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Informationen zum Dokument  BGer 6B_820/2015  Materielle Begründung
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BGer 6B_820/2015 vom 16.10.2015
 
{T 0/2}
 
6B_820/2015
 
 
Urteil vom 16. Oktober 2015
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Rüedi,
 
Bundesrichterin Jametti,
 
Gerichtsschreiberin Pasquini.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Willy Bolliger,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Verletzung der Verkehrsregeln,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 16. Juni 2015.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
1. 
1
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anklageprinzips. Im Strafbefehl seien die vorgeworfene Tat, die Art und die Folgen der Tatausführung nicht aufgeführt. Die Vorinstanz lege ihrem Urteil nicht den angeklagten Sachverhalt zugrunde (Beschwerde S. 6 f.).
2
1.2. Nach dem Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion; Art. 9 und Art. 325 StPO; Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK). Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden (Immutabilitätsprinzip), nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (vgl. Art. 350 StPO). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Das Anklageprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 140 IV 188 E. 1.3; 133 IV 235 E. 6.2 f.; 126 I 19 E. 2a; je mit Hinweisen).
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1.3. Im Strafbefehl wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe am 31. August 2012, 10.00 Uhr, sein Fahrzeug in Berikon auf einem Invalidenparkplatz geparkt. Der Zivil- und Strafkläger habe ihn ermahnt, weil er nicht über eine entsprechende Berechtigungskarte verfügt habe. Der Beschwerdeführer habe nach einem verbalen Disput seine Autotüre geschlossen, die jedoch durch den Zivil- und Strafkläger wieder geöffnet worden sei. In diesem Moment habe der Beschwerdeführer sein Fahrzeug ein Stück zurückgesetzt, wodurch der Zivil- und Strafkläger zu Boden gestürzt sei und sich verletzt habe (Commotio cerebri, Rissquetschwunde 1 cm lang am Hinterkopf, Schwindel, Kopfschmerzen). Durch das Zurücksetzen des PW's habe der Beschwerdeführer seine Vorsichtspflichten als Fahrzeuglenker verletzt.
4
1.4. Die Rüge der Verletzung des Anklagegrundsatzes ist unbegründet. Der Sachverhalt im Strafbefehl ist knapp gefasst. Die dem Beschwerdeführer angelastete Tat ist dennoch unverwechselbar und so umschrieben, dass es für ihn in klarer Weise ersichtlich war, welcher Vorwurf gegen ihn erhoben wurde. Dass er seine Verteidigungsrechte nicht hätte wahrnehmen können, ist nicht ersichtlich und macht er auch nicht geltend. Die Vorinstanz stellt fest, es sei auf die Sachverhaltsversion des Beschwerdeführers abzustellen, wonach sich der Streit im Vorfeld des tatrelevanten Geschehens zugetragen habe. A.________ sei erst auf das Auto des Beschwerdeführers zugegangen und habe dessen Türe geöffnet, nachdem dieser den Motor angelassen und sich für das Rückwärtsfahren bereit gemacht habe. Der Beschwerdeführer habe den Rückwärtsgang eingelegt und in den Innenrückspiegel geschaut, nachdem er den Motor angelassen habe. Er habe zunächst ein Stück zurücksetzen und daraufhin vorwärts auf die Strasse einbiegen wollen. Als A.________ plötzlich seine Autotüre geöffnet habe, sei er dermassen erschrocken, dass er auf das Gas getreten sei. Er habe nicht gesehen, wie sich sein Kontrahent seinem Auto genähert habe (Urteil S. 14 f. E. 3.5). Die Vorinstanz geht mit diesen tatsächlichen Feststellungen nicht über den im Strafbefehl genannten Anklagevorwurf hinaus.
5
 
