BGer 9C_41/2019 | |||
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BGer 9C_41/2019 vom 26.03.2019 |
9C_41/2019 |
Urteil vom 26. März 2019 |
II. sozialrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
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Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless,
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Gerichtsschreiber Williner.
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Verfahrensbeteiligte | |
Beschwerdeführerin,
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gegen
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vertreten durch Advokatin Elisabeth Maier,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Berufliche Vorsorge,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 29. August 2018 (BV.2016.7).
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Sachverhalt: | |
A. A.________ arbeitete vom 8. September 2005 bis zur Kündigung per April 2011 als Verkäufer in einem Tankstellenshop, zunächst bei der B.________ GmbH und nach erfolgtem Pächterwechsel ab September 2009 bei der C.________ GmbH. In dieser Eigenschaft war er bei der Sammelstiftung BVG der Allianz Suisse Lebensversicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Allianz) berufsvorsorgeversichert. Im August 2011 meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Basel-Stadt sprach ihm mit Verfügung vom 19. Juni 2013 eine Viertelsrente ab dem 1. April 2012 zu (Invaliditätsgrad 47 %). Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 16. Dezember 2013 gut, hob die angefochtene Verfügung auf und sprach A.________ eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu (Invaliditätsgrad 55 %).
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Die Allianz teilte A.________ mit zwei Schreiben vom 4. November 2014 und vom 19. Januar 2015 mit, er könne seine Teilzeittätigkeit trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen im bisherigen Umfang weiterführen. Es bestehe deshalb kein Anspruch auf Leistungen der beruflichen Vorsorge.
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Die am 14. April 2016 von A.________ eingereichte Klage gegen die Allianz wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 24. Oktober 2016 ab. Das Bundesgericht hiess die dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil 9C_133/2017 vom 7. März 2018 teilweise gut, hob den angefochtenen Entscheid auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an das kantonale Gericht zurück. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.
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B. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt die Klage mit Entscheid vom 29. August 2018 gut und verpflichtete die Allianz, A.________ ausgehend von einem Arbeitspensum von 80 % eine jährliche Invalidenrente von Fr. 1'506.- ab dem 1. April 2012 und von Fr. 3'000.- ab dem 1. April 2014 zu entrichten, zuzüglich Zins von 5 % ab Klageeinreichung bzw. (für später fällig gewordene Rentenleistungen) ab Fälligkeit; das Alterskonto des A.________ sei ab dem 1. Juli 2012 weiterzuführen.
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C. Die Allianz führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, es sei der Entscheid vom 29. August 2018 aufzuheben und die Klage vom 4. April 2016 (wohl eher: 14. April 2016) vollumfänglich abzuweisen; eventualiter sei die Klage abzuweisen, soweit für den Zeitraum vom 18. April 2016 (recte: 14. April 2016) bis zum 31. Dezember 2016 ein Verzugszins von mehr als 1.25 Prozent und ab dem 1. Januar 2017 von mehr als einem Prozent zugesprochen worden sei. Der Beschwerde sei zudem die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
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Während A.________ auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine Stellungnahme.
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Erwägungen: | |
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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Die Beweiswürdigung im Allgemeinen, einschliesslich die Würdigung von Indizien und fallbezogene Wahrscheinlichkeitsüberlegungen, betreffen Tatfragen, die das Bundesgericht lediglich auf offensichtliche Unrichtigkeit und Rechtsfehlerhaftigkeit zu überprüfen befugt ist (Art. 105 Abs. 2 BGG). Blosse Zweifel an der Richtigkeit der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung ändern an deren Verbindlichkeitswirkung gemäss Art. 105 Abs. 1 BGG nichts (vgl. etwa die Hinweise in Urteil 8C_431/2012 vom 12. Dezember 2012 E. 1.2).
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2. Streitig ist der Anspruch des Beschwerdegegners auf eine Invalidenrente aus beruflicher Vorsorge. Zu prüfen ist insbesondere das ausgeübte Arbeitspensum bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat. Darüber hinaus ist die Rente in masslicher Hinsicht unbestritten. Das kantonale Gericht hat die einschlägigen Bestimmungen über den Anspruch auf Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge und deren Umfang (Art. 23 lit. a und Art. 24 Abs. 1 BVG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
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Erwägung 3 | |
3.1. Die Vorinstanz erwog, dem Vorsorgeausweis per 1. Januar 2011 sei im Sinne eines Indizes ein Beschäftigungsgrad von 80 % zu entnehmen. Für dasselbe Pensum würden die Stundenlohnabrechnungen von Januar bis April 2011 sprechen. Aus diesen gehe hervor, dass der neu im Stundenlohn angestellte Beschwerdegegner durchschnittlich 34.7 Stunden pro Woche geleistet habe, wobei bei betriebsüblicher Arbeitszeit von 41 Stunden pro Woche 32.8 Stunden einem Pensum von 80 % entsprechen würden. Das kantonale Gericht führte weiter aus, auch der 2010 erzielte Monatslohn von Fr. 2'866.50 könne diesem Pensum entsprechen. In Anbetracht dieser Indizien könne in Bezug auf das Arbeitspensum nicht von Beweislosigkeit gesprochen werden. Vielmehr sei überwiegend wahrscheinlich, dass der Beschwerdegegner bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt habe, ein Pensum von etwa 80 % geleistet habe. Gestützt darauf sowie auf die im Urteil 9C_133/2017 rechtskräftig festgesetzten (hypothetischen) Vergleichseinkommen (vgl. dortige E. 4.1.1 und 7) ermittelte die Vorinstanz einen Invaliditätsgrad von 43.68 % und bejahte den Anspruch auf eine Viertelsrente ab April 2012. Ergänzend wies sie darauf hin, selbst ein Pensum von 75 % führte zu keinem anderen Ergebnis.
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3.2. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 73 Abs. 2 BVG) unvollständig und willkürlich festgestellt. Das Arbeitspensum sei im angefochtenen Entscheid lediglich gestützt auf einen Indizienbeweis annähernd bestimmt worden. Auf die Erhebung weiterer Beweismittel, welche einen direkten Beweis zugelassen hätten, habe das kantonale Gericht verzichtet. Namentlich habe es davon abgesehen, den Arbeitsvertrag, Arbeitsrapporte oder Einsatzpläne einzuholen. Ebenso wenig seien ehemalige Mitarbeiter befragt worden. Damit habe die Vorinstanz den Auftrag aus dem bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheid nicht korrekt umgesetzt. Weiter habe sie die Regeln zum Beweismass und zur Beweislastverteilung verletzt, indem sie das Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit herabgesetzt habe. Schliesslich seien auch die bundesrechtlichen Grundsätze zum Verzugszins verletzt worden.
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Erwägung 4 | |
4.1. Das Bundesgericht hat in E. 4.2 des Urteils 9C_133/2017 erwogen, die Vorinstanz habe in Bezug auf das Arbeitspensum keine Feststellungen getroffen. Unter anderem deswegen schloss es, eine Beurteilung im letztinstanzlichen Verfahren verbiete sich aus prozessrechtlichen Gründen. Anders als die Einwände in der Beschwerde vermuten lassen, hat sich das Bundesgericht nicht gegen die Bestimmung des Arbeitspensums anhand eines Indizienbeweises ausgesprochen. Einen solchen schliesst denn auch der in Art. 73 Abs. 2 BVG statuierte Untersuchungsgrundsatz nicht aus (vgl. Urteil 9C_322/2012 vom 29. November 2012 E. 2.4.1 mit Hinweisen).
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4.2. Das kantonale Gericht gelangte in Würdigung der (ergänzten) Aktenlage zum Schluss, es sei überwiegend wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt habe, in einem Pensum von etwa 80 % angestellt gewesen sei. Diese Feststellung ist für das Bundesgericht verbindlich (vgl. E. 1 hievor). Inwiefern sie im Ergebnis offensichtlich unrichtig oder sonstwie bundesrechtswidrig sein soll, vermag die Beschwerdeführerin nicht darzulegen:
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4.2.1. Unverfänglich ist namentlich der Einwand, die Vorinstanz habe das Arbeitspensum im Zeitraum zwischen September 2009 und Dezember 2010 offensichtlich unrichtig festgestellt. Der Monatslohn belief sich in dieser Zeit unbestritten auf Fr. 2'866.50, ohne dass daraus das Pensum ersichtlich ist. Wie das kantonale Gericht sodann richtig erkannt und ausdrücklich darauf hingewiesen hat, lassen sich fixe monatliche Löhne und Einkommen, das auf Stundenbasis erzielt wird (ab Januar 2011), nur bedingt vergleichen, indem der erzielte Monatslohn im Jahr 2010 durch den ab Januar 2011 erzielten Stundenlohn geteilt wird. Dies gilt vor allem mit Blick auf die unbestritten gebliebene Feststellung des kantonalen Gerichts, der Stundenlohn eines im festen Monatslohn Angestellten falle (selbst auf äquivalenter Basis) generell tiefer aus als derjenige eines im Stundenlohn Angestellten. Im Übrigen hielt die Vorinstanz lediglich fest, ein Monatslohn von Fr. 2'866.50
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4.2.2. Nicht stichhaltig ist der blosse Hinweis der Beschwerdeführerin auf den Untersuchungsgrundsatz gemäss Art. 73 Abs. 2 BVG sowie auf verschiedene Beweise, welche das kantonale Gericht ihrer Auffassung nach hätte erheben sollen. Sie lässt damit ausser Acht, dass das Klageverfahren nach Art. 73 BVG nicht auf ein Verfahren der ursprünglichen Verwaltungsrechtspflege folgt und stark durch die Mitwirkungspflichten der Parteien geprägt ist. Dazu gehört insbesondere die Substanziierungspflicht, welche beinhaltet, dass die wesentlichen Tatsachenbehauptungen und -bestreitungen in den Rechtsschriften enthalten sein sowie die entsprechenden Beweismittel dargelegt werden müssen (BGE 138 V 86 E. 5.2.3 S. 97). Die Beschwerdeführerin hat zu keinem Zeitpunkt die Edition weiterer Akten, unter anderem von Seiten des Arbeitgebers, verlangt. Kommt das Gericht bei bestehender Aktenlage und deren sorgfältiger Prüfung zur Überzeugung, ein bestimmter Sachverhalt sei als überwiegend wahrscheinlich zu betrachten, so liegt im Verzicht auf beweisrechtliche Weiterungen keine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (vgl. statt vieler 8C_701/2018 vom 25. Februar 2019 E. 4.1). Von einer Beweislastumkehr kann in diesem Zusammenhang nicht gesprochen werden.
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4.3. Davon, dass die Vorinstanz das bundesrechtlich vorgegebene Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit herabgesetzt habe, wie die Beschwerdeführerin behauptet, kann keine Rede sein: Diese hat in E. 3.14 des angefochtenen Entscheids ausdrücklich das geforderte Beweismass genannt und dargelegt, weshalb überwiegend wahrscheinlich sei, dass der Beschwerdegegner bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, in einem Pensum von etwa 80 % gearbeitet habe.
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5. Was den Verzugszins anbelangt, weist die Beschwerdeführerin zu Recht darauf hin und bestreitet der Beschwerdegegner nicht, dass entgegen den vorinstanzlichen Ausführungen eine diesbezügliche reglementarische Bestimmung vorliegt. So entspricht der Verzugszins gemäss Ziff. 4.8.3 des Vorsorgereglements Teil 2 dem BVG-Mindestzinssatz, höchstens aber 5 %. Dieser beläuft sich für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2016 auf 1.25 % und ab 1. Januar 2017 auf 1 % (Art. 12 BVV 2).
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6. Mit dem Entscheid in der Sache erübrigt sich ein Entscheid über die beantragte aufschiebende Wirkung.
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7. Die Gerichtskosten (Art. 65 BGG) gehen zu Lasten der zur Hauptsache unterliegenden Beschwerdeführerin (Art. 66 Abs. 1 BGG), welche überdies eine Parteientschädigungspflicht gegenüber dem Beschwerdegegner trifft (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Eine teilweise Überwälzung der Verfahrenskosten auf den Beschwerdegegner sowie eine Reduktion seiner Parteientschädigung rechtfertigt sich nicht, da die Beschwerdeführerin einzig betreffend die Höhe des Verzugszinses, in einem Nebenpunkt von untergeordneter Bedeutung, durchdringt.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons-Basel Stadt vom 29. August 2018 wird insoweit abgeändert, als der Verzugszins 1.25 % bzw. ab 1. Januar 2017 1 % beträgt. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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3. Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'400.- zu entschädigen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 26. März 2019
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Pfiffner
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Der Gerichtsschreiber: Williner
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