VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 2C_492/2015  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 2C_492/2015 vom 19.04.2016
 
{T 0/2}
 
2C_492/2015
 
 
Urteil vom 19. April 2016
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichter Donzallaz,
 
Bundesrichter Haag,
 
Gerichtsschreiber Kocher.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Kantonale Steuerverwaltung Appenzell Ausserrhoden, Rechtsdienst/Spezialsteuern,,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
1. A.A.________,
 
2. B.A.________ geb. C.________,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Staats- und Gemeindesteuern 2012; Kinderabzug und Kinderausbildungskostenabzug,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden, 5. Abteilung, vom 11. März 2015.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Das Kantonale Steueramt Appenzell Ausserrhoden veranlagte die Eheleute A.A.________ und B.A.________ geb. C.________ (nachfolgend: die Steuerpflichtigen) mit Veranlagungsverfügung vom 14. Mai 2014 für die Kantons- und Gemeindesteuern 2012 mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 189'600.-- (zum Steuersatz von Fr. 208'000.--) und einem steuerbaren Vermögen von Fr. 1'896'000.-- (zum Steuersatz von Fr. 2'279'000.--). Dagegen erhoben die Steuerpflichtigen Einsprache, worin sie vortrugen, ihre gemeinsame Tochter D.A.________, geb. 1987, stehe in universitärer (Erst-) Ausbildung. Sie unterstützten ihre Tochter jährlich mit Fr. 40'000.--, was sie berechtige, den Kinder- und den Kinderausbildungskostenabzug (den sie mit Fr. 11'806.-- bezifferten) vorzunehmen. Mit Einspracheentscheid vom 25. Juli 2014 wies die Veranlagungsbehörde die Einsprache ab. Sie verwies auf die Veranlagungsverfügung 2012, die sie D.A.________ gegenüber erlassen hatte. Daraus ging zwar nur ein geringes Einkommen, hingegen ein steuerbares Vermögen von rund Fr. 1,3 Mio. hervor (flüssige Mittel von Fr. 250'000.--, unverteilte Erbschaft von Fr. 450'000.-- und Grundeigentum von Fr. 680'000.--, abzüglich des Freibetrags; gerundete Zahlen). Die Möglichkeit, das Leben aus eigenem Vermögen zu bestreiten, schliesse die vom kantonalen Steuerrecht verlangte Unterstützungsbedürftigkeit aus.
1
1.2. Die Steuerpflichtigen gelangten an das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden, dessen 5. Abteilung die Beschwerde mit Entscheid O5V 14 28 vom 11. März 2015 guthiess. Das Obergericht erkannte im Wesentlichen, massgebend für die Frage der Abzugsfähigkeit sei "letztlich, ob - trotz des vorhandenen Kindsvermögens - eine zivilrechtliche Verpflichtung der Eltern zur Unterhaltsleistung zu bejahen ist" (Entscheid E. 2.3.4). Dies sei unter den gegebenen Umständen zutreffend, nachdem die Eltern über deutlich höhere flüssige Mittel und insgesamt ein spürbar grösseres Vermögen verfügten. Der Kinderabzug von Fr. 6'000.-- sei zuzulassen. Das Obergericht wies die Sache alsdann an die Veranlagungsbehörde zurück, da unklar geblieben war, weshalb der Kinderausbildungskostenabzug (maximal Fr. 12'000.--) den Betrag von Fr. 11'806.-- hätte erreichen sollen, wie dies die Steuerpflichtigen geltend machten.
2
1.3. Die Veranlagungsbehörde wendet sich mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 1. Juni 2015 (Poststempel) an das Bundesgericht und ersucht um Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Infolge fehlender objektiver Unterstützungsbedürftigkeit der Tochter sei den Eltern die Vornahme der anbegehrten Abzüge zu verwehren. Die Steuerpflichtigen schliessen auf Abweisung der Beschwerde; die Veranlagungsbehörde repliziert, worauf die Steuerpflichtigen duplizieren. Die Vorinstanz und die Eidgenössische Steuerverwaltung sehen von einer Vernehmlassung ab.
3
 
