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Informationen zum Dokument  BGer 8C_154/2020  Materielle Begründung
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BGer 8C_154/2020 vom 14.04.2020
 
 
8C_154/2020
 
 
Urteil vom 14. April 2020
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
 
Gerichtsschreiberin Polla.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Advokat Andreas Wiede,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Unia Arbeitslosenkasse,
 
Kompetenzzentrum D-CH West, Monbijoustrasse 61, 3007 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenentschädigung),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 20. Januar 2020 (200 19 877 ALV).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.a. Die 1970 geborene A.________ meldete sich am 27. November 2018 bei der Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug an, nachdem sie ihr Arbeitsverhältnis mit der B.________ GmbH am 9. November 2018 fristlos gekündigt hatte. Mit Schreiben vom 24. Dezember 2018 und 14. Januar 2019 setzte die Unia Arbeitslosenkasse, Bern, den Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug auf den 27. November 2018 fest. Zudem stellte sie A.________ ab 10. Januar 2019 für die Dauer von 30 Tagen wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit in der Anspruchsberechtigung ein (Verfügung vom 11. Januar 2019), wobei sie in Gutheissung der dagegen geführten Einsprache die Sanktion wieder aufhob (Einspracheentscheid vom 10. Juli 2019).
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A.b. Mit Verfügung vom 6. Februar 2019 ermittelte die Arbeitslosenkasse sodann einen versicherten Verdienst von Fr. 770.-, wogegen die Versicherte erneut Einsprache erhob. Am 15. August 2019 verschob die Verwaltung verfügungsweise den Beginn der Leistungsrahmenfrist auf den 1. Januar 2019, nachdem sie Kenntnis davon erhalten hatte, dass sich die B.________ GmbH anlässlich eines arbeitsrechtlichen Schlichtungsverfahrens vom 3. Mai 2019 dazu verpflichtet hatte, A.________ für die Monate November und Dezember 2018 einen "Lohnbetrag" von insgesamt Fr. 2103.35 zu bezahlen. Ebenfalls am 15. August 2019 sistierte die Verwaltung das laufende Einspracheverfahren bezüglich der Verfügung vom 6. Februar 2019 bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens über die Neufestsetzung des Beginns der Leistungsrahmenfrist. Der Rechtsvertreter der Versicherten erhob am 16. September 2019 Beschwerde gegen die Verfügung vom 15. August 2019 betreffend den Beginn der Leistungsrahmenfrist beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern). Mit Nichteintretensentscheid vom 18. September 2018 überwies dieses die als Einsprache zu behandelnde Eingabe an die zuständige Arbeitslosenkasse, die mit Einspracheentscheid vom 15. Oktober 2018 an ihrer Verfügung vom 15. August 2019 festhielt.
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B. Die hiergegen geführte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht mit Entscheid vom 20. Januar 2020 ab.
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C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben. Ferner sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
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Auf die Durchführung eines Schriftenwechsels wurde verzichtet.
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Erwägungen:
 
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2.
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat, indem es den von der Arbeitslosenkasse auf den 1. Januar 2019 verschobenen Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug schützte.
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2.2. Die versicherte Person hat u.a. nur dann Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, wenn sie auch tatsächlich einen anrechenbaren Arbeitsausfall erlitten hat (Art. 8 Abs. 1 lit. b AVIG). Anrechenbar ist der Arbeitsausfall, wenn er nicht nur ein bestimmtes Ausmass erreicht, sondern darüber hinaus einen Verdienstausfall zur Folge hat (Art. 11 Abs. 1 AVIG). Nicht anrechenbar ist ein Arbeitsausfall, für den der arbeitslosen Person Lohnansprüche oder wegen vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses Entschädigungsansprüche zustehen (Art. 11 Abs. 3 AVIG).
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Hat die Arbeitslosenkasse begründete Zweifel darüber, ob die versicherte Person für die Zeit des Arbeitsausfalls gegenüber ihrem bisherigen Arbeitgeber Lohn- oder Entschädigungsansprüche im Sinne von Art. 11 Abs. 3 AVIG hat oder ob sie erfüllt werden, so zahlt sie die Arbeitslosenentschädigung aus (Art. 29 Abs. 1 AVIG). Mit der Zahlung durch die Arbeitslosenkasse gehen alle Ansprüche der versicherten Person samt dem gesetzlichen Konkursprivileg auf die Kasse über (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 AVIG). Art. 29 Abs. 1 AVIG erfasst zwei Tatbestände: Beim ersten bestehen Zweifel darüber, ob die versicherte Person Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber hat. Sind Lohn- oder Entschädigungsansprüche demgegenüber ausgewiesen oder ausgeschlossen, so liegt kein Zweifelsfall vor und Art. 29 AVIG gelangt nicht zur Anwendung. Beim zweiten Tatbestand beziehen sich die Zweifel auf die Realisierbarkeit eines ausgewiesenen Anspruchs (BGE 126 V 368 E. 3a/aa S. 372; 121 V 377 E. 2b S. 379 f.; SVR 2015 ALV Nr. 9 S. 25, 8C_581/2014 E. 8.1.1; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Aufl. 2016, S. 2397 ff. Rz. 448 ff.).
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3.
 
