VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 9C_310/2017  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 9C_310/2017 vom 27.12.2017
 
 
9C_310/2017
 
 
Urteil vom 27. Dezember 2017
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Meyer, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
 
Gerichtsschreiberin Fleischanderl.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Thomann,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
IV-Stelle Bern,
 
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung
 
(Invalidenrente; Arbeitsunfähigkeit),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
 
vom 23. März 2017 (200 16 1203 IV).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die 1978 geborene A.________ meldete sich am 24. August 2015 unter Hinweis auf die Folgen eines am 10. Januar 2015 erlittenen Unfalls ("Schleudertrauma, Bandscheibenvorfall HWS C5/6, Kopf-, Nacken-und Schulterschmerzen") bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern klärte die Verhältnisse in beruflich-erwerblicher sowie medizinischer Hinsicht ab, wobei sie insbesondere ein zuhanden der SWICA Gesundheitsorganisation erstelltes Gutachten des Dr. med. B.________, Facharzt FMH für Rheumatologie, Physikalische Medizin und Rehabilitation, vom 18. Mai 2015und eine vom Motorfahrzeughaftpflichtversicherer in Auftrag gegebene Expertise des Zentrums  C.________ AG, vom 3. März 2016 beizog. Ferner holte sie Stellungnahmen ihres Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 14. Juni und 20. Oktober 2016 ein. Gestützt darauf wurde ein Leistungsanspruch mangels invalidisierenden Gesundheitsschadens verneint (Vorbescheid vom 3. August 2016, Verfügung vom 4. November 2016).
1
B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 23. März 2017 ab.
2
C.  A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids und der Verfügung vom 4. November 2016 sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihr Leistungen bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % auszurichten. Eventualiter sei die Angelegenheit zur Vornahme weiterer Abklärungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
3
 
Erwägungen:
 
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Unter Berücksichtigung der Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft es nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind, und ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr aufgegriffen werden (BGE 134 I 65 E. 1.3 S. 67 f. und 313 E. 2 S. 315, je mit Hinweisen).
4
2. 
5
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob Bundesrecht verletzt wurde, indem die Vorinstanz die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 4. November 2016 bestätigt und einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf Leistungen verneint hat.
6
2.2. 
7
2.2.1. Im angefochtenen Entscheid wurden die gesetzlichen Bestimmungen und die von der Rechtsprechung dazu entwickelten Grundsätze, namentlich diejenigen zu den Begriffen der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und zum Rentenanspruch (Art. 28 Abs. 2 IVG), zutreffend dargelegt. Korrekt sind auch die Erwägungen zur Aufgabe des Arztes oder der Ärztin bei der Invaliditätsbemessung (BGE 140 V 193 E. 3.2 S. 195 f.; 132 V 93 E. 4 S. 99) sowie zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 137 V 210 E. 6.2.2 S. 269; 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis), insbesondere versicherungsinterner ärztlicher Abklärungen, zu denen auch die Stellungnahmen des RAD gehören (BGE 125 V 351 E. 3b/ee S. 353 f.; Urteil 9C_67/2007 vom 28. August 2007 E. 2.4, in: SVR 2008 IV Nr. 22 S. 69; vgl. auch Urteile 9C_159/2016 vom 2. November 2016 E. 2.2 f. und 8C_385/2014 vom 16. September 2014 E. 4.2.1). Darauf wird verwiesen.
8
2.2.2. Anzufügen ist, dass es sich bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der versicherten Person grundsätzlich um Entscheidungen über eine Tatfrage handelt (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), die das Bundesgericht - vorbehältlich offenkundiger Mängel - seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat. Die konkrete Beweiswürdigung stellt ebenfalls eine Tatfrage dar. Dagegen bilden die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff. und E. 4 S. 399 ff.; Urteil I 865/06 vom 12. Oktober 2007 E. 4 mit Hinweisen) wie auch die Frage nach der rechtlichen Relevanz einer attestierten Arbeitsunfähigkeit (BGE 140 V 193) frei überprüfbare Rechtsfragen.
9
3. 
10
3.1. Die Vorinstanz hat die medizinische Aktenlage umfassend wiedergegeben und sorgfältig gewürdigt. Sie ist dabei, in erster Linie gestützt auf das Gutachten des Dr. med. B.________ vom 18. Mai 2015 sowie die Stellungnahmen der RAD-Ärztin vom 14. Juni und 20. Oktober 2016, zum Schluss gelangt, es bestünden zum einen keine Hinweise auf eine psychische Erkrankung. Eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sei ebenso wenig ausgewiesen wie eine Distorsion der Halswirbelsäule. Auch liege kein äquivalentes psychosomatisches Leiden vor, insbesondere sei eine beginnende Fibromyalgie lediglich im Sinne einer Verdachtsdiagnose in Betracht gezogen worden. Bei dieser Ausgangslage erweise sich die Rechtsprechung gemäss BGE 141 V 281 zur invalidisierenden Wirkung psychosomatischer Beschwerdebilder hier als nicht einschlägig und erübrige sich die Prüfung der entsprechenden Standardindikatoren anhand eines polydisziplinären Gutachtens. Sodann seien - so das kantonale Gericht im Weiteren - auch in somatischer Hinsicht keine Anhaltspunkte für einen die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigenden Gesundheitsschaden ausgewiesen. Für zusätzliche medizinische Sachverhaltsabklärungen bleibe im Rahmen einer antizipierten Beweiswürdigung kein Raum.
11
3.2. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin sind nicht geeignet, die für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit (vgl. E. 2.2.2 hiervor) als offensichtlich unrichtig oder sonst wie bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen.
12
 
