BGer 5A_344/2017 | |||
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BGer 5A_344/2017 vom 02.10.2017 | |
5A_344/2017
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Urteil vom 2. Oktober 2017 |
II. zivilrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter von Werdt, Präsident,
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Bundesrichter Marazzi, Schöbi,
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Gerichtsschreiber Sieber.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Michael Gehring,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden, Verwaltungsabteilung,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Unentgeltliche Rechtspflege (persönlicher Verkehr),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Nidwalden, Verwaltungsabteilung, vom 27. Februar 2017 (VA 16 18).
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Sachverhalt: | |
A. A.________ mit Wohnsitz in Deutschland und B.________ mit Wohnsitz in der Schweiz sind die Eltern von C.________. Am 19. Juli 2016 stellte die KESB Nidwalden fest, örtlich und sachlich zuständig für die Anordnung von Schutzmassnahmen nach Art. 3 des Übereinkommens über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Massnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 (Haager Kindesschutzübereinkommen, HKsÜ; SR 0.211.231.011) zu sein. Sie regelte das Besuchsrecht des Kindsvaters und sistierte den Entscheid betreffend "Festlegung des Aufenthaltsortes und Zuteilung der Obhut" bis zum Abschluss des in Deutschland von B.________ anhängig gemachten Verfahrens zur Rückführung des Kindes. Der Antrag betreffend Gewährung von unentgeltlicher Rechtspflege der Kindsmutter blieb einem separaten Entscheid vorbehalten.
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B. Gegen den Entscheid der KESB wandte sich A.________ mit Beschwerde vom 29. Juli 2016 an das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden. Mit Entscheid vom 27. Februar 2017 (Verfahren 16 18; eröffnet am 24. März 2017) schrieb das Verwaltungsgericht die Beschwerde zufolge Gegenstandslosigkeit ab (Urteilsdispositiv, Ziff. 1), nachdem das Amtsgericht Karlsruhe am 26. Oktober 2016 den Rückführungsantrag des Kindsvaters zurückgewiesen hatte. Das Verwaltungsgericht auferlegte die amtlichen Kosten von pauschal Fr. 1'800.-- je hälftig A.________ und B.________ (Urteilsdispositiv, Ziff. 3), schlug die Parteikosten wett (Urteilsdispositiv, Ziff. 4) und widerrief rückwirkend die der Beschwerdeführerin mit Entscheid vom 5. August 2016 (Verfahren 16 13) erteilte unentgeltliche Rechtspflege (Urteilsdispositiv, Ziff. 2).
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 4. Mai 2017 wendet sich A.________ (Beschwerdeführerin) an das Bundesgericht. Sie stellt die folgenden Rechtsbegehren:
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"1. Ziffer 2 des Dispositivs des Entscheids vom 27. Februar 2017 der Verwaltungsabteilung des Verwaltungsgerichts des Kantons Nidwalden (VA 16 18) sei aufzuheben.
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2.1 Der mit Entscheid vom 5. August 2016 der Verwaltungsabteilung des Verwaltungsgerichts des Kantons Nidwalden (P 16 13) ernannte unentgeltliche Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin, Rechtsanwalt Michael Gehring, sei für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden [...] VA 16 18 angemessen zu entschädigen.
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2.2 Eventualiter sei die Angelegenheit für die Festlegung der angemessenen Entschädigung des Offizialanwaltes an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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3. Ziffer 3 Absatz 2 des Dispositivs des Entscheids vom 27. Februar 2017 der Verwaltungsabteilung des Verwaltungsgerichts des Kantons Nidwalden (VA 16 18) sei dahingehend abzuändern, als dass der Anteil der Beschwerdeführerin an den amtlichen Kosten von CHF 900.00 einstweilig vom Staat zu tragen sind."
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Für das Verfahren vor dem Bundesgericht verlangt die Beschwerdeführerin ausserdem die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
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Das zur Vernehmlassung eingeladene Verwaltungsgericht hat auf eine solche verzichtet (Schreiben vom 22. Mai 2017). Im Übrigen hat das Bundesgericht die Akten des kantonalen Verfahrens eingeholt.
