BGer 6B_268/2017 | |||
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BGer 6B_268/2017 vom 15.05.2017 | |
6B_268/2017, 6B_269/2017,
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6B_270/2017, 6B_271/2017,
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6B_272/2017
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Urteil vom 15. Mai 2017 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichter Rüedi,
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Bundesrichterin Jametti,
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Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
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Verfahrensbeteiligte | |
X.________,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510 Frauenfeld,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Einstellung von Strafverfahren,
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Beschwerden gegen die Entscheide des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 26. Januar (SW.2016.138-140, 142) bzw. 9. Februar 2017 (SW.2016.137).
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Der Beschwerdeführer erstattete am 27. Februar 2014 Strafanzeige u.a. wegen Amtsmissbrauch, Verletzung der Erziehungs- und Fürsorgepflicht sowie Entziehen von Minderjährigen. Die Staatsanwaltschaft Kreuzlingen stellte die Verfahren gegen die beschuldigten Personen, d.h. gegen A.________ (Kindsmutter), B.________ (Gemeindeamman und Präsident der Vormundschaftsbehörde der Gemeinde C.________), D.________ (Gutachterin des forensischen Instituts Ostschweiz), E.________ (Präsident der Vormundschaftsbehörde der Gemeinde F.________), G.________ (Notar und Sekretär der Vormundschaftsbehörde der Gemeinde H.________) sowie I.________ (Präsident der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde der Gemeinde H.________) mit je separaten Verfügungen vom 21. November 2016 ein. Die dagegen gerichteten Beschwerden wies das Obergericht des Kantons Thurgau am 26. Januar bzw. 9. Februar 2017 ab, soweit es darauf eintrat.
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Der Beschwerdeführer wendet sich mit fünf Beschwerdeeingaben an das Bundesgericht, wobei er den Beschluss des Obergerichts betreffend Einstellungsverfügung gegen die Kindsmutter nicht anficht. Er beantragt die Rückweisung der Sache an die erste Instanz zur Neubeurteilung und Verurteilung des Gemeindeammans und Präsidenten der Vormundschaftsbehörde der Gemeinde C.________, der Gutachterin, des Präsidenten der Vormundschaftsbehörde der Gemeinde F.________, des Notaren und Sekretärs der Vormundschaftsbehörde der Gemeinde H.________ und des Präsidenten der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde der Gemeinde H.________.
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2. Es rechtfertigt sich, die Verfahren 6B_268/2017, 6B_269/2017, 6B_270/2017, 6B_271/2017 und 6B_272/2017 gestützt auf Art. 71 BGG in sinngemässer Anwendung von Art. 24 Abs. 2 lit. b BZP zu vereinigen und die Beschwerden in einem einzigen Entscheid zu beurteilen.
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3. Verfahrensgegenstand bilden alleine die vorinstanzlichen Beschlüsse vom 26. Januar bzw. 9. Februar 2017 (Art. 80 Abs. 1 BGG). Auf die im Zusammenhang mit dem Sorgerecht abschliessend behandelten Gehörsrügen im bundesgerichtlichen Urteil 5A_926/2014 vom 28. August 2015 ist im vorliegenden Verfahren nicht zurückzukommen. Der Beschwerdeführer ist mit seiner Kritik am Urteil 5A_926/2014 oder an anderen Entscheiden und Verfahren nicht zu hören. Für die Beurteilung der Zulässigkeit allfälliger Revisionsbegehren war bzw. ist die Vorinstanz im Übrigen nicht zuständig. Ihre diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Entscheid sind unzulässig. Auf die vom Beschwerdeführer dagegen vorgetragenen Einwände ist nicht einzugehen.
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4. | |
4.1. Der Privatkläger ist zur Beschwerde in Strafsachen nur legitimiert, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung seiner Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Richtet sich die Beschwerde gegen die Einstellung oder Nichtanhandnahme eines Verfahrens, hat der Privatkläger nicht notwendigerweise bereits vor den kantonalen Behörden Zivilansprüche geltend gemacht. In jedem Fall muss der Privatkläger indes im Verfahren vor Bundesgericht darlegen, aus welchen Gründen sich der angefochtene Entscheid inwiefern auf welche Zivilforderung auswirken kann. Das Bundesgericht stellt an die Begründung der Legitimation strenge Anforderungen. Genügt die Beschwerde diesen nicht, kann darauf nur eingetreten werden, wenn aufgrund der Natur der untersuchten Straftat ohne Weiteres ersichtlich ist, um welche Zivilforderung es geht (BGE 141 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen).
