BGer 6B_1323/2018 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
BGer 6B_1323/2018 vom 12.06.2019 |
6B_1323/2018, 6B_51/2019 |
Urteil vom 12. Juni 2019 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
| |
Bundesrichter Denys, Präsident,
| |
Bundesrichter Oberholzer,
| |
nebenamtliche Bundesrichterin Wasser-Keller,
| |
Gerichtsschreiber Reut.
|
Verfahrensbeteiligte | |
6B_1323/2018
| |
X.________, vertreten durch
| |
Rechtsanwalt Dr. Jürg Krumm,
| |
Beschwerdeführerin,
| |
und
| |
6B_51/2019
| |
Y.________, vertreten durch
| |
Rechtsanwalt Reto Steinmann,
| |
Beschwerdeführer,
| |
gegen
| |
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, Leitender Oberstaatsanwalt, An der Aa 4, 6300 Zug,
| |
Beschwerdegegnerin.
| |
Gegenstand
| |
Versuchter Mord, Beweiswürdigung, Willkür,
| |
Beschwerden gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug, Strafabteilung, vom 29. Oktober 2018
| |
(S 2018 7 / 8).
|
Sachverhalt: | |
A. X.________ und Y.________ wird vorgeworfen, gemeinsam den Plan gefasst und in die Tat umgesetzt zu haben, A.________, Ehemann von X.________, zu töten, indem X.________ ihm heimlich Paracetamol in möglichst hohen Dosen von mindestens vier bis fünf Gramm täglich verabreiche. Dabei hätten sie gewusst, dass dies bei A.________ zu einem tödlichen Leberschaden führen würde, da er aufgrund seines sehr hohen Alkoholkonsums eine angeschlagene Leber habe und allgemein in schlechter körperlicher Verfassung gewesen sei. Im Zeitraum vom 16./17. Mai 2016 bis zum 31. August 2016 habe X.________ ihrem Ehemann eine tägliche Durchschnittsmenge von mindestens vier Gramm Paracetamol verabreicht, wobei ihr und Y.________ bewusst gewesen sei, dass A.________ zusätzlich pro Woche rund eineinhalb Gramm Paracetamol wegen seiner Schmerzen eingenommen habe. Y.________ habe X.________ in dieser Zeitspanne immer wieder angespornt, sie solle ihrem Ehemann möglichst viel, d.h. vier bis acht Gramm Paracetamol pro Tag, geben. Nur durch Zufall, weil die Strafverfolgungsbehörden X.________ und Y.________ auf die Schliche gekommen seien, habe das Leben von A.________ gerettet werden können, der jedoch später am 9. Dezember 2017 aufgrund eines akuten Herzversagens starb, das in keinem Zusammenhang mit der bereits länger zurückliegenden übermässigen Einnahme von Paracetamol stand. Y.________ werden weitere Delikte vorgeworfen, die nicht im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt stehen.
| 1 |
B. Das Strafgericht des Kantons Zug verurteilte X.________ und Y.________ am 11. Dezember 2017 wegen versuchten Mordes. Des Weiteren verurteilte es Y.________ wegen mehrfachen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage, mehrfacher Urkundenfälschung, Widerhandlung gegen das Waffengesetz und mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes. Auf Berufung von X.________ und Y.________ gegen die Verurteilung wegen versuchten Mordes bestätigte das Obergericht des Kantons Zug am 29. Oktober 2018 den erstinstanzlichen Entscheid hinsichtlich der Schuldsprüche.
| 2 |
C. Je mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, sie sei freizusprechen und Y.________, das Urteil der Vorinstanz sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen. X.________ und Y.________ ersuchen ferner um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.
