BGer 6B_302/2020 | |||
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BGer 6B_302/2020 vom 25.06.2020 |
6B_302/2020 |
Urteil vom 25. Juni 2020 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichterinnen Jacquemoud-Rossari, Koch,
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Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
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Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Wiederaufnahme des Strafverfahrens, Zustellfiktion,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 23. Januar 2020 (SBK.2020.22 / va).
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Erwägungen: | |
1. Nach einer Strafanzeige des Beschwerdeführers wegen falscher Anschuldigung, übler Nachrede und Verleumdung nahm die Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg eine Strafuntersuchung am 8. Juli 2019 nicht an die Hand.
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Am 14. Oktober 2019 stellte der Beschwerdeführer ein "Wiedererwägungsgesuch". Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau leitete das Gesuch an das Obergericht des Kantons Aargau weiter, welches am 7. November 2019 darauf nicht eintrat. Die Voraussetzungen für eine Revision lägen offensichtlich nicht vor. Im Übrigen dürfte der Beschwerdeführer wohl eine Wiederaufnahme angestrebt haben.
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Daraufhin stellte der Beschwerdeführer am 18. November 2019 einen sinngemässen Antrag auf Wiederaufnahme, den die Oberstaatsan waltschaft mit Verfügung vom 10. Dezember 2019 abwies. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde trat das Obergericht des Kantons Aargau wegen Verspätung am 23. Januar 2020 nicht ein.
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Der Beschwerdeführer wendet sich mit Beschwerde an das Bundesgericht.
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2. Anfechtungsobjekt ist ausschliesslich der letztinstanzliche kantonale Entscheid (Art. 80 Abs. 1 BGG). Im Verfahren vor Bundesgericht kann es deshalb nur darum gehen, ob die Vorinstanz auf die Beschwerde zu Recht nicht eingetreten ist. Nicht zu hören ist der Beschwerdeführer mit Rügen, Vorbringen und Ausführungen, die ausserhalb des durch den angefochtenen Entscheid begrenzten Streitgegenstands liegen.
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3. Die Zustellung einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO). Die Begründung eines Verfahrensverhältnisses verpflichtet die Parteien, sich nach Treu und Glauben zu verhalten und unter anderem dafür zu sorgen, dass ihnen behördliche Akte zugestellt werden können, welche das Verfahren betreffen. Von einer am Verfahren beteiligten Person ist zu verlangen, dass sie um die Nachsendung ihrer an die bisherige Adresse gelangenden Korrespondenz besorgt ist, allenfalls längere Ortsabwesenheiten der Behörde mitteilt oder einen Stellvertreter ernennt (BGE 142 IV 286 E. 1.2 mit Hinweisen).
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4. In sachverhaltlicher Hinsicht ist unstreitig, dass die Verfügung der Oberstaatsanwaltschaft betreffend Abweisung der Wiederaufnahme am 10. Dezember 2019 eingeschrieben an die Parteien versandt wurde. Dem Beschwerdeführer wurde das Einschreiben am 12. Dezember 2019 zur Abholung mit einer Abholungsfrist bis 19. Dezember 2019 gemeldet. Unmittelbar nach dieser Avisierung erteilte der Beschwerdeführer der Post den Auftrag, die Aufbewahrungsfrist bis zum 9. Januar 2020 zu verlängern. An diesem Tag wurde die Nichtanhandnahmeverfügung dem Beschwerdeführer am Schalter zugestellt.
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Die Vorinstanzerwägt vor diesem Hintergrund, der Beschwerdeführer habe aufgrund seines an die Oberstaatsanwaltschaft gerichteten An trags vom 18. November 2019 mit einer Zustellung im massgeblichen Zeitraum, d.h. im Dezember 2019, rechnen müssen. Er sei daher gerade auch im Hinblick auf seine "Ferienabwesenheit" gehalten gewesen, geeignete Vorkehren für eine zeitgerechte Zustellbarkeit zu treffen, und habe sich nicht einfach damit begnügen dürfen, bei der Post eine Verlängerung der Abholfrist zu veranlassen, um auf diese Weise den Beginn der 10-tägigen Beschwerdefrist entgegen der gesetzlichen Regelung nach Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO auf einen ihm genehmen Zeitpunkt hinauszuschieben. Die bei der Post veranlasste Verlängerung der Abholfrist sei daher für die Bestimmung des Fristbeginns ohne Belang. Auch sonst sei kein Grund ersichtlich, weshalb der Beginn der Beschwerdefrist nicht gestützt auf die Zustellfiktion nach Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO zu bestimmen wäre. Die Verfügung der Oberstaatsanwaltschaft sei dem Beschwerdeführer am 12. Dezember 2019 zur Abholung gemeldet worden und gelte daher als am 19. Dezember 2019 zugestellt. Entsprechend hätte eine Beschwerde spätestens am 30. Dezember 2019 eingereicht werden müssen. Die erst mit Eingabe vom 18. Januar 2020 erhobene Beschwerde sei verspätet.
