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Informationen zum Dokument  BGer 9C_775/2019  Materielle Begründung
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BGer 9C_775/2019 vom 26.05.2020
 
 
9C_775/2019
 
 
Urteil vom 26. Mai 2020
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Parrino, Präsident,
 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
 
Gerichtsschreiber Attinger.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Zimmermann,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Invalidenrente),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
 
vom 16. Oktober 2019 (VBE.2018.976).
 
 
Sachverhalt:
 
Mit Verfügung vom 13. November 2018 verneinte die IV-Stelle des Kantons Aargau einen Anspruch der 1964 geborenen A.________ auf eine Rente der Invalidenversicherung mangels eines leistungsbegründenden Invaliditätsgrades.
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Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid 16. Oktober 2019 ab, soweit es darauf eintrat. Es stützte sich dabei insbesondere auf die von der IV-Stelle eingeholte polydisziplinäre Expertise (orthopädisch/psychiatrisch/neurologisch/internistisch) des Medizinischen Gutachtenzentrums Region St. Gallen (MGSG) vom 18. April 2018.
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A.________ führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz "zur ordnungsgemässen Abklärung des Sachverhalts und zur Neuverfügung", eventuell seien ihr eine IV-Rente und berufliche Massnahmen zuzusprechen.
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Erwägungen:
 
