BGer 9C_615/2018 | |||
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BGer 9C_615/2018 vom 24.01.2019 |
9C_615/2018 |
Urteil vom 24. Januar 2019 |
II. sozialrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
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Bundesrichter Parrino,
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nebenamtlicher Bundesrichter Brunner,
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Gerichtsschreiberin Huber.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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vertreten durch Rechtsdienst Inclusion Handicap,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Beiträge und Zulagen, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Alters- und Hinterlassenenversicherung,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 26. Juli 2018 (200 18 360 AHV).
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Sachverhalt: | |
A. A.________ stand im Jahre 2015 in einem Arbeitsverhältnis mit einem vollen Pensum bei der B.________ AG. Infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wurden ihr für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2015 Taggelder auf der Basis einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit und ab Juli 2015 bis Ende 2015 auf einer solchen von 70 % ausgerichtet. Ab Juli 2015 erzielte sie zudem ein Erwerbseinkommen entsprechend ihrer wieder im Umfang von 30 % aufgenommenen Erwerbstätigkeit. Mit Beitragsverfügung vom 23. Januar 2018 qualifizierte die Ausgleichskasse die Versicherte für das Jahr 2015 als Nichterwerbstätige. Diese Verfügung wurde mit Einspracheentscheid vom 27. März 2018 bestätigt.
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B. Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 26. Juli 2018 ab, soweit es darauf eintrat.
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C. A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und erhebt gleichzeitig subsidiäre Verfassungsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 26. Juli 2018 sei aufzuheben und sie sei für das Jahr 2015 als Erwerbstätige zu qualifizieren.
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Erwägungen: | |
1. Die Versicherte erhebt eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und eine subsidiäre Verfassungsbeschwerde. Mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde macht sie eine Verletzung von Art. 8 Abs. 2 BV geltend. Das Rechtsmittel der subsidiären Verfassungsbeschwerde steht aber nur dann zur Verfügung, wenn die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nicht zulässig ist (Art. 113 BGG). Mit Letzterer kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht, wozu auch die Verletzung von Verfassungsrecht gehört, gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG; MARKUS SCHOTT, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018 N. 46 ff. zu Art. 95 BGG). Für eine subsidiäre Verfassungsbeschwerde bleibt somit kein Raum. Die Eingabe der Versicherten ist als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten entgegenzunehmen.
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2.
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2.1. Nach Art. 10 Abs. 1 AHVG und Art. 28
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2.2. Volle Erwerbstätigkeit ("activité lucrative à plein temps", "attività lucrativa [...] esercitata a tempo pieno") im Sinne von Art. 28
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2.3. Bei der Bezeichnung der Anforderungen für die Annahme einer "vollen" Erwerbstätigkeit geht es um eine - letztinstanzlich frei überprüfbare - Rechtsfrage. Die Feststellung der konkreten Umstände der Beschäftigung ist Tatfrage; diesbezügliche Feststellungen der Vorinstanz binden das Bundesgericht grundsätzlich (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 140 V 338 E. 2.1 S. 340).
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3. Zu prüfen ist die Frage, ob die Beschwerdeführerin im Jahre 2015 im Sinne von Art. 28 bis AHVV als nicht dauernd voll erwerbstätig zu qualifizieren ist. Die Versicherte stand in diesem Jahr in einem Arbeitsverhältnis mit einem vollen Pensum, erzielte jedoch infolge Krankheit nur einen relativ geringen beitragspflichtigen Lohn; ihre Haupteinkünfte resultierten aus den Taggeldleistungen der Krankentaggeldversicherung.
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3.1. Das kantonale Gericht stellte gestützt auf den Auszug aus dem Individuellen Konto (IK) fest, dass die Beschwerdeführerin im Jahre 2015 bei ihrer Arbeitgeberin ein beitragspflichtiges Einkommen von (lediglich) Fr. 7'672.- erzielte. Das geringe Einkommen sei darauf zurückzuführen, dass die Versicherte von Januar bis Juni 2015 voll und von Juli bis Dezember 2015 zu 70 % arbeitsunfähig gewesen sei. Die aufgrund der Arbeitsunfähigkeit ausgerichteten Taggeldleistungen würden nach der Regelung von Art. 6 Abs. 2 lit. b AHVV nicht zum massgebenden Erwerbseinkommen gehören. Gemäss dem im Jahre 2015 abgerechneten Lohn von Fr. 7'672.- würden sich die Beiträge auf Fr. 790.20 belaufen. Diese würden zwar den Mindestbeitrag nach Art. 28 AHVV übersteigen, sie müssten aber gemäss Art. 28
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3.2. Die Beschwerdeführerin stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, sie sei im Jahre 2015 während mehr als neun Monaten in einem Arbeitsverhältnis gestanden, so dass Art. 10 AHVG i.V.m. Art. 28
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3.3. Gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. b AHVV gehören Versicherungsleistungen bei Unfall, Krankheit oder Invalidität nicht zum Erwerbseinkommen. Wer statt einer Lohnzahlung Taggelder der Krankentaggeldversicherung erhält, hat darauf keine Sozialversicherungsbeiträge zu leisten. Wer beitragsfreie Versicherungsleistungen erhält und nicht wegen einer sonstigen Erwerbstätigkeit der AHV-Beitragspflicht unterstellt ist, gilt als nicht erwerbstätig im Sinne von Art. 10 AHVG (vgl. UELI KIESER, Alters- und Hinterlassenenversicherung, 3. Aufl. 2012, S. 99 Rz. 180 zu Art. 5 AHVG). Ein Erwerbstätiger definiert sich im AHV-rechtlichen Sinn allein durch das Vorliegen eines Erwerbseinkommens. Fehlt ein solches, ist der Versicherte nicht als erwerbstätig zu qualifizieren (Urteil 9C_719/2013 vom 9. April 2014 E. 4.3). Wenn eine versicherte Person einerseits Taggelder der Unfall- oder Krankentaggeldversicherung, anderseits einen (beitragspflichtigen) Lohn erhält, besteht AHV-rechtlich eine nicht dauernd volle Erwerbstätigkeit im Sinn von Art. 28
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3.4. Im bundesgerichtlichen Verfahren ist zu Recht unbestritten, dass die Beschwerdeführerin für das Jahr 2015 auf einem Lohn von Fr. 7'672.- AHV/IV/EO-Beiträge von Fr. 790.20 entrichtete. In masslicher Hinsicht unbestritten ist auch der unter Berücksichtigung des Vermögens und des Renteneinkommens berechnete Beitrag als Nichterwerbstätige im Umfang von Fr. 1'751.-. Da die Beiträge aus Erwerbstätigkeit im Jahr 2015 insgesamt weniger als die Hälfte des Betrages ausmachen, den die Versicherte als Nichterwerbstätige zu bezahlen hat, hat das kantonale Gericht die Beschwerdeführerin hinsichtlich des Beitragsjahres 2015 zu Recht einer Nichterwerbstätigen gleichgestellt.
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3.5. Nicht durchzudringen vermag die Beschwerdeführerin mit der Berufung auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten, welche bei der Qualifizierung einer selbstständigerwerbenden Person berücksichtigt würden und welche auch bei einer krankheitsbedingten Einschränkung der Arbeitstätigkeit in die Beurteilung einzubeziehen seien. Bei der Frage, ob eine versicherte Person schwergewichtig selbstständig erwerbstätig ist, ist die übliche Arbeitszeit zu eruieren, welche die versicherte Person für die selbstständige Tätigkeit aufbringt (vgl. oben E. 2.2). Dabei genügt eine einfache Gegenüberstellung der erzielten Jahresgewinne mit dem Durchschnittsverdienst einer entsprechenden unselbstständigen Erwerbstätigkeit nicht, vielmehr ist zu berücksichtigen, dass eine Betätigung erst nach längerer Zeit zu Einkünften führen kann oder Investitionen oder Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen das Betriebsergebnis beeinflussen (BGE 140 V 338 E. 2.3.1 S. 342). Bei der krankheitsbedingten Einschränkung steht das Pensum der Erwerbstätigkeit dagegen fest; insofern ist eine andere Konstellation gegeben. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin im Jahre 2015 in der Zeit zwischen Juli bis Dezember einer Erwerbstätigkeit, für welche sie entlöhnt wurde, in einem Pensum von 30 % nachging; in der übrigen Zeit war sie nicht erwerbstätig, auch wenn sie in einem vollen Arbeitsverhältnis stand. Bei einem solchen Pensum liegt keine volle Erwerbstätigkeit vor. Die Beschwerdeführerin beanstandet denn auch nicht die (zeitliche) Gewichtung von Erwerbstätigkeit und Nichterwerbstätigkeit, sie rügt vielmehr die rechtliche Qualifizierung der Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Nichterwerbstätigkeit. Diesbezüglich kann aber auf vorstehende Erwägungen verwiesen werden (oben E. 3.3).
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3.6. Es hilft der Beschwerdeführerin auch nicht, dass ihr in keiner Weise vorzuwerfen ist, sie habe versucht durch Ausübung einer geringfügigen oder bloss sporadischen Erwerbstätigkeit die Beitragspflicht als Nichterwerbstätige zu umgehen. Der gesetzgeberische Gedanke der Verhinderung einer Umgehung wird zwar von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Regelung von Art. 28
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3.7. Zusammengefasst ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin im massgeblichen Jahr 2015 nur in einem bescheidenen Masse erwerbstätig war. Während der Zeit, bei der sie bei voller Arbeitsunfähigkeit durch Taggeldleistungen der Krankentaggeldversicherung entschädigt wurde, erzielte sie kein Erwerbseinkommen im Sinne von Art. 5 AHVG (vgl. Art. 6 Abs. 2 lit. b AHVV). Ein Erwerbseinkommen bestand lediglich während der Tätigkeit in der Zeit ab Juli 2015 in einem Pensum von 30 %, bei welchem die Sozialversicherungsbeiträge vom Lohn abgezogen wurden. Weil die Erwerbstätigkeit im Jahre 2015 nur während sechs Monaten ausgeübt werden konnte, kann nicht von einer dauernden Erwerbstätigkeit ausgegangen werden; überdies liegt auch keine volle Erwerbstätigkeit vor. Beschwerdegegnerin und kantonales Gericht haben deshalb zu Recht in Anwendung von Art. 28
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4. Die Beschwerdeführerin macht schliesslich eine Verletzung von Art. 8 Abs. 2 BV geltend und bezeichnet die vorstehend dargestellte Regelung der Beitragserhebung bei krankheitsbedingt arbeitsunfähigen Versicherten als diskriminierend. Dies trifft nicht zu. Versicherte Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, aber infolge Krankheit arbeitsunfähig sind und statt des Lohnes Taggelder erhalten, müssen auf den erhaltenen Taggeldleistungen keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlen; grundsätzlich gereicht ihnen dies zum Vorteil und nicht zum Nachteil. Auf der anderen Seite hat das Nichtbezahlen von Beiträgen allenfalls zur Folge, dass Beitragsjahre fehlen und die Beitragsdauer unvollständig wird (vgl. Art. 29 ter AHVG), oder dass das für die Rentenberechnung massgebliche durchschnittliche Jahreseinkommen geringer ausfällt (vgl. Art. 29 ff. AHVG). Indem solche Versicherte je nachdem als nicht erwerbstätig im Sinne von Art. 10 AHVG gelten und sie Beiträge als Nichterwerbstätige zu entrichten haben, werden diese nachteiligen Folgen vermieden. In Einzelfällen kann die Regelung dazu führen, dass eine Taggeld beziehende Person insgesamt höhere Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen hat als eine Person mit Lohnentschädigung. Im Regelfall wirkt sich die Befreiung der Taggelder von Sozialversicherungsbeiträgen aber zu Gunsten der solche Leistungen beziehenden Versicherten aus. Eine generelle Benachteiligung von Personen mit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bei der Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen ist in jedem Fall nicht ersichtlich.
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5. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend trägt die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
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2. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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3. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 24. Januar 2019
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Pfiffner
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Die Gerichtsschreiberin: Huber
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