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Informationen zum Dokument  BGer 1C_87/2016  Materielle Begründung
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BGer 1C_87/2016 vom 13.06.2016
 
{T 0/2}
 
1C_87/2016
 
 
Urteil vom 13. Juni 2016
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
 
Gerichtsschreiber Gelzer.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Lorenzo Marazzotta,
 
gegen
 
Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich,
 
Bereich Administrativmassnahmen,
 
Lessingstrasse 33, Postfach, 8090 Zürich,
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich,
 
Rekursabteilung, Neumühlequai 10,
 
Postfach, 8090 Zürich.
 
Gegenstand
 
Entzug des Führerausweises,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 21. Januar 2016 des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 1. Abteilung, Einzelrichter.
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________ überquerte am Samstag, 31. März 2012, um 6.04 Uhr morgens am Steuer eines Personenwagens in der Stadt Zürich die Verzweigung Bürkliplatz/Talstrasse in Fahrtrichtung Bellevue, wobei er die Höchstgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h nach Abzug der technisch bedingten Sicherheitsmarge um 30 km/h überschritt. Das Bezirksgericht Zürich sprach deshalb A.________ am 20. November 2013 einer vorsätzlichen groben Verletzung der Verkehrsregeln für schuldig. Die dagegen erhobene Berufung zog A.________ in der Folge wieder zurück.
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B. Gestützt auf die genannte Verkehrsregelverletzung entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich A.________ mit Verfügung vom 18. Juni 2015 den Führerausweis für die Dauer von sechs Monaten, wobei es einen Führerausweisentzug vom 6. Juli 2011 wegen einer mittelschweren Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz berücksichtigte.
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A.________ focht diese Verfügung mit einem Rekurs an, den die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich am 21. September 2015 abwies. Eine dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 21. Januar 2016 ab.
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C. A.________ (Beschwerdeführer) erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21. Januar 2016 aufzuheben und von einem Führerausweisentzug abzusehen.
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Die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich und das Bundesamt für Strassen schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über einen Führerausweisentzug. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 lit. a SVG). Da die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
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1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann die Verletzung von Bundesrecht, Völkerrecht und kantonalen verfassungsmässigen Rechten geltend gemacht werden (Art. 95 lit. a, b und c BGG). Das Bundesgericht wendet das Bundesrecht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).
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1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht oder offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich ist (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 137 III 226 E. 4.2 mit Hinweisen). Die Beweiswürdigung ist willkürlich, wenn das kantonale Gericht das ihm in diesem Bereich zustehende Ermessen überschritten hat, indem es zum Beispiel erhebliche Beweise ausser Acht gelassen oder aus solchen offensichtlich unhaltbare Schlüsse gezogen hat (BGE 136 III 552 E. 4.2 S. 560 mit Hinweisen).
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Erwägung 2
 
