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Informationen zum Dokument  BGer 2C_275/2015  Materielle Begründung
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BGer 2C_275/2015 vom 13.01.2016
 
{T 0/2}
 
2C_275/2015
 
 
Urteil vom 13. Januar 2016
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler,
 
Bundesrichter Donzallaz,
 
Gerichtsschreiber Matter.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1. A.A.________,
 
2. B.A.________,
 
Beschwerdeführer, beide vertreten durch
 
Rechtsanwalt Pius Koller, Studer Anwälte und Notare,
 
gegen
 
Kantonales Steueramt Aargau,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Kantons- und Gemeindesteuern 2011,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 17. Februar 2015.
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.A.________ ist selbständig erwerbender Landwirt. Im März 2011 veräusserte er einen Anteil von 833 m² seines in der Bauzone gelegenen Grundstücks in U.________ zum Preis von Fr. 708'050.--. In seiner Jahresrechnung 2011 des Landwirtschaftsbetriebs, die bei einem Umsatz von Fr. 42'040.70 mit einem Jahresverlust von Fr. 30'967.-- abschloss, verbuchte er den Verkaufserlös erfolgsneutral auf das Privatkonto; auf dem Konto "Boden" wurde keine Abnahme verbucht.
1
B. Mit Veranlagungsverfügung für die Kantons- und Gemeindesteuern 2011 vom 22. Mai 2013 rechnete das Kantonale Steueramt Aargau den Verkaufserlös (abzüglich des Buchwerts des veräusserten Grundstücks und des AHV-Beitrags auf dem Kapitalgewinn) beim steuerbaren Einkommen von A.A.________ auf.
2
C. Nachdem sie vergeblich Einsprache und danach Rekurs an das Spezialverwaltungsgericht für Steuern des Kantons Aargau erhoben hatten, gelangten die Eheleute A.A.________ und B.A.________ an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau. Dieses hiess ihre Beschwerde mit Urteil vom 17. Februar 2015 insofern gut, als es auf dem Verkaufspreis von Fr. 708'050.-- eine nachträglich geschaffene Ersatzbeschaffungsrückstellung von Fr. 472'000.-- anerkannte und den beim Einkommen aufgerechneten Kapitalgewinn von Fr. 637'309.-- auf Fr. 211'093.-- herabsetzte. Das Verwaltungsgericht wies weiter ein Gesuch um Verfahrenssistierung (im Hinblick auf Gesetzgebungsbemühungen im Bund) ab.
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D. Am 30. März 2015 haben die Eheleute A.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht eingereicht. Sie beantragen, es sei festzustellen, dass der Gewinn von Fr. 637'309.-- aus dem Verkauf des Grundstücks in U.________ der Grundstückgewinnsteuer und nicht der Einkommenssteuer unterliege; in diesem Sinne sei das verwaltungsgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache mit verbindlichen Weisungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Weiter stellen sie den Antrag, das Verfahren so lange zu sistieren, bis die auf Bundesebene diskutierten Gesetzesänderungen in Kraft getreten seien.
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Das Kantonale Steueramt und das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Die Eidgenössische Steuerverwaltung hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
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E. Mit Replik vom 8. Juni 2015 haben die Beschwerdeführer an ihren Rechtsstandpunkten festgehalten.
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F. Am 10. Juni 2015 hat der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung das Sistierungsgesuch abgewiesen.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerde ist grundsätzlich zulässig (vgl. Art. 82 ff. BGG in Verbindung mit Art. 73 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG, SR 642.14]).
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1.2. Nicht einzutreten ist allerdings auf den Antrag, es seien neben der Aufhebung des angefochtenen Urteils noch Feststellungen zu treffen, besteht doch hierfür kein schutzwürdiges Interesse (vgl. u.a. BGE 126 II 300 E. 2c S. 303 f.).
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Erwägung 2
 