| 3 |
D. Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug beantragen in ihren Vernehmlassungen die Abweisung der Beschwerde. Sie weisen namentlich darauf hin, dass die beanstandeten Gutachten lediglich die auf den WhatsApp-Nachrichten basierende Schlussfolgerung bekräftigten, wonach X.________ und Y.________ ihren Tötungsvorsatz in die Tat umgesetzt hätten, und dass die Schlussfolgerung selbst nicht angefochten worden sei. X.________ und Y.________ halten replicando an ihrer Auffassung fest.
| 4 |
Erwägungen: | |
1. Das Bundesgericht vereinigt mehrere Verfahren, wenn sie in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen, namentlich wenn sie sich gegen denselben Entscheid richten und wenn sie die gleichen Parteien sowie ähnliche oder gleiche Rechtsfragen betreffen (vgl. Art. 71 BGG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 lit. b BZP; BGE 133 IV 215 E. 1). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weshalb die Verfahren 6B_1323/2018 und 6B_51/2019 zu vereinigen und in einem einzigen Entscheid zu beurteilen sind.
| 5 |
2. Die Beschwerde in Strafsachen ist in erster Linie ein reformatorisches Rechtsmittel (Art. 107 Abs. 2 BGG). Die Beschwerdeschrift muss daher grundsätzlich einen Antrag in der Sache enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Aufhebungsanträge oder Anträge auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur neuen Entscheidung allein genügen nicht. Allerdings reicht ein Begehren ohne Antrag in der Sache aus, wenn sich aus der Begründung zweifelsfrei ergibt, was mit der Beschwerde angestrebt wird (BGE 137 II 313 E. 1.3; Urteil 6B_115/2018 vom 30. April 2018 E. 2; je mit Hinweisen). Im Gegensatz zum Antrag der Beschwerdeführerin ersucht der Beschwerdeführer ohne ausdrücklichen Antrag in der Sache einzig um Rückweisung an die Vorinstanz. Er verlangt indessen die neue Entscheidung der Vorinstanz unter Berücksichtigung des Freispruchs des Beschwerdeführers vom Vorwurf des versuchten Mordes. Damit ist hinreichend klar, was mit der Beschwerde angestrebt wird. Da das Bundesgericht im Falle eines Freispruchs bezüglich des Beschwerdeführers ohnehin nicht reformatorisch entscheiden könnte, da die Vorinstanz diesfalls eine neue Strafzumessung vorzunehmen hätte (vgl. Urteil 6B_824/2016 vom 10. April 2017 E. 15.5 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 143 IV 214), sind die Anforderungen von Art. 42 Abs. 1 BGG auch bezüglich der Beschwerdeschrift des Beschwerdeführers erfüllt.
| 6 |
Erwägung 3 | |
3.1. Die Beschwerdeführer machen im Wesentlichen geltend, die Vorinstanz sei bei der Würdigung des Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich (nachfolgend "IRMZ") vom 1. Dezember 2016 und dessen Ergänzung vom 15. Mai 2017 in Willkür verfallen und habe zu Unrecht darauf abgestellt. Den Gutachten fehle es am Beweiswert, weshalb Bundesrecht verletzt sei. Gemäss Gutachten handle es sich bei der Bestimmung der Paracetamol-Konzentration in den Haaren um eine neu entwickelte Methode und beim ermittelten Wert um eine Schätzung, so dass die Anerkennung wissenschaftlich nicht zugesprochen werden könne. So sei im ersten Gutachten noch ein Paracetamol-Wert von >100'000 pg/mg ausgewiesen worden, der auch nicht als Schätzung deklariert worden sei. Im Ergänzungsgutachten dagegen sei darauf hingewiesen worden, dass auch der nunmehr ermittelte Wert von ca. 35'000 pg/mg (statt >100'000 pg/mg) einen Schätzwert darstelle. Damit habe sich aufgrund des Ergänzungsgutachtens das erste Gutachten als falsch herausgestellt. Auch das zweite Gutachten sei aber nicht schlüssig, da der ermittelte Wert von ca. 35'000 pg/mg immer noch über dem kalibrierten Bereich zu liegen komme. Es könne entgegen der Vorinstanz auch nicht auf den maximalen Messwert