Erwägung 3.2.1
 
3.2.1.1. In der Beschwerde wird im Wesentlichen die Beweiskraft der Stellungnahmen des RAD vom 14. Juni und 20. Oktober 2016 in Frage gestellt. Die Beschwerdeführerin macht diesbezüglich eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG) bzw. eine willkürliche Beweiswürdigung durch die Vorinstanz geltend. Sie weist namentlich darauf hin, dass die behandelnden Ärzte durchwegs, auch für leidensangepasste leichte Erwerbstätigkeiten, eine zumindest teilweise beeinträchtigte Arbeitsfähigkeit annähmen. Die Feststellung der RAD-Ärztin, in einer adaptierten Beschäftigung sei von einer vollen Einsatzfähigkeit auszugehen, entbehre vor diesem Hintergrund jeglicher Begründung, zumal keine persönlichen Untersuchungen stattgefunden hätten. Die Schlussfolgerung des kantonalen Gerichts, der Einschätzung des RAD komme uneingeschränkter Beweiswert zu, sei in Missachtung der einschlägigen Rechtsprechungsgrundsätze erfolgt und verletze somit Bundesrecht. Die Vorinstanz habe die Ausführungen der RAD-Ärztin als überzeugend eingestuft, obwohl nicht bloss geringe Zweifel an deren Schlüssigkeit bestünden. Ergänzende medizinische Abklärungen seien unabdingbar.
13
3.2.1.2. Entgegen der Betrachtungsweise der Beschwerdeführerin hat das kantonale Gericht die Beweise pflichtgemäss und keineswegs willkürlich gewürdigt, indem es hinsichtlich des Grads der Arbeitsunfähigkeit auf die - u.a. die Gutachtensergebnisse des Dr. med. B.________ vom 18. Mai 2015 berücksichtigenden - Stellungnahmen des RAD abgestellt hat. Es hat die entsprechenden Angaben nicht unbesehen als massgebend erachtet, sondern vielmehr auf die Darlegungen der Verwaltungsärztin Bezug genommen, mit welchen diese sich (auch) mit den abweichenden Auffassungen der behandelnden Ärzte befasste. Die RAD-Ärztin setzte sich mit den erhobenen Befunden auseinander und nahm gestützt darauf eine Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit vor, wobei sie ein Belastbarkeitsprofil erstellte, das dem vorhandenen Krankheitsbild Rechnung trägt. Insbesondere ist, wie im angefochtenen Entscheid einlässlich erwogen wurde, der gesamte medizinische Verlauf in der Zeit seit dem Ereignis vom 10. Januar 2015 bis zur die zeitliche Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis bildenden Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 4. November 2016 hinreichend aktenkundig dokumentiert. Die Beschwerdeführerin wurde im ambulanten sowie stationären Setting therapiert, verschiedentlich konsiliarisch untersucht und zweimal begutachtet. Die RAD-Ärztin hatte sich damit zu einem im massgeblichen Beurteilungszeitraum feststehenden medizinischen Sachverhalt zu äussern, konnte sich dabei anhand der Vorakten ein lückenloses Bild vom