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Informationen zum Dokument  BGer 9C_542/2019  Materielle Begründung
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BGer 9C_542/2019 vom 12.11.2019
 
 
9C_542/2019
 
 
Urteil vom 12. November 2019
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Moser-Szeless,
 
Gerichtsschreiber Attinger.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Karin Herzog,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Invalidenrente),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 5. Juli 2019 (IV 2017/289).
 
 
Sachverhalt:
 
A.________ bezog von März 2006 bis August 2008 eine ganze und ab September 2008 eine Viertelsrente der Invalidenversicherung. Auf Revisionsgesuch des Versicherten hin setzte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen die bisherige Viertelsrente mit Wirkung ab April 2015 auf eine halbe Rente herauf (Verfügung vom 19. Juni 2017).
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Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die dagegen erhobene Beschwerde gut und sprach A.________ ab April 2015 eine Dreiviertelsrente zu (Entscheid vom 5. Juli 2019).
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Die IV-Stelle führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und Bestätigung ihrer Verfügung vom 19. Juli 2017. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird beantragt, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
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A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während sich das Bundesamt für Sozialversicherungen dazu nicht hat vernehmen lassen.
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Erwägungen:
 
1. Die Vorinstanz, deren Überlegungen sich der Beschwerdegegner zu eigen macht, ermittelte einen Invaliditätsgrad von rund 61 %. Demgegenüber hatte der Einkommensvergleich der beschwerdeführenden IV-Stelle (Art. 16 ATSG [SR 830.1]) bei grundsätzlich übereinstimmenden Vergleichseinkommen eine Invalidität von (bloss) 57 % ergeben. Die leistungsrelevante Differenz (vgl. Art. 28 Abs. 2 IVG) ist einzig dem Umstand geschuldet, dass das kantonale Gericht beim Invalideneinkommen einen (mindestens) 10%igen Abzug vom unbestrittenen LSE-Tabellenlohn gewährte, wogegen die Verwaltung jeglichen Abzug ablehnt.
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2. Ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Abzug vom Tabellenlohn im Sinne von 126 V 75 E. 5b/aa-cc S. 79 f. vorzunehmen sei, stellt eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage dar (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72).
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Erwägung 3
 
3.1. Bei Männern, die behinderungsbedingt nur mehr einer Teilzeitarbeit nachgehen können, wird unter dem Titel Beschäftigungsgrad allenfalls ein Abzug vom Tabellenlohn anerkannt. Demgegenüber entfällt ein solcher, wenn - wie hier - grundsätzlich vollzeitlich arbeitsfähige Versicherte aus gesundheitlichen Gründen lediglich reduziert leistungsfähig sind (Urteile 9C_232/2019 vom 26. Juni 2019 E. 2 und 3.1, 8C_211/2018 vom 8. Mai 2018 E. 4.4 und 8C_344/2012 vom 16. August 2012 E. 3.2, je mit Hinweisen). Von dieser Rechtsprechung abzuweichen besteht entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners kein Anlass (die Vorinstanz lässt die Frage offen), auch nicht in Fällen wie dem vorliegenden, bei dem die vollzeitliche Verrichtung leidensangepasster Verweistätigkeiten nur mehr eine hälftige Leistung zeitigt (vgl. das erstgenannte der hievor angeführten Urteile).
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3.2. Soweit Vorinstanz und Beschwerdegegner in den vom psychiatrischen Gutachter angeführten Diagnosen akzentuierte Persönlichkeitszüge (ICD-10 Z73.1), Probleme in Verbindung mit Berufstätigkeit und Arbeitslosigkeit (ICD-10 Z56) sowie Anpassungsprobleme bei Veränderung der Lebensumstände (ICD-10 Z60) Gründe für einen Abzug vom Tabellenlohn erblicken, kann ihnen nicht gefolgt werden. Obwohl unter dem Diagnose-Code ICD-10 Zxy (Kapitel XXI) der WHO aufgeführt, handelt es sich hiebei nicht um Erkrankungen im Sinne der anerkannten internationalen Klassifikationssysteme, sondern um Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen. Die Kategorien Z00-Z999 sind für Fälle vorgesehen, in denen Sachverhalte als "Diagnosen" oder "Probleme" angegeben sind, die nicht als Krankheit, Verletzung oder äussere Ursache unter den Kategorien A00-Y89 klassifizierbar sind (ICD-10-GM 2017 - Systematisches Verzeichnis, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision - German Modification, Version 2017 - Stand: 23. September 2016, S. 793). Z-codierte Diagnosen fallen somit nicht unter den Begriff der invaliditätsrechtlich erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigungen; sie stellen grundsätzlich keine invalidisierenden Gesundheitsschäden dar (SVR 2012 IV Nr. 22 S. 95, 8C_302/2011 E. 2.3; Nr. 52 S. 188, 9C_537/2011 E. 3.1; 2008 IV Nr. 15 S. 43, I 514/06 E. 2.2.2.2). Dieselben Überlegungen sind auch im Zusammenhang mit der Frage nach einer Kürzung der statistischen Tabellenlöhne anzustellen. Z-Diagnosen führen grundsätzlich weder zu einem behinderungsbedingten noch zu einem anderweitig begründeten Tabellenlohnabzug.
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3.3. Nichts anderes gilt mit Bezug auf den von der Vorinstanz fälschlicherweise als abzugsrelevant berücksichtigten Umstand, wonach das Reaktionsvermögen des Beschwerdegegners unter Medikamentengebrauch möglicherweise beeinträchtigt sei und demzufolge bei Arbeiten mit laufenden Maschinen und beim Führen von Motorfahrzeugen eine Gefährdung bestehen könne. Denn der ausgeglichene Arbeitsmarkt bietet dem Versicherten ein hinreichend breites Spektrum an zumutbaren Verweisungstätigkeiten, bei denen es nicht auf das Reaktionsvermögen ankommt.
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3.4. Nach dem Gesagten sind sämtliche vom Beschwerdegegner geltend gemachten Abzugskriterien vom kantonalen Gericht zu Unrecht als lohnmindernd anerkannt (oder die entsprechende Frage offengelassen) worden. Bei bundesrechtskonformer Ermittlung des Invalideneinkommens resultiert ein Invaliditätsgrad von weniger als 60 %, der zur verfügten halben Rente berechtigt. Die Beschwerde der IV-Stelle ist demnach begründet.
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4. Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch der IV-Stelle um aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegenstandslos.
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5. Als unterliegende Partei hat der Beschwerdegegner die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 5. Juli 2019 wird aufgehoben und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 19. Juni 2017 wird bestätigt.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
 
3. Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 12. November 2019
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Pfiffner
 
Der Gerichtsschreiber: Attinger
 
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