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Informationen zum Dokument  BGer 6B_1094/2016  Materielle Begründung
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BGer 6B_1094/2016 vom 15.02.2017
 
6B_1094/2016
 
 
Urteil vom 15. Februar 2017
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer,
 
Bundesrichterin Jametti,
 
Gerichtsschreiberin Pasquini.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Yann Moor,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
 
2. A.________,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Nichtanhandnahme (fahrlässige Körperverletzung),
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 26. Juli 2016.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Am 26. Dezember 2015 um ca. 18.30 Uhr kam es auf der Kreuzung Brandschenkestrasse/Flössergasse in Zürich zu einer Kollision. Das von X.________ gelenkte Taxi kollidierte mit dem von A.________ gelenkten Personenwagen. Dieser erlitt eine Prellung an der rechten Hand, X.________ Schulterschmerzen und ein Pfeifen im linken Ohr. Beide Fahrzeuglenker stellten gegeneinander Strafantrag wegen fahrlässiger Körperverletzung.
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B. Am 14. April 2016 verfügte die Staatsanwaltschaft mit Bezug auf A.________ die Nichtanhandnahme. Gegen diese Verfügung erhob X.________ Beschwerde.
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Das Obergericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde mit Beschluss vom 26. Juli 2016 ab.
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C. X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, den Beschluss des Obergerichts vom 26. Juli 2016 aufzuheben und gegen A.________ ein Untersuchungsverfahren durchzuführen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
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Erwägungen:
 
