BGer 6B_936/2015 | |||
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BGer 6B_936/2015 vom 25.05.2016 | |
{T 0/2}
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6B_936/2015
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Urteil vom 25. Mai 2016 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
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Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
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Bundesrichterin Jametti,
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Gerichtsschreiber Moses.
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Verfahrensbeteiligte | |
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz, Postfach 1201, 6431 Schwyz,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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X.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Hans W. Stössel,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Kostenregelung,
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Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Schwyz, Beschwerdekammer, vom 11. August 2015.
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Sachverhalt: |
A. | |
Am 5. September 2012 um 18.45 Uhr fuhr X.________ auf der Überholspur der Autobahn von Hinwil Richtung Reichenburg. Nach dem Tunnel "Buechberg" kollidierte sie mit dem vor ihr fahrenden Auto. Die Staatsanwaltschaft Marcherliess am 22. Oktober 2012 einen Strafbefehl mit einer Busse von Fr. 300.-- wegen mangelnder Aufmerksamkeit im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 SVG i.V.m. Art. 31 Abs. 1 SVG und Art. 3 Abs. 1 VRV unter Überbindung von Verfahrenskosten von Fr. 250.--. Dagegen erhob X.________ Einsprache. Nach weiteren Untersuchungen erhob die Staatsanwaltschaft am 14. August 2014 Anklage gegen X.________.
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B. | |
Der Einzelrichter am Bezirksgericht March verurteilte X.________ mit Urteil vom 15. Januar 2015 wegen fahrlässiger Verletzung der Verkehrsregeln mit einer Busse von Fr. 300.-- und auferlegte ihr die Verfahrenskosten von Fr. 3'777.60. Gegen dieses Urteil erhob die Autofahrerin Berufung und verlangte die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung an die Vorinstanz, eventualiter sei sie vollumfänglich von Schuld und Strafe freizusprechen. Das Kantonsgericht Schwyz wies die Berufung am 11. August 2015 ab. Hingegen hob es den Kostenentscheid des Einzelrichters auf und überband X.________ neben den Kosten des Berufungsverfahrens von Fr. 800.-- nur die bis zum Erlass des Strafbefehls aufgelaufenen Untersuchungskosten von Fr. 110.-- (ohne Fr. 140.-- für den Strafbefehl selber) sowie die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens von Fr. 2'000.--; den Restbetrag wies es dem Bezirk zu.
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C. | |
Gegen dieses Urteil erhebt die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz Beschwerde in Strafsachen vor Bundesgericht. Sie verlangt eine vollumfängliche Auflage der Kosten der Untersuchung an X.________, eventualiter die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und Rückweisung an die Vorinstanz zwecks Neubeurteilung.
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D. | |
X.________ und das Kantonsgericht beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
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Erwägungen: |
1. | |
Die Beschwerdegegnerin macht geltend, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Die Beschwerdeführerin habe im vorinstanzlichen Verfahren keine Anträge gestellt und sei daher in Anwendung von Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG zur Beschwerde in Strafsachen nicht legitimiert.
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Nach Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG ist zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat. Die Staatsanwaltschaft verzichtete im vorinstanzlichen Verfahren unter Verweis auf die zutreffenden Erwägungen der ersten Instanz auf eine Berufungsantwort (Akten Vorinstanz, act. 11). Sie beantragte damit sinngemäss Abweisung der Berufung. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
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2. | |
2.1. Zu den Untersuchungskosten erwägt die Vorinstanz, die Sachverhaltsumschreibung im Strafbefehl vom 22. Oktober 2012 sei mangelhaft gewesen. Die Beschwerdegegnerin habe nicht wissen können, inwiefern ihr mangelnde Aufmerksamkeit vorgeworfen worden sei. Über die Konsequenzen eines Einspracherückzugs sei sie im Unklaren gelassen worden. Die durch den weiteren Fortgang der Untersuchung entstandenen Kosten dürften ihr daher nicht auferlegt werden (Urteil, S. 6 f.).
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2.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, nach Art. 353 Abs. 1 lit. c StPO habe der Strafbefehl den Sachverhalt zu enthalten, welcher der beschuldigten Person zur Last gelegt wird. Dabei sei nicht negativ auch noch aufzuzählen, was der beschuldigten Person alles nicht vorgeworfen wird. So habe der Strafbefehl vom 22. Oktober 2012 keinen Hinweis darauf enthalten, dass überhaupt eine Kollision stattfand, weil sich der Vorwurf in der mangelnden Aufmerksamkeit erschöpft habe. Der Schuldspruch sei schliesslich ohne nähere Prüfung der Unfallkausalität ergangen. Selbst wenn der Strafbefehl als mangelhaft qualifiziert werden sollte, würde sich die Frage nach dem Umfang des Kostenerlasses nach Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO stellen. Die Vorinstanz lege nicht dar, inwiefern die auf Einsprache der Beschwerdeführerin durchgeführten Untersuchungshandlungen unnötig oder fehlerhaft gewesen sein sollen.
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2.3. | |
2.3.1. Nach Art. 426 Abs. 1 StPO trägt die beschuldigte Person die Verfahrenskosten, wenn sie verurteilt wird. Von dieser Kostentragungspflicht sind jene Verfahrenskosten ausgenommen, die der Bund oder der Kanton durch unnötige oder fehlerhafte Verfahrenshandlungen verursacht hat (Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO).