2.1. Umstritten ist, ob der Beschwerdeführer eine schwere Widerhandlung im Sinne von Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG beging.
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2.1.1. Das Gesetz unterscheidet im Zusammenhang mit dem administrativen Führerausweisentzug zwischen der leichten, mittelschweren und schweren Widerhandlung (Art. 16a-c SVG). Gemäss Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG begeht eine schwere Widerhandlung, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Nach einer schweren Widerhandlung, welche einer groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG entspricht (BGE 132 II 234 E. 3 S. 237 f.), wird der Führerausweis für mindestens drei Monate entzogen (Art. 16c Abs. 2 lit. a SVG). Der Tatbestand der schweren Widerhandlung gemäss Art. 16c SVG bzw. der groben Verletzung von Verkehrsregeln nach Art. 90 Ziff. 2 SVG ist nach der Rechtsprechung objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer ist nicht erst bei einer konkreten Gefährdung gegeben. Es genügt eine erhöhte abstrakte Gefährdung, die gegeben ist, wenn die Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung naheliegt. Ob dies zutrifft, hängt von den jeweiligen Verhältnissen des Einzelfalls ab (Urteil 1C_452/2011 vom 21. August 2012 E. 3.3 mit Hinweis). Subjektiv erfordert der Tatbestand gemäss Art. 16c oder Art. 90 Ziff. 2 SVG ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit (BGE 131 IV 133 E. 3.2 S. 136 mit Hinweisen).
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2.1.2. Aus Gründen der Rechtsgleichheit hat das Bundesgericht für die Beurteilung von Geschwindigkeitsüberschreitungen präzise Regeln aufgestellt. Unabhängig von den konkreten Umständen liegt ein objektiv schwerer Fall unter anderem dann vor, wenn die Geschwindigkeitsüberschreitung 25 km/h innerorts, 30 km/h ausserorts oder 35 km/h auf einer Autobahn übersteigt. Diese aus Gründen der Rechtsgleichheit zwingende Schematisierung entbindet die Entzugsbehörde allerdings nicht, den Umständen des Einzelfalles Rechnung zu tragen. Sie hat einerseits zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die die Verkehrsregelverletzung weniger gravierend erscheinen lassen, etwa wenn der Fahrer aus ernsthaften Gründen annahm, sich noch nicht oder nicht mehr in einer geschwindigkeitsbegrenzten Zone zu befinden (Urteile 1C_335/2011 vom 26. Oktober 2011 E. 2.2; 1C_83/2008 vom 16. Oktober 2008 E. 2).
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2.2. Die Vorinstanz erwog, der Beschwerdeführer habe innerorts die erlaubte Höchstgeschwindigkeit um 30 km/h überschritten und damit nach der Rechtsprechung objektiv eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG bzw. Art. 16 Abs. 1 lit. a SVG geschaffen. Günstige Strassen-, Sicht- und Verkehrsverhältnisse allein könnten insofern eine vom Schema abweichende Beurteilung von vornherein nicht rechtfertigen. Damit bleibe der Einwand des Beschwerdeführers, im Zeitpunkt der Geschwindigkeitsüberschreitung seien am betreffenden Ort keine (weiteren) Verkehrsteilnehmer zugegen gewesen, von vornherein unbehelflich. Selbst unter der Annahme einer übersichtlichen Verkehrslage mit guten Sicht- und Strassenverhältnissen habe der Beschwerdeführer in Anbetracht der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit durchaus mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass sich für ihn nicht einsehbare Fussgänger oder Fahrzeuge auf die Verzweigung Bürkliplatz/Talstrasse hin bewegen könnten, zumal diese mehrere Spuren mit teilweise nicht richtungsgetrenntem Gegenverkehr und mehrere Einmündungen aufweise. Die Verzweigung sei sodann mit mehreren Fussgängerstreifen versehen, beidseits von Trottoirs gesäumt und weise Tramhaltestellen auf. Diese würden von sieben Linien der Verkehrsbetriebe Zürich bedient, welche den Fahrgastbetrieb mehrheitlich auch samstags bereits vor 6.00 Uhr aufnehmen würden. Der Beschwerdeführer habe folglich keineswegs sicher sein können, bei seiner Geschwindigkeitsüberschreitung die Fahrbahn für sich alleine zu haben und niemanden zu gefährden, zumal bei der zum Tatzeitpunkt herrschenden Dunkelheit allfällige Passanten nur schwer hätten erkannt werden können. Dass in subjektiver Hinsicht eine Ausnahmesituation vorgelegen hätte, mache der Beschwerdeführer nicht geltend und gehe aus den Akten nicht hervor. Demnach habe er eine schwere Widerhandlung im Sinne von Art. 16 Abs. 1 lit. a SVG begangen.
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2.3. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz missachte sein rechtliches Gehör, weil sie in ihrem Urteil auf die von ihm geltend gemachte Sachdarstellung, wonach am Bürkliplatz zur Zeit der Geschwindigkeitsüberschreitung weit und breit keine anderen Verkehrsteilnehmer zugegen gewesen seien, mit keinem Wort eingehe.
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2.4. Mit diesen Ausführungen rügt der Beschwerdeführer dem Sinne nach eine Verletzung der aus dem rechtlichen Gehör abgeleiteten Begründungspflicht. Er lässt dabei ausser Acht, dass die Vorinstanz im angefochtenen Urteil auf die geltend gemachte fehlende objektive Gefährdungssituation einging und sie ihre entsprechenden Überlegungen nannte. Der Beschwerdeführer war daher in der Lage, das angefochtene Urteil sachgerecht anzufechten, weshalb eine Verletzung der Begründungspflicht zu verneinen ist (BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88 mit Hinweisen).
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Erwägung 3
 