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Erwägungen: | |
1. Angefochten ist der Entscheid einer letzten kantonalen Instanz, mit dem die früher erteilte unentgeltliche Rechtspflege rückwirkend widerrufen wird. Dieser Entscheid wurde nicht selbstständig eröffnet, sondern erging im Rahmen eines Abschreibungsbeschlusses. Er ist damit als Endentscheid (Art. 90 BGG) zu qualifizieren. Das Verwaltungsgericht hat den Entscheid im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens erlassen, weshalb unerheblich bleibt, dass es nicht auf Rechtsmittel hin (vgl. Art. 75 Abs. 2 BGG), sondern als einzige kantonale Instanz entschieden hat (BGE 138 III 41 E. 1.1; 137 III 424 E. 2.2). Die Hauptsache betraf die Anordnung von Kindesschutzmassnahmen im Rahmen eines laufenden Rückführungsverfahrens, womit die Beschwerde in Zivilsachen das zutreffende Rechtsmittel ist (Art. 72 Abs. 1 und Art. 72 Abs. 2 Bst. b Ziff. 7 BGG). Der Streit ist nicht vermögensrechtlicher Natur und unterliegt keiner Streitwertgrenze. Die Beschwerdeführerin hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen. Sie hat ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids (Art. 76 BGG). Auf die rechtzeitige Beschwerde (Art. 100 Abs. 1 und Art. 46 Abs. 1 Bst. a BGG) ist einzutreten.
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2. Umstritten ist, ob die Vorinstanz die mit Entscheid vom 5. August 2016 bewilligte unentgeltliche Rechtspflege rückwirkend widerrufen durfte. Die Vorinstanz begründete den Widerruf damit, dass die Beschwerdeführerin gemäss dem Beschluss des Amtsgerichtes Karlsruhe (s. Sachverhalt Bst. B) über Grundeigentum in Deutschland verfügt. Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz in erster Linie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor (Art. 29 Abs. 2 BV). Diese habe sie zur Frage ihres Grundeigentumsbesitzes in Deutschland nicht angehört. Ausserdem habe das Verwaltungsgericht den Entscheid nicht hinreichend begründet. Im Übrigen sei bereits der Vorinstanz beim Entscheid vom 5. August 2016 bekannt gewesen, dass die Beschwerdeführerin in Deutschland über Grundeigentum verfüge. Schliesslich weist die Beschwerdeführerin darauf hin, dass sie in Deutschland bloss über Miteigentum an einer Wohnung verfüge. Deren Verkauf oder zusätzliche Belastung sei nicht möglich bzw. unzumutbar. Sie habe daher weiterhin Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege.
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Erwägung 3 | |
3.1. Wegen der formellen Natur des rechtlichen Gehörs ist darüber vorweg zu befinden; Gleiches gilt für die Kritik an der Sachverhaltsermittlung, auf welcher die rechtlichen Erwägungen aufbauen (BGE 141 III 328 E. 3).
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3.2. Zur durch Art. 29 BV geschützten Verfahrensfairness gehört der in Art. 29 Abs. 2 BV besonders aufgeführte Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. RHINOW/SCHEFER/UEBERSAX, Schweizerisches Verfassungsrecht, 3. Aufl. 2016, Rz. 3040). Dieser dient der Sachaufklärung und garantiert den Verfahrensbeteiligten ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht. Sie haben insbesondere Anspruch auf Äusserung zur Sache vor Fällung des Entscheids, auf Abnahme ihrer erheblichen, rechtzeitig und formrichtig angebotenen Beweise und auf Mitwirkung an der Erhebung von Beweisen oder zumindest auf Stellungnahme zum Beweisergebnis (BGE 135 II 286 E. 5.1 S. 293; BGE 134 I 140 E. 5.3 S. 148; BGE 127 I 54 E. 2b S. 56). Voraussetzung dafür sind genügende Kenntnisse über den Verfahrensverlauf, was auf das Recht hinausläuft, in geeigneter Weise über die entscheidwesentlichen Vorgänge und Grundlagen vorweg orientiert zu werden. Dabei geht es nicht nur um formelle Abläufe wie insbesondere die Abnahme von Beweisen, sondern auch um inhaltliche Anforderungen (vgl. MICHELE ALBERTINI, Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des modernen Staates, 2000, S. 206 ff.; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 860; RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Öffentliches Prozessrecht, 3. Aufl. 2014, Rz. 318; GEROLD STEINMANN, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Ehrenzeller und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2014, N. 45 zu Art. 29 BV). Eine Ausnahme kann nur für solche Verfahrensschritte gelten, die unaufschiebbar sind oder von der Natur her eine vorgängige Ankündigung ausschliessen, weil sie diesfalls gar nicht erfolgreich sein könnten, wie dies etwa für Überwachungen oder verdeckte Ermittlungen im Strafverfahren zutreffen kann (BGE 140 I 99 E. 3.4 S. 102 f.).
