VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 9C_627/2016  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 9C_627/2016 vom 03.11.2016
 
{T 0/2}
 
9C_627/2016, 9C_628/2016
 
 
Urteil vom 3. November 2016
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
 
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
 
Gerichtsschreiber Attinger.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1. A.A.________,
 
2. B.A.________,
 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Adrian Muster,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Beiträge und Zulagen,
 
Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Alters- und Hinterlassenenversicherung (Nichterwerbstätigenbeiträge),
 
Beschwerden gegen die Entscheide des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
 
vom 15. August 2016.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die Eheleute A.A.________ und B.A.________ sind der Ausgleichskasse des Kantons Bern als Nichterwerbstätige angeschlossen. Mit je drei Verfügungen vom 26. Februar 2016 setzte die Ausgleichskasse die Beiträge der beiden Ehegatten für die Beitragsperioden 2014, 2015 und 2016 fest. Beim Renteneinkommen berücksichtigte sie nicht nur eine Rente der beruflichen Vorsorge (von monatlich Fr. 964.-), sondern auch die B.A.________ ausgerichtete lebenslange Rente der deutschen Conterganstiftung für behinderte Menschen im Betrag von 3982 Euro pro Monat. Auf Einsprachen der Eheleute hin bestätigte die Ausgleichskasse sämtliche Beitragsverfügungen (Einspracheentscheide vom 8. April 2016).
1
B. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die gegen die Einspracheentscheide erhobenen Beschwerden mit zwei Entscheiden vom 15. August 2016 ab.
2
C. A.A.________ und B.A.________ lassen je für sich Beschwerde ans Bundesgericht führen mit dem sinngemässen Antrag auf Ausserachtlassung der Conterganrente bei der Beitragsfestsetzung für Nichterwerbstätige.
3
 
Erwägungen:
 
1. Da den beiden Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten derselbe Sachverhalt zugrunde liegt, sich die gleichen Rechtsfragen stellen und die Rechtsmittel der beiden - vom selben Anwalt vertretenen - Ehegatten zwei weitestgehend identische vorinstanzliche Entscheide betreffen, rechtfertigt es sich, die beiden Verfahren zu vereinigen und in einem einzigen Urteil zu erledigen (BGE 127 V 156 E. 1 S. 157).
4
2. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG).
5
3. Nichterwerbstätige bezahlen je nach ihren sozialen Verhältnissen einen Beitrag von bis zu Fr. 19'600.- pro Jahr (Art. 10 Abs. 1 AHVG). Über die Beitragsbemessung hat der Bundesrat gestützt auf Abs. 3 von Art. 10 AHVG nähere Vorschriften erlassen: Die Beiträge der Nichterwerbstätigen, für die - wie hier - nicht der jährliche Mindestbeitrag (Art. 10 Abs. 2 AHVG) vorgesehen ist, bemessen sich aufgrund ihres Vermögens und Renteneinkommens nach der in Abs. 1 von Art. 28 AHVV enthaltenen Tabelle, wobei das jährliche Renteneinkommen mit 20 multipliziert wird. Verfügt ein Nichterwerbstätiger gleichzeitig über Vermögen und Renteneinkommen, so wird der mit 20 multiplizierte jährliche Rentenbetrag zum Vermögen hinzugerechnet (Abs. 2). Für die Berechnung des Beitrages ist das Vermögen einschliesslich des mit 20 multiplizierten jährlichen Rentenbetrages auf die nächsten Fr. 50'000.- abzurunden (Abs. 3). Ist eine verheiratete Person als Nichterwerbstätige beitragspflichtig, so bemessen sich ihre Beiträge aufgrund der Hälfte des ehelichen Vermögens und Renteneinkommens (Abs. 4).
6
 