Erwägung 2
 
3. 
6
3.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 31 Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11). Er macht geltend, er habe keine Sorgfaltspflichten verletzt, als er erschrocken sei und auf das Gaspedal getreten sei. Denn ein Unberechtigter habe seine Fahrzeugtüre geöffnet. Der Motor sei schon angestellt gewesen und er habe gerade zurücksetzen wollen. Es sei lebensfremd und inadäquat zu verlangen, dass er beim Ausparken neben dem Blick in den Innenspiegel auch zur Seite schauen müsse, zumal er zunächst nur nach hinten und noch nicht auf die Strasse habe fahren wollen. A.________ sei gestürzt, weil er eine strafbare Handlung begangen habe. Im Lichte der gesamten Verhältnisse könne dem Beschwerdeführer keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden (Beschwerde S. 9 ff.).
7
3.2. Soweit sich der Beschwerdeführer von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz entfernt, ohne aufzuzeigen, inwiefern diese willkürlich sind, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten (vgl. Art. 105 Abs. 1 und Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 137 III 226 E. 4.2 S. 234 mit Hinweisen). Dies ist z.B. der Fall, wenn er ausführt, er habe nach rechts und nach links geschaut, bevor er den Rückwärtsgang eingelegt habe (Beschwerde S. 10 unten).
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3.3. Nach Art. 100 Ziff. 1 Satz 1 SVG ist im Bereich des Strassenverkehrsgesetzes grundsätzlich auch die fahrlässige Handlung strafbar. Fahrlässig handelt, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt (Art. 12 Abs. 3 StGB). Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Für die Zurechenbarkeit des Erfolgs genügt die blosse Vorhersehbarkeit nicht. Erforderlich ist auch dessen Vermeidbarkeit. Der Erfolg ist vermeidbar, wenn er nach einem hypothetischen Kausalverlauf bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Das Mass der im Einzelfall zu beachtenden Sorgfalt richtet sich, wo besondere, der Unfallverhütung und der Sicherheit dienende Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, in erster Linie nach diesen Vorschriften (BGE 135 IV 56 E. 2.1 mit Hinweisen).
9
3.4. Der Schuldspruch der Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht. Auf ihre zutreffenden Ausführungen kann verwiesen werden (Urteil S. 15 f. E. 3.6; erstinstanzliches Urteil S. 10 ff. E. 5.2.3 und E. 5.3.2). Sie erwägt zu Recht, dass die Aufmerksamkeit des Beschwerdeführers nicht situationsangemesse n war. Nach der vorangegangenen Auseinandersetzung zwischen ihm und A.________ hätte er sich im Rahmen des angestrebten Manövers mit einem Seitenblick versichern müssen, dass sich sein Kontrahent nicht mehr in der Nähe des Fahrzeugs befand. Der Blick in den Innenspiegel war in einer solchen Situation auch dann nicht hinreichend, wenn der Beschwerdeführer zunächst nur nach hinten fahren und sich erst im zweiten Schritt auf die Strasse begeben wollte. Seine diesbezüglichen Vorbringen sind unbehelflich. Bei nach den Umständen gebotener Aufmerksamkeit hätte der Beschwerdeführer A.________ wahrgenommen und wäre nicht überrascht gewesen, dass dieser die Fahrzeugtür öffnet. Folglich wäre er nicht erschrocken und hätte das Gaspedal nicht reflexartig betätigt, weshalb das ungewollte Zurücksetzen des Personenwagens vermeidbar gewesen wäre. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers vermag es ihn nicht zu entlasten, dass sein Kontrahent nicht berechtigt war, die Fahrzeugtür zu öffnen. Das Strafrecht kennt keine Schuldkompensation (BGE 106 IV 58 E. 1; vgl. etwa Urteil 6B_286/2013 vom 14. Oktober 2013 E. 1.5; je mit Hinweis). Das Verhalten von A.________ war auch nicht so ungewöhnlich, dass der Beschwerdeführer überhaupt nicht hätte damit rechnen müssen (zur Adäquanz BGE 135 IV 56 E. 2.1 S. 64 f. mit Hinweisen).
10
 
Erwägung 4
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 4'0 00.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 16. Oktober 2015
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini
 
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