von 24'000 pg/mg abgestellt werden, da es sich dabei um eine reine Spekulation handle. Offensichtlich gebe es im IRMZ keine verlässliche Methode, eine Paracetamol-Konzentration über einem bestimmten Bereich zu messen. In keinem Fall lasse sich der tägliche Konsum von Paracetamol durch den Geschädigten aufgrund dieser Gutachten rechtsgenüglich eruieren. Zudem sei der Sachverständige wegen einer falschen Fragestellung im Gutachtensauftrag fälschlicherweise davon ausgegangen, dass der Geschädigte pro Woche nur dreimal eine Tablette à 500 mg Paracetamol zu sich genommen habe, statt der unbestrittenen dreimal wöchentlich drei Tabletten à 500 mg. Mithin seien die Gutachten unklar und inhaltlich mangelhaft. Weder stimme der ermittelte Wert der Paracetamol-Konzentration in den Haaren noch die Ausführungen in Bezug auf den Eigenkonsum des Geschädigten, so dass zumindest diese beiden Mängel hätten behoben, respektive nachgebessert werden müssen, was bereits vor Vorinstanz verlangt worden sei. Indem die Vorinstanz dennoch auf die Gutachten abstelle und sich die Verurteilung der Beschwerdeführer darauf stütze, handle sie willkürlich.
| 7 |
3.2. Die Vorinstanz stellt fest, die Sachverständigengutachten zur Haaranalyse des IRMZ vom 1. Dezember 2016 und vom 15. Mai 2017 bekräftigten die Schlussfolgerung aus den WhatsApp-Nachrichten der Beschwerdeführer, dass die Beschwerdeführerin ihrem verstorbenen Ehemann spätestens ab dem 17. Mai 2016 in Zypern und der Schweiz heimlich Paracetamol verabreicht habe. Unter Hinweis auf die Ausführungen des IRMZ im Ergänzungsgutachten erwägt die Vorinstanz weiter, dass die Abweichung in den beiden Analysen des IRMZ keinen Widerspruch darstelle, sondern auf die Optimierung der Messmethode zurückzuführen sei. Dennoch geht sie davon aus, dass angesichts der strengen Voraussetzungen bezüglich der Genauigkeit von Sachverständigengutachten entgegen der Erstinstanz nicht auf die "Abschätzung" bzw. den Schätzwert des IRMZ von 35'000 pg/mg abgestellt werden könne. Vielmehr habe als rechtsgenüglich nachgewiesene Paracetamol-Konzentration in den sichergestellten Haaren des Geschädigten der Wert von 24'000 pg/mg zu gelten, welcher vom IRMZ - mit der durch 90 Vergleichsmessungen etablierten Methode - als maximal messbarer Wert bzw. obere Grenze des Messbereichs bezeichnet werde und welcher vorliegend auch zweifellos erreicht worden sei. Auch der Wert von 24'000 pg/mg sei nach wie vor ein deutlicher Hinweis auf eine sehr starke wiederholte Paracetamol-Einnahme. Bezüglich der vom Geschädigten freiwillig selbst eingenommenen Menge Paracetamol stellt die Vorinstanz fest, er habe im Zeitraum von Mitte Mai 2016 bis Ende August 2016 durchschnittlich dreimal pro Woche jeweils drei Tabletten Remedol bzw. Dafalgan à je 500 mg Paracetamol zu sich genommen, was einem täglichen Durchschnittskonsum von 640 mg Paracetamol entsprochen habe. Gestützt auf die Werte des im Ergänzungsgutachten genannten Vergleichsfalls folgert die Vorinstanz, dass der Geschädigte im Zeitraum von sieben bis zwölf Monaten vor der Sicherstellung der Haarprobe am 31. August 2016 täglich (mindestens) 3'600 mg ([3'000 mg] / [20'000 pg/mg] * [24'000 pg/mg]) Paracetamol konsumiert haben müsse. Ziehe man davon die 640 mg ab, die der Geschädigte täglich durchschnittlich von sich aus eingenommen habe, errechne sich ein Wert von knapp 3'000 mg Paracetamol (3'600 mg - 640 mg), das ihm zusätzlich verabreicht worden sein müsse. Abschliessend stehe in objektiver Hinsicht fest, dass die Beschwerdeführerin gemäss den WhatsApp-Nachrichten ihrem Ehemann spätestens ab dem 17. Mai 2016 bis zum 31. August 2016 wiederholt heimlich Paracetamol verabreicht habe, und zwar durchschnittlich drei Gramm pro Tag (angefochtenes Urteil S. 27 ff.).
