BGer 9C_621/2016 | |||
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BGer 9C_621/2016 vom 21.06.2017 | |
9C_621/2016
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Urteil vom 21. Juni 2017 |
II. sozialrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
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Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless,
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Gerichtsschreiber R. Widmer.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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vertreten durch Fürsprecher Peter Stein,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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IV-Stelle des Kantons Zürich,
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Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
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Beschwerdegegnerin,
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Stadt Zürich Sozialzentrum Hönggerstrasse, Quartierteam Wipkingen / Höngg,
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Hönggerstrasse 24, 8037 Zürich.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
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vom 30. Juni 2016.
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Sachverhalt: | |
A. Mit Verfügung vom 11. April 2012 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich dem 1980 geborenen A.________ vom 1. Mai bis 30. September 2010 eine ganze, ab 1. Oktober 2010 eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung zu. In Gutheissung der hiegegen eingereichten Beschwerde stellte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich fest, dass A.________ ab 1. November 2008 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente habe (Entscheid vom 11. Juni 2013). In der Folge passte die IV-Stelle die Invalidenrente von A.________ und die Kinderrente für seine Tochter rückwirkend auf den 1. November 2008 an.
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Mit Verfügung vom 13. Dezember 2013 verrechnete die IV-Stelle Leistungen des Amtes für Zusatzleistungen der Stadt Zürich (AZL) im Betrag von Fr. 10'201.-, Leistungen des Versicherten von Fr. 5'786.- sowie Rückforderungen in der Höhe von Fr. 16'725.- mit Rentennachzahlungen an dessen Tochter B.________ (Kinderrente zur Invalidenrente des Vaters) für den Zeitraum vom 1. November 2008 bis 30. November 2013.
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Am 13. Dezember 2013 erliess die IV-Stelle eine weitere Verfügung. Mit dieser verrechnete sie Leistungen des AZL im Betrag von Fr. 11'366.-, der SWICA Gesundheitsorganisation im Betrag von Fr. 21'909.80 sowie Leistungen des Sozialdepartements der Stadt Zürich in der Höhe von Fr. 1'663.25 sowie Rückforderungen im Betrag von Fr. 41'829.- mit Rentennachzahlungen für die Zeit vom 1. November 2008 bis 30. November 2013.
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B. A.________ führte gegen beide Verfügungen beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde. Betreffend die erste Verfügung beantragte er, die Nachzahlung der Kinderrente sei an ihn auszurichten, die durch ihn bevorschussten Alimente (von Fr. 5'786.-) seien zu verzinsen und die für November und Dezember 2013 durch ihn bevorschussten Kinderrenten von je Fr. 260.- seien bei den Nachzahlungen zu berücksichtigen. Die zweite Verfügung vom 13. Dezember 2013 focht der Versicherte an mit dem Rechtsbegehren, es sei auf die Verrechnungen zu verzichten.
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Mit Verfügung vom 19. Juni 2014 vereinigte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die beiden Verfahren. Mit Verfügung vom 22. März 2016 wurde die Stadt Zürich, Sozialdepartement, Soziale Dienste, zum Verfahren beigeladen. Mit Entscheid vom 30. Juni 2016 hob das Sozialversicherungsgericht die Verfügung der IV-Stelle vom 13. Dezember 2013 betreffend Nachzahlung der Kinderrente auf und stellte fest, dass der Nachzahlungsbetrag von Fr. 6'250.- an den Versicherten statt an die Mutter von B.________ auszurichten und zu verzinsen sei. Des Weiteren sei dieser Betrag um die Vorschussleistung des Versicherten zu erhöhen. Die Beschwerde gegen die Verfügung betreffend Nachzahlung der Hauptrente hiess das Sozialversicherungsgericht ebenfalls teilweise gut, soweit darin auf Auszahlung von Fr. 1'663.25 an die zum Verfahren beigeladene Stadt Zürich geschlossen wurde. Der dem Versicherten auszubezahlende Betrag von Fr. 21'889.95 erhöhte es um Fr. 1'663.25 auf insgesamt Fr. 23'553.20. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
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C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, die Sache sei unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides zu neuer Beurteilung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Ferner ersucht er um die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege.