3.1. Die Vorinstanz erwog, es stehe fest, dass das Arbeitsverhältnis faktisch wie rechtlich am 9. November 2018 fristlos beendet worden sei. Im Zeitpunkt der Anmeldung am 27. November 2018 sei die Versicherte teilweise arbeitslos im Sinne von Art. 10 Abs. 2 lit. a in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 lit. a AVIG gewesen und habe auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen nach Art. 8 Abs. 1 AVIG erfüllt, weshalb die Arbeitslosenkasse den Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug auf diesen Stichtag gelegt habe. Im Juni 2019 habe diese Kenntnis von der am 3. Mai 2019 zwischen der Versicherten und der B.________ AG getroffenen Vereinbarung über den zusätzlich in den Monaten November und Dezember 2018 auszurichtenden "Lohnbetrag" von Fr. 2103.35 erhalten. Dieser den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung tangierende Umstand stelle eine revisionsrechtlich erhebliche neue Tatsache dar und gebe daher - übereinstimmend mit der Weisung des SECO gemäss AVIG-Praxis ALE Rz. B44 - ohne Weiteres Anlass, die Rahmenfrist neu festzusetzen. Der anlässlich der Schlichtungsverhandlung vom 3. Mai 2019 vereinbarte "Lohnbetrag" sei als lohnmässige Entschädigung im Sinne von Art. 337b OR zu qualifizieren. Mit dem Erhalt von Schadenersatz für entgangenen Lohn aufgrund vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses habe die Versicherte in dieser Zeit keinen anrechenbaren Arbeits- und Verdienstausfall nach Art. 11 Abs. 3 AVIG erlitten. Damit habe sie die Anspruchsvoraussetzungen nicht bereits ab 27. November 2018, sondern erst ab 1. Januar 2019 erfüllt, weshalb der Beginn der Leistungsrahmenfrist zu Recht verschoben worden sei. Denn Art. 29 Abs. 1 AVIG sei nicht anwendbar, da dieser einzig bei - hier nicht gegebenen - Zweifeln über Lohn- oder Entschädigungsansprüche zum Tragen komme.
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3.2. Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, ist nicht stichhaltig. Massgebender Zeitpunkt für die Festsetzung der beiden Rahmenfristen ist der erste Tag, für den sämtliche Anspruchsvoraussetzungen nach Art. 8 Abs. 1 AVIG erfüllt sind. Die Rahmenfrist für den Leistungsbezug beginnt an diesem Tag. Die Rahmenfrist für die Beitragszeit beginnt zwei Jahre vor diesem Tag (Art. 9 AVIG). Nach der Eröffnung der Rahmenfrist darf diese grundsätzlich nicht mehr verschoben werden. Stellt sich aber nachträglich heraus, dass bei Beginn der Arbeitslosigkeit eine oder mehrere Anspruchsvoraussetzungen für die Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung nicht erfüllt waren, ist eine Aufhebung oder allenfalls eine Neufestsetzung der Rahmenfristen vorzunehmen. Die Beständigkeit des einmal festgelegten Beginns der Rahmenfrist steht somit unter dem Vorbehalt der Wiedererwägung oder der prozessualen Revision (BGE 127 V 475; NUSSBAUMER, a.a.O., S. 2303 f. Rz. 125).
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3.3. Die Versicherte beendete das Arbeitsverhältnis selber fristlos  und gab im Antrag zur Arbeitslosenentschädigung vom 15. Dezember 2018 an, gegen die B.________ AG keine Lohnansprüche geltend gemacht zu haben und auch nicht arbeitsgerichtlich vorgehen zu wollen. Hierzu entschied sie sich - eigenen Angaben gemäss - erst im Februar 2019 und zwar primär in Bezug auf ein von der Arbeitgeberin auszustellendes Arbeitszeugnis. Damit musste die Arbeitslosenkasse in Würdigung der konkreten Umstände im Zeitpunkt der Anmeldung, entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin, keine begründeten Zweifel über Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag nach Art. 29 AVIG hegen. Die Arbeitslosenkasse durfte vielmehr bei dieser Sach- und Rechtslage die Verhältnisse bei der Anmeldung als liquid und unumstritten beurteilen (NUSSBAUMER, a.a.O., S. 2399 Rz. 451). Daran ändert auch ihr Schreiben vom 14. Dezember 2018 an die Arbeitslosenkasse nichts, worin sie ihre Gründe für die fristlose Entlassung darlegte. Ebenso wenig lässt sich etwas zugunsten der Beschwerdeführerin aus der von ihr angerufenen Weisung des SECO in AVIG-Praxis ALE Rz. C221 ableiten, die sich auf begründete Zweifel im Zusammenhang mit fristlosen Entlassungen, bei Nichteinhaltung von Kündigungsfristen und bei Verlängerungen der Kündigungsfristen wegen Sperrfristen bezieht. Diese ist somit für den vorliegenden Sachverhalt nicht einschlägig. Nicht stichhaltig sind weiter ihre Darlegungen im Zusammenhang mit dem zitierten Urteil 8C_305/2009 vom 23. September 2009, da es sich hier - anders als dort - nicht um einen Anwendungsfall von Art. 29 Abs. 1 OR handelt. Die Vorinstanz verletzte nach dem Gesagten kein Bundesrecht, wenn sie vorliegend die Anwendung dieser Sondernorm verneinte.
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3.4. Neu im Sinne der prozessualen Revision nach Art. 53 Abs. 1 ATSG sind Tatsachen, die sich vor Erlass der formell rechtskräftigen Verfügung oder des Einspracheentscheides verwirklicht haben, jedoch dem Revisionsgesuchsteller trotz hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren. Die neuen Tatsachen müssen erheblich sein, d.h. sie müssen geeignet sein, die tatbeständliche Grundlage des zur Revision beantragten Entscheids zu verändern und bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer anderen Entscheidung zu führen. Neue Beweismittel haben entweder dem Beweis der die Revision begründenden neuen erheblichen Tatsachen oder dem Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt gewesen, aber zum Nachteil des Gesuchstellers unbewiesen geblieben sind (vgl. BGE 144 V 245 E. 5.2 S. 249 mit weiteren Hinweisen).
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3.5. Nachdem die B.________ GmbH mit der Versicherten am 3. Mai 2019 vor der Schlichtungsbehörde die Nachzahlung eines "Lohnbetrages" von Fr. 2103.35 vereinbart hatte, besass die Beschwerdeführerin mit Blick auf dieses vergleichsweise erzielte Ergebnis des arbeitsgerichtlichen Schlichtungsverfahrens gegenüber der ehemaligen Arbeitgeberin Entschädigungsansprüche im Sinne von Art. 337b OR. Demzufolge dient dieser Lohn- oder lohnähnlichen Charakter aufweisende Betrag der Abgeltung entsprechender (Ersatz-) Forderungen und ist unter Art. 11 Abs. 3 AVIG zu subsumieren. Ein anrechnbarer Arbeitsausfall liegt daher bezüglich der Monate November und Dezember 2018 nicht vor. Diese aus der Vereinbarung gewonnene Erkenntnis stellt eine neue erhebliche Tatsache dar, womit sich die Festsetzung des Beginns der Leistungsrahmenfrist auf den 27. November 2018 unter dem Gesichtswinkel von Art. 53 Abs. 1 ATSG als nachträglich unrichtig herausstellte (vgl. ARV 2010 S. 293, 8C_787/2009 E. 3.2.2). Die Feststellung der Vorinstanz, mit der im Juni 2019 erlangten Kenntnis der Arbeitslosenkasse über eine am 3. Mai 2019 vor der Schlichtungsbehörde Oberland vereinbarte Nachzahlung eines "Lohnbetrages" von Fr. 2103.35 liege eine revisionsrechtlich neue erhebliche Tatsache im Sinne von Art. 53 Abs. 1 ATSG vor, ist daher weder willkürlich noch bundesrechtsverletzend. Hat sie somit die Voraussetzungen des Art. 53 Abs. 1 ATSG zu Recht bejaht, berechtigt dies die Arbeitslosenkasse zur vorgenommenen Korrektur des Rahmenfristbeginns. Der vorinstanzliche Entscheid hält vor Bundesrecht stand.
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4. Das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde ist mit dem Entscheid in der Sache gegenstandslos geworden.
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5. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 14. April 2020
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla
 
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