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3.3. Im konkreten Fall steht fest, dass der Beschwerdeführerin mit Entscheid vom 5. August 2016 die unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren vor der Vorinstanz gewährt und Rechtsanwalt Michael Gehrig zum unentgeltlichen Rechtsvertreter ernannt worden ist. Dieser Entscheid ist unangefochten geblieben. Weder dem vorinstanzlichen Urteil noch den Akten lässt sich entnehmen, dass die Vorinstanz je ein Widerrufsverfahren eröffnet hätte. Entsprechend wurde der Beschwerdeführerin auch keine Gelegenheit geboten, sich zum beabsichtigten Widerruf der erteilten unentgeltlichen Rechtspflege zu äussern. Die Beschwerdeführerin war auch nicht gehalten, sich von sich aus zu einem möglichen Widerruf der erteilten unentgeltlichen Rechtspflege zu äussern. Daran ändert auch der nachträglich ergangene Beschluss des Amtsgerichtes Karlsruhe nichts, wonach die Beschwerdeführerin in Deutschland über Grundeigentum verfügt. Zu Recht erhebt die Beschwerdeführerin deshalb den Vorwurf, ihr sei im Verfahren P 16 18 in Bezug auf den Widerruf der unentgeltlichen Rechtspflege das rechtliche Gehör von der Vorinstanz verweigert worden.
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4. Steht fest, dass die Vorinstanz das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin verletzt hat, indem sie die bereits erteilte unentgeltliche Rechtspflege ex officio widerrief, kann offen bleiben, ob die Vorinstanz bereits im Zeitpunkt ihres Entscheids vom 5. August 2016 wusste (oder hätte wissen müssen), dass die Beschwerdeführerin über Grundeigentum in Deutschland verfügt. Offen bleiben kann auch, ob die Vorinstanz Art. 124c des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Nidwalden (Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRG; 265.1) richtig angewendet hat. Danach kann der oder die Vorsitzende der Rechtsmittelinstanz die unentgeltliche Rechtspflege entziehen, wenn der Anspruch darauf nicht mehr besteht oder nie bestanden hat. Schliesslich braucht sich das Bundesgericht auch nicht mit der Frage zu befassen, ob der rückwirkende Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege im Einklang mit dem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz (Art. 9 BV) steht, auf den sich die Beschwerdeführerin ebenfalls beruft.
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5. Bei diesem Ausgang des Verfahrens obsiegt die Beschwerdeführerin und der angefochtene Entscheid ist im beantragten Umfang aufzuheben. Dem Kanton sind keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Er wird aber entschädigungspflichtig (Art. 68 Abs. 1 BGG). Im Hinblick auf die aktenkundige Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin ist die Entschädigung direkt dem Rechtsvertreter auszurichten. Im Übrigen ist das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren (Art. 64 BGG) als gegenstandslos abzuschreiben.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. In Gutheissung der Beschwerde werden die Ziffer 2 und die Ziffer 3 Absatz 2 des Entscheids des Verwaltungsgerichts des Kantons Nidwalden vom 27. Februar 2017 aufgehoben und die Sache wird zur Gewährung des rechtlichen Gehörs und neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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2. Der Kanton Nidwalden hat die Beschwerdeführerin mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. Die Entschädigung ist direkt ihrem Rechtsvertreter Rechtsanwalt Michael Gehring auszurichten.
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3. Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 2. Oktober 2017
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Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: von Werdt
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Der Gerichtsschreiber: Sieber
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