1. Die Privatklägerschaft ist zur Beschwerde in Strafsachen nur legitimiert, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Richtet sich die Beschwerde gegen die Einstellung oder Nichtanhandnahme eines Verfahrens, hat der Privatkläger nicht notwendigerweise bereits vor den kantonalen Behörden Zivilansprüche geltend gemacht. Der Privatkläger hat vor Bundesgericht aber jedenfalls darzulegen, auf welche Zivilforderung sich der angefochtene Entscheid inwiefern auswirken kann. Das Bundesgericht stellt an die Begründung der Legitimation strenge Anforderungen. Genügt die Beschwerde diesen nicht, kann darauf nur eingetreten werden, wenn aufgrund der Natur der untersuchten Straftat ohne Weiteres ersichtlich ist, um welche Zivilforderungen es geht (BGE 141 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen).
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Der Beschwerdeführer legt mit keinem Wort dar, dass er Zivilforderungen geltend machen will. Aufgrund der beantragten Straftat sind indessen solche in Form von Schadenersatzforderungen naheliegend. Ob dies vorliegend für die Bejahung der Beschwerdelegitimation im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG genügt, kann mit Blick auf den Ausgang des Verfahrens offenbleiben.
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2. 
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2.1. Der Beschwerdeführer moniert eine Verletzung von Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO. Eine Nichtanhandnahme setze voraus, dass die fraglichen Straftatbestände eindeutig nicht erfüllt seien. Sie dürfe nur in sachverhaltsmässig und rechtlich klaren Fällen ergehen. Die Vorinstanz halte fest, dass er gemäss den Schadensbildern zuvor rechts ausgeholt habe, andernfalls hätte das Fahrzeug des Beschwerdegegners seines am Heck getroffen. Damit begebe sich die Vorinstanz in einen Widerspruch, wenn sie ausführe, dass dem Lenker des nachfolgenden Fahrzeugs nicht nachgewiesen werden könne, nicht rechtzeitig abgebremst zu haben, obschon er mit einem U-Turn des Beschwerdeführers hätte rechnen müssen. Hätte der Beschwerdegegner tatsächlich einen vorschriftsgemässen Abstand zu ihm eingehalten, so wäre es Ersterem konsequenterweise auch möglich gewesen, sein Fahrzeug rechtzeitig abzubremsen und eine Kollision zu verhindern.
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2.2. Die Vorinstanz hält fest, der Beschwerdegegner sei hinter dem Beschwerdeführer gefahren. Seinen Angaben zufolge sei jener nach rechts in die Flössergasse eingebogen und habe dann nach links eine Spitzkehre machen wollen. Es habe nichts darauf hingedeutet, dass der Beschwerdeführer diese Spitzkehre habe machen wollen. Der Beschwerdeführer habe angegeben, den Beschwerdegegner erst bemerkt zu haben, als dieser mit ihm kollidiert sei. Er habe auf der Höhe des Fussgängerstreifens abgebremst. Er habe nicht rechts ausgeholt, sondern sei normal dem Strassenverlauf entlanggefahren. Er habe nicht direkt nach der Verkehrsinsel den U-Turn gemacht, da man nicht in einem Zug herumkomme. Er sei bis auf die Höhe der einmündenden Flössergasse gefahren und habe dann die Spitzkehre gemacht. Die Vorinstanz erwägt, aufgrund der Schadensbilder sei davon auszugehen, dass sich das Fahrzeug des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Kollision annähernd in einem 90-Grad-Winkel zur Brandschenkestrasse befunden habe. Nur so liessen sich die Beschädigungen an der Fahrertüre des Fahrzeugs des Beschwerdeführers und an der Front rechts des Fahrzeugs des Beschwerdegegners in Übereinstimmung bringen. Da an der fraglichen Stelle eine Verkehrsinsel sei, müsse der Beschwerdeführer zuvor rechts ausgeholt haben, damit die Unfallfahrzeuge die erwähnten Schäden aufweisen konnten. Für ein Ausholen nach rechts würden auch die Angaben des Beschwerdeführers sprechen. Gegen die Schilderung des Beschwerdeführers, wonach er dem normalen Strassenverlauf gefolgt sei, sprächen sodann die Ausführungen der Auskunftsperson B.________. Dieser habe erklärt, dass der vor ihm fahrende Beschwerdegegner normal gefahren sei. Der Beschwerdeführer habe nach der Verkehrsinsel plötzlich rechts ausgeholt, sei leicht nach rechts in die Flössergasse gefahren und habe dann in einem Zug nach links gezogen. Das Manöver sei sehr abrupt geschehen. Die Vorinstanz erwägt, es stehe demnach fest, dass der Beschwerdeführer rechts ausgeholt habe, um einen U-Turn nach links durchzuführen (Beschluss E. 3 f. S. 3 ff.).
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Die Vorinstanz erachtet die Rüge der Verletzung von Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO als unbegründet. Die Staatsanwaltschaft habe festgestellt, dass dem Beschwerdegegner keine Sorgfaltspflichtverletzung nachzuweisen sei. Eine solche sei nicht ersichtlich. Die Aussagen der Beteiligten und das Spurenbild sprächen gegen eine Sorgfaltspflichtverletzung des Beschwerdegegners. Eine solche lasse sich nicht nachweisen. Damit liege kein Verdacht der fahrlässigen Körperverletzung vor. Eine Verurteilung sei daher nicht bloss unwahrscheinlich, sondern ausgeschlossen. Die Vorinstanz hält fest, der Beschwerdeführer habe rechts ausgeholt. Der Beschwerdegegner habe nicht damit rechnen müssen, dass dieser danach scharf nach links ziehe. Das Manöver sei nach den Angaben der Auskunftsperson sehr abrupt erfolgt. Ein Hinweis auf einen U-Turn mit Ausholen nach rechts habe nach den Aussagen der Beteiligten und der Auskunftsperson nicht bestanden. Alleine der Eindruck, der Beschwerdeführer sei "unsicher gefahren", genüge nicht. Es lägen keine Hinweise vor, wonach der Beschwerdegegner den vorschriftsgemässen Abstand nicht eingehalten habe. Der Beschwerdeführer habe ihn erst bemerkt, als es zur Kollision gekommen sei. Zum Abstand könne er daher keine Aussagen machen. Die Auskunftsperson habe angegeben, der Beschwerdegegner sei dem Beschwerdeführer nicht zu dicht aufgefahren. Damit sei nicht zu erstellen, dass der Beschwerdegegner zu spät gebremst oder einen zu nahen Abstand gehabt habe (Beschluss E. 5 S. 5 ff.).
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2.3. 
