Von vornherein unbegründet ist im Übrigen ihre Befürchtung, das Kantonsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt, weil es nicht ausführe, wie das Verschulden zu gewichten ist. Zu begründen ist das Ergebnis des Entscheides, das im Urteilsspruch zum Ausdruck kommt und das allein die Rechtsstellung der betroffenen Partei berührt. Die Begründung ist also nicht an sich selbst, sondern am Rechtsspruch zu messen (Urteil 5A_382/2013 vom 12. September 2013 E. 3.1). Eingedenk dessen ist der Entscheid vom 16. Dezember 2014 nicht zu beanstanden, denn das Kantonsgericht bringt sehr wohl zum Ausdruck, warum es das Wiederherstellungsgesuch abweist (s. E.6.3). Die Rechtsfrage, ob und gegebenenfalls in welchem Grade den Rechtsvertreter ein Verschulden an der Säumnis trifft, brauchte schon das Kantonsgericht aus den soeben dargelegten Gründen gar nicht zu erörtern.
9
 
Erwägung 7
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
4. 
 
Lausanne, 6. August 2015
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: von Werdt
 
Der Gerichtsschreiber: V. Monn
 
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