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Als Zivilansprüche im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG gelten solche, die ihren Grund im Zivilrecht haben und deshalb ordentlicherweise vor dem Zivilgericht durchgesetzt werden müssen. In erster Linie handelt es sich um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung nach Art. 41 ff. OR. Nicht in diese Kategorie gehören Ansprüche, die sich aus öffentlichem Recht ergeben. Öffentlich-rechtliche Ansprüche, auch solche aus öffentlichem Staatshaftungsrecht, können nicht adhäsionsweise im Strafprozess geltend gemacht werden und zählen nicht zu den Zivilansprüchen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG (Urteil 6B_530/2013 vom 13. September 2013).
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Der Gemeindeamman und Präsident der Vormundschaftsbehörde der Gemeinde C.________, der Präsident der Vormundschaftsbehörde der Gemeinde F.________, der Notar und Sekretär der Vormundschaftsbehörde der Gemeinde H.________ sowie der Präsident der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde der Gemeinde H.________ haben die ihnen vorgeworfenen angeblichen strafbaren Handlungen und Unterlassungen in Ausübung ihrer Funktion als Behördenmitglieder oder Mitarbeitende begangen. Nach dem Gesetz über die Verantwortlichkeit des Kantons Thurgau (Verantwortlichkeitsgesetz; RB 170.3) haftet ausschliesslich der Staat für den Schaden, den eine mit öffentlichen Aufgaben betraute Person in Ausübung amtlicher Verrichtungen einem Dritten zufügt. Entsprechend beurteilen sich allfällige Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen des Beschwerdeführers gegen die vorgenannten Beschuldigten ausschliesslich nach dem kantonalen Verantwortlichkeitsgesetz und sind demnach öffentlich-rechtlicher Natur.
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Ob und welche zivilrechtliche Forderungen der Beschwerdeführer gegen die von den Vormundschaftsbehörden der Gemeinden C.________ und F.________ eingesetzte Gutachterin geltend machen könnte, ist aufgrund der gegen diese gerichteten strafrechtlichen Vorwürfe nicht ohne Weiteres ersichtlich. Ebenso wenig ist erkennbar, wie sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung allfälliger zivilrechtlicher Ansprüche auswirken könnte. Wie dargelegt (vorstehend E. 4.1), wäre es am Beschwerdeführer gelegen, diese Zusammenhänge in der Beschwerde aufzuzeigen. Ein Verzicht auf solche Ausführungen kommt hier nicht in Frage, da sich allfällige privatrechtliche Auswirkungen aufgrund der in Frage stehenden Vorwürfe und der Adressatin der Strafanzeige gerade nicht ohne Weiteres aus den Akten ergeben. Indessen äussert sich der Beschwerdeführer in der Beschwerde mit keinem Wort zur Legitimation und zur Frage einer allfälligen Zivilforderung.
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4.2. Auf die Beschwerde kann demnach mangels (Begründung der) Legitimation in der Sache nicht eingetreten werden.
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5. | |
5.1. Ungeachtet der Legitimation in der Sache nach Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG kann die Privatklägerschaft mit Beschwerde in Strafsachen eine Verletzung ihrer Parteirechte rügen, die ihr nach dem Verfahrensrecht, der Bundesverfassung oder der EMRK zustehen und deren Missachtung auf eine formelle Rechtsverweigerung hinausläuft. Zulässig sind Rügen, die formeller Natur sind und von der Prüfung der Sache getrennt werden können. Das nach Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 5; 138 IV 78 E. 1.3 S. 79 f.; 136 IV 29 E. 1.9 S. 40).
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5.2. Der Beschwerdeführer legt die Geschehnisse und seine Sicht der Dinge weitschweifig dar. Soweit im Folgenden auf seine Darlegungen nicht eingegangen wird, sind sie für die Entscheidfindung offensichtlich nicht relevant oder genügen den Begründungsanforderungen nicht (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 140 III 86 E. 2; 138 I 274 E. 1.6; je mit Hinweisen).
