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Informationen zum Dokument  BGer 9C_640/2016  Materielle Begründung
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BGer 9C_640/2016 vom 20.06.2017
 
9C_640/2016
 
 
Urteil vom 20. Juni 2017
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
 
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
 
Gerichtsschreiberin Huber.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Wyssmann,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle Bern,
 
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
 
vom 17. August 2016.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Der 1975 geborene A.________ arbeitet seit 1. August 1993 bei der B.________ AG als Informatiker. Im Februar 2015 erlitt er im Rahmen eines Langstreckenfluges einen Verschluss der Femoralarterie, woraufhin ihm der linke Oberschenkel oberhalb des Knies amputiert werden musste. Er meldete sich am 16. April 2015 bei der Invalidenversicherung zum Hilfsmittelbezug für eine Oberschenkel-Prothese mit einem elektronischen Prothesenkniegelenk Genium an. A.________ stützte sich dabei auf einen Bericht seiner behandelnden Ärzte der Klinik C.________ vom 11. April 2015. Die IV-Stelle des Kantons Bern liess bei der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft Hilfsmittelberatung für Behinderte und Betagte (SAHB) eine fachtechnische Beurteilung durchführen. In Anlehnung daran kündigte die Verwaltung an, sie werde einen Kostenbeitrag von insgesamt Fr. 36'719.45 an eine Prothese mit Genium-Kniegelenk übernehmen. Basis hierfür würden die Kosten für ein C-Leg-Modell bilden (Vorbescheid vom 25. November 2015). Nachdem der Versicherte dagegen Einwände erhoben hatte, erhöhte die IV-Stelle den Kostenbeitrag auf Fr. 44'285.10. Berechnungsgrundlage bildete wiederum die Prothesenversorgung mit einem C-Leg-Kniegelenkpassteil (Verfügung vom 19. Mai 2016). Das Ersuchen von A.________ um Kostengutsprache für einen Genium-Kniegelenk-Ersatz wies die IV-Stelle ab, da ein solcher die Kriterien einer einfachen und zweckmässigen Ausführung nicht erfülle.
1
B. Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, mit Entscheid vom 17. August 2016 ab.
2
C. A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids und der Verfügung vom 19. Mai 2016 sei ihm vollumfängliche Kostengutsprache für die Oberschenkel-Prothese des Typs Genium zu gewähren.
3
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.
4
 
Erwägungen:
 
