BGer 8C_173/2017 | |||
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BGer 8C_173/2017 vom 20.06.2017 | |
8C_173/2017
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Urteil vom 20. Juni 2017 |
I. sozialrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Maillard, Präsident,
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Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
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Gerichtsschreiberin Polla.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Reto Bachmann,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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IV-Stelle des Kantons Aargau,
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Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
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Beschwerdegegnerin,
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Kantonale Pensionskasse Nidwalden, Bahnhofplatz 3C, 6370 Stans.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
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vom 17. Januar 2017.
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Sachverhalt: |
A. | |
A.a. Der 1964 geborene A.________ meldete sich im Februar 2002 wegen eines Schleudertraumas bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 2. Juni 2004 sprach ihm die IV-Stelle des Kantons Luzern eine ganze Rente der Invalidenversicherung ab 1. Februar 2001 zu. Dieser Anspruch blieb anlässlich des Revisionsverfahrens im Jahr 2005 unverändert. Im Rahmen einer erneuten Revision stellte die Verwaltung mit Verfügung vom 31. März 2009 die Rentenleistungen ein. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 14. Januar 2011, soweit es darauf eintrat, mit der Feststellung gut, dass weiterhin ein Anspruch auf eine ganze Invalidenrente bestehe. Anlässlich der 6. IVG-Revision überprüfte die Verwaltung den Rentenanspruch erneut und hob die Rente mit Verfügung vom 23. Oktober 2013 auf. Für die Dauer der Massnahmen zur Wiedereingliederung werde die Rente aber weiter ausgerichtet (Verfügung vom 24. Oktober 2013). Die gegen beide Verfügungen erhobenen Beschwerden hiess das nunmehr Kantonsgericht Luzern mit Entscheid vom 7. Mai 2014 teilweise gut und hob diese mangels örtlicher Zuständigkeit der IV-Stelle des Kantons Luzern auf, sodass die ganze Invalidenrente weiterhin auszurichten war.
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A.b. Die aufgrund des Wohnsitzwechsels nun zuständige IV-Stelle des Kantons Aargau holte im Rahmen ihrer revisionsweisen Abklärungen ein bidisziplinäres Gutachten bei den Dres. med. B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und C.________, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und Rheumatologie, ein (Gutachten vom 15. April 2015). Nachdem Dr. med. D.________, Facharzt für orthopädische Chirurgie und Traumatologie FMH, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD) der IV-Stelle, dazu Stellung genommen und eine Aktenbeurteilung aus psychiatrischer Sicht abgegeben hatte, verfügte die Verwaltung am 25. März 2016 die Aufhebung der Rente.
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B. Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 17. Januar 2017 ab.
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C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, der Entscheid vom 17. Januar 2017 sei aufzuheben und es sei ihm weiterhin eine ganze Rente der Invalidenversicherung auszurichten.
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Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
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Erwägungen: | |
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2. Streitig und prüfen ist, ob die Vorinstanz zu Recht die Renteneinstellung bestätigte.
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3.
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3.1. Die Vorinstanz erachtete einen Revisionsgrund nach Art. 17 ATSG als gegeben, da sich der Gesundheitszustand seit der rentenzusprechenden Verfügung vom 2. Juni 2004 erheblich verändert habe. Es könne auf das beweiswertige bidisziplinäre (psychiatrisch-rheumatologische) Gutachten der Dres. med. C.________ und B.________ vom 15. April 2015 abgestellt werden. Der rheumatologische Befund (chronisches Schmerzsyndrom im Bereich der oberen Körperhälfte) sei ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit, während die psychiatrisch diagnostizierte anhaltende somatoforme Schmerzstörung und die rezidivierende leichte depressive Störung die Arbeitsfähigkeit bis Mai 2010 um 50 % und ab Mai 2010 um 20 % eingeschränkt hätten. Nach der Rechtsprechung von BGE 141 V 281 schätzte das kantonale Gericht das Leistungsvermögen des Versicherten ein und kam zum Schluss, die Prüfung der Indikatoren ergebe keine Schmerzstörung mit relevanter und schwerer Ausprägung. Da der Beschwerdeführer weder durch die somatoforme Schmerzstörung noch durch die leichte depressive Episode in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sei, erübrige sich ein Einkommensvergleich.