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Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen: | |
1. Der vorinstanzliche Entscheid ist insoweit, als damit die Beschwerde des Versicherten teilweise gutgeheissen wurde, unangefochten geblieben. Streitig und zu prüfen ist die Gesetzmässigkeit des angefochtenen Entscheides aufgrund des Rechtsbegehrens und der Vorbringen des Beschwerdeführers einzig in Bezug auf die Zulässigkeit der Verrechnung der Invalidenrentennachzahlungen mit den von verschiedenen Versicherungsträgern erbrachten Leistungen. Es handelt sich dabei um Krankengelder der SWICA von März 2009 bis Juli 2010, Forderungen des AZL der Stadt Zürich und Verrechnungen mit der Hauptrente des Beschwerdeführers. Mittels der genannten Verrechnungen hat die Vorinstanz laut Auffassung des Beschwerdeführers entsprechend der Aufstellung in der Beschwerde in sein Existenzminimum eingegriffen; der angefochtene Gerichtsentscheid sei deshalb bundesrechtswidrig.
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Erwägung 2 | |
2.1. Art. 20 Abs. 2 AHVG, laut Art. 50 Abs. 2 IVG auch in der Invalidenversicherung anwendbar, statuiert die allgemeine Verrechenbarkeit von Beitragsforderungen, Leistungen und Leistungsrückforderungen unter anderem der AHV, Invalidenversicherung, von Ergänzungsleistungen, der obligatorischen Unfallversicherung und der Krankenversicherung mit fälligen Leistungen.
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Die zweigintern und zweigübergreifend zulässige Verrechnung von Leistungen und Forderungen kann sich sowohl auf laufende Renten als auch auf Rentennachzahlungen beziehen (BGE 136 V 286 E. 4.1 S. 288). Sie darf indessen den nach betreibungsrechtlichen Regeln zu ermittelnden Notbedarf des Versicherten nicht beeinträchtigen (BGE 136 V 286 E. 6.1 S. 291; 131 V 249 E. 1.2 S. 252). Dabei stellt sich nach der Rechtsprechung die Frage der Zulässigkeit der Verrechnung unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums nicht nur bei einer laufenden, monatlich ausgerichteten Rente, sondern auch bei Rentennachzahlungen, weil auch diese zum Zweck haben, den Existenzbedarf der versicherten Person zu decken (Art. 34quater Abs. 2 Satz 3 aBV; Art. 112 Abs. 2 lit. b BV), und zwar in jener Zeitspanne, für welche sie nachbezahlt werden (BGE 136 V 286 E. 6.2 S. 291; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 305/03 vom 15. Februar 2005 E. 4; vgl. auch Urteil I 141/05 vom 20. September 2006 E. 5.3.1).
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2.2. Die Schranke des Existenzminimums gilt indessen nicht in Fällen, in welchen die bevorschussende Fürsorgebehörde vom Sozialversicherer die Überweisung der Rentenleistungen für einen Zeitraum verlangt, für welchen sie die versicherte Person unterstützt hat, weil die versicherte Person sonst mit der Berufung auf das Existenzminimum die Auszahlung in diesem Umfang an sich selbst verlangen könnte und damit zweimal in den Genuss von Leistungen käme (BGE 121 V 17 E. 4d S. 26; SVR 2007 BVG Nr. 15 S. 49, B 63/05 E. 3.2). Wie das Bundesgericht unlängst entschieden hat, steht einer Verrechnung das betreibungsrechtliche Existenzminimum auch nicht entgegen, wenn die versicherte Person in der Vergangenheit von der Fürsorgebehörde während einer Zeitspanne unterstützt worden ist, für welche später Renten nachbezahlt werden, die Verrechnung jedoch nicht mit der Sozialbehörde, sondern mit einem anderen Zweig der Sozialversicherung zur Diskussion steht, dessen Anspruch jenem der Fürsorgebehörde vorgeht (BGE 136 V 286). Zur Begründung wurde unter anderem angeführt, dass der Schutz des Existenzminimums sich an Art. 125 Ziff. 2 OR anlehnt, wonach Verpflichtungen, deren besondere Natur die tatsächliche Erfüllung an den Gläubiger verlangt, wie Unterhaltsansprüche und Lohnguthaben, die zum Unterhalt des Gläubigers und seiner Familie unbedingt erforderlich sind, nicht durch Verrechnung getilgt werden können (vgl. auch BGE 130 V 505 E. 2.4 S. 510). Diese Bestimmung will - wie jene des Art. 93 Abs. 1 SchKG - einzig vermeiden, dass jemand durch die Verrechnung tatsächlich ins Elend gestossen wird, was nicht der Fall ist, wenn es um eine nachträgliche Beurteilung für einen Zeitraum geht, für welchen Sozialhilfe ausgerichtet worden ist (BGE 136 V 286 E. 8.2 S. 293; SZS 2011 S. 514).