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Der Inhalt des Strafbefehls wird durch seine Doppelfunktion als Anklageersatz im Falle einer Einsprache (Art. 356 Abs. 1 StPO) und als rechtskräftiges Urteil beim Verzicht auf Einsprache (Art. 354 Abs. 3 StPO) bestimmt. Nach Art. 353 Abs. 1 lit. c StPO enthält der Strafbefehl insbesondere den Sachverhalt, welcher der beschuldigten Person zur Last gelegt wird. Die Sachverhaltsumschreibung muss den Anforderungen an eine Anklage genügen. Das heisst, es bedarf einer konzisen, aber dennoch genauen Beschreibung des dem Beschuldigten vorgeworfenen Sachverhalts. Die Anklageschrift bezeichnet u.a. möglichst kurz, aber genau die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung (Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO). Die Fixierung des Anklagesachverhalts dient zunächst einmal der Umsetzung des Anklagegrundsatzes, indem dadurch der Gegenstand der gerichtlichen Beurteilung abschliessend bestimmt und der beschuldigten Person eine effektive Verteidigung gewährleistet wird. Eine möglichst genaue und umfassende Umschreibung des massgebenden Sachverhalts ist im Strafbefehl aber auch wegen des Verbots der doppelten Strafverfolgung ("ne bis in idem", Art. 11 StPO) erforderlich. Erwächst der Strafbefehl in Rechtskraft, muss anhand des darin festgehaltenen Anklagesachverhalts geprüft werden können, ob eine bereits beurteilte Strafsache vorliegt (BGE 140 IV 188 E. 1.4 mit Hinweisen).
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2.3.2. Mit dem Strafbefehl vom 22. Oktober 2012 wurde die Beschwerdegegnerin "der mangelnden Aufmerksamkeit im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 SVG i.V.m. Art. 31 Abs. 1 SVG und Art. 3 Abs. 1 VRV begangen am Mittwoch, 05.09.2012, 18:45 Uhr, in Tuggen, Autobahn A53, Fahrtrichtung Reichenburg, mit dem Personenwagen xxx" schuldig gesprochen. Zu den konkreten Tatumständen fehlt jeder Hinweis. Der Strafbefehl genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht. Er erweist sich als mangelhaft und stellt eine fehlerhafte Verfahrenshandlung im Sinne von Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO dar. Die Vorinstanz sah zutreffend davon ab, der Beschwerdegegnerin die entsprechenden Kosten von Fr. 140.-- aufzuerlegen. Dies widerspricht nicht der Rechtsprechung, wonach ein "fehlerhafter" Strafbefehl nicht in den Anwendungsbereich von Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO fällt (vgl. Urteile 6B_1025/2014 vom 9. Februar 2015 E. 2.3.2; 6B_811/2014 vom 13. März 2015 E. 1.4; 6B_485/2013 vom 22. Juli 2013 E. 2.3). Das Bundesgericht begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Einsprache gegen einen Strafbefehl kein Rechtsmittel, sondern ein Rechtsbehelf sei. Die Bestimmungen über die Kosten im Rechtsmittelverfahren seien deshalb nicht anwendbar. In den erwähnten Entscheiden ging es allesamt um Fälle, in welchen die gerichtliche Instanz von einer anderen Würdigung ausging, als die Staatsanwaltschaft im Strafbefehl. Der Begriff "fehlerhaft" ist in diesem Sinne zu verstehen und bezieht sich nicht auf Strafbefehle, die - wie vorliegend - den gesetzlichen Mindestanforderungen nicht genügen.
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Dem angefochtenen Urteil ist hingegen nicht zu entnehmen, inwiefern die auf Einsprache der Beschwerdegegnerin vorgenommenen Untersuchungshandlungen unnötig oder fehlerhaft gewesen sein sollen. Nicht zu folgen ist der von der Vorinstanz in der Vernehmlassung vom 30. Dezember 2015 geäusserten Auffassung, dass die in Art. 355 Abs. 3 lit. d StPO vorgesehene selbstständige Anklageerhebung nicht dazu diene, mangelhafte Strafbefehle zu korrigieren und die weiteren Untersuchungshandlungen daher unnötigerweise verursacht worden seien. Die Anklage vom 14. August 2014 führte zur Verurteilung der Beschwerdegegnerin und deren Zulässigkeit war nicht Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens. Die Beschwerde ist in diesem Punkt gutzuheissen. Die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese bestimmt, in welchem Umfang der Beschwerdegegnerin die Untersuchungskosten für die Zeit nach dem Strafbefehl vom 22. Oktober 2012 aufzuerlegen sind.
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3. | |
Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen. Die Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung und ihr sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 und Art. 66 Abs. 3 BGG). Im Umfang ihres Unterliegens hat die Beschwerdegegnerin die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Soweit sie obsiegt, hat sie Anspruch auf eine angemessene Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Kantonsgerichts Schwyz vom 11. August 2015 wird aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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2. Der Beschwerdegegnerin werden Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- auferlegt.
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3. Der Kanton Schwyz hat der Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Schwyz, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 25. Mai 2016
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Der Gerichtsschreiber: Moses
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