Gesundheitszustand der Versicherten verschaffen und durfte folglich - zulässigerweise - auf eine eigene klinische Exploration verzichten (u.a. Urteil 9C_159/2016 vom 2. November 2016 E. 3.4 mit Hinweis). Die Berichte der behandelnden Ärzte wie auch das Gutachten des Zentrums C._________ AG stützten sich demgegenüber weitgehend auf die von der Versicherten geklagten Beschwerden ab, weshalb diesen mit der Vorinstanz in Bezug auf die Feststellungen zur Arbeits (un) fähigkeit bereits deswegen nicht gefolgt werden kann. Zwar bilden die Einschätzungen des RAD lediglich die allgemein-internistische Sicht ab. Da dieser aber schwergewichtig die Erkenntnisse des rheumatologischen Gutachters Dr. med. B.________ vom 18. Mai 2015 heranzog, liegt insgesamt eine umfassende und in allen Teilen überzeugende Beurteilung vor, welche die Anforderungen an beweiskräftige ärztliche Entscheidgrundlagen erfüllt und den vollen Beweis zu erbringen vermag.
14
3.2.2. Soweit die Beschwerdeführerin vorbringen lässt, die gesundheitlichen Verhältnisse seien im Zeitpunkt der Verfügung (vom 4. November 2016) noch nicht stabilisiert gewesen und deren Erlass sei daher - ohne weitere gutachtliche Abklärungen - verfrüht erfolgt, kann ihr nicht beigepflichtet werden. Den medizinischen Akten ist vielmehr zu entnehmen, dass sämtliche involvierten Ärzte der Versicherten die sukzessive Steigerung der Arbeitsfähigkeit bis zur vollständigen Wiedererlangung bescheinigt hatten (vgl. Gutachten des Dr. med. B.________ vom 18. Mai 2015 und des Zentrums C._________ AG vom 3. März 2016, Berichte der Klinik D.________ vom 1. Juni 2015, der Klinik E.________ vom 26. Oktober und 25. November 2015 sowie des Dr. med. F.________, Facharzt für Rheumatologie, vom 1. Februar und 24. März 2016). Eine nachvollziehbare Erklärung dafür, weshalb diese bis zum Verfügungszeitpunkt nicht hätte eingetreten sein sollen, geht aus den Akten nicht hervor und lässt sich auch durch weitere Beweiserhebungen im Sinne zusätzlicher medizinischer Abklärungen nicht erbringen. Das kantonale Gericht durfte deshalb in antizipierter Beweiswürdigung (vgl. hierzu BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236 f.; 124 V 90 E. 4b S. 94; Urteil 8C_352/2017 vom 9. Oktober 2017 E. 6.3) und ohne Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes darauf verzichten.
15
4. Die unterliegende Beschwerdeführerin hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 65 Abs. 1 und 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
16
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 27. Dezember 2017
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Meyer
 
Die Gerichtsschreiberin: Fleischanderl
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).