BGer 1C_406/2016 | |||
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BGer 1C_406/2016 vom 15.02.2017 | |
{T 0/2}
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1C_406/2016
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Urteil vom 15. Februar 2017 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Karlen, präsidierendes Mitglied,
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Bundesrichter Fonjallaz, Kneubühler,
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Gerichtsschreiberin Pedretti.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Eidgenössische Steuerverwaltung,
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Hauptabteilung Mehrwertsteuer,
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Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern.
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Gegenstand
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Öffentlichkeitsprinzip; Zugang zu amtlichen Dokumenten,
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Beschwerde gegen das Urteil vom 30. Juni 2016 des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I.
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Sachverhalt: | |
A. A.________ wandte sich in den vergangenen Jahren mehrmals an verschiedene Stellen im Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD), um auf aus seiner Sicht bestehende Lücken bei der Besteuerung von Retrozessionen hinzuweisen. Einem als Gesuch um Zugang zu amtlichen Dokumenten nach dem Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (BGÖ; SR 152.3) entgegengenommenem Schreiben leistete die Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer (nachfolgend: ESTV) keine Folge, weil sie nicht über eine separate Aufstellung der Mehrwertsteuereinnahmen aus Bankenretrozessionen verfüge und es ihr auch nicht möglich sei, eine solche Gesamtübersicht durch einen einfachen elektronischen Vorgang zu erstellen.
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B. Mit Eingabe vom 19. Januar 2015 ersuchte A.________ die ESTV erneut, ihm gestützt auf das BGÖ darüber Auskunft zu geben, welche Massnahmen sie getroffen habe, um die Ausstände bei der Mehrwertsteuer aus Retrozessionen nachzubelasten. Die ESTV verweigerte am 29. Januar 2015 den Zugang zu amtlichen Dokumenten im Wesentlichen mit der Begründung, die gewünschten Daten seien nicht vorhanden und es bestehe kein Anspruch, dass entsprechende Statistiken erarbeitet würden. Gestützt auf den von A.________ beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) gestellten Schlichtungsantrag, empfahl dieser nach einer erfolglos gebliebenen Verhandlung, die ESTV solle an ihrem Bescheid, keine Dokumente zugänglich machen zu können, über die sie gar nicht verfüge, festhalten. Mit Verfügung vom 9. Oktober 2015 wies die ESTV das Auskunftsgesuch ab. Eine dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Juni 2016 ab, soweit es darauf eintrat.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 5. September 2016 gelangt A.________ an das Bundesgericht und beantragt, der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts sei aufzuheben und dieses sei anzuweisen, der ESTV verwaltungsrechtlich Weisung zu erteilen, die erlassene Mehrwertsteuer auf Retrozessionen nachzufordern.
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Die ESTV schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesverwaltungsgericht und der EDÖB verzichten auf eine Vernehmlassung. Der Beschwerdeführer hält in der Replik an seinen Anträgen fest.
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Erwägungen: |
Erwägung 1 | |
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten steht gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts offen (Art. 82 lit. a BGG). Dies trifft vorliegend zu, zumal es sich um einen Fall in Anwendung des BGÖ handelt. Ein Ausschlussgrund nach Art. 83 BGG liegt nicht vor. Der Beschwerdeführer, der am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat, ist durch den angefochtenen Entscheid berührt, da seinem Zugangsgesuch nicht entsprochen wurde. Seine Rechtsmittelbefugnis nach Art. 89 Abs. 1 BGG ist somit zu bejahen. Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.
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1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Dieses wendet das Bundesgericht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Der Beschwerdeführer muss sich wenigstens kurz mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzen. Strengere Anforderungen gelten, wenn die Verletzung von Grundrechten geltend gemacht wird. Dies prüft das Bundesgericht grundsätzlich nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 141 I 36 E. 1.3 S. 41; 140 III 86 E. 2 S. 88 ff.).
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1.3. Der Beschwerdeführer beantragt im vorliegenden Verfahren, das Bundesverwaltungsgericht sei anzuweisen, der ESTV verwaltungsrechtlich Weisung zu erteilen, die erlassene Mehrwertsteuer auf Retrozessionen nachzufordern. Dieses Rechtsbegehren erweist sich als unzulässig, zumal es über den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens hinausgeht (vgl. Art. 99 Abs. 2 BGG). Umstritten war dort einzig das Zugangsgesuch gemäss Art. 6 Abs. 1 BGÖ bei der Beschwerdegegnerin. Insofern ist auch im vorliegenden Verfahren der Streitgegenstand auf die Frage beschränkt, ob dem Beschwerdeführer die Einsicht in die nachgesuchten generellen Statistiken zu den Mehrwertsteuererträgen aus Retrozessionen im Finanzbereich zu Recht verweigert wurde. Gestützt auf den Grundsatz
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1.4. Soweit der Beschwerdeführer einen Sachentscheid des Bundesgerichts zu Anträgen verlangt, auf die das Bundesverwaltungsgericht nicht eingetreten ist, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. Die Vorinstanz führte im angefochtenen Entscheid aus, das Begehren des Beschwerdeführers auf Einsicht in Suchergebnisse und Steuerkontrollen liege ausserhalb des Streitgegenstands. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern dies nicht zutreffen sollte. Auf die Beschwerde ist demnach insoweit nicht einzutreten, als geltend macht wird, es bestehe ein Anspruch auf anonymisierte Einsichtgewährung in die durchgeführten Steuerkontrollen und die Abrechnungen.
