VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 6B_1427/2017  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 6B_1427/2017 vom 25.04.2018
 
 
6B_1427/2017
 
 
Urteil vom 25. April 2018
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer,
 
Bundesrichter Rüedi.
 
Gerichtsschreiber Matt.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Otto Enzmann,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Uri,
 
Postfach 959, 6460 Altdorf UR,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Verletzung der Verkehrsregeln; Willkür,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Uri, Strafrechtliche Abteilung, vom 19. September 2017 (OG S 15 10).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Am 9. Juni 2015 verurteilte das Landgerichtsvizepräsidium Uri A.________ wegen grober Verkehrsregelverletzung durch Überfahren der Sicherheitslinie zu 20 Tagessätzen à Fr. 150.-- Geldstrafe bedingt sowie zu einer Busse von Fr. 600.--. Auf seine Berufung sowie Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft hin erhöhte das Obergericht des Kantons Uri die Busse am 19. September 2017 auf Fr. 750.--; im Übrigen bestätigte es das erstinstanzliche Urteil.
1
 
B.
 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, er sei freizusprechen, eventualiter sei die Sache zur Beweisergänzung an das Obergericht zurückzuweisen; subeventualiter sei er wegen einfacher Verkehrsregelverletzung zu bestrafen, sofern die Verjährung noch nicht eingetreten sei.
2
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
Der Beschwerdeführer rügt, es sei nicht erstellt, dass er, und nicht ein anderer Motorradfahrer das angeblich von der Polizei beobachtete Überholmanöver vorgenommen habe.
3
1.1. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es prüft unter Berücksichtigung der Begründungspflicht nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 134 I 65 E. 1.3 mit Hinweisen). Im Übrigen legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art.105 Abs.1 StGB), es sei denn, dieser ist offensichtlich unrichtig oder beruht auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist. Dies ist der Fall, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht. Die Willkürrüge muss explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG), andernfalls das Bundesgericht darauf nicht eintritt. Dazu genügt es nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 142 III 364 E. 2.4).
4
Der Grundsatz "in dubio pro reo" besagt als Beweiswürdigungsregel, dass sich das Strafgericht nicht von einem für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Bloss abstrakte und theoretische Zweifel genügen nicht, weil solche immer möglich sind. Relevant sind mithin nur unüberwindliche Zweifel, d.h. solche, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen (vgl. Art. 10 Abs. 3 StPO; BGE 138 V 74 E. 7; 127 I 38 E. 2a; je mit Hinweisen). Der Grundsatz "in dubio pro reo" besagt indes nicht, dass bei sich widersprechenden Beweismitteln unbesehen auf den für den Angeklagten günstigeren Beweis abzustellen ist. Die Entscheidregel kommt nur zur Anwendung, wenn nach erfolgter Beweiswürdigung als Ganzem relevante Zweifel verbleiben (Urteil 6B_824/2016 vom 10. April 2017 E. 13.1, nicht publ. in BGE 143 IV 214 mit Hinweisen). Als Beweiswürdigungsregel kommt dem Grundsatz "in dubio pro reo" im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 138 V 74 E. 7 mit Hinweisen). Als Beweislastregel ist der Grundsatz verletzt, wenn das Gericht einen Angeklagten (einzig) mit der Begründung verurteilt, er habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Dies prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (Urteil 6B_738/2017 vom 15. Februar 2018 E. 1.1 mit Hinweis).
5
1.2. Die Vorinstanz erwägt, es sei aufgrund des ebenfalls bei schönem Wetter und regem Verkehr durchgeführten Augenscheins erstellt, dass die fragliche Strecke vom Beobachtungsplatz der Polizisten aus ohne Einschränkungen einsehbar gewesen sei. Die Verkehrsteilnehmer und ihre Fahrzeuge, namentlich die Farbe der Bekleidung und die Art des Motorrads, seien auch für ein ungeschultes Auge sehr gut zu erkennen gewesen. Der Standort sei für eine Verkehrsbeobachtung geradezu ideal und werde deshalb von der Polizei regelmässig genutzt. Die beiden Polizisten hätten das vollständige Überholmanöver sehr gut feststellen können. Daran ändere nichts, dass unmittelbar nach dem Kontrollbereich ein nicht einsehbarer Strassenabschnitt von ca. 200 Metern folge. Ihre Feststellung, wonach die Sicht nur für wenige Sekunden versperrt gewesen sei, sei plausibel. Die nach dem Vieraugenprinzip agierenden und erfahrenen Verkehrspolizisten seien sich der Person des Fehlbaren sicher gewesen und hätten eine Verwechslung stets ausgeschlossen. Solches habe der Beschwerdeführer vor Ort auch nicht behauptet. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ihn die Beamten zu Unrecht bezichtigen sollten. Gegen die Aussagen seines Bruders, wonach keiner von ihnen ein Fahrzeug überholt habe, spreche schliesslich, dass der Beschwerdeführer gemäss Angaben des Polizisten vor dem fraglichen Personenwagen am Kontrollpunkt eingetroffen sei. Da die Täterschaft genügend erstellt sei, könne auf weitere Beweismassnahmen verzichtet werden.
6
1.3. Die Vorinstanz legt ausführlich und überzeugend dar, weshalb sie den Anklagesachverhalt als erstellt erachtet. Der Beschwerdeführer beschränkt sich darauf, der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung seine eigene entgegen zu halten, was jedoch für die Annahme von Willkür nicht genügt (oben E. 1.1). Dies ist der Fall, wenn er wiederum geltend macht, die Polizeibeamten hätten ihn nicht mit hinreichender Sicherheit identifizieren können und wenn er behauptet, der effektiv fehlbare Motorradfahrer könne hinter dem Felsvorsprung angehalten haben. Diese an sich denkbare Möglichkeit lässt die gegenteilige Annahme der Vorinstanz nicht als unhaltbar erscheinen. Gleiches gilt, wenn sie die erst im Verlauf des Verfahrens vorgebrachte Behauptung, die Polizisten könnten einen anderen, hinter dem Beschwerdeführer fahrenden Goldwing-Fahrer mit ihm verwechselt haben, als rein theoretisch verwirft. Entgegen seiner Auffassung verletzt sie damit nicht die Unschuldsvermutung als Beweislastregel und auferlegt ihm nicht den Beweis seiner Unschuld. Ebenso wenig hindert die Möglichkeit der beschuldigten Person, sich auf das Aussageverweigerungsrecht zu berufen oder einen Dritten als Täter ins Spiel zu bringen, das Gericht, eine Täterschaft anzunehmen (Urteile 6B_605/2016 vom 15. September 2016 E. 2.9; 6B_439/2010 vom 29. Juni 2010 E. 5.1; je mit Hinweisen). Soweit der Beschwerdeführer die Aussagen der Polizisten aufgrund der zwischen dem Vorfall und der Befragung vergangenen Zeit als unbrauchbar rügt, verkennt er, dass die Vorinstanz für die Frage der Erkennbarkeit von Fahrer und Fahrzeug in erster Linie auf den eigenen Augenschein abstellt. Sie weist zudem zutreffend darauf hin, dass die Beamten zeitnah einen Bericht erstatteten und sich bei ihren Aussagen hierauf stützten, wobei sie eine Verwechslung stets ausschlossen.
7
Nicht ersichtlich ist sodann, was der Beschwerdeführer aus dem Umstand für sich ableiten will, dass die Sicht der Beamten just nach dem fraglichen Überholmanöver aufgrund eines Felsvorsprungs verdeckt war. Dies gilt ebenso für den von ihm vorinstanzlich beantragten Augenschein, anlässlich welchem er die Strecke mit dem eigenen Motorrad hätte abfahren wollen. Es leuchtet nicht ein, inwiefern die vorgenannten Tatsachen die Feststellung der Vorinstanz, wonach er die Sicherheitslinie überfahren habe, als unmöglich oder willkürlich erscheinen lassen sollen. Dabei spielt keine Rolle, wie lange der Fahrer nach dem Manöver aufgrund des Felsvorsprungs nicht sichtbar war und ob sich der Polizeibeamte hierüber getäuscht hat. Entgegen seiner Behauptung nimmt die Vorinstanz im Übrigen nicht an, dass die Sicht der Beamten bloss während zwei Sekunden verdeckt war. Sie geht vielmehr, wie der Beschwerdeführer selber, von einer Dauer von neun bis zwölf Sekunden für eine Strecke von 200 Metern aus. Unter diesen Umständen konnte sie auf einen zusätzlichen Augenschein verzichten, ohne das rechtliche Gehör zu verletzen, zumal unbestritten ist, dass die Vorinstanz vom fraglichen Kontrollpunkt aus diverse an-dere Motorräder beobachten konnte. Ebenso wenig war sie gehalten, das gemeinsam mit der Polizei abgefahrene Terrain genauer zu vermessen oder die exakte Sichtweite am Tatort protokollarisch festzuhalten.
8
 
Erwägung 2
 
Der Beschwerdeführer bestreitet den Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung.
9
 