Erwägung 2
 
2.1. Die Höhe des zugesprochenen Kinderausbildungskostenabzugs ist im vorinstanzlichen Verfahren offen geblieben, weshalb die Vorinstanz die Beschwerde zwar guthiess, die Sache aber zur erneuten Prüfung an die Erstinstanz zurückwies. Gegen diesen Zwischenentscheid steht der Steuerverwaltung, die dadurch entgegen ihrer Rechtsauffassung einen Abzug vornehmen müsste, die Beschwerde an das Bundesgericht offen (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 133 V 477 E.5; 134 II 124 E.1.3).
4
2.2. Die streitbetroffene Rechtsfrage ist an sich eine solche des kantonalen Steuerrechts (Art. 129 Abs. 2 Satz 2 BV [SR 101]; Art. 1 Abs. 3 Satz 2 StHG [SR 642.14]). Auch in Fragen der Sozialabzüge kann sich eine kantonale Steuerverwaltung zur Herleitung ihrer Legitimation aber auf Art. 73 Abs. 2 StHG i. V. m. Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG stützen, bilden solche Abzüge doch Gegenstand der Regelung von Art. 9 Abs. 4 Satz 2 StHG (Urteile 2C_827/2014 vom 1. September 2015 E. 2.3.1; 2C_365/2009 vom 24. März 2010 E. 2.1.3 in: StR 65/2010 S. 663). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG).
5
2.3. Abgesehen von Art. 95 lit. c-e BGG, die hier nicht einschlägig sind, kann das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung kantonalen Rechts nur auf seine Verfassungs- und Völkerrechtskonformität hin untersuchen (Art. 95 lit. a und b BGG; BGE 141 I 36 E. 5.4 S. 43). Dabei steht die Prüfung der Verletzung des Willkürverbots im Vordergrund (Art. 9 BV; BGE 141 I 49 E. 3.4 S. 53).
6
2.4. Die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem (einschliesslich kommunalem) und interkantonalem Recht prüft das Bundesgericht in jedem Fall nur, falls eine solche Rüge in der Beschwerde überhaupt vorgebracht und ausreichend begründet worden ist (qualifizierte Rüge- und Begründungspflicht gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 140 IV 57 E. 2.2 S. 60). In der Beschwerde ist klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 140 II 141 E. 8 S. 156). Auf bloss allgemein gehaltene, appellatorische Kritik am vorinstanzlichen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 141 IV 369 E. 6.3 S. 375).
7
2.5. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, soweit sie offensichtlich unrichtig, das heisst willkürlich, sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 141 V 657 E. 2.1 S. 659 f.).
8
3. 
9
3.1. Streitig und zu klären sind Auslegung und Anwendung von Art. 38 Abs. 1 Ziff. 2 (Kinderabzug) und 3 (Kinderausbildungskostenabzug) des Steuergesetzes [des Kantons Appenzell Ausserrhoden] vom 21. Mai 2000 (StG/AR; bGS 621.11). Die beiden Normen stellen sich im Rahmen der materiellen Prüfung als rein kantonales Recht dar. Daran ändert nichts, dass die Vorinstanz vorfrageweise auch Bestimmungen des eidgenössischen Zivilrechts anwendet.
10
3.2. Die Vorinstanz legt die massgebenden Tatbestandselemente von Art. 38 Abs. 1 lit. a StG/AR - "Unterhalt", "zur Hauptsache", "bestreitet" - dahingehend aus, dass die Eltern gestützt auf ihre rechtliche Verpflichtung tatsächlich im Umfang von mehr als 50 Prozent an den Bedarf des Kindes beizutragen hätten (Entscheid E. 2.1.4 ff.). Im Fall mündiger Kinder bestehe eine zivilrechtliche Verpflichtung bis zum Abschluss der Ausbildung, aber nur, "soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf" (Entscheid E. 2.1.9). Im konkreten Fall stehe (beweiswürdigend) ausser Frage, dass es der Tochter bei flüssigen Mitteln von rund Fr. 250'000.-- ohne Weiteres möglich sei, selbständig für ihren Unterhalt aufzukommen (Entscheid E. 2.3.3). Die Tochter könne "ganz klar nicht als bedürftig gelten" (Entscheid E. 2.3.5). Entscheidend ist für die Vorinstanz freilich, dass in Gesamtwürdigung der Umstände davon ausgegangen werden müsse, dass es den Eltern zumutbar gewesen sei, für mehr als die Hälfte des Unterhalts des Kindes aufzukommen.
11
3.3. Die Veranlagungsbehörde kritisiert die vorinstanzliche Auslegung und Anwendung von Art. 38 Abs. 1 lit. a StG/AR dahingehend, dass die historische Auslegung unvollständig ausgefallen sei und der Veranlagungspraxis ungenügend Rechnung trage. Der Kanton Appenzell Ausserrhoden lehne sich seit jeher in der Frage der Unterhaltsbedürftigkeit an die Praxis zur direkten Bundessteuer an, was bedinge, dass das volljährige Kind auf die Unterstützung auch tatsächlich (objektiv, das heisst unabhängig von seinem Willen und längerfristig) angewiesen sei. Im konkreten Fall habe die Tochter aus freien Stücken davon abgesehen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, wenngleich ihr dies möglich gewesen wäre. Nebst dem Einkommen eines volljährigen Kindes in Ausbildung gelte es auch Höhe und Verfügbarkeit des Vermögens zu berücksichtigen. Selbst wenn nur die flüssigen Mittel berücksichtigt würden, wäre es der Tochter zumutbar, hälftig an den Unterhalt beizutragen.
12
3.4. Die Kritik trifft damit einerseits die Auslegung und Anwendung der massgebenden Norm, anderseits die Beweiswürdigung. In beiden Fällen sind detaillierte Verfassungsrügen geboten (vorne E. 2.4 und 2.5). Das Bundesgericht hebt einen Entscheid aufgrund von Willkür in der Rechtsanwendung nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 141 I 49 E. 3.4 S. 53; 141 I 172 E. 4.3.1 S. 177). Dies alles zeigt die Veranlagungsbehörde nicht auf. Nichts Anderes ergibt sich aus ihrem Hinweis auf verfahrensökonomische Gesichtspunkte, selbst wenn diese nachvollziehbar sind. Weitgehend unbelegt bleibt auch die angebliche Verletzung des Prinzips der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Der Veranlagungsbehörde, die hauptsächlich appellatorische Kritik übt, ist entgegenzuhalten, dass der angefochtene Entscheid sich jedenfalls nicht als geradezu willkürlich darstellt.
13
4. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet. Sie ist abzuweisen. Nach dem Unterliegerprinzip hat der Kanton Appenzell Ausserrhoden, der in seinem amtlichen Wirkungskreis handelt und Vermögensinteressen wahrnimmt, die Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Den nicht anwaltlich vertretenen Steuerpflichtigen steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 BGG).
14
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 2'000.-- werden dem Kanton Appenzell Ausserrhoden auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Obergericht Appenzell Ausserrhoden, 5. Abteilung, und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 19. April 2016
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Kocher
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).