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2. Soweit der Beschwerdeführer sinngemäss vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht habe seine aus dem rechtlichen Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV fliessende Begründungspflicht verletzt, erweist sich sein Einwand als unbegründet. Er übersieht, dass eine Rechtsmittelinstanz nicht verpflichtet ist, sich mit allen Parteivorbringen eingehend auseinanderzusetzen und jedes einzelne Argument ausdrücklich zu widerlegen. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (BGE 136 I 229 E. 5.2 S. 236 mit Hinweis). Insofern musste sich die Vorinstanz nicht zu den vom Beschwerdeführer eingereichten Beispielen für Auszahlungen von Retrozessionen "ohne Mehrwertsteuer" äussern. Nicht erfasst vom Streitgegenstand war ferner sein Begehren, ihm sei ein Auftrag für die Einziehung der Mehrwertsteuer auf Retrozessionen zu erteilen. Zudem hat sich die Vorinstanz entgegen seiner in der Replik, und damit ohnehin verspätet (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG), geäusserten Auffassung mit den von der Beschwerdegegnerin durchgeführten Kontrollen auseinandergesetzt und dargelegt, weshalb daraus keine allgemeingültigen Schlüsse gezogen werden können (vgl. E. 5.5.2 des Urteils). Aus dem angefochtenen Entscheid gehen die Motive für die Abweisung der Beschwerde mit genügender Klarheit hervor, so dass der Beschwerdeführer in der Lage war, das verwaltungsgerichtliche Urteil sachgerecht anzufechten.
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Erwägung 3 | |
3.1. Die ESTV verweigerte dem Beschwerdeführer den Zugang zu den nachgesuchten Angaben über die Mehrwertsteuereinnahmen des Bundes aus Retrozessionen mit der Begründung, sie verfüge weder über die gewünschten generellen Statistiken noch könne sie solche aus ihren Datenbeständen durch einen einfachen elektronischen Vorgang erstellen. Das Bundesverwaltungsgericht prüfte im angefochtenen Entscheid daher zu Recht, ob es sich bei den verlangten Auskünften überhaupt um amtliche Dokumente im Sinne des BGÖ handle. Gemäss Art. 5 Abs. 1 BGÖ gilt als amtliches Dokument jede Information, die auf einem beliebigen Informationsträger aufgezeichnet ist (lit. a), sich im Besitz einer Behörde befindet, von der sie stammt oder der sie mitgeteilt worden ist (lit. b), und die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe betrifft (lit. c). Als amtliche Dokumente gelten auch solche, die durch einen einfachen elektronischen Vorgang aus aufgezeichneten Informationen erstellt werden können, welche die Anforderungen nach Abs. 1 lit. b und c erfüllen (Abs. 2).
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3.2. Das Bundesverwaltungsgericht erwog dazu im Wesentlichen, aus Art. 5 Abs. 1 lit. a BGÖ ergebe sich, dass sich ein Einsichtsgesuch auf ein bereits existierendes amtliches Dokument beziehen müsse; nicht dokumentierte Informationen seien vom Geltungsbereich des BGÖ ausgeschlossen. Die ESTV habe glaubhaft vorgebracht, nicht über die nachgesuchten generellen Statistiken zur erhobenen Mehrwertsteuer auf Retrozessionen zu verfügen. Gestützt auf die einschlägigen Bestimmungen des Mehrwertsteuergesetzes (MWSTG; SR 641.20) und der Mehrwertsteuerverordnung (MWSTV; SR 641.201) habe eine steuerpflichtige Person sowohl bei der effektiven Abrechnungsmethode als auch bei der Saldosteuersatz- oder Pauschalsteuersatzmethode das Total aller der Inlandsteuer unterliegenden Entgelte, aufgeteilt nach (Saldo-) Steuersätzen, zu deklarieren. Folglich haben Vermögensverwalter oder Banken, die für empfangene Retrozessionen Mehrwertsteuer entrichten müssten, in ihren Abrechnungen alle Umsätze aus Leistungen, die dem Normalsatz gemäss Art. 25 MWSTG unterlägen, nur unter einer einzigen Ziffer anzugeben, die nicht nach den einzelnen Leistungskategorien aufgeschlüsselt sei. Da Retrozessionen nicht separat erfasst würden und die ESTV daher nicht über die entsprechenden Informationen verfüge, liege kein amtliches Dokument im Sinne von Art. 5 Abs. 1 BGÖ vor. Mangels Datengrundlage sei es auch nicht möglich, die gewünschten Statistiken mittels eines einfachen elektronischen Vorgangs gemäss Art. 5 Abs. 2 BGÖ zu erstellen. Ausserdem habe die ESTV glaubhaft aufgezeigt, dass aus den durchgeführten, punktuellen Kontrollen gemäss Art. 78 MWSTG keine aussagekräftigen Datensätze für die Erstellung von Statistiken über die Höhe der erhobenen Mehrwertsteuer auf Retrozessionen zu gewinnen seien.
