BGer 8C_629/2017 | |||
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BGer 8C_629/2017 vom 29.12.2017 |
8C_629/2017 |
Urteil vom 29. Dezember 2017 |
I. sozialrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Maillard, Präsident,
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Bundesrichter Frésard, Wirthlin,
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Gerichtsschreiber Hochuli.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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vertreten durch Advokatin Suzanne Davet,
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gegen
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IV-Stelle Basel-Stadt,
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Lange Gasse 7, 4052 Basel,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung (Invalidenrente),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 26. April 2017 (IV.2016.181).
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Sachverhalt: | |
A. A.________, geboren 1964 in Süditalien, wuchs bei ihren Grosseltern auf. Im achten Lebensjahr folgte sie ihren Eltern in die Schweiz. Nach Abschluss einer Handelsschule arbeitete sie seit 1982 - abgesehen von wenigen Unterbrüchen durch Arbeitslosigkeit - in verschiedenen Unternehmungen als kaufmännische Angestellte. 2004 verlor sie ihre letzte Arbeitsstelle und blieb arbeitslos. Seit Mai 2005 bezog sie Sozialhilfe. Am 20. Dezember 2012 meldete sie sich wegen seit 2004 anhaltender Beschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Der die Versicherte seit November 2012 psychiatrisch behandelnde Dr. med. B.________ empfahl ein Arbeitstraining, welches scheiterte. Nach erwerblichen und medizinischen Abklärungen sprach die IV-Stelle Basel-Stadt (nachfolgend: IV-Stelle oder Beschwerdegegnerin) der Versicherten für die befristete Dauer vom 1. Juni 2013 bis 31. Dezember 2015 eine ganze Invalidenrente zu (Verfügung vom 12. Oktober 2016). Ab dem Zeitpunkt der psychiatrischen Begutachtung im Oktober 2015 ging die IV-Stelle von einer 70%-igen Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit und folglich von einem rentenausschliessenden Invaliditätsgrad (von 37%) aus.
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B. Die hiegegen erhobene Beschwerde der A.________ hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 26. April 2017 teilweise gut. Es änderte die Verfügung der IV-Stelle vom 12. Oktober 2016 insoweit ab, als es ab dem Zeitpunkt der psychiatrischen Begutachtung einen Invaliditätsgrad von 55% ermittelte, folglich die Befristung der Rente per 31. Dezember 2015 aufhob und der Versicherten mit Wirkung ab 1. Januar 2016 eine halbe Invalidenrente zusprach. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ unter Aufhebung des angefochtenen Gerichtsentscheides und in Abänderung der Verfügung der IV-Stelle vom 12. Oktober 2016 mit Wirkung ab 1. Januar 2016 eine ganze Invalidenrente beantragen. Eventualiter sei die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Gerichtsentscheids zur Einholung eines psychiatrischen und neuropsychologischen Obergutachtens und zum anschliessenden Neuentscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem beantragt A.________ "eventualiter" die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.
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Das kantonale Gericht, die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichten auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen: | |
1.
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1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 und Art. 97 Abs. 1 BGG).
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1.2. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint (vgl. BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_838/2016 vom 3. März 2017 E. 5.1). Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (Urteil 9C_222/2016 vom 19. Dezember 2016 E. 1.2 mit Hinweis).
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2. Strittig ist, ob die Beschwerdeführerin ab 1. Januar 2016 Anspruch auf mehr als nur eine halbe Invalidenrente gemäss angefochtenem Entscheid hat.
