BGer 6B_701/2018 | |||
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BGer 6B_701/2018 vom 05.11.2018 |
6B_701/2018 |
Urteil vom 5. November 2018 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichter Rüedi,
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Bundesrichterin Jametti,
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Gerichtsschreiberin Unseld.
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Verfahrensbeteiligte | |
1. X.________,
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2. Y.________,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
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Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Einstellung (Hausfriedensbruch usw.); Kosten,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 16. Mai 2018 (SBE.2018.12/SBE.2018.17).
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Erwägungen: | |
1. A.________ stellte am 17. März 2017 wegen Sachbeschädigung durch Abschneiden/Ausreissen von Efeu und am 9. Juni 2017 wegen Hausfriedensbruchs Strafanträge gegen die Beschwerdeführer, welche er am 6. Juli 2017 zurückzog. Mit Verfügung vom 26. Februar 2018, welche am 28. Februar 2018 von der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau genehmigt wurde, stellte die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau das Strafverfahren gegen die Beschwerdeführer ein. Eine Entschädigung sprach es diesen nicht zu. Dagegen gelangten die Beschwerdeführer je mit Beschwerde an das Obergericht des Kantons Aargau, wobei sie beantragten, es sei ihnen je eine Entschädigung von Fr. 1'332.10 für ihre Anwaltskosten zuzusprechen, das Strafverfahren gegen sie wegen Hausfriedensbruchs sei zu "annullieren" und es seien die von A.________ und Frau B.________ nach dem 6. Juli 2017 eingereichten Akten aus den Akten des Strafverfahrens zu entfernen. Das Obergericht wies die Beschwerden mit Entscheid vom 16. Mai 2018 ab, soweit es darauf eintrat.
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Dagegen gelangen die Beschwerdeführer mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht.
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2. Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO). Zu den Aufwendungen im Sinne von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO zählen in erster Linie die Kosten der frei gewählten Verteidigung, wenn der Beistand angesichts der tatsächlichen oder rechtlichen Komplexität des Falls geboten war. Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO verlangt, dass sich sowohl der Beizug eines Verteidigers als auch der von diesem betriebene Aufwand als angemessen erweisen (BGE 142 IV 163 E. 3.1.2 S. 167, 45 E. 2.1 S. 48; 138 IV 197 E. 2.3.4 S. 203 mit Hinweis; Urteil 6B_1389/2016 vom 16. Oktober 2017 E. 2.2.1 mit Hinweisen).
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Einem Beschuldigten ist in der Regel der Beizug eines Anwalts zuzubilligen, jedenfalls wenn dem Deliktsvorwurf eine gewisse Schwere zukommt. Auch bei blossen Übertretungen darf nicht generell davon ausgegangen werden, dass die beschuldigte Person ihre Verteidigerkosten als Ausfluss einer Art von Sozialpflichtigkeit selbst zu tragen hat. Beim Entscheid über die Angemessenheit des Beizugs eines Anwalts sind neben der Schwere des Tatvorwurfs und der tatsächlichen und rechtlichen Komplexität des Falls insbesondere auch die Dauer des Verfahrens und dessen Auswirkungen auf die persönlichen und beruflichen Verhältnisse der beschuldigten Person zu berücksichtigen (BGE 142 IV 45 E. 2.1 S. 47; 138 IV 197 E. 2.3.5 S. 203). Insbesondere bei blossen Übertretungen hängt die Antwort auf die Frage, ob der Beizug eines Anwalts angemessen war, daher von den konkreten Umständen des einzelnen Falles ab, wobei an die Angemessenheit keine hohen Anforderungen zu stellen sind (Urteil 6B_322/2017 vom 27. Oktober 2017 E. 2.4.1 mit Hinweisen).
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Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO gilt nach der Rechtsprechung entgegen seinem Wortlaut auch für den Fall, dass von einer Eröffnung der Strafuntersuchung abgesehen und das Verfahren mit einer Nichtanhandnahmeverfügung erledigt wird (BGE 139 IV 241 E. 1 S. 242; Urteil 6B_188/2018 vom 23. Juli 2018 E. 2.3). Ein Anspruch auf Beizug eines Verteidigers kann unter Umständen daher bereits im polizeilichen Ermittlungsverfahren bestehen, d.h. bevor überhaupt ein Strafverfahren eröffnet wurde. Dennoch ist bei der Frage, ob der Beizug eines Anwalts notwendig bzw. angemessen im Sinne von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO war, auch zu berücksichtigen, ob es nach einer Strafanzeige überhaupt zu einer Eröffnung eines Strafverfahrens kam bzw. mit welcher Hartnäckigkeit die Strafverfolgungsbehörden das Verfahren weiterverfolgten (BGE 138 IV 197 E. 2.3.7 S. 204; Urteil 6B_967/2017 vom 7. Februar 2018 E. 3).
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Gestützt auf diese Rechtsprechung bejahte das Bundesgericht verschiedentlich auch bei blossen Übertretungen einen Anspruch auf Entschädigung für Anwaltskosten, wenn der Rechtsanwalt erst nach Ergehen eines Strafbefehls beigezogen wurde und die Übertretung von der Staatsanwaltschaft daher mit einer gewissen Hartnäckigkeit verfolgt wurde (vgl. BGE 142 IV 45 E. 2.2 S. 47 f.; Urteile 6B_322/2017 vom 27. Oktober 2017 E. 2.4.2; 6B_193/2017 vom 31. Mai 2017 E. 2.6; 6B_800/2015 vom 6. April 2016 E. 2.5 f.; 6B_880/2015 vom 8. Dezember 2015 E. 1.4; 6B_209/2014 vom 17. Juli 2014 E. 2; 1B_536/2012 vom 9. Januar 2013 E. 2.3).
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3. A.________ beantragte eine Bestrafung der Beschwerdeführer wegen Sachbeschädigung, wobei er seinen Schaden nicht beziffern konnte bzw. darauf hinwies, dass er sich beim Gärtner nach den Kosten der Wiederinstandstellung erkundigen müsse. Den Beschwerdeführern wurde anlässlich der polizeilichen Befragung vom 27. April 2017 eröffnet, dass ihnen der Tatbestand der Sachbeschädigung zur Last gelegt werde. Die Staatsanwaltschaft eröffnete am 11. Mai 2017 ein Strafverfahren gegen die Beschwerdeführer wegen geringfügiger Sachbeschädigung (Art. 144 i.V.m. Art. 172ter StGB) und Hausfriedensbruchs (Art. 186 StGB), dies obschon A.________ seinen Strafantrag formell erst am 6. Juli 2017 um den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs ergänzte (vgl. kant. Akten, Eröffnungsverfügungen vom 11. Mai 2017). Aktenwidrig ist daher die Behauptung der Vorinstanz, das Strafverfahren habe sich lediglich auf eine Übertretung bezogen. Zumindest ist den Beschwerdeführern beizupflichten, dass die Strafanzeige und das gegen sie eröffnete Verfahren nicht sofort erkennbar eine blosse Übertretung zum Gegenstand hatten.
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Dennoch erschien der Beizug eines Rechtsanwalts aufgrund des Verfahrensgangs und der Schwere der Tatvorwürfe nicht erforderlich. Den Beschwerdeführern wurde vorgeworfen, auf dem Nachbargrundstück entlang der Grundstückgrenze auf einem schmalen Streifen Efeu ausgerissen bzw. abgeschnitten zu haben. Die Beschwerdeführer wurden dazu am 27. April 2017 polizeilich einvernommen. Dabei bestritten sie die ihnen vorgeworfene Tat bzw. machten geltend, sie hätten lediglich ihren Gärtner beauftragt, von ihrem Grundstück aus die auf das Nachbargrundstück wachsenden Efeuäste zu entfernen, da sich A.________ an den überragenden Ästen gestört habe. Zwar wurde in der Folge am 11. Mai 2017 ein Strafverfahren gegen die Beschwerdeführer eröffnet. Die Beschwerdeführer wurden jedoch gleichentags zur Vergleichsverhandlung bei Antragsdelikten vom 6. Juli 2017 vorgeladen, anlässlich welcher A.________ seine Strafanträge gegen die Beschwerdeführer zurückzog. Den Beschwerdeführern wurde daher bereits am 10. Juli 2017 die Verfahrenseinstellung in Aussicht gestellt.
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Die Beschwerdeführer zogen ihren Rechtsanwalt unmittelbar nach der Strafanzeige zu und bevor überhaupt ein Strafverfahren gegen sie eröffnet worden war. Dafür bestand angesichts der Geringfügigkeit der Vorwürfe kein Anlass. Den Beschwerdeführern wäre aber auch zuzumuten gewesen, nach der Verfahrenseröffnung durch die Staatsanwaltschaft zumindest noch bis zum Ausgang der Vergleichsverhandlung zuzuwarten, bis feststand, ob das Strafverfahren überhaupt weiterzuführen war (vgl. Art. 316 Abs. 1 und 3 StGB, wonach das Strafverfahren bei Fernbleiben der antragstellenden Person oder einer Einigung einzustellen ist) bzw. welche Folge die Staatsanwaltschaft der Strafanzeige für den Fall, dass es zu keiner Einigung kommen sollte, geben wird. Nicht zu beanstanden ist daher, wenn die Vorinstanz den Beizug eines Verteidigers im vorliegenden Fall als unangemessen erachtete.
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4. Die Beschwerdeführer rügen, die Staatsanwaltschaft habe am 11. Mai 2017 ein Strafverfahren wegen Hausfriedensbruchs eröffnet, obschon A.________ erst am 9. Juni 2017 einen entsprechenden Strafantrag gestellt habe. Die Vorinstanz sei auf ihren Antrag, das Strafverfahren wegen Hausfriedensbruchs sei zu annullieren, zu Unrecht nicht eingetreten.
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Die Rüge ist unbegründet. Die Verfahrenseröffnung ist nicht anfechtbar (vgl. Art. 309 Abs. 3 StPO). Die beschuldigte Person kann lediglich die Einstellung eines bereits eröffneten Verfahrens beantragen. Eine rechtskräftige Einstellungsverfügung kommt einem freisprechenden Endentscheid gleich (Art. 320 Abs. 4 StPO). Die Vorinstanz trat auf den Antrag der Beschwerdeführer, das Strafverfahren wegen Hausfriedensbruchs sei nicht einzustellen, sondern zu annullieren, daher zu Recht nicht ein.
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5. Die Beschwerdeführer beantragen zudem, die von A.________ und dessen Wohnpartnerin nach dem Rückzug des Strafantrags am 6. Juli 2017 verfassten Schreiben seien aus den Strafverfahrensakten zu entfernen.
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Darauf kann mangels einer rechtsgenügenden Begründung (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) nicht eingetreten werden. Die Staatsanwaltschaft war gestützt auf Art. 100 Abs. 1 lit. c StPO verpflichtet, die erwähnten Schriftstücke zu den Akten zu nehmen. Die Beschwerdeführer legen nicht ansatzweise dar, woraus sie einen Anspruch auf Entfernung dieser Aktenstücke ableiten.
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6. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens haben die Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 5. November 2018
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Die Gerichtsschreiberin: Unseld
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