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3.3. Der Beschwerdeführer setzt sich mit diesen Ausführungen nicht in einer den Begründungsanforderungen genügenden Weise auseinander (vgl. E. 1.2 hiervor). Er zeigt nicht auf, dass bzw. inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt. Vielmehr begnügt er sich damit, den vorinstanzlichen Erwägungen seine eigene Sicht der Dinge gegenüberzustellen, ohne sich mit diesen näher auseinanderzusetzen. Mit dem Bundesverwaltungsgericht ist dabei davon auszugehen, dass sich das Zugangsrecht nur auf ein bereits existierendes amtliches Dokument erstreckt (vgl. Botschaft zum Bundesgesetz vom 12. Februar 2003 über die Öffentlichkeit der Verwaltung, BBl 2003 1963, 1992 Ziff. 2.1.5.1.2; ROBERT BÜHLER, in: Basler Kommentar, Datenschutzgesetz, Öffentlichkeitsgesetz, 3. Aufl. 2014, N. 10 zu Art. 5 BGÖ; KURT NUSPLIGER, in: Öffentlichkeitsgesetz, 2008, N. 14 zu Art. 5 BGÖ; AMMAN/LANG, in: Datenschutzrecht, 2015, S. 906). Dabei ist offensichtlich, dass der Beschwerdeführer den Beweis, dass ein amtliches Dokument besteht, mangels Zugangs zu den Daten selbst nicht erbringen kann. Dafür ist vielmehr die Beschwerdegegnerin im Streitfall beweispflichtig. Wo dieser aber der regelmässig schwierige Beweis des Nichtvorhandenseins einer Tatsache obliegt, ist die Gegenpartei nach Treu und Glauben gehalten, ihrerseits verstärkt bei der Beweisführung mitzuwirken, namentlich indem sie einen Gegenbeweis erbringt oder zumindest konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein von Daten aufzeigt (so bereits BGE 66 II 145 E. 1 S. 147 f. mit Hinweisen; vgl. BGE 139 II 451 E. 2.4 S. 459 f.; 137 II 313 E. 3.5.2 S. 325; 133 V 205 E. 5.5 S. 216 f.).
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Vorliegend legen die Ausführungen des Beschwerdeführers zur separaten Erfassung von Retrozessionen zwischen den Gebern und Empfängern sowie zum Auskunftsrecht der Beschwerdegegnerin gegenüber den Gebern (wohl gestützt auf Art. 73 MWSTG) nicht nahe, dass bei dieser tatsächlich Datensätze vorhanden sind, die eine Ausarbeitung der nachgesuchten generellen Statistiken erlaubt. Sie zielen vielmehr darauf ab, die Beschwerdegegnerin zur Erstellung eines noch nicht existierenden Dokuments zu verpflichten. Dies wird aber durch das Öffentlichkeitsprinzip nicht geschützt (vgl. Botschaft zum BGÖ, BBl 2003 1963, 1992 Ziff. 2.1.5.1.2). Abgesehen davon dürften solche Anfragen ohnehin nicht flächendeckend vorgenommen werden, weshalb es der Beschwerdegegnerin nicht möglich sein wird, auf dieser Grundlage eine generelle Statistik über die Höhe der ausgeschütteten Retrozessionen anzufertigen. Im Weiteren erschöpft sich das Vorbringen, die gewünschten Abrechnungen könnten per Tastenklick aufgerufen werden, in appellatorischer Kritik am angefochtenen Entscheid, die im bundesgerichtlichen Verfahren nicht zu hören ist. Schliesslich geht auch der Einwand, es seien keine Steuerkontrollen vorgenommen worden, fehl. Die Vorinstanzen haben vielmehr glaubwürdig aufgezeigt, dass solche Kontrollen punktuell durchgeführt wurden, daraus aber keine allgemeingültigen Folgerungen für die Erstellung der gewünschten Statistiken zu den Mehrwertsteuererträgen aus Retrozessionen im Finanzbereich gezogen werden können.
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4. Die Beschwerde erweist sich demnach als unbegründet und ist abzuweisen, soweit sie überhaupt den gesetzlichen Formerfordernissen zu genügen vermag. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG); ihm steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
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4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Eidgenössischen Steuerverwaltung, dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, und dem Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 15. Februar 2017
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Das präsidierende Mitglied: Karlen
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Die Gerichtsschreiberin: Pedretti
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