Erwägung 2.1
 
2.1.1. Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Der objektive Tatbestand verlangt, dass der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer ist bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Diese setzt die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung voraus. Eine konkrete Gefahr oder Verletzung ist nicht verlangt.
10
Subjektiv erfordert der Tatbestand ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrsregelwidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit. Diese ist zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kommt aber auch in Betracht, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht. Die Annahme einer groben Verkehrsregelverletzung setzt in diesem Fall voraus, dass das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf Rücksichtslosigkeit beruht. Rücksichtslos ist unter anderem ein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Dieses kann auch in einem blossen (momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen bestehen. Je schwerer die Verkehrsregelverletzung objektiv wiegt, desto eher wird Rücksichtslosigkeit subjektiv zu bejahen sein, sofern keine besonderen Gegenindizien vorliegen (BGE 142 IV 93 E. 3.1; 131 IV 133 E. 3.2; je mit Hinweisen).
11
2.1.2. Gemäss Art. 34 Abs. 2 SVG ist auf Strassen mit Sicherheitslinien immer rechts dieser Linien zu fahren. Sicherheitslinien und doppelte Sicherheitslinien dürfen nach Art. 73 Abs. 6 lit. a der Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 (SSV; SR 741.21) von Fahrzeugen weder überfahren noch überquert werden. Insoweit darf der Fahrzeugführer auch nicht überholen, wenn die Strasse im Sinne von Art. 35 Abs. 2 SVG zwar übersichtlich und frei ist und kein anderer Verkehrsteilnehmer behindert würde, er aber zum Überholen eine Sicherheitslinie überfahren müsste (Urteile 6B_904/2015 vom 27. Mai 2016 E. 6.2.2; 6S.155/2003 vom 19. August 2003 E. 3.2.1; je mit Hinweisen). Das Überfahren einer Sicherheitslinie stellt aus objektiver Sicht eine schwere Verkehrsregelverletzung dar (BGE 136 II 447 E. 3.3).
12
2.2. Nach dem zum Sachverhalt Gesagten ist erstellt, dass der Beschwerdeführer für ein Überholmanöver eine Sicherheitslinie überfahren und damit eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise verletzt hat. Zudem ist unbestritten, dass am Tattag reger Verkehr in Richtung der Sustenpasshöhe herrschte. Wie die Vorinstanz willkürfrei und damit für das Bundesgericht verbindlich feststellt, fand das Überholmanöver an einer unübersichtlichen Stelle in einer leichten Linkskurve statt, auf welche eine leichte Rechtskurve und anschliessend eine 180 Grad Haarnadelkurve folgt. Sie verletzt kein Bundesrecht, wenn sie erwägt, unter den gegebenen Umständen habe der Beschwerdeführer mit seinem Überholmanöver und dem Überfahren der Sicherheitslinie eine mindestens erhöht abstrakte Gefahr für den Gegenverkehr geschaffen. Daran ändert entgegen seiner Auffassung nichts, dass nach Einschätzung der beiden Polizisten ein gefahrloses Überholen möglich gewesen sein soll und dass die Sicht nicht (zusätzlich) durch schlechtes Wetter beeinträchtigt war. Ebenso wenig setzt die Erfüllung des Tatbestands eine konkrete Gefährdung voraus. Deren Fehlen, wovon im Übrigen auch die Vorinstanz ausgeht, entlastet den Beschwerdeführer nicht. Sie weist denn auch zutreffend darauf hin, dass der unübersichtliche, kurvenreiche Strassenverlauf mit relativ kurzen Sichtdistanzen die zuständigen Behörden dazu bewogen hat, an der fraglichen Stelle eine Sicherheitslinie anzubringen, was ebenfalls auf eine erkannte erhöhte Gefährdung schliessen lässt. Ohne Belang ist schliesslich, ob die Polizeibeamten das Verhalten des Beschwerdeführers als leichte Verkehrsregelverletzung einstuften. Das Gericht ist weder an deren Rechtsauffassung noch an diejenige der Staatsanwaltschaft gebunden (Art. 350 Abs. 1 StPO).
13
Die Vorinstanz bejaht auch den subjektiven Tatbestand des Art. 90 Abs. 2 zu Recht. Angesichts des dichten Verkehrs sowie des kurvigen Strassenverlaufs mit einer auf die leichten Kurven unmittelbar folgenden Haarnadelkurve ist es nicht zu bestanden, wenn die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer sei sich der allgemeinen Gefährlichkeit seines Verhaltens bewusst gewesen und er habe daher mindestens grobfahrlässig gehandelt.
14
 
Erwägung 3
 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
15
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Uri, Strafrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 25. April 2018
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Der Gerichtsschreiber: Matt
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).