BGer 6B_759/2017 | |||
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BGer 6B_759/2017 vom 19.03.2018 |
6B_759/2017 |
Urteil vom 19. März 2018 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
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Gerichtsschreiber Matt.
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Verfahrensbeteiligte | |
X.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Zobl,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Entschädigung und Genugtuung (Einstellung),
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Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 23. Mai 2017 (UH170091-O/U/HEI).
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Sachverhalt: |
A. | |
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland führte gegen X.________ wegen Angriffs, Sachbeschädigung und geringfügiger Vermögensdelikte eine Strafuntersuchung, welche sie mit Verfügung vom 10. März 2017 einstellte. Die Gebühr von Fr. 1'100.-- für das Vorverfahren und die polizeilichen Auslagen von Fr. 450.-- auferlegte sie X.________. Die Kosten der während der Haft bestehenden amtlichen Verteidigung wurden unter Vorbehalt der Rückzahlungspflicht gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO auf die Staatskasse genommen.
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B. | |
Gegen diese Einstellungsverfügung erhob X.________ Beschwerde, welche das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 23. Mai 2017 unter Auferlegung einer Gerichtsgebühr von Fr. 900.-- abwies.
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C. | |
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der obergerichtliche Beschluss sei aufzuheben. Die Kosten des Strafverfahrens seien dem Kanton Zürich aufzuerlegen. Für die Wahlverteidigung sei ihm eine Entschädigung von Fr. 503.95 zuzusprechen. Die Kosten der amtlichen Verteidigung seien definitiv auf die Staatskasse des Kantons Zürich zu nehmen. Der Kanton Zürich sei zu verpflichten, ihm eine Entschädigung für seine wirtschaftlichen Einbussen von Fr. 2'640.-- und eine Genugtuung von Fr. 3'000.-- auszurichten, beides zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 26. Mai 2016. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.
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Erwägungen: |
Erwägung 1 | |
1.1. Der Beschwerdeführer beanstandet, dass ihm die Kosten des Strafverfahrens auferlegt und weder eine Entschädigung noch eine Genugtuung zugesprochen wurden.
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1.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe in der Untersuchung zugegeben, im Anschluss an das Eishockey-Playoff-Viertelfinalspiel zwischen den A.________ und dem B.________ im Rahmen der zur Strafuntersuchung führenden Gewaltübergriffe zum Nachteil von Anhängern des B.________ einen Kontrahenten zumindest in das Gesicht geschlagen zu haben. Deshalb sei davon auszugehen, dass er zwischen 22:00 und 22:30 Uhr auf der C.________-Strasse in D.________ auf eine Konfrontation einstieg und einem Anhänger des B.________ mit Verletzungsfolge in dessen Gesicht geschlagen habe. Dieser vom Beschwerdeführer eingestandene Übergriff habe im Rahmen der Untersuchung keinem der bekannten Geschädigten zugeordnet werden können, weshalb keine Körperverletzung im Sinne von Art. 46 OR erstellt sei. Hingegen sei der Übergriff als widerrechtliche Verletzung der Persönlichkeit im Sinne von Art. 28 ZGB und Art. 49 Abs. 1 OR zu qualifizieren. Zwischen der Verletzung dieser Verhaltensnorm und der Einleitung einer Strafuntersuchung wegen Angriffs, Sachbeschädigung und geringfügiger Vermögensdelikte bestehe ein adäquater Kausalzusammenhang, weil sich der Beschwerdeführer im Rahmen der Gewaltübergriffe der Angehörigen der Gruppierung "E.________" zum Nachteil von Anhängern des B.________ im selben Zeitfenster, nach demselben Verhaltensmuster und am selben Ort im selben Strassenzug aktiv beteiligte. Damit erweise sich die Kostenauflage als rechtmässig (Beschluss S. 6-7).
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1.3. Gemäss Art. 426 Abs. 2 StPO können der beschuldigten Person bei Einstellung des Verfahrens die Kosten ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn sie rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt oder dessen Durchführung erschwert hat. Unter den gleichen Voraussetzungen kann nach Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO eine Entschädigung herabgesetzt oder verweigert werden. In diesen Fällen besteht gestützt auf Art. 433 Abs. 1 lit. b StPO ein Entschädigungsanspruch der Privatklägerschaft gegenüber der beschuldigten Person.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts verstösst eine Kostenauflage bei Freispruch oder Verfahrenseinstellung gegen die Unschuldsvermutung (Art. 10 Abs. 1 StPO, Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK), wenn der beschuldigten Person in der Begründung des Kostenentscheids direkt oder indirekt vorgeworfen wird, es treffe sie ein strafrechtliches Verschulden. Damit käme die Kostenauflage einer Verdachtsstrafe gleich. Dagegen ist es mit Verfassung und Konvention vereinbar, einer nicht verurteilten beschuldigten Person die Kosten zu überbinden, wenn sie in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise, das heisst im Sinne einer analogen Anwendung der sich aus Art. 41 OR ergebenden Grundsätze, eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm, die sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung ergeben kann, klar verletzt und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat. In tatsächlicher Hinsicht darf sich die Kostenauflage nur auf unbestrittene oder bereits klar nachgewiesene Umstände stützen (BGE 120 Ia 147 E. 3b S. 155; 119 Ia 332 E. 1b S. 334; 112 Ia 371 E. 2a S. 374; Urteil 6B_1273/2016 vom 6. September 2017 E. 1.4; je mit Hinweisen).
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Eine solche Kostenauflage kann sich auch auf Art. 28 ZGB stützen. Nach dieser Bestimmung kann derjenige, der in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen (Abs. 1). Widerrechtlich ist eine Verletzung, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist (Abs. 2). Vom Gesetzeswortlaut her ist jede Persönlichkeitsverletzung widerrechtlich, wenn kein Rechtfertigungsgrund besteht. Praxisgemäss ist in zwei Schritten zu prüfen, ob (1.) eine Persönlichkeitsverletzung und (2.) ein Rechtfertigungsgrund vorliegt (BGE 136 III 410 E. 2.2.1 S. 413; Urteil 6B_1172/2016 vom 29. August 2017 E. 1.3; je mit Hinweisen).
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Zwischen dem zivilrechtlich vorwerfbaren Verhalten sowie den durch die Untersuchung entstandenen Kosten muss ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen und das Sachgericht muss darlegen, inwiefern die beschuldigte Person durch ihr Handeln in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine Verhaltensnorm klar verstossen hat (BGE 116 Ia 162 E. 2c S. 170; Urteile 6B_1273/2016 vom 6. September 2017 E. 1.4; 6B_1172/2016 vom 29. August 2017 E. 1.3; je mit Hinweisen).
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Das Bundesgericht prüft frei, ob der Kostenentscheid direkt oder indirekt den Vorwurf strafrechtlicher Schuld enthält und ob die beschuldigte Person in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnormen klar verstiess und dadurch das Strafverfahren veranlasste. Unter Willkürgesichtspunkten prüft es die diesbezügliche Sachverhaltsfeststellung sowie gegebenenfalls kantonales Recht (Urteil 6B_1273/2016 vom 6. September 2017 E. 1.4 mit Hinweisen; vgl. zur Willkür: BGE 142 III 364 E. 2.4 S. 368; 141 III 564 E. 4.1 S. 566).
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1.4. Der Beschwerdeführer trägt vor, die Staatsanwaltschaft habe nach den Gewaltübergriffen eine Strafuntersuchung eröffnet wegen Angriffs zum Nachteil der fünf Geschädigten, die in der Einstellungsverfügung aufgeführt seien. Der Beschwerdeführer habe von Anfang an bestritten, am Angriff und den Körperverletzungen beteiligt gewesen zu sein. Er habe jedoch zugegeben, am fraglichen Abend an einen Anhänger des B.________ geraten zu sein und diesen nach einer Provokation in das Gesicht geschlagen zu haben. Dieser Vorfall habe keine Verbindung zum Angriff. Es habe sich um eine Auseinandersetzung zwischen dem Beschwerdeführer und einem Anhänger des B.________ gehandelt, nachdem dieser den Beschwerdeführer und andere Anhänger der A.________ provoziert gehabt habe. In der Einstellungsverfügung werde festgehalten, dass dem Beschwerdeführer keiner der zur Anzeige gebrachten Gewaltübergriffe nachgewiesen werden könne. In Bezug auf den eingestandenen Schlag ins Gesicht habe es keine Untersuchung und keinen Strafantrag gegeben. Dieser Vorfall sei nicht ausschlaggebend dafür gewesen, dass das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer eröffnet worden sei.
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Die Vorinstanz stelle willkürlich fest, der Beschwerdeführer habe sich an den Gewaltübergriffen der Gruppierung "E.________" auf Anhänger des B.________ beteiligt. Die Akten und insbesondere die Einstellungsverfügung zeigten, dass sich die Untersuchung gar nie auf den vom Beschwerdeführer eingestandenen aber nicht angezeigten Schlag ins Gesicht bezogen habe. Sein Handeln sei somit nicht ursächlich gewesen für die weitgehenden Untersuchungen und die Anordnung von Zwangsmassnahmen. Die Strafuntersuchung sei auf diejenigen Personen zurückzuführen, welche die fünf Geschädigten angegriffen und verletzt hätten. Selbst wenn der Beschwerdeführer als Mitglied der Gruppierung "E.________" vor Ort gewesen sei, so sei sein Verhalten nicht einmal mitursächlich für das Strafverfahren. Der Schlag in das Gesicht stehe in keinem Zusammenhang mit den untersuchten Angriffen. Er habe weder zeitlich noch örtlich noch personell eine Verbindung zum Angriff. Es habe sich um eine Auseinandersetzung zwischen dem Beschwerdeführer und einem Anhänger des B.________ gehandelt, nachdem dieser den Beschwerdeführer und andere Anhänger der A.________ provoziert habe.
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Das Verhalten des Beschwerdeführers gegen einen Anhänger des B.________ sei möglicherweise strafrechtlich relevant. Es sei aber nicht geeignet gewesen, ein Strafverfahren im vorliegenden Ausmass zu verursachen. Das eingestellte Strafverfahren sei wegen Angriffs mit mehreren Geschädigten geführt worden. Der Übergriff des Beschwerdeführers auf den Anhänger des B.________ alleine hätte die Staatsanwaltschaft nicht zu Zwangsmassnahmen veranlasst. Auch sei deswegen keine Strafanzeige erhoben worden, womit nie ein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer geführt worden wäre. Damit müsse auch die adäquate Kausalität verneint werden. Gleiches gelte, wenn man den Beschwerdeführer als Teil der Gruppierung "E.________" sehe. Dem Beschwerdeführer werde nicht vorgeworfen, am Angriff zum Nachteil der fünf geschädigten Personen beteiligt gewesen zu sein.
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1.5. Es ist unbestritten und klar erstellt, dass der Beschwerdeführer am Abend der fraglichen Übergriffe einem Anhänger des B.________ einen Schlag in das Gesicht versetzte. Dieser Vorfall steht offensichtlich im Zusammenhang mit den Ausschreitungen nach dem Spiel zwischen den A.________ und dem B.________. Der Beschwerdeführer trägt vor, es habe sich um eine davon losgelöste Auseinandersetzung zwischen ihm und einem Anhänger des B.________ gehandelt. Dass der Vorfall isoliert gewesen sein soll, widerlegt der Beschwerdeführer selber, indem er vorträgt, sein Widersacher habe nicht nur ihn, sondern auch andere Anhänger der A.________ provoziert. Damit stand der Schlag unzweifelhaft im Kontext der Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der A.________ und des B.________, zumal der Beschwerdeführer als Mitglied der Gruppierung "E.________" vor Ort war. Es ist offensichtlich, dass sein Verhalten mitursächlich war für die Eröffnung und Durchführung des Strafverfahrens. Die Einstellung des Strafverfahrens erfolgte mit der Begründung, dass der Widersacher des Beschwerdeführers nicht ausfindig gemacht werden konnte. Dass die Vorinstanz eine Verurteilung in materieller Hinsicht vornehmen und damit die Unschuldsvermutung verletzen würde, bringt der Beschwerdeführer zu Recht nicht vor.
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Der angefochtene Entscheid ist nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer hat in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise das Strafverfahren mitveranlasst. Die Vorinstanz stützt sich nur auf unbestrittene und klar nachgewiesene Umstände. Zwischen dem Schlag des Beschwerdeführers in das Gesicht eines Anhängers des B.________, der zuvor ihn und andere Anhänger der A.________ provoziert habe, sowie den durch die Untersuchung entstandenen Kosten besteht nach dem Gesagten ein adäquater Kausalzusammenhang. Die Auferlegung der Kosten und die Verweigerungen einer Entschädigung oder Genugtuung erfolgten zu Recht.
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Erwägung 2 | |
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 19. März 2018
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Der Gerichtsschreiber: Matt
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