2.1. Das aargauische Steuergesetz vom 15. Januar 1998 (StG/AG) folgt im Grundsatz dem dualistischen System der Grundstückgewinnbesteuerung: Gewinne aus der Veräusserung von Geschäftsliegenschaften (bzw. aus deren Überführung ins Privatvermögen) unterliegen der Gewinn- oder Einkommenssteuer. Von der Grundstückgewinnsteuer erfasst werden solche Veräusserungsgewinne usw. nur, wenn sie nicht unter die Einkommens- oder Gewinnsteuer fallen (vgl. BGE 138 II 32 E. 2.1.1 S. 35 mit weiteren Hinweisen) :
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2.1.1. Gemäss § 27 Abs. 2 StG/AG zählen zu den Einkünften aus selbständiger Erwerbstätigkeit auch alle Kapitalgewinne aus Veräusserung, Verwertung oder buchmässiger Aufwertung von Geschäftsvermögen (was nach unbestrittener Praxis die Gewinne aus der Überführung ins Privatvermögen miteinschliesst). Laut Abs. 4 der gleichen Bestimmung werden Gewinne auf "land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken" nur bis zur Höhe der Anlagekosten zu den Einkünften aus selbständiger Erwerbstätigkeit gerechnet; soweit sie die Anlagekosten übersteigen, unterliegen sie der Grundstückgewinnsteuer (§ 106 StG/AG). Diese Bestimmungen harmonieren mit Art. 8 Abs. 1 bzw. Art. 12 Abs. 1 StHG und haben ihre Entsprechung in Art. 18 Abs. 2 und 4 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG, SR 642.11). Aufgrund der eben genannten Bestimmungen nehmen die auf "land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken" erzielten Veräusserungsgewinne eine Sonderstellung ein: Für diese Veräusserungsgewinne gilt die privilegierte Ausnahmeregelung, dass nur die wieder eingebrachten Abschreibungen der Einkommenssteuer von Bund und Kanton unterliegen, während der eigentliche Wertzuwachsgewinn ausschliesslich der kantonalen bzw. kommunalen Grundstückgewinnsteuer unterliegt und auf Bundesebene nicht besteuert wird (vgl. BGE 138 II 32 E. 2.1 S. 34 ff.).
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2.1.2. Diese Privilegierung ist aber namentlich dadurch angemessen zu begrenzen, dass der steuerrechtliche Begriff des "land- und forstwirtschaftlichen Grundstückes" im Einklang mit dem Anwendungs- und Schutzbereich sowie den Veräusserungsbeschränkungen des bäuerlichen Bodenrechts konkretisiert werden muss (vgl. BGE 138 II 32 E. 2.2 S. 36 ff.). Für ein unüberbautes und vollumfänglich in einer Bauzone gelegenes Grundstück, das nicht "angemessenen Umschwung" eines Grundstückes mit landwirtschaftlichen Gebäuden und Anlagen bildet, kann die Ausnahmeregelung nicht zur Anwendung kommen (vgl. ebenda E. 2.2 u. 2.3 S. 36 ff.).
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2.2. Damit steht im Einklang, dass eine differenzierte Erfassung mit der Grundstückgewinnsteuer und der Einkommenssteuer auch dort nur in beschränktem Ausmass erfolgen kann, wo das betreffende Grundstück umgezont wird. Zwar kann auf den Zeitpunkt der Einzonung in den Baubereich hin ein als steuersystematische Realisierung zu wertender Übergang von landwirtschaftlichem zu üblichem (und steuerlich nicht privilegiertem) Geschäftsvermögen angenommen werden, wobei das Land mit dem landwirtschaftlichen Verkehrswert der Grundstückgewinnsteuer unterläge, während der durch die Einzonung bewirkte und spätere Wertzuwachs einkommenssteuerrechtlich zu erfassen wäre. Doch drängt sich eine solche Differenzierung nur dann zwingend auf, wenn sie nicht erst im Nachhinein geltend gemacht wird, sondern bereits im Zeitpunkt der Umzonung (vgl. BGE 138 II 32 E. 2.4 S. 39 ff.; Bundesgerichtsurteil 2C_708/2010 vom 28. Januar 2011 E. 2, in: StE 2011 B 42.25 Nr. 2).
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Erwägung 3
 