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5. | |
5.1. Die Vorinstanz hat die Grundsätze zur Zustellfiktion im angefochtenen Entscheid zutreffend wiedergegeben. Der Beschwerdeführer beantragte am 18. November 2019 bei der Oberstaatsanwaltschaft sinngemäss die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens. Er hat damit (erneut) aktiv ein Prozessrechtsverhältnis initiiert. Folglich musste er mit einer Reaktion der Staatsanwaltschaft rechnen und entsprechend davon ausgehen, dass ihm in absehbarer Zeit staatsanwaltschaftliche Post zugestellt werden könnte. Die mit Einschreiben versandte Verfügung der Oberstaatsanwaltschaft wurde dem Beschwerdeführer am 12. Dezember 2019 und damit rund 3 ˝ Wochen nach seinem Antrag auf Wiederaufnahme zur Abholung gemeldet. Dieser Zeitablauf liegt offensichtlich im Rahmen des zu Erwartenden. Was der Beschwerdeführer dagegen einwendet, verfängt nicht. Soweit er vorbringt, er habe vor einer Mitteilung bzw. einer "kurzen Erklärung" über den Bestand eines Prozessrechtsverhältnisses nicht mit (fristauslösenden) Zustellungen der Oberstaatsanwaltschaft rechnen müssen, verkennt er, dass das Prozessrechtsverhältnis mit seinem Antrag auf Wiederaufnahme begründet wurde und es hierüber keiner weiteren Mitteilung bedurfte. Eine gesetzliche Bestimmung, die die Oberstaatsanwaltschaft zu einem solchen Vorgehen verpflichten würde, vermag der Beschwerdeführer bezeichnenderweise nicht zu nennen und existiert im Übrigen nicht. Inwiefern eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegen könnte, ist nicht ersichtlich.
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5.2. Muss mit Zustellungen gerechnet werden, greift die Zustellfiktion nach Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO. Nach konstanter Rechtsprechung muss, wer Partei eines Verfahrens ist, im Falle seiner Abwesenheit die geeigneten Massnahmen treffen, damit ihm Mitteilungen zukommen, oder zumindest die Behörde über seine Abwesenheit informieren. Wie die Vorinstanz zutreffend erwägt, stellt eine Vereinbarung mit der Post betreffend Verlängerung der Abholfrist bzw. ein Postrückbehaltungsauftrag keine genügende Massnahme dar; das Wirksamwerden der Zustellfiktion lässt sich damit nicht verhindern (vgl. BGE 141 II 429 E. 3.1; BGE 134 V 49 E. 4; siehe auch BGE 123 III 492).
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5.3. Der Beschwerdeführer beruft sich vor Bundesgericht darauf, der Vorinstanz seine Ortsabwesenheit am 3. Dezember 2019 angezeigt zu haben. Indessen befindet sich diese angebliche Anzeige vom 3. Dezember 2019 (welche sich denn auch auf andere vor der Beschwerdekammer des Obergerichts hängige Beschwerdeverfahren bezieht) nicht bei den Verfahrensakten und der Beschwerdeführer belegt den behaupteten Vorgang (Zustellnachweis) auch nicht. Abgesehen davon könnte er daraus auch nichts für sich ableiten. Weshalb die Vorinstanz die angebliche Anzeige vom 3. Dezember 2019 an die Oberstaatsanwaltschaft hätte weiterleiten sollen und müssen, erschliesst sich nicht, zumal weder dargetan noch ersichtlich ist, dass sie vom Wiederaufnahmeverfahren vor der Oberstaatsanwaltschaft Kenntnis hatte oder hätte haben können oder gar müssen. Mit seinen Ausführungen vermag der Beschwerdeführer nicht darzutun, dass er geeignete Vorkehrungen für die Zeit seiner Ortsabwesenheit und damit für die Zustellbarkeit getroffen hat. Eine willkürliche, verfassungs- oder sonstwie bundesrechtswidrige Rechtsanwendung durch die Vorinstanz ist mithin weder dargetan noch ersichtlich.
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5.4. Soweit der Beschwerdeführer schliesslich vorbringt, es sei für ihn nicht erkennbar gewesen, dass es sich um eine Sendung der Oberstaatsanwaltschaft handelte, verkennt er, dass es für die Anwendbarkeit der Zustellfiktion im Sinne von Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO ausreicht, dass die Sendung per Einschreiben versandt wird und diejenige Behörde als Absender auf dem Briefumschlag erkennbar ist, mit deren Sendung der Empfänger aufgrund des Prozessrechtsverhältnisses rechnen musste (BGE 142 IV 286 E. 1.6). Auf dem Briefumschlag der eingeschrieben versandten Verfügung vom 10. Dezember 2019 ist die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau als Absender erkennbar. Dass der Beschwerdeführer hievon keine Kenntnis nahm bzw. nehmen konnte, hat er sich selber zuzuschreiben. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Absender der Sendung aus der Abholungseinladung hervorgeht (BGE 142 IV 286 E. 1.6.2 und 1.6.3). Mit Blick auf diese Rechtsprechung ist es entgegen dem Standpunkt des Beschwerdeführers folglich auch nicht notwendig, dass sich der Absender einer Sendung aus den elektronischen Benachrichtigungen des Onlinedienstes der Post an den Empfänger ergibt. Es reicht vielmehr aus, dass die Sendung per Einschreiben erfolgt (vgl. Art. 85 Abs. 2 StPO), was vorliegend der Fall ist bzw. war. Entsprechend kann keine Rede davon sein, dass die Zustellfiktion mangels Identifizierbarkeit des Absenders nicht hätte angewendet werden dürfen.
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5.5. Weshalb und inwiefern zudem Rechtsverweigerung sowie überspitzter Formalismus vorliegen sollten, begründet der Beschwerdeführer nicht hinreichend (vgl. Art. 42 Abs. 2 bzw. Art. 106 Abs. 2 BGG) und ist im Übrigen auch nicht ersichtlich.
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6. Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 25. Juni 2020
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill
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