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2.1. Verwaltung und Vorinstanz stellten gestützt auf die Gutachten des Psychiaters Dr. med. C.________ vom 6. April 2016 (nachfolgend: psychiatrisches Gutachten) und des Neuropsychologen lic. phil. D.________ vom 10. März 2016 (nachfolgend: neuropsychologisches Gutachten) übereinstimmend fest, die Versicherte sei trotz psychischer Beeinträchtigungen in einer leidensangepassten Tätigkeit zu 70% arbeitsfähig. Laut Verfügung vom 12. Oktober 2016 resultierte aus dem Einkommensvergleich basierend auf einer verbesserten Leistungsfähigkeit ab dem Zeitpunkt der psychiatrischen Begutachtung im Oktober 2015 ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad von 37%, weshalb die IV-Stelle die Rente zunächst bis zum 31. Dezember 2015 befristet zusprach. Mit Duplik vom 7. Februar 2017 beantragte sie im kantonalen Verfahren, es sei der Beschwerdeführerin auf Grund eines höheren Valideneinkommens bei einem ab Oktober 2015 neu auf 49% ermittelten Invaliditätsgrad in teilweiser Gutheissung der Beschwerde mit Wirkung ab 1. Januar 2016 eine Viertelsrente auszurichten. Im Gegensatz zur IV-Stelle berücksichtigte das kantonale Gericht beim tabellarisch (anhand der Tabellenlöhne gemäss der vom Bundesamt für Statistik alle zwei Jahre erstellten Schweizerischen Lohnstrukturerhebung) bestimmten Invalideneinkommen einen leidensbedingten Abzug von 10%. Aus dem Einkommensvergleich resultierte daher bei zumutbarer Verwertung der verbleibenden Leistungsfähigkeit schliesslich ein Invaliditätsgrad von 55%. Dementsprechend sprach die Vorinstanz der Versicherten mit Wirkung ab 1. Januar 2016 eine halbe Invalidenrente zu.
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2.2. Demgegenüber macht die Beschwerdeführerin geltend, die Gutachten seien nicht verwertbar, weil sie nicht den praxisgemässen Anforderungen entsprächen. Statt dessen sei auf die Angaben des seit November 2012 behandelnden Psychiaters Dr. med. B.________ abzustellen, welcher seither eine volle Arbeitsunfähigkeit attestierte. Zudem kritisiert die Versicherte den vorinstanzlichen Einkommensvergleich, weil nicht beide Vergleichseinkommen ausgehend von demselben Tabellenlohn ermittelt und nur ein leidensbedingter Abzug von 10% statt 15% berücksichtigt worden sei.
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3. Die Vorinstanz hat die massgebenden gesetzlichen Bestimmungen und die hiezu von der Rechtsprechung weiter konkretisierten Grundsätze im angefochtenen Entscheid - soweit hier von Belang - zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
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4.
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4.1. Das kantonale Gericht hat sich mit den von der Beschwerdeführerin bereits im vorinstanzlichen Verfahren erhobenen Einwänden gegen die Beweiskraft des psychiatrischen und des neuropsychlogischen Gutachtens eingehend auseinander gesetzt. Mit in allen Teilen überzeugender Begründung, worauf verwiesen wird (Art. 109 Abs. 3 Satz 2 BGG), hat es zutreffend erkannt, dass auf die beiden den Anforderungen von BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232 genügenden Gutachten abzustellen ist.
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4.2. Die Vorinstanz hat sich ausführlich mit der Rüge des offensichtlich versehentlich nicht anwesend gewesenen Dolmetschers anlässlich der psychiatrischen Begutachtung vom 13. Oktober 2015 befasst und eingehend dargelegt, weshalb die psychiatrische Expertise unter den gegebenen Umständen dennoch den praxisgemässen Anforderungen genügt. Dies insbesondere deshalb, weil die Beschwerdeführerin - entgegen ihren eigenen Behauptungen - tatsächlich über sehr gute Deutschkenntnisse verfügt und nicht auf die Unterstützung durch einen Dolmetscher angewiesen war. Die Durchführung einer medizinischen Abklärungsmassnahme in der Muttersprache des oder der Versicherten oder unter Beizug eines Übersetzers ist in erster Linie eine Frage der richtigen und vollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts (Urteil 8C_578/2014 vom 17. Oktober 2014 E. 4.2.4 f.). Inwiefern sich der psychiatrische Gutachter mangels Anwesenheit eines Dolmetschers auf unzutreffende anamnestische Angaben abgestützt habe oder konkrete Missverständnisse entstanden seien, zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf und ist nicht ersichtlich. Zudem ist praxisgemäss nicht von einem unbedingten Anspruch auf Durchführung einer medizinischen Abklärung in der Muttersprache oder auf Beizug eines Übersetzers auszugehen (Urteil 8C_578/2014 vom 17. Oktober 2014 E. 4.2.5 mit Hinweis auf BGE 140 V 260 und Urteil 8C_913/2010 vom 18. April 2011 E. 3.3.1 mit Hinweisen).
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4.3. Kann die psychiatrische Exploration von der Natur der Sache her nicht ermessensfrei erfolgen, bleibt dem begutachtenden Psychiater praktisch immer ein gewisser Spielraum, innerhalb dessen verschiedene medizinisch-psychiatrische Interpretationen möglich, zulässig und zu respektieren sind, sofern der Experte lege artis vorgegangen ist (Urteil 8C_839/2013 vom 13. März 2014 E. 4.2.2.1 i.f. mit Hinweisen). Dies betrifft auch die Wahl der Methode zur Erstellung eines Gutachtens (Urteil 8C_820/2016 vom 27. September 2017 E. 5.2 mit Hinweis). Auch insoweit stösst die Kritik an der Beweiskraft der Gutachten wegen Nichtdurchführung eines bestimmten Tests anlässlich der psychiatrischen Exploration ins Leere.
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4.4. Insgesamt vermag die Versicherte nicht aufzuzeigen, inwiefern Verwaltung und Vorinstanz durch das Abstellen auf die beiden Gutachten Bundesrecht verletzt hätten.
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5. Nach dem Gesagten ist nicht zu beanstanden, dass das kantonale Gericht und die IV-Stelle ab dem Zeitpunkt der psychiatrischen Begutachtung im Oktober 2015 von einer 70%-ige Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit ausgegangen sind. Somit bleibt einzig der vorinstanzlich durch Einkommensvergleich auf (gerundet) 55% ermittelte Invaliditätsgrad zu prüfen. Was die Beschwerdeführerin diesbezüglich gegen den angefochtenen Entscheid vorbringt, ist offensichtlich unbegründet. Die Einwände würden im Ergebnis nur dann entscheidrelevant ins Gewicht fallen, wenn nicht nur das beanstandete Valideneinkommen im Sinne der Versicherten erhöht, sondern zusätzlich auch noch ein höherer leidensbedingter Tabellenlohnabzug von 15% (statt bloss 10%) bei dem im Übrigen unbestritten zutreffend ermittelten Invalideneinkommen berücksichtigt würde. Die Höhe dieses Abzuges stellt jedoch eine typische Ermessensfrage dar, deren Beantwortung letztinstanzlicher Korrektur nur mehr dort zugänglich ist, wo das kantonale Gericht das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, d.h. bei Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72 f. mit Hinweis auf BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399; SVR 2016 IV Nr. 58 S. 190, 8C_910/2015 E. 5.2.2). Entsprechendes macht die Beschwerdeführerin nicht geltend. Folglich bleibt es bei dem gemäss angefochtenem Entscheid auf 55% ermittelten Invaliditätsgrad und damit beim Anspruch auf eine halbe Invalidenrente ab 1. Januar 2016 gemäss angefochtenem Entscheid.
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6.
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6.1. Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet und im vereinfachten Verfahren mit summarischer Begründung (Art. 109 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG) zu erledigen.
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6.2. Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1). Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihr wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht gewährt werden (Art. 64 BGG; BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
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3. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 29. Dezember 2017
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Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Maillard
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Der Gerichtsschreiber: Hochuli
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