3.1. Sodann rügt der Beschwerdeführer, sein rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil er sich zur Verkehrssituation, wie sie im angefochtenen Urteil in allgemeiner Weise geschildert werde, nie habe äussern können.
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3.2. Aus dem rechtlichen Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV ergibt sich der Anspruch des Betroffenen, sich vor Erlass eines ihn belastenden Entscheides zur Sache zu äussern und an der Erhebung wesentlicher Beweise mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis äussern zu können, wenn dieses geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen (BGE 135 I 187 E. 2.2 S. 190 mit Hinweisen). Offenkundige bzw. notorische Tatsachen brauchen im vorinstanzlichen Verfahren weder behauptet noch bewiesen zu werden und können im Verfahren vor Bundesgericht von Amtes wegen berücksichtigt werden (Urteil 2C_300/2014 vom 9. Februar 2015 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 141 II 141; vgl. auch: Urteil 4A_195/2014 vom 27. November 2014 E. 7.3.1, nicht publ. in: BGE 140 III 602).
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3.3. Die vorinstanzlichen Ausführungen zur allgemeinen Verkehrsführung beim Bürkliplatz betreffen notorische Tatsachen. Da diese nicht das Ergebnis eines Beweisverfahrens bilden, brauchte der Beschwerdeführer sich dazu nicht vorgängig äussern zu können. Damit wurde insoweit sein rechtliches Gehör nicht verletzt.
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Erwägung 4
 
4.1. Weiter rügt der Beschwerdeführer, die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung, wonach eine erhöhte abstrakte Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer vorgelegen habe, sei willkürlich. Zur Begründung bringt er vor, bei den vorinstanzlichen Ausführungen zur Verkehrssituation am Bürkliplatz handle es sich lediglich um eine pauschale und nicht auf den Fall bezogene Umschreibung, die mit Nichtwissen bestritten werde und sich so nicht aus den Akten ergebe. Diese könnten den Standpunkt des Beschwerdeführers, wonach zum Zeitpunkt seiner Geschwindigkeitsüberschreitung am Bürkliplatz weit und breit keine Verkehrsteilnehmer zugegen gewesen seien, nicht widerlegen, weshalb zugunsten des Beschwerdeführers davon auszugehen sei.
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4.2. Da die allgemeine Verkehrsführung beim Bürkliplatz notorisch ist, vermag der Beschwerdeführer die entsprechenden vorinstanzlichen Ausführungen mit seiner Bestreitung mit Nichtwissen nicht in Frage zu stellen. Inwiefern die vorinstanzliche Beschreibung des Bürkliplatzes unzutreffend sein soll, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Demnach konnte die Vorinstanz namentlich unter Berücksichtigung der am Bürkliplatz vorhandenen Haltestellen des öffentlichen Verkehrs in vertretbarer Weise davon ausgehen, der Beschwerdeführer habe, als er dort um 6 Uhr morgens bei Dunkelheit die zulässige Geschwindigkeit um 30 km/h überschritt, auch an einem Samstag mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass für ihn nicht rechtzeitig erkennbare Fussgänger den Bürkliplatz überqueren. Die dagegen erhobene Willkürrüge erweist sich damit als unbegründet.
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Erwägung 5
 
5.1. Gestützt auf die willkürfreien tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz durfte der Beschwerdeführer unter den gegebenen Umständen nicht darauf vertrauen, am Begehungsort seien weit und breit keine Verkehrsteilnehmer anwesend. Er konnte daher nicht sicher sein, bei seiner erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung die Fahrbahn für sich alleine zu haben und niemanden zu gefährden. Eine Abweichung von der bundesgerichtlichen Praxis zur Qualifikation von Geschwindigkeitsüberschreitungen fällt daher nicht in Betracht. Die Vorinstanz ist somit zu Recht von einer schweren Widerhandlung gegen die Verkehrsregeln ausgegangen, weshalb sich die Rüge der Verletzung von Art. 16 Abs. 1 lit. a SVG als unbegründet erweist.
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5.2. Der Verweis des Beschwerdeführers auf ein Strafurteil des Bezirksgerichts Bülach vom 23. November 2013 ist unbehelflich, da die strittige Geschwindigkeitsüberschreitung mit Urteil vom 20. November 2013 des Bezirksgerichts Zürich beurteilt wurde, das von einer groben Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG ausging (act. 7/20).
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6. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der unterliegende Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt, der Sicherheitsdirektion und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, Einzelrichter, sowie dem Bundesamt für Strassen Sekretariat Administrativmassnahmen schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 13. Juni 2016
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Gelzer
 
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