3.1. In Anwendung der genannten Bestimmungen und im Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall befunden, dass der von den Beschwerdeführern bei der Veräusserung ihres in der Bauzone gelegenen Grundstückanteils erzielte Gewinn vollumfänglich und ausschliesslich mit der Einkommenssteuer zu erfassen sei. Die privilegierte Ausnahmeregelung könne nicht zum Tragen kommen (vgl. E. II./1 des angefochtenen Urteils).
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3.2. Dem halten die Beschwerdeführer vor Bundesgericht weiterhin entgegen, dass der steuerlich erfasste Wertzuwachs auf dem Grundstücksanteils nicht auf Gewerbstätigkeit beruhe und somit nicht unter § 27 Abs. 2 StG/AG fallen könne. Landwirte müssten anders behandelt werden als sonstige Gewerbetreibende. Auf sämtliche Einwendungen und Argumente der Beschwerdeführer hat jedoch die Vorinstanz überzeugend und umfassend geantwortet (vgl. E. II./3, insb. E. 3.2, des angefochtenen Urteils).
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3.2.1. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht die bundesgerichtliche Rechtsprechung so verstanden, dass die privilegierte Ausnahmeregelung - und somit eine Erfassung des bei der Veräusserung eines Grundstücks erzielten Veräusserungsgewinns mit der Grundstückgewinnsteuer - nur dann erfolgen kann, wenn es sich um ein "land- und forstwirtschaftliches Grundstück" im Einklang mit dem Anwendungs- und Schutzbereich sowie den Veräusserungsbeschränkungen des bäuerlichen Bodenrechts handelt. Das ist bei dem hier zu beurteilenden, unüberbauten und vollumfänglich in der Bauzone gelegenen Grundstück nicht der Fall. Kann die Ausnahmeregelung somit nicht zur Anwendung kommen, so bleibt gemäss bestehender Praxis keine andere Möglichkeit, als den Veräusserungsgewinn mit der Einkommenssteuer zu erfassen. Das gilt unabhängig davon, ob nun der erzielte Wertzuwachs auf landwirtschaftlicher Tätigkeit beruht oder nicht (vgl. E. II./3.2 des angefochtenen Urteils).
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3.2.2. Die Vorinstanz hat sich auch mit der in der Lehre teilweise geäusserten Kritik an der gültigen Rechtsprechung auseinandergesetzt. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht festgehalten, dass bestimmte Lehrmeinungen wohl - ebenso wie die Beschwerdeführer - die Unterstellung von Veräusserungsgewinnen wie dem hier massgeblichen unter die Grundstückgewinnsteuer vertreten, dass diese Auffassung aber ausdrücklich de lege ferenda geäussert wird. Die genannten Meinungen vermögen an der jetzt gültigen Rechtslage nichts zu ändern. Weil ausschliesslich das im massgeblichen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden ist, hat das Bundesgericht auch das im Hinblick auf gesetzgeberische Veränderungsvorhaben im Bund vorgebrachte Sistierungsgesuch abweisen müssen (vgl. oben Sachverhalt/D. und F.).
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3.2.3. Als rechtskonform erweist es sich auch, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Beurteilung nicht danach unterschieden hat, ob der Veräusserungsgewinn auf einen vor oder nach der im Jahre 1995 erfolgten Umzonung zurückzuführen ist. In Übereinstimmung mit BGE 138 II 32 wird im angefochtenen Urteil festgehalten und eingehend begründet, warum der gesamte Gewinn unter Umständen wie den hier gegebenen mit der Einkommenssteuer zu erfassen ist (vgl. dazu ausführlich E. II./4.2 des angefochtenen Urteils; siehe auch oben E. 2.2).
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Erwägung 4
 