1. 
5
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Indes prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236).
7
2. 
8
2.1. Gemäss Art. 8 Abs. 1 IVG haben invalide oder von einer Invalidität bedrohte Versicherte Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, soweit diese notwendig und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit wieder herzustellen, zu erhalten oder zu verbessern (lit. a); und die Voraussetzungen für den Anspruch auf die einzelnen Massnahmen erfüllt sind (lit. b). Laut Art. 8 Abs. 1
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2.2. Als Eingliederungsmassnahme unterliegt jede Hilfsmittelversorgung den allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des Art. 8 Abs. 1 IVG. Sie hat somit neben den dort ausdrücklich genannten Erfordernissen der Geeignetheit und Notwendigkeit auch denjenigen der Angemessenheit (Verhältnismässigkeit im engeren Sinne) als drittem Teilgehalt des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes zu genügen. Die Abgabe eines Hilfsmittels muss demnach unter Berücksichtigung der gesamten tatsächlichen und rechtlichen Umstände des Einzelfalles in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Eingliederungsziel stehen. Dabei lassen sich vier Teilaspekte unterscheiden, nämlich die sachliche, die zeitliche, die finanzielle und die persönliche Angemessenheit. Danach muss die Massnahme prognostisch ein bestimmtes Mass an Eingliederungswirksamkeit aufweisen; sodann muss gewährleistet sein, dass der angestrebte Eingliederungserfolg voraussichtlich von einer gewissen Dauer ist; des Weiteren muss der zu erwartende Erfolg in einem vernünftigen Verhältnis zu den Kosten der konkreten Eingliederungsmassnahme stehen; schliesslich muss die konkrete Massnahme dem Betroffenen auch zumutbar sein (BGE 132 V 215 E. 3.2.2 S. 221 mit Hinweisen; MEYER/REICHMUTH, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, 3. Aufl. 2014, N. 15 ff. zu Art. 8 IVG).
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2.3. Das Erfordernis der finanziellen Angemessenheit wird im Hilfsmittelrecht durch Art. 21 Abs. 3 IVG und Art. 2 Abs. 4 HVI zum Ausdruck gebracht, wonach nur Anspruch auf Hilfsmittel in einfacher und zweckmässiger Ausführung besteht; durch eine andere Ausführung verursachte zusätzliche Kosten hat der Versicherte selbst zu tragen (MEYER/REICHMUTH, a.a.O., N. 27 zu Art. 21-21 
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3. Zwischen den Parteien ist unbestritten, dass die Invalidenversicherung die Kosten für eine Prothese im Umfang eines C-Leg-Modells übernimmt. Zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer nach Massgabe der gesetzlichen Grundlagen (E. 2 hievor) Anspruch auf die Abgabe einer Genium-Kniegelenkprothese hat, was davon abhängt, dass es sich dabei um ein einfaches und zweckmässiges Hilfsmittel im Sinne von Art. 8 IVG handelt und nicht um ein von der IV-Stelle grundsätzlich nicht zu übernehmendes bestmögliches Vorkehren.
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4. Die Vorinstanz hat das hier in Frage stehende prothetische Knie-Ersatz-System (Genium) beschrieben. Danach handelt es sich beim Genium um eine neue Generation elektronischer Beinprothesensysteme, wobei das gleiche Konstruktionsprinzip wie beim C-Leg verwendet wird. Das Kniesystem Genium ist jedoch mit Mikroprozessoren neuster Generation sowie zusätzlichen Sensoren und Steuerungselementen ausgestattet, die es erlauben, den Bewegungsablauf des Benutzers zu erkennen. Nach Angaben des Herstellers ermöglichen wichtige Innovationen in der Computertechnik ein mit den physiologischen Bewegungsabläufen fast identisches Gehen. Mit Hilfe dieser Prothese können versicherte Personen Hindernisse und Treppen alternierend (im Wechselschritt) überwinden und symmetrisch belasten. Dank der intuitiven Steuerung sind das Gehen (vorwärts und rückwärts) und Richtungswechsel sicher möglich und erfordern weniger Kraftaufwand und Konzentration. Die Genium-Prothese stellt eine technische Weiterentwicklung des C-Leg-Modells dar (vgl. Urteile   8C_52/2016 vom 8. April 2016 E. 3.2, in: SVR 2016 UV Nr. 43 S. 142; 8C_279/2014 vom 10. Juli 2015 E. 4, in: SVR 2016 UV Nr. 3 S. 5).
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Erwägung 5
 
5.1. Das kantonale Gericht stellte verbindlich fest (vgl. E. 1.1 hievor), der Beschwerdeführer leide seit seiner Geburt an einer Ptose, einer Augenmotilitätsstörung, sowie an einer gestörten Pupillenmotorik des linken Auges. Er verfüge deshalb über kein räumliches bzw. über kein Stereosehen und habe ein eingeschränktes Gesichtsfeld. Seine Tätigkeit umfasse den Betrieb und den Unterhalt der EDV-Infrastruktur. Dabei müsse er zu den verschiedenen EDV-Komponenten gehen und diese herumtragen. Dadurch halte er sich häufig in der Produktionsstätte auf und bewege sich auf unebenem Boden sowie auf Treppen. Die Vorinstanz nahm an, Seheinschränkungen für sich allein würden in alltäglichen Verrichtungen wie dem Gehen auf Treppen oder unebenem Gelände ganz allgemein noch nicht zu derart relevanten Einschränkungen und Gefahren führen, wie sie der Versicherte geltend mache. Darüber hinaus bestehe die Augenproblematik seit der Geburt. Der Versicherte habe somit seit jeher damit zu leben, weshalb selbst bei der Annahme einer Einschränkung in der Gehfähigkeit aufgrund der Sehverminderung davon auszugehen sei, er verfüge von klein auf über die Fähigkeit, diese sehbehinderungsbedingten Einschränkungen durch entsprechendes Verhalten zu kompensieren. Ausserdem arbeite der Beschwerdeführer seit August 1993 als Informatiker beim gleichen Industriebetrieb, weshalb ihm in Anbetracht dieser Dauer des Arbeitsverhältnisses die räumlichen Gegebenheiten am Arbeitsplatz vertraut seien.
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5.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, bei seiner Sehbehinderung handle es sich um eine massive Einschränkung. Insbesondere das Treppensteigen sei für ihn mit einer Beinprothese sehr schwer. Hinzu komme das fehlende Stereosehen und das eingeschränkte Sichtfeld. Da die Genium-Prothese schneller und einfacher unter Kontrolle zu bringen sei und weniger Kraftaufwand erfordere, ermögliche nur sie ihm ein abruptes Stehenbleiben oder Ausweichen von Hindernissen. Das Treppensteigen mit zusätzlichen Gewichten könne er nur mit dem Genium-Kniegelenk einigermassen gefahrlos bewältigen. Aufgrund der erheblichen Sehbehinderung hätten bereits die Ärzte der Klinik C.________ die Kostengutsprache für dieses Modell empfohlen. Die Versorgung mit der Genium-Kniegelenkprothese sei notwendig und verhältnismässig und erfülle die Kriterien der Einfachheit und Zweckmässigkeit. Im Gegensatz dazu könne das gesetzliche Ziel der beruflichen Eingliederung mit dem C-Leg4-Modell nicht erreicht werden.
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Erwägung 6
 