Erwägung 4
 
4.1. Streitig ist einzig, ob Verwaltung und kantonales Gericht die von der Conterganstiftung an den Ehemann ausgerichtete lebenslange Rente zu Recht als Renteneinkommen im Sinne von Art. 28 Abs. 1 AHVV betrachtet und bei der Berechnung der Nichterwerbstätigenbeiträge der Beschwerdeführer mitberücksichtigt haben. Zweck der Stiftung ist u.a., behinderten Menschen Leistungen zu erbringen, deren Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Achen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können (§ 2 des deutschen Gesetzes über die Conterganstiftung für behinderte Menschen).
7
4.2. Nach der Rechtsprechung ist der Begriff des Renteneinkommens im weitesten Sinne zu verstehen. Andernfalls würden oft bedeutende Leistungen unter dem Vorwand, es handle sich weder um eine Rente im eigentlichen Sinne noch um massgebenden Lohn (Art. 5 Abs. 2 AHVG), der Beitragspflicht entzogen. Entscheidend ist nicht, ob die Leistungen mehr oder weniger die Merkmale einer Rente aufweisen, sondern vielmehr, ob sie zum Unterhalt der versicherten Person beitragen, d.h. ob es sich um Einkommensbestandteile handelt, welche die sozialen Verhältnisse der nichterwerbstätigen Person beeinflussen. Ist dies der Fall, dann müssen diese Leistungen entsprechend der Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 AHVG bei der Beitragsberechnung berücksichtigt werden (BGE 125 V 230 E. 3b S. 234; 120 V 163 E. 4a S. 167; je mit Hinweisen). Für die Erfassung einer Leistung als massgebendes Renteneinkommen spielt die steuerrechtliche Betrachtungsweise keine Rolle (BGE 127 V 65 E. 4d/aa S. 71).
8
4.3. Die streitige Rente der Conterganstiftung trägt zweifellos zum Unterhalt der Beschwerdeführer bei und beeinflusst deren soziale Verhältnisse erheblich. Ausgleichskasse und Vorinstanz haben sie daher in Übereinstimmung mit der dargelegten Gerichtspraxis zu Recht in die Beitragsbemessung miteinbezogen.
9
Die in den Beschwerden dagegen erhobene Rüge, das kantonale Gericht habe nicht alle relevanten Tatsachen ermittelt, weil es nicht festgestellt habe, "dass es sich bei den Leistungen der Conterganstiftung um Schadenersatzzahlungen handelt", geht fehl. Die Beschwerdeführer übersehen nämlich, dass es bei der Frage nach der Qualifikation der streitigen Rente um eine Rechtsfrage geht. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung, wonach der Beschwerdeführer die Conterganrente bezogen hat, ist hingegen allseits unbestritten. Die Frage nach der Rechtsnatur der Conterganrente ist für deren Berücksichtigung im Rahmen des massgebenden Renteneinkommens von Nichterwerbstätigen sodann ohne Belang. Wie dargelegt, ist hier nur entscheidend, dass die lebenslang wiederkehrenden Leistungen die sozialen Verhältnisse beeinflussen und weder massgebenden Lohn der Beitragspflichtigen noch Vermögensertrag darstellen (BGE 141 V 186 E. 3.2.2). Die abweichende Interpretation der Beschwerdeführer von Art. 10 Abs. 1 AHVG und Art. 28 Abs. 1 AHVV ändern daran nichts. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer kommt auch der Sichtweise der Steuerbehörden (in den Beschwerden ist die Rede von einem "wirtschaftlichen Begriff des Einkommens") von vornherein keine Bedeutung zu (E. 4.2 hievor in fine). Dasselbe gilt für den Entscheid des deutschen Bundesgerichtshofs vom 16. Juli 2014, wonach der (bei einer Scheidung vorzunehmende) Versorgungsausgleich zugunsten eines contergangeschädigten Ehegatten nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden könne, dass der Ausgleichsberechtigte wegen seiner Conterganrente auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht angewiesen sei. Es ist denn auch darauf hinzuweisen, dass Renten an Kriegsversehrte nach dem deutschen Bundesentschädigungsgesetz in der schweizerischen AHV rechtsprechungsgemäss zum Renteneinkommen von Nichterwerbstätigen gehören (ZAK 1985 S. 117, H 183/83).
10
5. Ausgangsgemäss sind die Gerichtskosten den Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
11
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Verfahren 9C_627/2016 und 9C_628/2016 werden vereinigt.
 
2. Die Beschwerden werden abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden den Beschwerdeführern auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 3. November 2016
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Glanzmann
 
Der Gerichtsschreiber: Attinger
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).