4.1. Die Beschwerdeführer bringen weiter vor, die bundesgerichtliche Praxis verstosse gegen den verfassungsmässigen Grundsatz von Treu und Glauben gemäss Art. 5 Abs. 3 BV und Art. 9 BV. Bei Abschluss des hier massgeblichen Geschäfts hätten die Verkäufer auf die damals gefestigte und ihnen bekannte Praxis vertrauen dürfen, wonach der von ihnen erzielte Veräusserungsgewinn vollumfänglich der Grundstückgewinnsteuer unterworfen würde. Erst mit dem Veranlagungsentscheid der kantonalen Steuerverwaltung hätten sie Kenntnis von der neuen Praxis erhalten; die geänderte Praxis habe die vorherige auf den Kopf gestellt und komme im Ergebnis einer Gesetzesänderung gleich; eine solche unterliege jedoch dem Rückwirkungsverbot, was auch für die neue bundesgerichtliche Rechtsprechung gelten müsse.
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4.2. Dagegen hat sich das Verwaltungsgericht aber zutreffend auf das genannte Urteil in BGE 138 II 32 gestützt, um festzuhalten, dass hier keine Änderung einer zuvor bestehenden Rechtsprechung erfolgte, sondern vielmehr eine neue richterliche Praxis zu einer bis damals noch von keinem Gericht beurteilten Frage (vgl. in BGE 138 II 32 nicht veröffentlichte E. 2.6, wiedergegeben u.a. in StR 67/2012 S. 137 ff.; siehe auch E. II./2.2 des angefochtenen Urteils). Diese Beurteilung mag sich von der zuvor bestehenden Praxis der Verwaltungsbehörden unterschieden haben. Sie war aber unverzüglich verbindlich und ist es seither geblieben. Ebenso wenig bestand Raum für ein Rückwirkungsverbot. Abgesehen davon wäre auch eine Änderung der Rechtsprechung grundsätzlich sofort anzuwenden (BGE 140 II 334 E. 8 S. 342; 132 II 153 E. 5.1 S. 149).
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5. Abschliessend ist hervorzuheben, dass das Verwaltungsgericht sich nicht darauf beschränkt hat, die bundesgerichtliche Rechtsprechung zutreffend und differenziert auf den vorliegenden Einzelfall anzuwenden. Darüber hinaus hat es sich bemüht, allfälligen Ungewissheiten bei der Umsetzung der höchstrichterlichen Praxis durch ein grösstmögliches Entgegenkommen gegenüber den Beschwerdeführern Rechnung zu tragen. In wohlwollender Betrachtungsweise hat die Vorinstanz so erwogen, dass die Bildung einer nachträglichen (und sehr spät, namentlich sogar in Änderung einer bereits erstellten Bilanz erfolgten) Ersatzbeschaffungsrückstellung doch noch als rechtskonform anerkannt werden könne. Genauso zuvorkommend wird im angefochtenen Urteil hervorgehoben, dass sich diese Rückstellung auf nicht weniger als Fr. 472'000.-- (bei einem Verkaufspreis von Fr. 708'050.--) belaufen könne, so dass sich das steuerbare Einkommen auf Fr. 211'093.-- reduziere.
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Dieses Entgegenkommen der Vorinstanz gegenüber den Beschwerdeführern kann und muss hier nicht weiter geprüft werden, scheidet doch eine reformatio in peius vor Bundesgericht von vornherein aus (vgl. Art. 107 Abs. 1 BGG).
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6. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang werden die Beschwerdeführer unter Solidarhaft kostenpflichtig (vgl. Art. 65 f. BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.
 
3. Diese Verfügung wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 13. Januar 2016
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Der Gerichtsschreiber: Matter
 
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