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Informationen zum Dokument  BGer 9C_230/2020  Materielle Begründung
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BGer 9C_230/2020 vom 30.06.2020
 
 
9C_230/2020
 
 
Urteil vom 30. Juni 2020
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Parrino, Präsident,
 
Bundesrichter Meyer, Stadelmann,
 
Gerichtsschreiberin Oswald.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Ausfeld,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Zürich,
 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Invalidenrente),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
 
vom 24. Februar 2020 (IV.2018.00695).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die 1976 geborene A.________ bezog rückwirkend ab 1. August 2002 eine ganze Invalidenrente (einstweilen befristet bis zur polydisziplinären Begutachtung vom 30. November 2005 gemäss Verfügung vom 19. April 2006 und ab 1. Dezember 2005 unbefristet gemäss Verfügung vom 27. November 2009). Dieser Anspruch wurde mit Mitteilung vom 2. Februar 2012 bestätigt. Im Rahmen eines erneuten Revisionsverfahrens beauftragte die IV-Stelle des Kantons Zürich (fortan: IV-Stelle) die asim Begutachtung Universitätsspital Basel (fortan: asim) mit einer polydisziplinären Begutachtung in den Disziplinen Allgemeine Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Rheumatologie (Expertise vom 28. September 2015). Die Gutachter attestierten der Versicherten für sämtliche körperlich leichten bis mittelschweren Tätigkeiten mit der Möglichkeit zur Einnahme von Wechselpositionen eine Arbeitsfähigkeit von 80 %. Gestützt darauf stellte die Verwaltung am 13. Juni 2017 die Einstellung der Rente in Aussicht. Im Rahmen des Vorbescheidverfahrens holte sie entsprechend dem Ersuchen der Versicherten weitere Arztberichte ein. Mit Verfügung vom 9. Juli 2018 hob die IV-Stelle die Rente auf.
1
B. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 24. Februar 2020 ab.
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C. A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Verwaltung zurückzuweisen. Am 16. Juni 2020 reicht sie eine weitere Eingabe ein (Poststempel).
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Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. Die Eingabe vom 16. Juni 2020 erfolgt nach Ablauf der Beschwerdefrist und bleibt deshalb unbeachtlich.
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1.2. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist ein reformatorisches Rechtsmittel (Art. 107 Abs. 2 BGG), weshalb auch ein Rechtsbegehren grundsätzlich reformatorisch gestellt sein muss. Ein rein kassatorisches Begehren ist jedoch zulässig, wenn das Bundesgericht ohnehin nicht in der Sache entscheiden könnte. Dies ist namentlich bei einer ungenügenden Sachverhaltsabklärung durch die Vorinstanz der Fall (statt vieler: Urteil 9C_548/2019 vom 16. Januar 2020). Mit der Beschwerde wird - unter anderem - gerügt, die Vorinstanz habe auf nicht beweiswertige ärztliche Einschätzungen abgestellt und notwendige weitere Abklärungen (insbesondere: Ergänzung der asim-Expertise) unterlassen. