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Informationen zum Dokument  BGer 9C_345/2017  Materielle Begründung
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BGer 9C_345/2017 vom 30.08.2017
 
9C_345/2017
 
 
Urteil vom 30. August 2017
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
 
Gerichtsschreiberin Dormann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Rainer Braun,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 11. April 2017.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die 1971 geborene A.________ meldete sich im Oktober 2009 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens ermittelte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen einen Invaliditätsgrad von 32 %, weshalb sie mit Verfügung vom 9. Dezember 2014 einen Rentenanspruch verneinte.
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B. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 11. April 2017 gut; unter Aufhebung der Verfügung vom 9. Dezember 2014 sprach es A.________ eine halbe Invalidenrente ab 1. April 2010, eine ganze Rente vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2013 und wiederum eine halbe Rente ab 1. Januar 2014 zu.
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C. Die IV-Stelle beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, der Entscheid vom 11. April 2017 sei aufzuheben und die Verfügung vom 9. Dezember 2014 zu bestätigen. Ferner ersucht sie um aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels.
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A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung weist damit die Tragweite von Willkür auf (BGE 135 II 145 E. 8.1 S. 153). Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (vgl. BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_101/2015 vom 30. November 2015 E. 1.1). Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (Urteil 9C_753/2015 vom 20. April 2016 E. 1).
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Erwägung 2
 
2.1. Die Vorinstanz hat dem interdisziplinären Gutachten des Zentrums für Medizinische Begutachtung (ZMB) vom 15. Juli 2014 Beweiskraft beigemessen und gestützt darauf festgestellt, dass die Versicherte operationsbedingt vom 23. März bis zum 30. September 2009 und vom 1. April bis zum 30. September 2013 zu 100 % arbeitsunfähig gewesen sei. Vom 1. Oktober 2009 bis zum 31. März 2013 und seit dem 1. Oktober 2013 habe die Arbeitsfähigkeit in angepassten Tätigkeiten 50 % betragen. Den Invaliditätsgrad hat sie auf 100 % resp. höchstens 59 % festgelegt. Folglich hat sie einen Anspruch auf eine halbe resp. - vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2013 (vgl. Art. 88a Abs. 1 und 2 IVV [SR 831.201]) - eine ganze Invalidenrente bejaht.
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2.2. Die Beschwerdeführerin anerkennt explizit die somatischen Aspekte des ZMB-Gutachtens und die entsprechend begründete Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von 100 % resp. 30 %. Sie macht geltend, das kantonale Gericht hätte in psychiatrischer Hinsicht eine Indikatorenprüfung gemäss BGE 141 V 281 E. 4.1.3 S. 297 f. vornehmen müssen. Im Lichte dieser Rechtsprechung seien die psychischen Beeinträchtigungen nicht invalidisierend, weshalb lediglich die somatisch begründete Einschränkung der Arbeitsfähigkeit (d.h. 30 % statt 50 %) berücksichtigt werden könne. Zudem seien die somatisch und psychisch ausgewiesenen Teilarbeitsunfähigkeiten von 30 % und 20 % nicht einfach zu addieren. Schliesslich hält sie bei der Invaliditätsbemessung resp. bei der Festlegung des Invalideneinkommens einen Abzug vom Tabellenlohn für unzulässig.
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Erwägung 3
 
3.1. Bei der Beurteilung der Arbeits (un) fähigkeit stützt sich die Verwaltung und im Beschwerdefall das Gericht auf Unterlagen, die von ärztlichen und gegebenenfalls auch anderen Fachleuten zur Verfügung zu stellen sind. Ärztliche Aufgabe ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte Person arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Experten begründet sind (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis).
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Geht es um eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung oder ein damit vergleichbares psychosomatisches Leiden (vgl. BGE 140 V 8 E. 2.2.1.3 S. 13 f.), sind für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit systematisierte Indikatoren beachtlich, die - unter Berücksichtigung leistungshindernder äusserer Belastungsfaktoren einerseits und Kompensationspotentialen (Ressourcen) anderseits - erlauben, das tatsächlich erreichbare Leistungsvermögen einzuschätzen (BGE 141 V 281 E. 2 S. 285 ff., E. 3.4-3.6 und 4.1 S. 291 ff.). Gemäss altem Verfahrensstandard (BGE 130 V 352) eingeholte Gutachten verlieren nicht per se ihren Beweiswert. Vielmehr ist im Rahmen einer gesamthaften Prüfung des Einzelfalls mit seinen spezifischen Gegebenheiten und den erhobenen Rügen entscheidend, ob ein abschliessendes Abstellen auf die vorhandenen Beweisgrundlagen vor Bundesrecht standhält (BGE 141 V 281 E. 8 S. 309).
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3.2. Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), welche das Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (E. 1). Dagegen ist die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil I 865/06 vom 12. Oktober 2007 E. 4 mit Hinweisen), die das Bundesgericht im Rahmen der den Parteien obliegenden Begründungs- bzw. Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254) frei überprüfen kann (Art. 106 Abs. 1 BGG).
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Erwägung 3.3
 