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2.3.1. Gemäss Art. 310 Abs. 1 StPO verfügt die Staatsanwaltschaft die Nichtanhandnahme der Untersuchung, sobald aufgrund der Strafanzeige oder des Polizeirapports feststeht, dass die fraglichen Straftatbestände oder die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind (lit. a), wenn Verfahrenshindernisse bestehen (lit. b) oder wenn aus den in Art. 8 StPO genannten Gründen auf eine Strafverfolgung zu verzichten ist (lit. c). Eine Strafuntersuchung ist demgegenüber zu eröffnen, wenn sich aus den Informationen und Berichten der Polizei, aus der Strafanzeige oder aus den eigenen Feststellungen der Staatsanwaltschaft ein hinreichender Tatverdacht ergibt (Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO).
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Eine Nichtanhandnahme durch die Staatsanwaltschaft gestützt auf Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO darf nach der Rechtsprechung nur in sachverhaltsmässig und rechtlich klaren Fällen ergehen. Im Zweifelsfall, wenn die Gründe der Nichtanhandnahme nicht mit absoluter Sicherheit gegeben sind, muss das Verfahren eröffnet werden (vgl. BGE 137 IV 285 E. 2.3 mit Hinweisen).
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2.3.2. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 141 IV 317 E. 5.4 mit Hinweisen). Willkür liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid schlechterdings unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht oder auf einem offenkundigen Versehen beruht (BGE 141 I 49 E. 3.4; 137 I 1 E. 2.4; je mit Hinweisen). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 141 IV 317 E. 5.4 mit Hinweisen).
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2.4. Der Beschwerdeführer argumentiert, die Vorinstanz begebe sich mit ihrer Sachverhaltsfeststellung in Widerspruch. Gemäss Vorinstanz weise das Fahrzeug des Beschwerdeführers einen Schaden unmittelbar hinter der Vorderachse sowie der Fahrertür auf. Im hinteren Bereich, unmittelbar vor der Hinterachse, befänden sich Kratzer. Das nachfolgende Fahrzeug sei im Frontbereich vorne rechts beschädigt. Aufgrund der Schadensbilder sei davon auszugehen, dass sich das Fahrzeug des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Kollision annähernd in einem 90-Grad-Winkel zur Brandschenkestrasse befunden habe. Nur so liessen sich die Beschädigungen an der Fahrertüre des Beschwerdeführers und an der Front vorne rechts des Fahrzeugs des nachfolgenden Fahrers in Übereinstimmung bringen. Die Brandschenkestrasse weise bei der fraglichen Kreuzung eine Verkehrsinsel auf. Der Beschwerdeführer habe zuvor rechts ausholen müssen, andernfalls hätte das nachfolgende Fahrzeug jenes des Beschwerdeführers am Heck getroffen, da auf der Brandschenkestrasse aufgrund der Verkehrsinsel an dieser Stelle nicht überholt werden könne. Die Vorinstanz schliesst daraus, dass der Beschwerdeführer rechts ausgeholt hat, um einen U-Turn nach links auszuführen.
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Der Beschwerdeführer vermag nicht darzulegen, weshalb diese Sachverhaltsfeststellung offensichtlich unrichtig sein soll. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, worin der monierte Widerspruch bestehen soll. Nachdem feststeht, dass der Beschwerdeführer begonnen hatte, rechts in die Flössergasse einzubiegen, um genügend Platz für die beabsichtigte Spitzkehre zu schaffen und dass es hierauf zur Kollision mit dem Beschwerdegegner kam, ist der Vorwurf der offensichtlich unrichtigen Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz von der Hand zu weisen. Ob der Beschwerdeführer mit der Front seines Fahrzeugs im Kollisionszeitpunkt schon über der Mittellinie war, wie er behauptet, lässt die Vorinstanz offen. Ausschlaggebend war, dass er rechts ausgeholt hatte, um seinen U-Turn nach links auszuführen.
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2.5. Der Beschwerdeführer bringt vor, der Beschwerdegegner habe gemäss Feststellung der Vorinstanz mit dem U-Turn rechnen müssen. Dieser habe nicht rechtzeitig abgebremst; wenn er tatsächlich einen vorschriftsgemässen Abstand zu ihm eingehalten hätte, so wäre es dem Beschwerdegegner konsequenterweise auch möglich gewesen, sein Fahrzeug rechtzeitig abzubremsen und eine Kollision zu verhindern. Die Vorinstanz geht nicht davon aus, dass der Beschwerdegegner den U-Turn des Beschwerdeführers voraussah bzw. hätte voraussehen müssen. Mit diesem Argument entfernt sich der Beschwerdeführer in unzulässiger Weise von der willkürfreien Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz.
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2.6. Die Nichtanhandnahme des Strafverfahrens wegen fahrlässiger Körperverletzung verletzt kein Bundesrecht.
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3. Der Beschwerdeführer rügt ferner, die Vorinstanz stelle in Verletzung von Art. 147 StPO auf die Aussagen von C.________ und B.________ ab, obwohl er an deren polizeilichen Einvernahme nicht anwesend gewesen sei. Damit sei sein Teilnahmerecht verletzt worden und die Aussagen seien nicht verwertbar (Beschwerde S. 11 N 29).
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Entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers machte er im vorinstanzlichen Verfahren (noch) nicht geltend, sein Teilnahmerecht i.S.v. Art. 147 StPO sei verletzt (Beschwerde vom 6. Mai 2016, vorinstanzliche Akten act. 2). Dort brachte er im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit der Aussagen lediglich vor, ihnen fehle es an der prozessualen Verwertbarkeit, anscheinend sei der potenzielle Zeuge trotz der offensichtlichen Relevanz der Frage auch nicht gefragt worden, ob der ihm vorausfahrende BMW vor der Kollision tatsächlich - wie behauptet - eine Bremsung bzw. eine Vollbremsung eingeleitet habe (S. 6 N 13). Die Vorinstanz befasst sich mit der Frage der Verletzung von Art. 147 StPO denn auch nicht. Insoweit liegt kein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid vor. Diese Rüge erhebt der bereits vor Vorinstanz anwaltlich vertretene Beschwerdeführer erstmals im Verfahren vor dem Bundesgericht. Sie ist damit neu und deshalb unzulässig (vgl. BGE 136 V 362 E. 4.1 S. 366). Auf die Beschwerde ist daher insoweit nicht einzutreten.
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4. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen. Dabei wird der Betrag in Anbetracht seiner angespannten finanziellen Situation herabgesetzt.
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 15. Februar 2017
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini
 
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