6.1. Die Vorinstanz traf keine Feststellungen zur medizinischen Indikation der Genium-Kniegelenkprothese. Um beurteilen zu können, ob grundsätzlich Anspruch auf dieses Modell besteht, ist die Stellungnahme von medizinischen Fachpersonen indes zu berücksichtigen. Mithin hat das kantonale Gericht den Sachverhalt unvollständig ermittelt (vgl. E. 1.1 hievor). Da die Sachlage liquid ist, kann das Bundesgericht den Sachverhalt selber ergänzen (BGE 136 V 362 E. 4.1 S. 366 f.).
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6.2. Die Ärzte der Klinik C.________ berichteten am 11. April, 14. Juli sowie am 26. August 2015, die Seheinschränkung (vgl. E. 5.1 hievor) sei medizinisch bedeutsam. Der Versicherte habe im beruflichen Alltag deutlich erhöhte Anforderungen an seine Mobilität zu erfüllen. Er müsse in der Lage sein, ohne zusätzliche Gehhilfen mit einer funktionierenden Oberschenkelprothese mehrfach täglich Treppen sicher überwinden zu können. Dabei habe er zum Teil Gegenstände zu tragen, welche ihm die Sicht auf den zu gehenden Weg verdecken würden. Zusätzlich setze der Arbeitsplatz ein sicheres Rückwärtsgehen voraus. Er müsse dies alles ohne binokulares Tiefensehen bewältigen. Trotz seiner körperlichen Einschränkungen biete er gute Voraussetzungen, in sein berufliches Umfeld zurückkehren zu können. Die erhöhten Anforderungen an Mobilität und Gangsicherheit könne der Versicherte jedoch nur mit einer Oberschenkelprothese mit einem elektronisch gesteuerten Kniegelenk Genium erfüllen.
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7. Das Bundesgericht verneinte bisher einen Anspruch auf Hilfsmittelversorgung durch eine Genium-Kniegelenkprothese (vgl. Urteil 9C_457/ 2016 vom 13. Februar 2017; bereits zitierte Urteile 8C_52/2016 und 8C_279/2014). Eine kostengünstigere Variante  (C-Leg-System oder eine mechanische Prothese) deckte die Eingliederungsbedürfnisse der Versicherten in den genannten Entscheiden jeweils vollständig ab. Hingegen steht beim Beschwerdeführer eine Mehrfachbehinderung im Vordergrund (vgl. E. 5.1 hievor), welche es zu beachten gilt. Soweit die IV-Stelle bestreitet, dass der Beschwerdeführer an einer Sehbehinderung mit massiver Einschränkung leidet, widerspricht dies den Angaben der Klinik C.________. Es bleibt zu prüfen, was sich aus den Feststellungen der Vorinstanz mit Blick auf die mehrfache gesundheitliche Einschränkung für die streitige Rechtsfrage (E. 3 hievor) ergibt.
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Erwägung 7.1
 