1. 
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1.1. Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur Rechtsverhältnisse zu überprüfen und zu beurteilen, zu denen die zuständige Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und insoweit keine Verfügung ergangen ist (BGE 144 II 359 E. 4.3 S. 362; 131 V 164 E. 2.1 S. 164, 202 E. 2.1; 125 V 413 E. 1a S. 414 mit Hinweisen).
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1.2. Mangels einer entsprechenden Verwaltungsverfügung ist das kantonale Gericht auf das Begehren um Zusprechung beruflicher Massnahmen zu Recht nicht eingetreten. Aus demselben Grund kann auch auf die Beschwerde ans Bundesgericht insoweit nicht eingetreten werden, als dieser Antrag letztinstanzlich wiederholt wird. Er wurde im Übrigen mit keinem Wort begründet.
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2. 
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2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Indes prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 145 II 153 E. 2.1 S. 156; 145 V 57 E. 4.2 S. 62, 304 E. 1.1).
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3. 
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3.1. Die Vorinstanz hat ihren Entscheid zutreffenderweise auf die gesetzlichen Bestimmungen und von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2 IVG) und die Invaliditätsbemessung bei teilerwerbstätigen und daneben im Haushalt tätigen Versicherten nach der gemischten Methode gestützt (Art. 28a Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 IVG und Art. 16 ATSG [SR 830.1] sowie - für den Zeitraum ab 1. Januar 2018 - Art. 27
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3.2. Zu ergänzen ist, dass Personen, die im Verwaltungsverfahren Entscheide über Rechte und Pflichten zu treffen oder vorzubereiten haben, darunter auch Sachverständige, in den Ausstand treten müssen, wenn sie in der Sache ein persönliches Interesse haben oder aus anderen Gründen in der Sache befangen sein könnten (Art. 29 Abs. 1 BV; Art. 36 Abs. 1 ATSG). Befangenheit von Sachverständigen ist nach der Rechtsprechung anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in ihre Unparteilichkeit zu erwecken. Bei der Befangenheit handelt es sich allerdings um einen inneren Zustand, der nur schwer bewiesen werden kann. Es braucht daher für die Ablehnung nicht nachgewiesen zu werden, dass die sachverständige Person tatsächlich befangen ist. Es genügt vielmehr, wenn Umstände vorliegen, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Bei der Beurteilung des Anscheins der Befangenheit und der Gewichtung solcher Umstände kann jedoch nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abgestellt werden. Das Misstrauen muss vielmehr in objektiver Weise als begründet erscheinen. Im Hinblick auf die erhebliche Bedeutung, die den Arztgutachten im Sozialversicherungsrecht zukommt, ist an die Unparteilichkeit des Gutachters ein strenger Massstab anzusetzen. Die formelle Natur der Verletzung des Anspruchs auf einen unabhängigen Experten führt dazu, dass ein Gutachten, das die erforderlichen Attribute nicht aufweist, als Beweismittel auszuschliessen ist, unabhängig davon, wie es sich mit den materiellen Einwendungen tatsächlich verhält. Ob bei einer gegebenen Sachlage auf die Voreingenommenheit des Sachverständigen zu schliessen ist, stellt eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage dar (BGE 144 V 258 E. 2.3.2 S. 262; 137 V 210 E. 2.1.3 S. 231; 132 V 93 E. 7.1 S. 109; SVR 2020 UV Nr. 10 S. 35, 8C_62/2019 E. 5.1 und 5.2).
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4. 
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4.1. In formeller Hinsicht wiederholt die Beschwerdeführerin ihren bereits im Verwaltungs- wie auch im vorinstanzlichen Verfahren erhobenen Einwand, wonach der Orthopäde Dr. B.________ sein Teilgutachten im Rahmen der erwähnten MGSG-Expertise nicht sachlich und neutral erstellt habe. So habe er sein Unverständnis darüber ausgedrückt, dass auf die Dienste einer Übersetzerin habe zurückgegriffen werden müssen, obwohl die Versicherte seit 23 Jahren in der Schweiz lebe. Damit habe er sie abgewertet. Überdies habe er sie gefragt, woher sie ursprünglich komme und auf ihre Antwort "Kosovo" hin darauf bestanden, dass es "Ex-Jugoslawien" heisse.
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4.2. Nicht nur der orthopädische Teilgutachter vermerkte in seiner Expertise, dass die Beschwerdeführerin nach über zwei Jahrzehnten in der Deutschschweiz eine Dolmetscherin benötige. Auch im Rahmen des Konsiliums sämtlicher beteiligter Fachärzte wurde dieser Umstand mit einem Fragezeichen versehen. Dies geschah indes ausdrücklich mit dem Hinweis, wonach die Versicherte im Lebenslauf gute Deutschkenntnisse in Wort und Schrift angegeben habe. Eine Rolle mag auch gespielt haben, dass die Beschwerdeführerin - wie alle Teilgutachter notierten - an der Universität Pristina während fünf Jahren Literatur und albanische Sprachwissenschaften studiert hat (ohne Diplomabschluss), was eine gewisse Affinität für Sprachen ganz allgemein nahelegt. In seiner psychiatrischen Teilexpertise führte Dr. C.________ denn auch aus, die Versicherte lasse die gesamte Untersuchung durch die Dolmetscherin übersetzen, obwohl der Eindruck entstehe, dass sie die Deutsche Sprache verstehe. Eine Herabsetzung der Beschwerdeführerin ist in all diesen Feststellungen nicht zu erblicken. Vielmehr gehört es zur Aufgabe der medizinischen Gutachter, auch auf solche Ungereimtheiten hinzuweisen.
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4.3. Die "Belehrung" durch Dr. B.________, wonach die Versicherte nicht aus "Kosovo" stamme, sondern aus "Ex-Jugoslawien", ist hingegen im Rahmen der Begutachtung unnötig und deplatziert. Über die näheren Umstände lässt sich den Akten nichts entnehmen. Die Vorinstanz hat (für das Bundesgericht verbindlich) einzig festgestellt, dass sich der orthopädische Gutachter in der erwähnten Weise geäussert habe. Dass er dabei "ausser sich geriet", wie die Beschwerdeführerin geltend macht, liesse sich wohl auch durch zusätzliche Abklärungen nicht mehr eruieren. Hier ist jedenfalls nicht von der behaupteten Gefühlsregung des medizinischen Experten auszugehen. Die in Frage stehende deplatzierte Bemerkung lässt indessen für sich allein den Gutachter objektiv noch nicht als voreingenommen erscheinen. Trotz anzuwendendem strengem Massstab ist Misstrauen in seine Unparteilichkeit bei der Mitarbeit an der Expertise einzig mit Blick auf die inkriminierte "Belehrung" nicht gerechtfertigt. Wie das kantonale Gericht zu Recht erwog, untersuchten sowohl Dr. B.________ als auch die übrigen am MGSG-Gutachten beteiligten medizinischen Sachverständigen die Versicherte umfassend und sorgfältig. Abgesehen von den beiden angeführten und hievor näher beleuchteten Äusserungen wird denn auch nichts am Expertenverhalten während der Begutachtung beanstandet, so dass der Anschein der Befangenheit von Dr. B.________ (oder einer anderen begutachtenden Person) zu verneinen ist. Der Berücksichtigung des polydisziplinären Gutachtens steht unter dem Blickwinkel der erforderlichen Unabhängigkeit der beteiligten Experten nichts entgegen.
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5. 
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5.1. Das kantonale Gericht hat gestützt auf das polydisziplinäre MGSG-Gutachten vom 18. April 2018 erkannt, dass die Beschwerdeführerin der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Hauswirtschaftsangestellte in einem Hotel wegen ihrer Wirbelsäulenbeschwerden und der rezidivierenden depressiven Störung nur mehr zu 40 % nachgehen könnte, hingegen leidensangepasste Erwerbstätigkeiten in einem Pensum von 70 % auszuüben vermöchte. Diese Beweiswürdigung der Vorinstanz ist weder offensichtlich unrichtig noch in anderer Weise rechtswidrig und deshalb für das Bundesgericht verbindlich (vgl. E. 2.1 hievor). Dasselbe gilt auch hinsichtlich der antizipierten Beweiswürdigung, wonach keine weiteren ärztlichen Abklärungen erforderlich seien.
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5.2. In der Beschwerdeschrift werden in appellatorischer Weise praktisch ausschliesslich blosse Tat- und Ermessensfragen aufgeworfen, welche der freien Überprüfung durch das Bundesgericht von vornherein entzogen sind. Der Umstand, dass andere (insbesondere behandelnde) Ärzte zu einer abweichenden Einschätzung der funktionellen Leistungsfähigkeit gelangten, offenbart entgegen der Auffassung der Versicherten noch keine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes durch die Vorinstanz. Schliesslich sieht die Beschwerdeführerin ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil dem vorinstanzlichen Entscheid nicht zu entnehmen sei, "weshalb im vorliegenden Fall nicht auf die fachärztliche Einschätzung der Arbeitsfähigkeit durch den RAD-Psychiater, sondern auf die geschätzte Arbeitsunfähigkeit des RAD-Allgemeinmediziners abgestellt wird". Diese Rüge zielt indes ins Leere, weil sich das kantonale Gericht weder auf den einen, noch auf den anderen RAD-Mediziner stützt, sondern, wie dargelegt, allein auf die MGSG-Expertise.
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5.3. Die Invaliditätsbemessung des kantonalen Gerichts als solche wird von der Beschwerdeführerin nicht in Zweifel gezogen. Mit Blick auf den daraus resultierenden Invaliditätsgrad von weniger als 40 % muss es mit der verfügten, vorinstanzlich bestätigten Rentenablehnung sein Bewenden haben.
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6. Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der HOTELA Vorsorgestiftung, Montreux, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 26. Mai 2020
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Parrino
 
Der Gerichtsschreiber: Attinger
 
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