BGer 6B_925/2018 | |||
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BGer 6B_925/2018 vom 07.03.2019 |
6B_925/2018 |
Urteil vom 7. März 2019 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichter Oberholzer,
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Bundesrichter Rüedi,
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Gerichtsschreiber Briw.
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Verfahrensbeteiligte | |
X.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Joel Steiner,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Erster Staatsanwalt, Sennhofstrasse 17, 7000 Chur,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Kosten- und Entschädigungsfolgen bei Einstellung (unbefugtes Aufnehmen von Gesprächen),
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Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Graubünden, II. Strafkammer, vom 3. Juli 2018 (SK2 18 10).
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Sachverhalt: | |
A. X.________ speicherte auf seinem Mobiltelefon ein Beratungsgespräch mit A.________, einer Beraterin des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV). In der Folge lehnte er zwei Vorstellungsgespräche ab und wurde vom Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Graubünden (KIGA) sanktioniert. In seiner Einsprache vom 12. Januar 2016 legte er dem KIGA die Aufnahme des Beratungsgesprächs offen. Seitens des KIGA wurde gegen ihn am 22. März 2016 Strafantrag gestellt. Die Staatsanwaltschaft teilte dem KIGA umgehend die fehlende Strafantragsberechtigung mit. In der Folge stellte A.________ am 18. April 2016 Strafantrag.
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Die Staatsanwaltschaft Graubünden bestrafte X.________ am 20. November 2017 wegen unbefugten Aufnehmens von Gesprächen gemäss Art. 179ter Abs. 1 StGB z.N. von A.________ mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen. Auf Einsprache hin stellte die Staatsanwaltschaft nach ergänzender Untersuchung am 26. Januar 2018 die Anklageerhebung in Aussicht.
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Bei einer Vergleichsvereinbarung am 2. Februar 2018 zog A.________ ihren Strafantrag zurück. Die Staatsanwaltschaft stellte am 21. Februar 2018 das Strafverfahren ein, auferlegte X.________ die Verfahrenskosten von Fr. 1'270.-- und sprach ihm keine Entschädigung zu.
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X.________ erhob Beschwerde beim Kantonsgericht von Graubünden, welches die Beschwerde am 3. Juli 2018 abwies und ihm die Kosten von Fr. 1'500.-- auferlegte.
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B. X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, den vorinstanzlichen Beschluss aufzuheben, die staatsanwaltschaftlichen Verfahrenskosten auf die Staatskasse zu nehmen und ihm für das staatsanwaltschaftliche Verfahren eine Anwaltskostenentschädigung von Fr. 4'449.45 zuzusprechen; eventualiter die Sache zurückzuweisen mit der Anweisung, die Untersuchungskosten im Zusammenhang mit der Ermittlung des Datums der erstmaligen Kenntniserlangung der Strafantragsberechtigten [A.________] auszuscheiden und diese Kosten auf die Staatskasse zu nehmen und ihm die damit einhergegangenen Anwaltskosten anhand der Kostennote vom 19. Januar 2018 angemessen zu entschädigen.
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In der Vernehmlassung liess sich die Vorinstanz nicht vernehmen. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Abweisung der Beschwerde.
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Erwägungen: |
Erwägung 1 | |
1.1. Wie der Beschwerdeführer darlegt, erging der vorinstanzliche Entscheid vor dem folgenden Hintergrund: Er verlor am 30. April 2015 seine Arbeitsstelle und meldete sich bei der RAV zur Arbeitsvermittlung und bezog Arbeitslosengelder. Ein Telefongespräch mit der RAV-Leitung artete aus, was die Einstellung der Taggeldberechtigung zur Folge hatte. Das KIGA bestätigte die Sanktionierung.
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Er erkundigte sich in der Folge bei derselben RAV-Beraterin, ab wann eine Arbeitsstelle bei langen Arbeitswegen noch zumutbar sei. Das Beratungsgespräch speicherte er auf seinem Mobiltelefon, und zwar, wie er vorbringt, aufgrund eines Artikels im "Beobachter", demzufolge geschäftliche Telefonate ohne Ankündigung aufgezeichnet werden könnten. Entsprechend lehnte er zwei Vorstellungsgespräche wegen zu langer Arbeitswege ab. Deshalb sanktionierte ihn das KIGA mit 45 Einstelltagen. Er erhob am 12. Januar 2016 Einsprache und legte darin die Aufnahme des Beratungsgesprächs offen. Nach dem KIGA habe die RAV-Beraterin am 18. April 2016 mit "exakt" derselben Eingabe im eigenen Namen Strafantrag gestellt (oben Sachverhalt A).
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Wie der Beschwerdeführer weiter vorbringt, bestritt er bei der polizeilichen Einvernahme am 7. August 2016 die Aufzeichnung des Beratungsgesprächs nicht und verwies auf die abgelaufene Strafantragsfrist. Am 20. November 2017 wurde ihm der Strafbefehl zugestellt, der sich mit der Strafantragsfrist nicht auseinandersetzte. Er erhob Einsprache, mit welcher ihm - nach seinen Angaben - aufgrund eines anderen Verwaltungsgerichtsverfahrens der Nachweis gelungen sei, dass die RAV-Beraterin zur Frage der Kenntnisnahme bei der polizeilichen Einvernahme als Auskunftsperson am 23. September 2016 eine unrichtige Antwort gegeben habe (Beschwerde Ziff. 13). Bei der staatsanwaltlichen Einvernahme am 10. Januar 2018 habe sie nicht sagen können, ob sie "möglicherweise schon in der Zeit zwischen dem 13. und 15. Januar 2016 diesbezüglich kontaktiert worden" sei (Beschwerde Ziff. 14).
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Der Beschwerdeführer wendet in rechtlicher Hinsicht ein, die Vorinstanz habe zu beurteilen gehabt, ob die RAV-Beraterin die dreimonatige Strafantragsfrist eingehalten habe. Verneinendenfalls hätte sich das Strafverfahren von Beginn weg als unnötig erweisen müssen (Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO) und wäre die Kostenüberwälzung wegen des fehlenden Kausalzusammenhangs im Sinne von Art. 426 Abs. 2 StPO verboten gewesen. Die Staatsanwaltschaft habe in der Einstellungsverfügung eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung gemäss Art. 28 ZGB angenommen, womit er die Strafuntersuchung "ohne weiteres veranlasst" habe. Er habe vor der Vorinstanz darauf hingewiesen, bei verpasster Strafantragsfrist sei das Recht auf seine Verurteilung verwirkt gewesen, denn es habe eine Prozessvoraussetzung gemäss Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO gefehlt.
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Die Vorinstanz weise die Beschwerde mit der Begründung ab, es sei zwar möglich, dass die RAV-Beraterin zwischen dem 12. und 18. Januar 2016 entsprechend in Kenntnis gesetzt worden sei, jedoch bringe er hierfür keine ernsthaften Anhaltspunkte vor. Er habe aber bereits in seiner Einsprache nachweisen können, dass die RAV-Beraterin schon Monate vor ihrer Datumsangabe bei der Polizei Kenntnis gehabt habe. Bei der staatsanwaltlichen Einvernahme habe sie sich an nichts Konkretes erinnern können. Die Vorinstanz habe sich für den Beginn der Antragsfrist auf eine blosse Möglichkeit, eine Hypothese, abgestützt und ihm dafür die Beweislast auferlegt. Das Erbringen dieses Nachweises sei für ihn unmöglich gewesen, wenn selbst die RAV-Beraterin nicht in der Lage gewesen sei, eigene Angaben zu machen.
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1.2. Die Vorinstanz hält fest, eine Kostenüberbindung bestimme sich gemäss Art. 426 Abs. 2 StPO. Es müsse ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang bestehen (Urteil 1B_180/2012 vom 24. Mai 2012 E. 2.2). Bei nicht eindeutigen tatsächlichen Verhältnissen habe sie auszubleiben. Der Staat trage die Beweislast für die Haftungsvoraussetzungen der Kostenauflage (Urteil 6B_71/2009 vom 28. Mai 2009 E. 1.4). Liege bei summarischer Prüfung ein zivilrechtlich vorwerfbares Verhalten mit grosser Wahrscheinlichkeit vor, komme die Kostenauflage in Frage (Urteil 6B_1200/2017 vom 4. Juni 2018 E. 4.5.2 [keine Kostenüberbindung]; Beschluss S. 5 f.).
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Eine Kostenauflage könne sich auf Art. 28 ZGB stützen. Die zivilrechtliche Beweislastverteilung könne nicht unbesehen auf das Strafverfahren übertragen werden. Von der Staatsanwaltschaft sei nach dem beweisrechtlichen Grundsatz "negativa non sunt probanda" nicht zu verlangen, dass sie das Fehlen von Rechtfertigungsgründen begründe und belege. Insofern komme der beschuldigten Person eine Mitwirkungsobliegenheit zu (Beschluss S. 7 f.). In der Beschwerde werde nicht geltend gemacht, die Staatsanwaltschaft hätte prüfen müssen, ob seine Interessen jene der RAV-Beraterin überwogen hätten. Beim Wort genommen, habe er nicht geltend gemacht, es bestünden Gründe für einen Ausschluss der Rechtswidrigkeit, er habe lediglich verlangt, solche seien von der Staatsanwaltschaft zu prüfen (kursiv, Beschluss S. 8). Er übersehe, dass die Widerrechtlichkeit anzunehmen sei bzw. ihm die Obliegenheit zukomme, zumindest substanziierte Einwände vorzubringen. Diese substanziierten Einwände erhebe er auch im Beschwerdeverfahren nicht. Zwar habe das Verwaltungsgericht in jenem Verfahren die Verwertbarkeit des aufgenommenen Beratungsgesprächs nicht grundsätzlich ausgeschlossen; es habe aber dieses Beweismittel nur insoweit zugelassen, als daraus ersichtlich sei, wann er das Telefonat geführt habe. Daraus lasse sich nicht ohne weiteres ableiten, sein Interesse an der Aufzeichnung des Gesprächs inhalts überwiege jenes der RAV-Beraterin. Der Beschwerdeführer zeige nicht ansatzweise auf, weshalb die Persönlichkeitsverletzung gerechtfertigt sein sollte. Das sei umso unverständlicher, als er eine reformatorische Entscheidung beantrage. Von ihm werde nicht bestritten, dass er eine Persönlichkeitsverletzung begangen habe (Beschluss S. 10).
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Das Antragsrecht erlösche nach drei Monaten. Der Verletzten werde der Beweis, keine Kenntnis erhalten zu haben, kaum je gelingen; im Zweifel gelte die Frist als eingehalten, wenn keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Antragsberechtigten Tat und Täter schon früher bekannt gewesen seien (Urteil 6B_431/2010 vom 24. September 2010 E. 2.3.3).
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Die Vorinstanz schliesst, trotz Anfrage der Staatsanwaltschaft beim KIGA habe nicht in Erfahrung gebracht werden können, wann die RAV-Beraterin seitens des KIGA kontaktiert worden sei, sondern lediglich, dass sie am 27. Januar 2016 gegenüber dem KIGA Stellung genommen habe. Weitere Beweismittel seien nicht ersichtlich. Ernsthafte Anhaltspunkte dafür, dass die RAV-Beraterin vor dem 18. Januar 2016 Kenntnis von Tat und Täter hatte, könnten nicht bereits deshalb angenommen werden, weil sie nicht mehr sagen konnte, ob sie zwischen dem 13. und 15. Januar 2016 seitens des KIGA kontaktiert worden sei. Dies lasse lediglich die Möglichkeit einer entsprechenden Kenntnisnahme zu, liefere jedoch keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür (Urteil 6B_867/2009 vom 3. Dezember 2009 E. 2.5 [Schluss nicht unhaltbar]). Daraus, dass die polizeiliche Aussage der RAV-Beraterin nachträglich widerlegt werden konnte, könne nicht generell mangelnde Glaubhaftigkeit abgeleitet werden, zumal sie angegeben habe, nicht absolut sicher zu sein, zwischen dem 22. März und 18. April 2016 von der Aufnahme erfahren zu haben, und erklärte: "Demnach gehe ich davon aus, dass ich vom aufgenommenen Gespräch zwischen dem 22.03.2016 und dem 18.04.2016 erfahren haben muss" (Beschluss S. 13). Es könne zwar nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass sie, nachdem das KIGA am 12. Januar 2016 über die Aufnahme informiert worden war, zwischen dem 12. und 18. Januar 2016 vom KIGA entsprechend in Kenntnis gesetzt worden sei. Ernsthafte Anhaltspunkte, dass dem so gewesen sei, seien weder ersichtlich noch würden solche vom Beschwerdeführer geltend gemacht. Umso weniger könne die Rede davon sein, dass die Staatsanwaltschaft die Aussagen der RAV-Mitarbeiterin willkürlich gewürdigt habe. Vielmehr sei davon auszugehen, dass sie vor dem 18. Januar 2016 noch keine Kenntnis von Tat und Täter hatte und den Strafantrag vom 18. April 2016 rechtzeitig gestellt habe (Beschluss S. 14).
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1.3. Gemäss Art. 426 Abs. 1 StPO trägt die beschuldigte Person die Verfahrenskosten, wenn sie verurteilt wird. E contrario trägt sie die Verfahrenskosten nicht, wenn sie nicht verurteilt wird, insbesondere jene nicht, die der Bund oder der Kanton durch unnötige oder fehlerhafte Verfahrenshandlungen verursacht hat (Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO; Urteil 6B_1255/2016 vom 24. Mai 2017 E. 1.3). Eine Ausnahme normiert Art. 426 Abs. 2 StPO: Wird das Verfahren eingestellt [...], so können ihr [der beschuldigten Person] die Verfahrenskosten auferlegt werden, wenn sie rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt oder dessen Durchführung erschwert hat. Das Bundesgericht prüft frei, ob der Kostenentscheid direkt oder indirekt den Vorwurf strafrechtlicher Schuld enthält und ob die beschuldigte Person in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnormen klar verstiess und dadurch das Strafverfahren veranlasste. Unter Willkürgesichtspunkten prüft es die diesbezügliche Sachverhaltsfeststellung sowie gegebenenfalls kantonales Recht (Urteil 6B_414/2016 vom 29. Juli 2016 E. 2.4). Art. 426 Abs. 2 StPO ist als Kann-Vorschrift ausgestaltet, sodass der Vorinstanz ein Ermessen zusteht. Das Bundesgericht schreitet nur mit Zurückhaltung ein (Urteil 6B_1200/2017 vom 4. Juni 2018 E. 4.5.2).
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1.3.1. Das Bundesgericht setzte im Grundsatzentscheid zur Kostenauflage bei Freispruch oder Einstellung des Strafverfahrens voraus, dass der Beschuldigte in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm klar verstossen und dadurch die Einleitung des Strafverfahrens veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat (BGE 144 IV 202 E. 2.2 S. 204 f.; 116 Ia 162 E. 2d und 2e). Es hielt zudem fest, ein widerrechtliches Verhalten reiche nicht aus. Erforderlich sei zudem, dass es die adäquate Ursache für die Einleitung oder Erschwerung des Strafverfahrens gewesen sei. Dabei sei zu betonen, dass eine Kostentragung nur in Frage komme, wenn sich die Behörde aufgrund des normwidrigen Verhaltens des Beschuldigten in Ausübung pflichtgemässen Ermessens zur Einleitung eines Strafverfahrens veranlasst sehen konnte. Jedenfalls falle eine Kostenauferlegung ausser Betracht, wenn die Behörde aus Übereifer, aufgrund unrichtiger Beurteilung der Rechtslage oder vorschnell eine Strafuntersuchung eingeleitet habe. Dies entspreche auch dem Grundsatz, dass der Überbindung von Verfahrenskosten an den Beschuldigten bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens Ausnahmecharakter zukomme (BGE 144 IV 202 E. 2.2 S. 205; 116 Ia 162 E. 2c S. 170 f.; Urteile 6B_476/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 3 betr. mangelhafte Vertragserfüllung und 6B_1011/2018 vom 11. Dezember 2018 E. 1.4 betr. Simulation). Es ist ferner verfassungswidrig, einem Beschuldigten wegen eines allein unter ethischen Gesichtspunkten vorwerfbaren Verhaltens Kosten zu überbinden (BGE 116 Ia 162 E. 2g; Urteil 6B_1011/2018 vom 11. Dezember 2018 E. 1.2). Zwischen dem "zivilrechtlich vorwerfbaren Verhalten" und den Verfahrenskosten muss ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen (Urteil 6B_563/2017 vom 11. September 2017 E. 1.2).
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1.3.2. Diese Rechtsprechung erging in Nachachtung des Grundrechts der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV; Art. 6 Abs. 2 EMRK), welches nunmehr in Art. 10 Abs. 1 StPO kodifiziert ist. In einem neuen Entscheid hat sich der EGMR dazu differenziert geäussert (Urteil des EGMR,
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Der EGMR führte dabei aus, der Anwendungsbereich von Art. 6 Ziff. 2 EMRK gelte für jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, also ab der amtlichem Mitteilung der zuständigen Behörde an den Betroffenen, dass ihm die Begehung einer Straftat vorgeworfen wird (a.a.O., Ziff. 30), und ende mit der rechtskräftigen Verurteilung (Ziff. 34). Bei rechtskräftigem Freispruch sei es nicht mehr zulässig, einen Verdacht zu äussern, dass der Angeklagte schuldig sei; dagegen sei die Unschuldsvermutung bei Äusserungen nach einer Einstellung nur dann verletzt, wenn eine Gerichtsentscheidung die Auffassung erkennen lasse, der Angeklagte sei schuldig, ohne dass zuvor der gesetzliche Beweis seiner Schuld erbracht worden sei und ohne dass er die Möglichkeit hatte, seine Verteidigungsrechte wahrzunehmen (Ziff. 44). Bei Freispruch oder Einstellung schütze das Grundrecht davor, dass Personen behandelt werden, als wären sie der ihnen vorgeworfenen Taten schuldig (Ziff. 43). Jeder Zweifel müsse sich zugunsten des Angeklagten auswirken (Ziff. 42). Nach der autonomen Bedeutung des Begriffs der strafrechtlichen Anklage (Ziff. 30) kann sich der Beschwerdeführer auf die Unschuldsvermutung berufen.
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1.3.3. Der Beschwerdeführer anerkannte im Verfahren den ihm im Strafbefehl vorgeworfenen Tatbestand des unbefugten Aufnehmens von Gesprächen gemäss Art. 179ter Abs. 1 StGB z.N. der RAV-Beraterin. Für sämtliche Verfahrensbeteiligten bestanden diesbezüglich keine Zweifel. Deshalb ging es im Verfahren insoweit nur noch um eine Auseinandersetzung mit der Frage des Nachweises des Zeitpunkts der fristauslösenden Kenntnisnahme von Tat und Täter durch die RAV-Beraterin im Sinne von Art. 31 StGB. Auf die umfangreiche vorinstanzliche Beurteilung der fraglichen Kenntnisnahme durch die RAV-Beraterin ist - wie sich nachfolgend ergibt - mangels Entscheidwesentlichkeit nicht weiter einzutreten (dazu Urteil 6B_431/2010 vom 24. September 2010 E. 2.3.2 und 2.3.3).
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Unter der Voraussetzung der anerkannten Tatbestandsmässigkeit vermag der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt von Art. 426 Abs. 2 StPO an sich weder mit der Geltendmachung eines verspäteten Strafantrags seitens der RAV-Beraterin noch mit der Tatsache des auf ihrem Desinteresse beruhenden Rückzugs des Strafantrags (Art. 33 Abs. 1 StGB) durchzudringen. Der Rückzug ist eine rein prozessuale Erklärung, mittels welcher die antragsberechtigte Person auf die strafrechtliche Verfolgung einer Straftat verzichtet und die nichts an der materiellen Widerrechtlichkeit einer Handlung bzw. an deren Tatbestandsmässigkeit ändert. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass ein Strafantragsrückzug als Prozesshindernis zur Verfahrenseinstellung und nicht zum Freispruch der beschuldigten Person führt (vgl. Art. 319 Abs. 1 lit. d StPO sowie Art. 329 Abs. 1 lit. b und Abs. 4 StPO; Urteil 6B_552/2017 vom 18. Januar 2018 E. 1.4.5). Nicht anders verhielte es sich hinsichtlich des fraglichen Zeitpunkts der Kenntnisnahme der Gesprächsaufnahme im Sinne von Art. 31 StGB durch die RAV-Beraterin angesichts der auch vom Beschwerdeführer geteilten Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft betreffend die Tatbestandsmässigkeit der Aufnahme. Ein verspäteter Strafantrag würde an der durch verpöntes Verhalten verursachten Strafuntersuchung nichts ändern, während beim rechtzeitigen, aber zurückgezogenen Strafantrag auf das eben Gesagte zu verweisen wäre. Dass der Strafantrag rechtsmissbräuchlich gestellt worden wäre, wurde nicht behauptet. Der Beschwerdeführer konnte seine Verteidigungsrechte jedenfalls vollumfänglich wahren.
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1.4. Das Bundesgericht darf über die Begehren der Parteien nicht hinausgehen (Art. 107 Abs. 1 BGG), ist aber weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden, weshalb es die Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen kann (BGE 139 V 127 E. 1.2 S. 129; Urteil 6B_999/2017 vom 25. April 2018 E. 1.3.2). Es prüft aber grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen (Art. 42 Abs. 2 BGG), es sei denn, die rechtlichen Mängel lägen geradezu auf der Hand. Der Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG) gilt von vornherein nur im Rahmen des Streitgegenstandes, der dem Gericht zur Entscheidung vorliegt (BGE 142 I 99 E. 1.7.1 S. 106; 140 III 115 E. 2 S. 116).
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Wie ausgeführt, gingen alle Verfahrensbeteiligten und insbesondere der Beschwerdeführer vor der Vorinstanz davon aus, der im Strafbefehl vorgeworfene Tatbestand des unbefugten Aufnehmens von Gesprächen gemäss Art. 179ter Abs. 1 StGB z.N. der RAV-Beraterin sei erfüllt. Klar ist, dass es sich um kein nichtstrafbares Aufnehmen im Sinne von Art. 179quinquies Abs. 1 lit. b StGB handelt (vgl. den Entscheid ST.2017.40 des Kantonsgerichts St. Gallen vom 28. Juni 2018, publ. in: plädoyer 1/2019 S. 73 ff.). Weiter ist klar, dass das Gespräch als nichtöffentlich zu qualifizieren ist.
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Wie aber ANDREAS DONATSCH festhält, sollen nach BGE 108 IV 161 E. 2c S. 163 durch die Art. 179bis und 179ter StGB nur "Äusserungen im privaten Bereich" geschützt werden, nicht dienstliche Gespräche unter Beamten oder zwischen solchen und einer Privatperson; diese Auffassung vermöge nicht zu überzeugen (Strafrecht III, 11. Aufl. 2018, S. 423). Auch das nichtöffentliche Gespräch in einer Behörde müsse geschützt sein (GÜNTER STRATENWERTH ET AL., Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 7. Aufl. 2010, S. 268, Rz. 25). Die Literatur ist durchgehend der Auffassung, BGE 108 IV 161 sei zu restriktiv (vgl. HENZELIN/MASSROURI, in: Commentaire romand, Code pénal II, 2017, N. 6 zu Art. 179bis StGB; MICHEL DUPUIS et al., CP, Code pénal, 2. Aufl. 2017, N. 7 zu Art. 179bis StGB; TRECHSEL/LIEBER, in: Trechsel/ Pieth, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 4 zu Art. 179bis StGB; RAMEL/VOGELSANG, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N. 13 zu Art. 179bis StGB).
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In casu hat das Bundesgericht zu der in der Literatur vertretenen Rechtsauffassung nicht Stellung zu nehmen. Diese Rechtsfrage ist hier nicht zu entscheiden. Hingegen ist darauf hinzuweisen, dass die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) staatliche Aufgaben erfüllen (vgl. Art. 76 Abs. 1 lit. c und Art. 85b Arbeitslosenversicherungsgesetz [AVIG; SR 837.0]) und in diesem Rahmen gegenüber Arbeitslosen auch auskunfts- und informationspflichtig sind.
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1.5. BGE 108 IV 161 E. 2c S. 163 (Entscheid vom 2. November 1982) hat folgenden Wortlaut:
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"Daraus ergibt sich, dass nicht jedes nichtöffentliche Gespräch strafrechtlichen Schutz geniesst. Geschützt ist dieses nur, wenn es sich um Äusserungen im privaten Bereich handelt. Derartige Gespräche sind etwa Äusserungen persönlicher Natur, aber auch geschäftliche Besprechungen. Anders verhält es sich dagegen u.a. bei der dienstlichen Befragung durch einen Polizeibeamten oder Untersuchungsrichter, soweit es sich um Äusserungen handelt, die im Rahmen des hängigen Verfahrens gemacht werden [...]. Ein aus öffentlichrechtlicher Verpflichtung geführtes Gespräch fällt nicht in die Privatsphäre der Gesprächsteilnehmer, da diese durch die Aufnahme nicht in ihrer 'persönlichen Freiheit in der Mitteilung an andere' [...] beeinträchtigt sind. Soweit die Ausführung des dienstlichen Auftrags durch die Aufnahme des Gesprächs gestört oder verhindert wird, betrifft dies nur den Schutzbereich der Rechtspflege. Letztere wird aber durch Art. 179ter StGB nicht geschützt."
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Nach dieser Rechtsprechung schützt Art. 179ter StGB "dieses [scil. das Gespräch] nur, wenn es sich um Äusserungen im privaten Bereich handelt". Das war hier angesichts eines Auskunftsersuchens bei einer Amtsstelle der RAV nicht der Fall. Der Beschwerdeführer kann sich somit für seine ursprüngliche Rechtsauffassung (vgl. oben E. 1.1) auf eine seit dem Jahr 1982 bestehende Rechtsprechung zu Art. 179ter Abs. 1 StGB berufen. Die in der Lehre geäusserte Kritik ändert an dieser Tatsache nichts. Dem Beschwerdeführer lässt sich mithin kein "zivilrechtlich vorwerfbares Verhalten" im Sinne von Art. 28 ZGB vorhalten, das zur Überbindung der Verfahrenskosten unter dem Titel von Art. 426 Abs. 2 StPO berechtigen würde. Der Beschwerdeführer hatte die Aufnahme des Beratungsgesprächs nie bestritten und die Aufnahme von sich aus zu allem Anfang offengelegt. Die Verfahrenskosten wurden durch den Strafantrag und die dadurch veranlassten Untersuchungen der Staatsanwaltschaft verursacht. Das alles ist dem Beschwerdeführer weder straf- noch zivilrechtlich vorwerfbar. Er wurde zu Unrecht ins Recht gefasst. Die vorinstanzliche Rechtsverletzung liegt somit auf der Hand. Sie erging aufgrund einer unrichtigen Beurteilung der Rechtslage (oben E. 1.3.1).
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2. Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist, der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung der Kosten- und Entschädigungsfrage an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 BGG). Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Graubünden ist zu einer Parteientschädigung an den Beschwerdeführer zu verpflichten (Art. 68 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, der Beschluss des Kantonsgerichts Graubünden vom 3. Juli 2018 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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2. Es werden keine Kosten erhoben.
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3. Der Kanton Graubünden hat den Beschwerdeführer mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Graubünden, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 7. März 2019
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Der Gerichtsschreiber: Briw
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