3.3.1. Der psychiatrische Gutachter bezeichnete in seinen Ausführungen die Arbeitsfähigkeit der Versicherten als "partiell eingeschränkt" und verwies im Übrigen auf die Gesamtbeurteilung. In der interdisziplinären Gesamtwürdigung wurde der psychiatrischen Komponente eine mit 20 % gewichtete Einschränkung zugebilligt. Dabei hielten die Experten ausdrücklich fest, dass sie additiv zur somatisch begründeten Einschränkung zum Tragen komme und die Arbeitsunfähigkeit insgesamt 50 % betrage. Damit stellten sie klar, dass nach ihrer konsensualen Einschätzung die psychiatrischen Entlastungserfordernisse nicht bereits durch die (somatische) Arbeitsunfähigkeit von 30 % abgedeckt waren, sondern mit zusätzlichen 20 % resp. gesamthaft mit 50 % zu Buche schlugen. Von einer "einfachen Addition" verschiedener Teilarbeitsunfähigkeiten (vgl. Urteil 8C_660/2016 vom 29. Dezember 2016 E. 5.3.1; SVR 2008 IV Nr. 15 S. 43, I 514/06 E. 2.1) kann unter diesen Umständen nicht gesprochen werden.
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3.3.2. Zwar äusserte sich das kantonale Gericht nicht explizit zum "Schweregrad der Gesundheitsschädigung", zum "sozialen Kontext" und zur "Konsistenz". Indessen hat es - nach Zusammenfassung der entsprechenden Ausführungen des ZMB-Gutachters - festgehalten, die psychiatrisch attestierte Arbeitsunfähigkeit berücksichtige bereits die massgeblichen Indikatoren gemäss BGE 141 V 281; es sei nicht ersichtlich, dass wesentliche Punkte unbeachtet geblieben seien. Somit war in dieser Hinsicht eine sachgerechte Anfechtung des vorinstanzlichen Entscheids möglich (vgl. Urteil 9C_8/2017 vom 20. Juni 2017 E. 4.1 mit Hinweisen).
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3.3.3. Was die Beschwerdeführerin gegen die Beweiskraft des ZMB-Gutachtens vorbringt, hält nicht stand. Das auch von ihr anerkannte tiefe Aktivitätsniveau und die (damit korrelierenden) festgestellten Schmerzen, "Blockaden" und "pseudoneurologischen Phänomene" konnten die Experten nur teilweise organisch erklären, weshalb sie mehrfach auf zusätzliche nichtorganische Komponenten resp. psychosomatische Überlagerungen verwiesen. Unter dem Indikator "Komorbiditäten" ist eine Gesamtbetrachtung der Wechselwirkungen und sonstigen Bezüge der Schmerzstörung - resp. der hier diagnostizierten dissoziativen Störung, gemischt (Konversionsstörung; ICD-10: F44.7) - zu sämtlichen begleitenden krankheitswertigen Störungen erforderlich (BGE 141 V 281 E. 4.3.1.3 S. 301). Damit ist in psychiatrischer Hinsicht insbesondere sowohl den somatischen Diagnosen, die immerhin eine Arbeitsunfähigkeit von 30 % bewirken, als auch der (unabhängig vom psychosomatischen Leiden bestehenden) rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig leichte Episode; ICD-10: F33.9) Rechnung zu tragen. Sodann kann allein aus der Empfehlung, die psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung weiterzuführen, nicht auf fehlende Therapieresistenz (vgl. BGE 141 V 281 E. 4.3.1.3 S. 299 f.) geschlossen werden. Neben den Rückenoperationen sind denn auch ein stationärer Aufenthalt in der Klinik Valens und eine regelmässige ambulante psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung seit Juli 2012 aktenkundig, und der psychiatrische Experte bezeichnete einzig die somatischen (Operations-) Resultate "per se als befriedigend". Mit Bezug auf den Indikator "Persönlichkeit" (vgl. BGE 141 V 281 E. 4.3.2 S. 302) diagnostizierte der psychiatrische Gutachter histrionisch akzentuierte Persönlichkeitszüge (ICD-10: Z73.1), die es zu berücksichtigen gilt. Was schliesslich den "sozialen Kontext" (vgl. BGE 141 V 281 E. 4.3.3 S. 303) anbelangt, so besteht zwar eine gute Beziehung zum Ehemann und zu den beiden Töchtern, was als Ressource zu werten ist. Von anderen sozialen Kontakten hingegen zog sich die Versicherte weitgehend zurück, weshalb der Gutachter einen partiellen Rückzug feststellte. Unter den genannten Aspekten wird die gutachterliche Einschätzung einer Restarbeitsfähigkeit von 50 % nicht ernsthaft erschüttert. Es besteht kein Anlass für eine weitere Überprüfung der Beweiskraft des ZMB-Gutachtens von Amtes wegen (E. 3.2 in fine). Auch in materielrechtlicher Hinsicht verletzt die Anerkennung einer 20%-igen Arbeitsunfähigkeit resultierend aus den erwähnten psychischen und psychosomatischen Leiden kein Bundesrecht (vgl. BGE 140 V 193).
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3.4. Dass die vorinstanzliche Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellungen offensichtlich unrichtig sein sollen, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht, weshalb sie für das Bundesgericht verbindlich bleiben (E. 1).
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3.5. Bei diesem (Zwischen-) Ergebnis kann offenbleiben, ob für die Festsetzung des Invalideneinkommens - bei einer Arbeitsfähigkeit von 50 % - ein Abzug vom Tabellenlohn (vgl. BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301; 126 V 75 E. 5b/aa-cc S. 80) angezeigt ist: Die Vorinstanz hat dargelegt, dass auch ohne einen solchen der Invaliditätsgrad 51,4 % beträgt, was Anspruch auf eine halbe Rente gibt (Art. 28 Abs. 2 IVG). Die Beschwerde ist unbegründet.
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4. Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegenstandslos.
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5. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegegnerin hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.- zu entschädigen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 30. August 2017
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Pfiffner
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann
 
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