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5.3. Der Beschwerdeführer erachtet den gesamten Kanton Thurgau in dieser Sache als befangen. Es herrsche eine "Filzokratie in Reinkultur". Mit derart pauschalen Behauptungen vermag er nicht darzutun, dass und inwiefern die Vorinstanz befangen gewesen sein könnte.
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5.4. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe entgegen seinem Antrag keine Verhandlung durchgeführt. Indessen ist eine Beschwerdeinstanz nicht verpflichtet, eine Verhandlung anzuordnen (Art. 390 Abs. 5 StPO). Inwieweit die Vorinstanz nicht davon ausgehen durfte, eine solche sei nicht notwendig, weil es vorliegend nicht um die Prüfung von Tatsachenfragen und auch nicht um einen persönlichen Eindruck des Beschwerdeführers geht, sondern um die Überprüfung einer Einstellungsverfügung, ergibt sich aus der Beschwerde nicht. Im Übrigen konnte der Beschwerdeführer seinen Standpunkt in seinen Rechtsschriften hinreichend darlegen, und er hätte allfällige weitere Beweismittel auch im schriftlichen Verfahren einbringen können. Das Vorbringen ist unbehelflich.
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5.5. Unbegründet ist auch die Rüge der Verletzung des Beschleunigungsgebots bzw. der Vorwurf der jahrelangen Untätigkeit der zuständigen Staatsanwaltschaft. Zwar erscheint die Verfahrensdauer von der Einreichung der Strafanzeigen am 27. Februar 2014 bis zum Erlass der Schlussverfügungen vom 3. Oktober 2016 (mit der Möglichkeit, Beweisanträge zu stellen) bzw. der Einstellungsbeschlüsse vom 21. November 2016 für sich betrachtet als relativ lang. Die Kritik des Beschwerdeführers ist deshalb immerhin verständlich. Indessen lassen sich beachtliche Gründe für die Verfahrensdauer anführen. Zu nennen ist vorab der Umstand, dass der Beschwerdeführer Strafverfahren gegen insgesamt sechs Beschuldigte erwirkte. Um sich ein vollständiges Bild zu verschaffen, musste die Staatsanwaltschaft die relativ umfangreichen Akten bei der KESB K.________, der Gemeindeverwaltung C.________ und F.________ und bei der KESB H.________ beiziehen. Sie durfte weiter insbesondere das Urteil des Bundesgerichts 5A_926/2014 vom 28. August 2015, welches die Überprüfung der Regelung des persönlichen Verkehrs in Sachen des Beschwerdeführers zum Gegenstand hatte, im Hinblick auf den eigenen Entscheid abwarten. Dieses Urteil wurde den Parteien (erst) Ende November 2015 zugestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte in der Folge die Sach- und Rechtslage für jede einzelne der sechs beschuldigten Personen individuell zu prüfen und im Anschluss entsprechende Schluss- bzw. Einstellungsverfügungen auszuarbeiten. Unter diesen Umständen sind aber keine Zeitabschnitte ersichtlich, die den Vorwurf rechtfertigen würden, die Staatsanwaltschaft sei in ungebührlich langer Weise grundlos untätig gewesen. Ein Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot ist nicht erkennbar. Der Anspruch auf Verfahrensbeschleunigung wurde im Mass, in welchem er auf die Privatklägerschäft Anwendung findet, eingehalten (vgl. Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1130 Ziff. 2.1.2; Urteile 6B_1014/2016 vom 24. März 2017 E. 1.3.1 und 6B_411/2015 vom 9. September 2015 E. 3.3 mit Hinweisen).
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6. Die Beschwerden sind abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege sind infolge Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdeführer sind reduzierte Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 Abs. 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Verfahren 6B_268/2017, 6B_269/2017, 6B_270/2017, 6B_271/2017 und 6B_272/2017 werden vereinigt.
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2. Die Beschwerden werden abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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3. Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege werden abgewiesen.
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4. Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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5. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 15. Mai 2017
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Der Gerichtsschreiber: Arquint Hill
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