BGer 1B_502/2019 | |||
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BGer 1B_502/2019 vom 23.12.2019 |
1B_502/2019 |
Urteil vom 23. Dezember 2019 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Chaix, Präsident,
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Bundesrichter Fonjallaz, Kneubühler,
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Gerichtsschreiberin Hänni.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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vertreten durch
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Rechtsanwältin Fernanda Clavadetscher Pontes,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, Abteilung für schwere Gewaltkriminalität, Molkenstrasse 15/17, 8004 Zürich.
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Gegenstand
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Strafverfahren; unentgeltliche Rechtspflege, Prozesskaution,
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Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts
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des Kantons Zürich, III. Strafkammer, Präsident,
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vom 6. September 2019 (UE190160-O/Z2).
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Sachverhalt: |
A. | |
Am 3. Januar 2019 erstattete der im französischen Überseegebiet Saint-Barthélémy wohnhafte A.________ Strafanzeige gegen B.________ wegen Tätlichkeiten bzw. versuchter einfacher Körperverletzung gegen deren gemeinsamen Sohn. Am 22. Februar 2019 ging bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich ein Strafübernahmeersuchen von Frankreich ein, in welchem um Übernahme der Ermittlungen gegen die beschuldigte Person ersucht wurde.
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B. | |
Am 26. März 2019 erliess die Staatsanwaltschaft IV (heute: Staatsanwaltschaft I) des Kantons Zürich eine Nichtanhandnahmeverfügung. Dagegen erhob A.________ am 20. Mai 2019 Beschwerde beim Obergericht Zürich. Er beantragte unter anderem die Aufhebung der Nichtanhandnahmeverfügung und stellte ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung.
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Mit Verfügung vom 24. Juni 2019 setzte das Obergericht A.________ zur Klärung seiner Beschwerdelegitimation eine Frist, um allfällige Zivilansprüche geltend zu machen und soweit möglich zu belegen.
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C. | |
Am 6. September 2019 wies das Obergericht Zürich das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ab und räumte dem Beschwerdeführer eine Frist von 30 Tagen ein, um eine Prozesskaution von Fr. 1'500.-- zu leisten, unter der Androhung, dass sonst auf das Rechtsmittel nicht eingetreten werde.
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D. | |
Mit Eingabe vom 8. Oktober 2019 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, die Verfügung vom 6. September 2019 sei aufzuheben und es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren vor dem Obergericht des Kantons Zürich zu gewähren. Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtet auf eine Stellungnahme.
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Erwägungen: |
Erwägung 1 | |
Der angefochtene Entscheid betrifft die unentgeltliche Rechtspflege im kantonalen Beschwerdeverfahren gegen eine Nichtanhandnahmeverfügung der Staatsanwaltschaft. Gegen diesen Entscheid einer letzten kantonalen Instanz steht die Beschwerde in Strafsachen offen (Art. 78 und Art. 80 BGG). Es handelt sich um einen Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann (vgl. BGE 140 IV 202 E. 2.2 S. 205; 133 IV 335 E. 4 S. 338 mit Hinweisen).
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Der Beschwerdeführer macht mit seiner Kritik an der Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege eine Verletzung von Verfahrensrechten geltend, die einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt. Dazu ist er gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b BGG befugt (vgl. BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 5; Urteile 6B_1039/2017 vom 13. März 2018 E. 1.2.2; 1B_124/2013 vom 7. Mai 2013 E. 1.2 je mit Hinweisen).
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Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
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Erwägung 2 | |
2.1. Art. 136 StPO konkretisiert den in Art. 29 Abs. 3 BV verankerten verfassungsmässigen Anspruch auf Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für die Privatklägerschaft im Strafprozess (Urteil 1B_355/2012 vom 12. Oktober 2012 E. 3 mit Hinweis). Als Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin oder -kläger zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1 StPO). Der Privatklägerschaft ist nach Art. 136 Abs. 1 StPO die unentgeltliche Rechtspflege für die Durchsetzung ihrer Zivilansprüche ganz oder teilweise zu gewähren, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt (lit. a) und die Zivilklage nicht aussichtslos erscheint (lit. b).
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Bedürftigkeit im Sinne von Art. 136 Abs. 1 lit. a StPO bzw. Art. 29 Abs. 3 BV setzt voraus, dass die betroffene Person nicht in der Lage ist, für die durch ein Verfahren verursachten Kosten aufzukommen, ohne Mittel zu beanspruchen, die zur Deckung des Grundbedarfs für sie und ihre Familie erforderlich ist (BGE 128 I 225 E. 2.5.1 S. 232 mit Hinweis; Urteil 1B_389/2015 vom 7. Januar 2016 E. 5.3).
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2.2. Es obliegt grundsätzlich dem Gesuchsteller, seine finanziellen Verhältnisse umfassend offenzulegen. Kommt er dieser Obliegenheit nicht nach, ist das Gesuch abzuweisen (BGE 125 IV 161 E. 4a S. 164 f.; Urteil 1B_389/2015 vom 7. Januar 2016 E. 5.4). Erfüllt er seine Obliegenheiten, ohne dass es ihm in der ersten Eingabe gelingt, seine Bedürftigkeit zur Zufriedenheit des Gerichts nachzuweisen, so hat dieses ihn zur Klärung aufzufordern (Urteile 1B_389/2015 vom 7. Januar 2016 E. 5.4; 1D_2010 vom 15. Juni 2010 E. 2.3; 2C_758/2008 vom 2. Dezember 2008 E. 2.2.2; 2P.195/2000 vom 9. April 2001 E. 4c/bb).