7.1.1. Nach dem Gesagten (vgl. E. 5.1 und 6.2 hievor) muss sich der Beschwerdeführer ihm Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit unter anderem in der Produktionsstätte aufhalten, sich auf unebenem Boden bewegen sowie Treppen steigen und dabei gelegentlich EDV-Komponenten herumtragen. Hierfür ist er aufgrund seiner Seheinschränkung auf eine Prothese angewiesen, die seinen erhöhten Anforderungen an Mobilität und Gangsicherheit entspricht. Gemäss der Klinik C.________ kann dies nur die Genium-Kniegelenkprothese erfüllen. Dem Beschwerdeführer muss es im Rahmen der beruflichen Tätigkeit als EDV-Verantwortlicher möglich sein, seine Arbeiten alleine zu verrichten. Sofern er hierbei, wie von der Vorinstanz erwogen, beim Herumtragen von Geräten auf die Mithilfe der Mitarbeiter zurückgreifen können sollte, läge keine genügende Eingliederung im Rahmen der bisherigen Tätigkeit vor, weil eine solche ständige begleitende Hilfeleistung in den heutzutage vorherrschenden betrieblichen Verhältnissen nicht verlangt und in Anschlag gestellt werden kann.
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7.1.2. Die Vorinstanz erwog im Weiteren, allenfalls könne der Beschwerdeführer einen Transportwagen oder einen Rucksack für das Herumtragen von Geräten benutzen. Jedoch ist ein Transportwagen beim Überwinden von Treppen nicht nützlich. Auch können nicht sämtliche EDV-Komponenten in einem Rucksack verstaut werden. Ferner hat der Beschwerdeführer steile Treppen ohne Treppengeländer zu überwinden. Soweit das kantonale Gericht dies als einen Werkmangel sieht und die Montage eines Handlaufs als zweckmässigere und kostengünstigere Lösung als die Versorgung mit der Oberschenkelprothese des Typs Genium erachtet, greift das zu kurz: Wenn der Beschwerdeführer Geräte beim Treppensteigen tragen muss, kann er den Handlauf nicht benutzen. Daran ändert die Feststellung der Vorinstanz nichts, der Beschwerdeführer arbeite überwiegend in sitzender Position. Denn es verbleibt jener unerlässliche Teil seiner beruflichen Tätigkeit, welchen er im genannten Umfeld (vgl. E. 7.1.1 hievor) selbständig zu bewältigen hat.
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7.1.3. Die Abgabe einer Oberschenkel-Prothese mit Genium-Kniegelenk ist insofern für die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers notwendig und geeignet (Art. 8 Abs. 1 IVG), als dieser seine bisherige Arbeitsstelle als EDV-Verantwortlicher insbesondere auch mit Blick auf die ärztlich klar ausgewiesene Indikation (vgl. E. 6.2 hievor) nach dem Gesagten auf Dauer nur mehr mit einer Beinprothese mit integriertem Kniegelenk der neuen Generation weiter versehen kann. Der Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen steht denn auch den bereits eingegliederten Versicherten zu, wenn die Massnahmen notwendig und geeignet sind, die (teilweise wiedergewonnene) Erwerbsfähigkeit zu verbessern oder zu erhalten (MEYER/ REICHMUTH, a.a.O., N. 10 zu Art. 8 IVG mit Hinweis; vgl. hierzu auch Art. 17 Abs. 2 IVG, wonach bei der beruflichen Massnahme der Umschulung die Wiedereinschulung in den bisherigen Beruf einer Umschulung in eine neue Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist).
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7.2. Die persönliche Angemessenheit ist erfüllt: Prospektiv war im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung im April 2015 zu erwarten, dass der Beschwerdeführer mit dem anbegehrten Hilfsmittel keine Schwierigkeiten bekunden werde (vgl. BGE 110 V 99 E. 2 S. 102 zur prognostischen Beurteilung in der Invalidenversicherung; MEYER/REICHMUTH, a.a.O., N. 26 zu Art. 8 IVG). Der Umstand, dass die Abgabe einer Beinprothese mit dem Genium-Kniegelenk den Versicherten in die Lage versetzt, seine gehintensive berufliche Tätigkeit unter anderem auf unebenem Boden sowie das Treppensteigen mit Herumtragen von EDV-Komponenten in Kombination mit seiner Sehbehinderung in bis anhin gewohnter Weise weiter auszuüben, führt zur Bejahung eines hinreichenden Masses an Eingliederungswirksamkeit der Genium-Versorgung (sachliche Angemessenheit).