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3.2. Beschwerdeweise wird geltend gemacht, das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern habe mit Entscheid vom 14. Januar 2011 eine materielle Revision vorgenommen. Wenn die Vorinstanz den Gesundheitszustand bei Erlass der angefochtenen Verfügung vom 25. März 2016 mit jenem bei der Rentenzusprache am 2. Juni 2004 verglichen habe, sei dies aufgrund der res iudicata nicht möglich. Der Vergleichszeitpunkt bilde der Entscheid vom 14. Januar 2011. Das Gutachten, auf welches sich die Vorinstanz stütze, würde im Widerspruch zum kantonalen Entscheid vom 14. Januar 2011 stehen, weshalb darauf nicht abgestellt werden könne und die Schlussfolgerungen der Vorinstanz beruhten somit auf einem offensichtlich falsch erstellten Sachverhalt. Gerade bei psychischen Beeinträchtigungen seien die Einschätzungen der behandelnden Ärzte massgebend, zumal sie vorliegend aufzeigten, dass das psychiatrische Gutachten nicht rechtsgenüglich sei. Ferner dürfe nicht die gleiche gesundheitliche Beeinträchtigung eine Revision nach Art. 17 ATSG ermöglichen, wenn sich nur die Schätzung der Arbeitsfähigkeit verändert habe. Vielmehr sei auf den Bericht der Psychiatrie E.________ vom 15. November 2016 abzustellen, da daraus hervorginge, dass gerade keine relevante gesundheitliche Verbesserung stattgefunden habe. Insgesamt liege kein Revisionsgrund vor, auch nicht mit Blick auf die geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichts. Schliesslich sei das RAD-Mitglied Dr. med. D.________ befangen.
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4.
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4.1. Wie das kantonale Gericht richtig ausführte, dient als Vergleichsbasis für die Beurteilung der Frage, ob bis zum Abschluss des aktuellen Verwaltungsverfahrens eine anspruchserhebliche Änderung des Invaliditätsgrades eingetreten ist, die letzte rechtskräftige Verfügung, welche auf einer materiellen Prüfung des Rentenanspruchs mit rechtskonformer Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und Durchführung eines Einkommensvergleichs (bei Anhaltspunkten für eine Änderung in den erwerblichen Auswirkungen des Gesundheitszustands) beruht (BGE 133 V 108). Ausgehend von diesem Grundsatz würdigte die Vorinstanz die Voraussetzungen einer Rentenrevision nach Art. 17 ATSG anhand der Verhältnisse, wie sie der rentenzusprechenden Verfügung vom 2. Juni 2004 und der rentenaufhebenden Verfügung vom 25. März 2016 zu Grunde lagen. Mit dem Beschwerdeführer ist aber nicht die ursprüngliche Verfügung als Vergleichszeitpunkt für die Beurteilung der gesundheitlichen Situation heranzuziehen. Vielmehr bildet der Erlass einer später durch das Gericht aufgehobenen Revisionsverfügung zeitlicher Referenzpunkt (Urteil 9C_17/2009 vom 21. Juli 2009 E. 2.2 und 3.2 in: SVR 2009 IV Nr. 59 S. 183). Umfasste die letztmalige materielle Beurteilung indessen nicht denselben anspruchserheblichen Aspekt, mit dessen Veränderung die Revision begründet wird, gilt der nächst frühere Entscheid mit entsprechenden Feststellungen als Vergleichsbasis (Urteil 9C_899/ 2009 vom 26. März 2010 E. 2.1). Demnach ist im jetzigen Verfahren die Entwicklung des Gesundheitszustands seit Erlass der gerichtlich am 14. Januar 2011 aufgehobenen Revisionsverfügung vom 31. März 2009 bis zur angefochtenen Verfügung vom 25. März 2016 zu prüfen. Nachdem die Feststellungen im hier relevanten Referenzzeitpunkt vom 14. Januar 2011 bereits durch das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern rechtskräftig getroffen wurden, sodass es hier im Prinzip einzig um den Beweiswert der Expertise vom 15. April 2015 geht, kann auf die Rückweisung der Sache zur erneuten Beurteilung durch die Vorinstanz verzichtet werden, zumal genügende Entscheidungsgrundlagen bestehen, um über die Rechtmässigkeit der Rentenrevision zu befinden.
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4.2. Mit Entscheid vom 14. Januar 2011 stellte das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern fest, im Gutachten der MEDAS vom 23. September 2008 seien folgende Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit gestellt worden: Ein Status nach HWS-Beschleunigungstrauma mit mässigem diffusem myofascialem Schmerzsyndrom des Nackens mit eingeschränkter HWS-Beweglichkeit und einer chronischen Schwindelsymptomatik. Diesem Gutachten sprach das kantonale Verwaltungsgericht jedoch jeglichen Beweiswert ab und stützte sich auf den Bericht der Klinik F.________ der Psychiatrie E.________ vom 18. Februar 2009, worin ein stationärer Gesundheitszustand mit lediglich teilweiser Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit beschrieben werde. In der Schlussfolgerung ging es von einem unveränderten Gesundheitszustand aus, wonach der Versicherte weiterhin an einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischen Symptomen (gemäss Gutachten des Dr. med. G.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 29. August 2001) sowie an einer depressiven Entwicklung mit somatoformer Schmerzstörung und einem Schmerzsyndrom nach HWS-Schleudertrauma (Bericht Klinik H.________ vom 5. Februar 2004) leide.
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4.3. Im Rahmen der aktuellen Rentenrevision liegt das bidisziplinäre Gutachten vom 15. April 2015 im Recht. Die Würdigung der Vorinstanz, wonach diesem Gutachten vollen Beweiswert anzuerkennen ist, steht im Einklang mit den rechtsprechungsgemässen Anforderungen an ein beweiskräftiges Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352). Die Ausführungen des Beschwerdeführers ändern hieran nichts, zumal insbesondere die Diagnose einer rezidivierenden leichten depressiven Episode weder in der Beschwerde noch durch die eingereichten Akten in Frage gestellt wird. Sodann widersprechen die Aussagen zum verbesserten Gesundheitszustand des Dr. med. B.________, welcher gemäss vorinstanzlicher Feststellung von einer deutlich abgeschwächten Depressivität ausging, nicht den Ausführungen des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern im Entscheid vom 14. Januar 2011. Dieses hatte den Gesundheitszustand bis zum Verfügungserlass am 31. März 2009 zu beurteilen, während der psychiatrische Gutachter festhielt, dem Beschwerdeführer ginge es seit dem Jahr 2008 besser, wobei eine erneut aufgetretene mittelgradige Depressivität Ende 2009 erfolgreich in der psychiatrischen Klinik F.________ behandelt worden sei, sodass bei Austritt Ende Mai 2010 nur noch eine leichtgradige depressive Episode bestanden habe. Seit Mai 2010 liege dementsprechend die Arbeitsunfähigkeit unter 20 %. Damit durfte die Vorinstanz von einem verbesserten Gesundheitszustand ausgehen, wurde doch im Entscheid des Verwaltungsgerichts Luzern vom 14. Januar 2011 noch eine mittelgradige depressive Episode und eine somatoforme Schmerzstörung mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit und mit Invalidität im Ausmass einer ganzen Rente angenommen. Damit handelt es sich nicht um einen gleich gebliebenen Gesundheitszustand, bei welchem die Schätzung der Arbeitsfähigkeit leidlich anders ausfiel. Ein Revisionsgrund ist gegeben.
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Erwägung 5 | |
5.1. Das kantonale Gericht hat sich mit Blick auf die somatoforme Schmerzstörung mit dem Gesundheitsschaden im Lichte der nach BGE 141 V 281 massgeblichen Indikatoren befasst. So hat es namentlich einen mit der mangelhaften medikamentösen Compliance zusammenhängenden fehlenden Leidensdruck, einen fehlenden Schweregrad der Gesundheitsschädigung, intakte Sozialkontakte, ein gutes Aktivitätsniveau im Alltag und vorhandene Ressourcen festgestellt sowie sich zur Konsistenz geäussert. Die vorgenommene Konsistenzprüfung ist nachvollziehbar und begründet folgerichtig das Fehlen einer invalidenversicherungsrechtlich relevanten Einschränkung der Arbeitsfähigkeit. Diese Würdigung wird beschwerdeweise auch nicht gerügt. Gestützt auf die entsprechenden Erwägungen sind die Feststellung, dass sich kein Nachweis für erhebliche funktionelle Auswirkungen der somatoformen Schmerzstörung findet und insgesamt weder dieses noch das depressive Leiden eine rentenrelevante Einschränkung der Arbeitsfähigkeit zu begründen vermögen, bundesrechtskonform. Der Verweis auf den neuesten Austrittsbericht der Psychiatrie E.________ vom 15. November 2016 lässt - sofern dieser im vorliegenden Verfahren, da nach Verfügungserlass erstellt, überhaupt Relevanz entfalten kann - auch keine andere Schlussfolgerung zu. In diesem Bericht wurde eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode, diagnostiziert, die rechtsprechungsgemäss keine invalidisierende Wirkung entfalten kann (statt vieler: BGE 140 V 193 E. 3.3; SVR 2016 IV Nr. 52 S. 176, 9C_13/2016). Die Vorinstanz bestätigte demnach, ohne Bundesrecht zu verletzen, die rentenaufhebende Verfügung vom 25. März 2016 im Ergebnis zu Recht.
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5.2. Nicht stichhaltig ist schliesslich der Einwand, der RAD-Arzt Dr. med. D.________ sei befangen, weil sich beispielsweise in den Akten der IV-Stelle des Kantons Luzern ein Protokolleintrag vom 27. August 2013 finde, worin die Anweisung stehe, dass die Rente so bald als möglich aufzuheben sei. Zum einen beruhen die Bejahung eines Revisionsgrundes und die vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand im Rahmen der Rentenaufhebung am 25. März 2016 nicht auf den Beurteilungen des RAD-Arztes, zum andern ist nicht ersichtlich, weshalb Dr. med. D.________ dadurch befangen sein sollte.
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6. Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien, der Kantonalen Pensionskasse Nidwalden, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 20. Juni 2017
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Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Maillard
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Die Gerichtsschreiberin: Polla
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