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2.3. Das Obergericht gewährte dem Beschwerdeführer keine Nachfrist und wies sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege mit der Begründung ab, die eingereichten Unterlagen zu seinen finanziellen Verhältnissen seien offensichtlich veraltet und nicht geeignet, seine aktuelle Bedürftigkeit darzulegen.
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Nach Ansicht des Beschwerdeführers hätte das Obergericht ihm eine Nachfrist gewähren sollen. Der Rechtsbeiständin in der Schweiz sei es aufgrund der grossen Distanz zum Wohnort des Beschwerdeführers, Saint-Barthélémy, und der damit verbundenen zeitlichen Not nicht möglich gewesen, aktuellere Dokumente einzureichen. Darum habe sie ältere Dokumente eines noch immer laufenden Verfahrens vor dem Bezirksgericht Zürich eingereicht, mit welchen damals die unentgeltliche Rechtspflege gewährt worden sei. Die Rechtsbeiständin habe in der Beschwerde vom 20. Mai 2019 klar erwähnt, dass die Unterlagen nicht aktuell seien und sofern nötig, weitere Unterlagen nachgereicht werden könnten. Da das Obergericht den Beschwerdeführer in der Verfügung vom 24. Juni 2019 nicht aufgefordert habe, aktuellere Unterlagen einzureichen, habe er davon ausgehen können, dass dies nicht nötig sei; schliesslich sei die Prozessarmut auch anhand der älteren Dokumente geradezu offensichtlich. Unter diesen Umständen sei die Abweisung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege überspitzt formalistisch und verletze Art. 29 Abs. 1, 2 und 3 sowie Art. 136 StPO.
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2.4. Der Beschwerdeführer legte seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege vom 20. Mai 2019 die Lohnausweise von Januar bis August 2018 bei, sowie einen Kontoauszug von Januar bis September 2018 und eine vom Präsidenten des Regionalrats von Saint-Barthélémy unterschriebene "Attestation de non-imposition" vom 23. August 2017. Aus den eingereichten Unterlagen ergibt sich unter anderem, dass der Beschwerdeführer zwischen Januar und August 2018 ein monatliches Einkommen von 1'800 Euro hatte. Aus der Beschwerdeschrift, den Unterlagen der Staatsanwaltschaft zur Nichtanhandnahmeverfügung sowie der Eingabe des Beschwerdeführers vom 8. Juli 2019 ans Obergericht Zürich ergibt sich ausserdem, dass der Sohn des Beschwerdeführers seit anfangs 2019 bei ihm in Saint-Barthélémy wohnt und dass dies zusätzliche Kosten verursacht.
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Sofern sich das Lohneinkommen des Beschwerdeführers im laufenden Jahr nicht in relevanter Weise verändert hat, kann ihm nicht vorgeworfen werden, seine finanziellen Verhältnisse nicht offengelegt zu haben, auch wenn die eingereichten Belege vom vergangenen Jahr datieren. Wenn die Vorinstanz vor diesem Hintergrund der Auffassung war, die aktuelle Bedürftigkeit sei nicht hinreichend dargelegt worden, hätte sie den Beschwerdeführer zur Klärung auffordern müssen, statt das Gesuch ohne weitere Frist abzuweisen. Dies musste sie auch vor dem Hintergrund tun, dass die Beschaffung von aktuellen Unterlagen innert 10 Tagen durch den Umstand erschwert war, dass der Beschwerdeführer nicht in der Schweiz sondern im französischen Überseegebiet Saint-Barthélémy wohnt. Die Rechtsbeiständin bot die Nachreichung von Unterlagen aus diesem Grund denn auch ausdrücklich an. Überdies hätte die Gewährung einer Nachfrist das Verfahren auch nicht verlängert, denn das Obergericht gewährte dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom 24. Juni 2019 eine Nachfrist zur Substanziierung allfälliger Zivilansprüche. Bei dieser Gelegenheit hätte es ihn ohne Weiteres auch zur Nachreichung von aktuelleren Unterlagen für das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege auffordern können; indem es dies nicht tat, konnte der Beschwerdeführer davon ausgehen, dass das Gericht keine weiteren Unterlagen benötigte.
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Indem die Vorinstanz dem Beschwerdeführer unter diesen Umständen keine Nachfrist gewährte, stellte sie überspannte Anforderungen an die Begründungsobliegenheit und verletzte damit Art. 136 StPO und Art. 29 Abs. 1 BV (vgl. Urteil 1B_389/2015 vom 7. Januar 2016 E. 5.4).
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2.5. Der angefochtene Entscheid ist deshalb aufzuheben und die Angelegenheit ans Obergericht zurückzuweisen. Dieses hat dem Beschwerdeführer die Gelegenheit zu geben, aktuellere Unterlagen einzureichen und das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege anschliessend erneut zu prüfen.
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Nach dem Gesagten erübrigt sich die Prüfung der Sachverhaltsrüge des Beschwerdeführers.
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Erwägung 3 | |
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Zürich ist zu verpflichten, der Vertreterin des Beschwerdeführers eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Damit erweist sich das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren als gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 6. September 2019 aufgehoben. Die Angelegenheit wird an das Obergericht Zürich zurückgewiesen.
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2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3. Der Kanton Zürich hat der Vertreterin des Beschwerdeführers, Rechtsanwältin Fernanda Clavadetscher Pontes, für das Verfahren vor Bundesgericht eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.
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4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, Präsident, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 23. Dezember 2019
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Chaix
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Die Gerichtsschreiberin: Hänni
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