| 8 |
3.3. Zieht das Gericht mangels eigener Fachkenntnis gestützt auf Art. 182 StPO eine sachverständige Person bei, ist es bei der Würdigung des Gutachtens dennoch grundsätzlich frei (Art. 10 Abs. 2 StPO). Ob es die in einem Gutachten enthaltenen Erörterungen für überzeugend hält oder nicht und ob es dementsprechend den Schlussfolgerungen der Experten folgen will, ist mithin eine Frage der Beweiswürdigung. Es besteht insofern auch keine Bindung an gutachterliche Befunde, zumal das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung (Art. 9 BV) verstossen kann. Gleichwohl darf das Gericht in Fachfragen nicht ohne triftige Gründe vom Gutachten abrücken und muss Abweichungen begründen (BGE 142 II 355 E. 6 S. 358 f.; 141 IV 369 E. 6.1 S. 372 f., 305 E. 6.6.1 S. 315; je mit Hinweisen). Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, d.h. wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dass eine andere Lösung ebenfalls möglich erscheint, genügt nicht (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1 mit Hinweisen). Erforderlich ist, dass der Entscheid nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist (BGE 141 IV 305 E. 1.2 mit Hinweisen).
| 9 |
Das Bundesgericht anerkennt in seiner Rechtsprechung, dass bei der Begutachtung im Grundsatz Methodenfreiheit besteht. Die Wahl der Methode muss aber begründet sein. Die wissenschaftlichen Standards müssen eingehalten und die Schlussfolgerungen transparent sowie für die Verfahrensbeteiligten nachvollziehbar dargestellt sein (Urteil 6B_304/2015 vom 14. September 2015 E. 2.4 mit Hinweis). Gemäss Art. 189 StPO lässt die Verfahrensleitung das Gutachten von Amtes wegen oder auf Antrag einer Partei durch die gleiche sachverständige Person ergänzen oder verbessern oder bestimmt weitere Sachverständige, wenn das Gutachten unvollständig oder unklar ist (lit. a), wenn mehrere Sachverständige in ihren Ergebnissen erheblich voneinander abweichen (lit. b) oder wenn Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens bestehen (lit. c). Ein Gutachten stellt namentlich dann keine rechtsgenügliche Grundlage dar, wenn gewichtige, zuverlässig begründete Tatsachen oder Indizien die Überzeugungskraft des Gutachtens ernstlich erschüttern. Das trifft etwa zu, wenn der Sachverständige die an ihn gestellten Fragen nicht beantwortet, seine Erkenntnisse und Schlussfolgerungen nicht begründet oder diese in sich widersprüchlich sind oder die Expertise sonstwie an Mängeln krankt, die derart offensichtlich sind, dass sie auch ohne spezielles Fachwissen erkennbar sind (BGE 141 IV 369 E. 6.1 S. 272 f.; Urteile 6B_296/2017 vom 28. September 2017 E. 3.2 und 6B_1307/2015 vom 9. Dezember 2016 E. 4.3.2; je mit Hinweisen). Die mündliche Erläuterung des Gutachtens im Sinne von Art. 187 Abs. 2 StPO bietet Gelegenheit, Unklarheiten zu beseitigen und durch direkte Kommunikation zwischen der Strafbehörde, dem Sachverständigen und den Verfahrensbeteiligten das Verständnis für die aufzuklärenden Zusammenhänge zu fördern (Urteil 6B_1237/2015 vom 25. Februar 2016 E. 1.3.3 mit Hinweis).
| 10 |
3.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Gemäss Art. 97 Abs. 1 BGG kann die Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Verletzung von schweizerischem Recht im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann. Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1; 143 I 310 E. 2.2; je mit Hinweisen). Die Willkürrüge muss explizit vorgebracht und substantiiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 142 III 364 E. 2.4).
| 11 |
3.5. Das IRMZ untersuchte im ersten Gutachten vom 1. Dezember 2016 den Konsum von Paracetamol des Geschädigten in den vergangenen ca. 12 Monaten anhand der sichergestellten Proben von Brusthaaren, wobei es eine Konzentration des Wirkstoffs Paracetamol von ">100'000 pg/mg" feststellen konnte. Die nachgewiesene Konzentration liege im oberen Bereich der dem IRMZ bekannten Vergleichswerte. Im Ergänzungsgutachten vom 15. Mai 2017 wird festgehalten, dass für den Nachweis von Paracetamol in Haaren für diesen Fall eine spezielle Methode entwickelt und das Ergebnis deshalb nur als Schätzwert abgegeben worden sei. Die Gründe dafür seien, dass die Methode nur habe teiloptimiert werden können und dass das Messsignal der Fallprobe übersättigt gewesen sei, weil die Konzentration für diese Methode zu hoch gewesen sei. Deshalb sei der Schätzwert als "grösser als" abgegeben worden. Die Probe sei mit dem optimierten und in die Routine eingebundenen Messverfahren erneut untersucht worden, womit ein verbesserter Analysewert habe bestimmt werden können (bei 90 Vergleichsmessungen). Dieser liege bei "ca. 35'000 pg/mg". Auch dieser Wert sei nur eine Abschätzung, weil er immer noch über dem kalibrierten Bereich liege. Weiter wird im Gutachten darauf hingewiesen, dass bis heute nur ein Vergleichsfall mit glaubhafter Langzeitmedikation von täglich 3 x 1'000 mg, mithin also 21'000 mg pro Woche im Gegensatz zu 1'500 mg/Woche beim Geschädigten, vorliege. Die Untersuchung dieser Haarprobe, mit der ein Zeitfenster von bis 7 Monaten abgedeckt worden sei, habe einen Wert von ca. 20'000 pg/mg Paracetamol im Haar ergeben. Dieser Wert liege unter dem Messwert von ca. 35'000 pg/mg der Haarprobe des Geschädigten, so wie er neu bestimmt worden sei. Zudem sei festzuhalten, dass die Haarprobe des Geschädigten einen Zeitraum von bis zu zwölf Monaten abdecke, also einen deutlich längeren Zeitraum (angefochtenes Urteil S. 28 f.; kantonale Akten act. 3/5 und act. 3/9).
| 12 |
3.6. Die Rügen der Beschwerdeführer sind begründet. Die Vorinstanz verletzt Bundesrecht und verfällt in Willkür, indem sie sich auf eine nicht schlüssige Expertise stützt bzw. auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen verzichtet (Art. 9 BV und Art. 189 lit. a bis c StPO).
