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Informationen zum Dokument  BGer 6B_706/2016  Materielle Begründung
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BGer 6B_706/2016 vom 22.02.2017
 
6B_706/2016
 
 
Urteil vom 22. Februar 2017
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Rüedi, Bundesrichterin Jametti,
 
Gerichtsschreiber Matt.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Marc Bieri,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln; Missachten
 
des Vortrittsrechts beim Einmünden in eine vortrittsberechtigte Strasse; pflichtwidriges Verhalten nach Unfall mit Fremdschaden; Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit; Willkür,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom 6. Mai 2016.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
X.________ wird vorgeworfen, am 22. Mai 2014 beim Einmünden in eine Hauptrasse das Vortrittsrecht eines Traktorfahrers missachtet und diesen zu einer Vollbremsung gezwungen zu haben, worauf dessen mit Bauholz beladener Anhänger kippte. Anschliessend soll er sich vom Unfallort entfernt haben und trotz telefonischer Aufforderung der Polizei nicht an den Unfallort zurückgekehrt sein.
1
 
B.
 
Am 19. Juni 2015 sprach das Bezirksgericht Willisau X.________ des Missachtens des Vortrittsrechts beim Einmünden in eine vortrittsberechtigte Strasse, des pflichtwidrigen Verhaltens nach Unfall mit Fremdschaden und der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrfähigkeit schuldig. Es verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu Fr. 1'000.--, einer Verbindungsbusse von Fr. 10'000.-- und einer Übertretungsbusse von Fr. 2'000.--.
2
 
C.
 
Auf Berufung von X.________ hin bestätigte das Kantonsgericht Luzern am 6. Mai 2016 das bezirksgerichtliche Urteil.
3
 
D.
 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, der Entscheid des Kantonsgerichts sei aufzuheben und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen. X.________ ersucht um aufschiebende Wirkung der Beschwerde.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
Der Beschwerdeführer rügt die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung.
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1.1. Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt, andernfalls darauf nicht eingetreten wird. Die Beschwerde hat auf die Begründung des angefochtenen Entscheids einzugehen und im Einzelnen aufzuzeigen, worin eine Verletzung von Bundesrecht liegt. Die beschwerdeführende Partei kann in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern hat mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz anzusetzen (BGE 140 III 115 E. 2 S. 116; Urteil 6B_586/2016 vom 29. November 2016 E. 3; je mit Hinweisen).
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Qualifizierte Begründungsanforderungen gelten im Rahmen der Rüge willkürlicher Sachverhaltsfeststellung (zum Begriff der Willkür BGE 141 IV 305 E. 1.2 S. 308 f.; 140 III 264 E. 2.3 S. 266; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und überpüft diesbezügliche Rügen nur, wenn sie in der Beschwerde vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 138 I 225 E. 3.2 S. 228; je mit Hinweisen). Die beschwerdeführende Partei kann sich nicht damit begnügen, den bestrittenen Feststellungen eigene tatsächliche Behauptungen gegenüberzustellen oder darzulegen, wie die Beweise ihrer Ansicht nach zu würdigen gewesen wären. Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253 mit Hinweisen).
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Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft sogenannte innere Tatsachen und ist damit Tatfrage. Als solche prüft sie das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (Art. 9 BV; Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 141 IV 369 E. 6.3 S. 375 mit Hinweisen).
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Erwägung 1.2
 
1.2.1. Die Vorinstanz erwägt, hinsichtlich des Vorwurfs des Missachtens des Vortrittsrechts sei auf die übereinstimmenden und glaubhaften Aussagen der Zeugen und des Traktorfahrers abzustellen. Die behaupteten Widersprüche, insbesondere bezüglich Geschwindigkeit und Distanz, beträfen blosse Schätzungen, welche naturgemäss nicht präzise seien. Im Übrigen sei nicht entscheidend, ob der Abstand des Traktors beim Einmünden des Beschwerdeführers in die Hauptstrasse grösser gewesen sei als die von den Zeugen geschätzten zehn bis fünfzehn Meter. Entscheidend sei die Bestätigung der Zeugen, dass der Traktorfahrer aufgrund des Einbiegemanövers des Beschwerdeführers stark habe bremsen müssen und in der Folge die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren habe. Dessen privates Gutachten vermöge diese Tatsache nicht in Zweifel zu ziehen. Es gebe keine Anzeichen für Absprachen unter den Zeugen oder mit dem unfallbeteiligten Traktorfahrer. Ebensowenig sei ein entsprechendes Interesse erkennbar. Demgegenüber seien die Aussagen des Beschwerdeführers teilweise widersprüchlich. So habe er sich zunächst nicht an einen Traktor erinnern können, später aber ausgesagt, dieser sei bei seinem Manöver mindestens 80 Meter entfernt gewesen. Widersprüchlich seien auch seine Angaben zum Alkoholkonsum. Da die Notwendigkeit eines brüsken Bremsmanövers des Traktorfahrers aufgrund der Fahrweise des Beschwerdeführers erstellt sei, habe auf ein verkehrstechnischen Gutachten zur Plausibilität des Unfallhergangs verzichtet werden können.
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1.2.2. Weiter erwägt die Vorinstanz, wer wie der Beschwerdeführer so knapp vor einem vortrittsberechtigten Fahrzeuglenker in eine Strasse einfahre, müsse sich der Gefährlichkeit seines Verhaltens bewusst sein. Er müsse damit rechnen, dass der Vortrittsberechtigte zu einem Brems- oder Ausweichmanöver gezwungen sein und es zu einem Unfall kommen könnte. Dies gelte umso mehr, als ein Bremsmanöver mit Traktor und Anhänger grundsätzlich gefährlich sei. Wenn der Beschwerdeführer in dieser Situation nicht in den Rückspiegel schaue, müsse dies bewusst geschehen sein. Bei pflichtgemässer Vorsicht hätte er den infolge des Bremsmanövers umfallenden Anhänger hinter sich sehen und hören müssen, zumal selbst die vor ihm fahrende Motorradfahrerin den Unfall mitbekommen habe. Im Übrigen bestünden die Pflichten bei Unfall bereits dann, wenn die Möglichkeit eines Unfalls mit Personen- oder Sachschaden bloss naheliege, was vorliegend klar der Fall sei.
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1.2.3. Die Vorinstanz fährt fort, da er den Unfall mitbekommen haben müsse, habe der Beschwerdeführer mit Massnahmen zur Feststellung seiner Fahrfähigkeit, namentlich einem standardmässigen Atemalkoholtest, rechnen müssen. Dies auch dann noch, als er zu Hause gewesen sei. Die Polizei habe ihn denn auch dort telefonisch erreicht, aber kurze Zeit später nicht mehr angetroffen. Seine Behauptung, dass er beim Anruf bereits im Restaurant gewesen sei und dort mit einem Kollegen eine halbe Flasche Wein getrunken habe, könne zeitlich nicht stimmen. Indem der Beschwerdeführer der Aufforderung, an den Unfallort zurückzukehren, nicht nachgekommen sei sowie mit dem behaupteten Nachtrunk zu Hause, habe seine Fahrfähigkeit im Tatzeitpunkt nicht mehr ermittelt werden können. Zudem habe er sich der Kontrolle durch die Polizei mit der Fahrt ins Restaurant entzogen und dort weiteren Alkohol konsumiert. Damit habe er eine Atemalkohol- und/oder Blutprobe vollends vereitelt. Sein Verhalten nach dem Unfall müsse als vorsätzlich, zumindest eventualvorsätzlich interpretiert werden.
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1.3. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet, soweit sie den Begründungsanforderungen gemäss Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG überhaupt genügt.
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1.3.1. Die Vorinstanz legt ausführlich und überzeugend dar, weshalb sie die Aussagen der Zeugen und des Traktorfahrers zum Unfallhergang als glaubhaft beurteilt und darauf abstellt. Ebenfalls nachvollziehbar sind ihre Ausführungen zur Erkennbarkeit des Unfalls für den Beschwerdeführer und dessen Verhalten danach. Es kann auf die vorinstanzlichen Erwägungen und das in Erwägung 1.2 oben Gesagte verwiesen werden. Der Beschwerdeführer beschränkt sich darauf, die Geschehnisse aus seiner Sicht zu schildern und rechtlich zu würdigen. Er wiederholt - teilweise unter blossem, unzulässigem Verweis auf seine früheren Eingaben (vgl. dazu BGE 138 IV 47 E. 2.8.1 S. 54; 33 II 396 E. 3.2 S. 400) - die bereits im Berufungsverfahren erhobenen Rügen, ohne sich mit den vorinstanzlichen Erwägungen auch nur ansatzweise auseinanderzusetzen. So macht er erneut geltend, die Vorinstanz stelle zu Unrecht auf die seiner Ansicht nach widersprüchlichen Aussagen der Zeugen und des Traktorfahrers ab, anstatt auf seine eigenen sowie die Erkenntnisse des von ihm veranlassten Privatgutachtens. Er zeigt aber nicht auf, inwiefern die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung willkürlich sein sollen. Solches ist auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt, wenn er wiederum rügt, die Zeugen hätten Gelegenheit zur Absprache gehabt, er aber nicht darlegt, welches Motiv sie hierfür gehabt haben oder welche Hinweise für eine Absprache sprechen sollen. Soweit er vorbringt, die von den Zeugen angegebenen Geschwindigkeiten und Distanzen seien nicht nachvollziehbar, erwägt die Vorinstanz zutreffend und nachvollziehbar, weshalb es darauf nicht ankommt. Sie begründet ebenfalls, weshalb sie als erstellt erachtet, dass der Traktorfahrer allein aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers brüsk bremsen musste und warum weder das von ihm veranlasste Privatgutachten noch weitere Untersuchungen am Beweisergebnis etwas zu ändern vermöchten. Der Beschwerdeführer setzt sich auch mit den festgestellten Widersprüchen in seinen eigenen Aussagen, etwa hinsichtlich seines Alkoholkonsums und seiner Weigerung, an den Unfallort zurückzukehren, in keiner Weise auseinander. Ebenso wenig legt er dar, weshalb die Feststellung der Vorinstanz, wonach er den Unfall akustisch und optisch mitbekommen haben müsse, unhaltbar sein soll.
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1.3.2. Der Beschwerdeführer weicht mit seinen rechtlichen Ausführungen gegen die Schuldsprüche, insbesondere den im Vordergrund stehenden Vorwurf der Missachtung des Vortrittsrechts beim Einmünden in eine vortrittsberechtigte Strasse, von den verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz ab, ohne begründete Sachverhaltsrügen vorzutragen. Er verkennt in grundsätzlicher Weise, dass vor Bundesgericht der vorinstanzliche Prozess nicht fortgeführt oder gar wiederholt wird, sondern die Erwägungen des angefochtenen Entscheids im Lichte gezielt dagegen formulierter Rügen überprüft werden (vgl. Urteil 6B_586/2016 vom 29. November 2016 E. 4 mit Hinweisen). Das Bundesgericht ist keine Appellationsinstanz, die eine freie Prüfung in tatsächlicher Hinsicht vornimmt. Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in der vom Beschwerdeführer angerufenen Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende selbstständige Bedeutung zu (BGE 138 V 74 E. 7 S. 82; Urteil 6B_3/2016 vom 28. Oktober 2016 E. 2.2; je mit Hinweisen). Dies gilt auch, soweit der Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Abstellen auf die Zeugen- und Geschädigtenaussagen eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und im Verzicht auf das von ihm privat veranlasste sowie weitere Gutachten eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes erblickt. Der Beschwerdeführer zeigt im Übrigen nicht auf, inwieweit sich die gerügten "Mängel" in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht auf den angefochtenen Entscheid ausgewirkt haben sollen. Dies ist auch nicht ersichtlich. Die Schuldsprüche wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln durch Missachten des Vortrittsrechts, pflichtwidrigen Verhaltens nach Unfall mit Fremdschaden und Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit beruhen weder auf einer willkürlichen Sachverhaltsfeststellung noch verletzen sie Bundesrecht.
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Erwägung 2
 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Mit dem Entscheid in der Sache erweist sich das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde, welches am 24. Juni 2016 superprovisorisch gutgeheissen wurde (act. 7), als gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 22. Februar 2017
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Der Gerichtsschreiber: Matt
 
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