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2.3. Art. 85bis Abs. 1 IVV bestimmt sodann, dass Arbeitgeber, Einrichtungen der beruflichen Vorsorge, Krankenversicherungen, öffentliche und private Fürsorgestellen oder Haftpflichtversicherungen mit Sitz in der Schweiz, welche im Hinblick auf eine Rente der Invalidenversicherung Vorschussleistungen erbracht haben, verlangen können, dass die Nachzahlung dieser Rente bis zur Höhe ihrer Vorschussleistung verrechnet und an sie ausbezahlt wird. Vorbehalten bleibt die Verrechnung nach Art. 20 AHVG. Nach Art. 85bis Abs. 3 AHVV darf die Nachzahlung der bevorschussenden Stelle höchstens im Betrag der Vorschussleistung und für den Zeitraum, in welchem diese erbracht worden ist, ausbezahlt werden.
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Erwägung 3 | |
3.1. Aus diesen Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen sowie der hiezu ergangenen Rechtsprechung folgt ohne weiteres, dass der Verrechnung der nachbezahlten Rentenbetreffnisse der Invalidenversicherung an den Beschwerdeführer mit den vorschussweise bezahlten Krankengeldern der SWICA, Leistungen des AZL der Stadt Zürich wie auch der Nachzahlung der Hauptrente aus rechtlicher Sicht nichts entgegensteht, da die Verrechnung einen Zeitraum beschlägt, in welchem die Behörde und die Versicherungsträger dem Beschwerdeführer mindestens mit Beträgen in der zurückgeforderten Höhe unterstützt haben, weshalb die Schranke des Existenzminimums nicht gilt.
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3.2. Die Beschwerdegegnerin stellt keine Anträge, die über die Abweisung der Beschwerde hinausgehen. Sie erhebt jedoch Einwendungen hinsichtlich der Nachzahlung der Kinderrente in der Höhe von Fr. 6'250.- zuzüglich eines Zinses und der Unterhaltsbeiträge an den Beschwerdeführer sowie der Direktauszahlung der Rentennachzahlung an das Sozialamt, welche laut Vernehmlassung entgegen dem angefochtenen Entscheid zulässig gewesen sei, obwohl dessen Forderung der Höhe nach bestritten war. Auf diese in der Vernehmlassung erörterten Punkte hat das Bundesgericht nicht einzugehen. Die IV-Stelle hat selbst nicht Beschwerde geführt, und das bundesgerichtliche Verfahren kennt das Institut der Anschlussbeschwerde nicht (BGE 134 III 332 E. 2.5 S. 335; in BGE 141 V 5 nicht publizierte E. 2 des Urteils 8C_446/2014 vom 12. Januar 2015).
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4. Dem Gesuch des unterliegenden und daher grundsätzlich kostenpflichtigen Beschwerdeführers (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG) um unentgeltliche Rechtspflege ist stattzugeben, da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der Beschwerdeführer wird indessen auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht. Danach hat er der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn er später dazu in der Lage ist.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.
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3. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.
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4. Fürsprecher Peter Stein wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.
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5. Dieses Urteil wird den Parteien, der Stadt Zürich Sozialzentrum Hönggerstrasse, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 21. Juni 2017
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Pfiffner
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Der Gerichtsschreiber: Widmer
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