| 13 |
3.6.1. Grundsätzlich ist nicht zu beanstanden, dass das beauftragte Institut angesichts der Fragestellung eine Methode zur Bestimmung des Paracetamol-Konsums durch Analyse der Haare neu entwickelt hat. Entscheidend ist, dass das IRMZ darauf hingewiesen und diesen Umstand transparent gemacht hat, was vorliegend der Fall ist. Ausserdem liegt die Anwendung eines solchen Verfahrens für die vorliegende Fragestellung durchaus nahe, nachdem die Haaranalyse als Verfahren zum Nachweis konsumierten Alkohols und eingenommener Betäubungsmittel aus dem Strassenverkehrsrecht etabliert und anerkannt ist (BGE 140 II 334 E. 3.; Urteile 1C_147/2018 vom 5. Oktober 2018 E. 5 und 1C_106/2016 vom 9. Juni 2016 E. 3.3; Publikation der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin [SGRM], Arbeitsgruppe Haaranalytik, Bestimmung von Ethylglucuronid [EtG] in Haarproben, Version 2017, Ziff. 3.2.2 [nachfolgend "SGRM EtG"]; RUCKSTUHL UND ANDERE, Strafprozessrecht unter Einschluss der forensischen Psychiatrie und Rechtsmedizin sowie des kriminaltechnischen und naturwissenschaftlichen Gutachtens, 2011, S. 533 Rz. 1649).
| 14 |
3.6.2. Ebenso zielt der Vorwurf des Beschwerdeführers, es hätte nicht der gleiche Sachverständige erneut beauftragt werden dürfen, ins Leere und ist vor dem Hintergrund der für Willkürrügen erforderlichen Begründungspflicht auch nicht hinreichend dargelegt. Nur aus dem Umstand, dass der gleiche Sachverständige für das Erst- und das Ergänzungsgutachten verantwortlich zeichnet, ergeben sich keine Vorbehalte in Bezug auf die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Sachverständigen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss in objektiver Weise begründet erscheinen (Urteile 6B_1101/2018 vom 27. Dezember 2018 E. 1.2 und 6B_338/2018 vom 22. Mai 2018 E. 2.1.2). Solches ist hier weder dargetan noch ersichtlich, zumal bereits der Gesetzgeber ausdrücklich die Ergänzung bzw. Erläuterung eines Gutachtens durch denselben Experten vorgesehen hat (vgl. dazu auch WOHLERS, Strafjustiz und Sachverständige, in: ZStrR 136/2018 S. 431 ff.; HEER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N 16 zu Art. 189 StPO).
| 15 |
3.6.3. Nicht beantwortet wird jedoch im Ergänzungsgutachten des IRMZ die sich wegen der besonders starken Differenz zwischen dem ersten (>100'000 pg/mg) und zweiten Messwert (ca. 35'000 pg/mg) aufdrängende Frage nach der Zuverlässigkeit der neu entwickelten Messmethode und deren Aussagekraft. Es findet sich trotz des Eingeständnisses, dass es sich um eine Neuentwicklung handelt, kein Hinweis auf die Validierung dieser Methode und die Rückführbarkeit auf eine Referenz. Sowohl aus der Broschüre des IRMZ zum Zentrum für Forensische Haaranalytik vom Februar 2017 (<https://www.irm.uzh.ch/de/dienstleistung/fpt/zfh.html> [besucht am 23. Mai 2019; nachfolgend "Broschüre IRMZ Haaranalytik") als auch aus der Publikation der SGRM, Arbeitsgruppe Haaranalytik, Bestimmung von Drogen und Medikamenten in Haarproben, Version 2017 (nachfolgend "SGRM Drogen/Medikamente") ergibt sich klar, dass das Verfahren der Haaranalytik in erster Linie entwickelt wurde, um die Frage zu klären,
| 16 |
Dass dies nicht weiter abgeklärt wurde, erscheint vorliegend umso stossender, als der Bericht des IRMZ vom 22. Januar 2018 zu den Haaranalysen der Kopfhaare des Geschädigten, die nach seinem natürlichen Tode am 11. Dezember 2017 sichergestellt wurden, Anlass zur Vermutung gibt, dass die Analyse-Methode für den Nachweis von Stoffen in Haaren seitens des IRMZ tatsächlich erneut verfeinert wurde, auf welche Möglichkeit die Schweizerische Gesellschaft für Rechtsmedizin in ihrer Publikation explizit hingewiesen hat. Diese neusten Analysen der Kopfhaare des Geschädigten ergaben im 1. Segment (ca. 2 cm) eine Paracetamol-Konzentration von 7'700 pg/mg und im 2. Segment (ca. 3 cm) eine solche von 4'000 pg/mg (angefochtenes Urteil S. 29; kantonale Akten act. OG DG 6/3/2 S. 1 und 3). Trotz Kenntnis dieser Ergebnisse aus der jüngsten Haaranalyse des IMRZ unterliess es die Vorinstanz beim IRMZ nachzufragen, ob eine solche Segmentierung oder zumindest ein Verfahren zur genaueren zeitlichen Eingrenzung auch bei der am 31. August 2016 entnommenen Haarprobe des Geschädigten möglich ist, da die Länge der ersten sichergestellten Haarproben von bis zu 6 cm (kantonale Akten act. 3/5 S. 1) solches durchaus zulässt. Obwohl die Broschüre IRMZ Haaranalytik eine solche Möglichkeit noch negiert (a.a.O., S. 5), ist nicht auszuschliessen, dass auch diesbezüglich die Methodik verfeinert werden konnte. Vorliegend drängt sich jedoch eine solche Klarstellung geradezu auf, da die bisher vorliegenden Messwerte bezüglich der Haarprobe vom 31. August 2016 das Haar als Ganzes betrifft und sich auf den Zeitraum von sieben bis zwölf Monaten bezieht, obwohl gemäss Anklage die heimliche Gabe des zusätzlichen Paracetamols erst am 16./17. Mai 2016 begann, was die Eingrenzung eines Messwerts auf die letzten Monate vor der Probeentnahme am 31. August 2016 nahelegen müsste. Entsprechend empfiehlt die SGMR sowohl bei der Haaranalyse zur Bestimmung des Alkoholkonsums wie auch von Drogen und Medikamenten die Segmentierung, wenn eine relevante Veränderung der konsumierten Alkoholmengen geltend gemacht wird (SGMR EtG Ziff. 4.2.2; SGMR Drogen/Medikamente Ziff. 4.2.2), was vorliegend mit Bezug auf den Paracetamol-Konsum der Fall ist. Alsdann wird sich der Sachverständige ganz besonders vor dem Hintergrund der stark voneinander abweichenden beiden Messwerte auch zur Frage der Messunsicherheit auszusprechen haben, die gemäss SGMR Drogen/Medikamente Ziff. 5.4 auf ±30% festgesetzt wurde. Nicht geklärt ist schliesslich die Frage, ob die Messwerte der Segmente zusammenzuzählen sind, resp. ob der im Ergänzungsgutachten angegebene Schätzwert von ca. 35'000 pg/mg ebenfalls in eine Summe verschiedener Messergebnisse für unterschiedliche Segmente (und damit verschiedene Zeiträume) unterteilt werden kann und welche einzelnen Messergebnisse daraus hervorgehen.