22
7.3. 
23
7.3.1. In Bezug auf die finanzielle Angemessenheit ist vorab an die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu erinnern, wonach der Umstand, dass die beantragte Versorgung mit der Genium-Kniegelenkprothese nicht im Tarifvertrag mit dem Schweizerischen Verband der Orthopädie-Techniker (SVOT) vorgesehen ist, nicht zur Anspruchsverweigerung führt. Denn der Tarifvertrag vermag den sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch zwischen der versicherten Person und dem Versicherer nicht rechtswirksam zu beschränken (BGE 141 V 30 E. 3.2.3 S. 34; 132 V 215 E. 4.3.3 S. 226; 130 V 163 E. 4.3.2 S. 172 f. mit Hinweisen).
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7.3.2. Die einfache und zweckmässige Hilfsmittelversorgung muss zeitgemäss sein. Die Invalidenversicherung kann sich der fortlaufenden Entwicklung im Bereich der technisch-orthopädischen Versorgungsmöglichkeiten, die in einzelnen bestimmten Fällen eine erheblich bessere Eingliederung gewährleisten, nicht verschliessen (BGE 132 V 215 E. 4.3.3 S. 227). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hatte im soeben zitierten Entscheid jedoch in E.4.3.4 erkannt, den Einsatz des C-Leg-Kniegelenksystems auf jene Fälle zu beschränken, in denen ein besonders gesteigertes Eingliederungsbedürfnis nachgewiesen ist. Es wird folglich verlangt, dass die Versorgung mit einem C-Leg-Kniegelenk im konkreten Fall berufsbedingt notwendig ist (vgl. auch BGE 141 V 30 E. 3.2.3 S. 34 f.; bereits zitiertes Urteil 9C_457/2016 E. 2.2). Daran ist auch in Bezug auf die Genium-Prothese festzuhalten.
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Im vorliegenden Fall besteht das besonders gesteigerte Eingliederungsbedürfnis in der speziellen beruflichen Anforderung an die Gehfähigkeit in der Produktionsstätte und dem Treppensteigen mit Herumtragen von EDV-Geräten in Kombination mit der limitierenden Seheinschränkung. Der Beschwerdeführer ist nur mehr mit einer Oberschenkel-Prothese Typ Genium in der Lage, den mit seiner langjährigen beruflichen Stellung verbundenen Aufgaben weiterhin uneingeschränkt nachzukommen, steht doch eine gleichwertige ausserbetriebliche Eingliederung nicht zur Diskussion. Nach dem Gesagten erscheinen die zusätzlichen Kosten von rund Fr. 14'000.-, welche die Abgabe einer Genium-Kniegelenkprothese im vorliegenden Fall mit sich bringt, als finanziell angemessen (BGE 132 V 215 E. 4.3.4 S. 227 f. mit Hinweisen). Die Genium-Kniegelenkprothese ist im Falle des Beschwerdeführers nicht eine bestmögliche, sondern eine seiner speziellen Mehrfachbehinderung angepasste Versorgung.
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7.4. Unter dem Blickwinkel der zeitlichen Angemessenheit muss gewährleistet sein, dass der mit einer Eingliederungsmassnahme angestrebte Erfolg voraussichtlich von einer gewissen Dauer ist. Nach Art. 8 Abs. 1
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8. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde begründet. Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf Abgabe der Genium-Kniegelenkprothese zu Lasten der Invalidenversicherung.
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9. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Diese hat dem obsiegenden Beschwerdeführer überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 17. August 2016 und die Verfügung der IV-Stelle Bern vom 19. Mai 2016 werden aufgehoben. Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine Oberschenkel-Prothese mit Genium-Kniegelenk zu Lasten der Invalidenversicherung.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
 
3. Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
 
4. Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, zurückgewiesen.
 
5. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 20. Juni 2017
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Pfiffner
 
Die Gerichtsschreiberin: Huber
 
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