| 17 |
3.6.4. Zwar verweist das Ergänzungsgutachten auf Vergleichsmessungen, die durchgeführt wurden. Allerdings wird nicht transparent dargelegt, um was für Proben es sich dabei handelt. Es wird einzig darauf hingewiesen, dass in diesen Fällen die Paracetamol-Einnahme bekannt gewesen sei. Dabei erhellt nicht, ob bei diesen Vergleichsmessungen die
| 18 |
3.6.5. Ausserdem wird vom Sachverständigen schlüssig und nachvollziehbar die Fundiertheit der angewandten Methode darzulegen sein und wie der maximal messbare Wert von 24'000 pg/mg zu erklären ist, wenn ganz offensichtlich Paracetamol-Konzentrationen in Haaren vorkommen, die weit darüber hinausreichen. Es verbleiben erhebliche Zweifel, ob die angewandte Methode in Bezug auf die konkrete Fragestellung aussagekräftig ist bzw. zuverlässige Messwerte ergibt. Damit liegen Umstände vor, welche die Schlüssigkeit der Gutachten, namentlich des Ergänzungsgutachtens, ernsthaft erschüttern. Ob die offenen Fragen vom IRMZ oder gegebenenfalls durch einen "unbefassten" Sachverständigen zu beantworten sind, ist von der Vorinstanz zu entscheiden, ebenso wie die Frage, ob die Sachlage mittels der verfeinerten Analysemethode anhand der Haarprobe vom 31. August 2016 schlüssig geklärt werden kann oder ob weitere Beweiserhebungen notwendig sind. Die Vorinstanz wird allenfalls auch eine Zweitmeinung über die Zuverlässigkeit und wissenschaftliche Akzeptanz der Methode durch einen Sachverständigen eines anderen rechtsmedizinischen Instituts oder der SGMR einzuholen haben, sollte dies nicht nachvollziehbar und schlüssig belegt werden.
| 19 |
3.7. Indem die Vorinstanz die von der Beschwerdeführerin dem Geschädigten heimlich verabreichte Menge von 3'000 mg Paracetamol pro Tag gestützt auf die Gutachten des IRMZ als erwiesen ihrem Urteil zugrunde legt, verfällt sie in Willkür und verletzt Bundesrecht in Bezug auf ihre Pflicht, die widersprüchlichen Ergebnisse der ersten beiden Gutachten vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse gestützt auf den schriftlichen Bericht vom 22. Januar 2018 durch den Sachverständigen nachvollziehbar und schlüssig - eventuell mittels mündlicher Erläuterung vor Schranken - klären zu lassen und Zweifel an der Richtigkeit des Ergänzungsgutachtens auszuräumen (Art. 9 BV und Art. 189 lit. a und c StPO). Mithin muss ausgeschlossen werden können, dass eine erneute Analyse der Haarproben vom 31. August 2016 eine Paracetamol-Konzentration ergeben könnte, welche gegen die Einnahme von hochdosiertem Paracetamol durch den Geschädigten spricht. Falls dies nicht möglich sein sollte, wird die Vorinstanz zu entscheiden haben, ob ein Schuldspruch auch ohne verlässliches Gutachten über den Paracetamol-Konsum des Geschädigten anhand der übrigen Beweismittel willkürfrei erfolgen kann. Dabei ist festzuhalten, dass die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz - mit Ausnahme hinsichtlich des Gutachtens - von den Beschwerdeführern nicht gerügt wurden, so dass sie als verbindlich festgestellt auch einem neuen Urteil der Berufungsinstanz zugrunde gelegt werden können. Gestützt auf das bisherige Sachverhaltsfundament lässt sich ihr Schuldspruch nicht auf seine Richtigkeit überprüfen. Die Sache ist deshalb zur Ergänzung bzw. Erläuterung des Ergänzungsgutachtens und neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
| 20 |
4. Die Beschwerden sind gutzuheissen, das Urteil ist aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche Verfahren sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Zug hat den Beschwerdeführern für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Damit werden die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos (BGE 139 III 396 E. 4.1).
| 21 |
Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Verfahren 6B_1323/2018 und 6B_51/2019 werden vereinigt.
| |
2. Die Beschwerden werden gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug vom 29. Oktober 2018 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
| |
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
| |
4. Der Kanton Zug hat den Rechtsvertretern der Beschwerdeführer, Rechtsanwalt Dr. iur. Jürg Krumm und Rechtsanwalt lic. iur. Reto Steinmann, für das bundesgerichtliche Verfahren je eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen.
| |
5. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug, Strafabteilung, schriftlich mitgeteilt.
| |
Lausanne, 12. Juni 2019
| |
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
| |
des Schweizerischen Bundesgerichts
| |
Der Präsident: Denys
| |
Der Gerichtsschreiber: Reut
| |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |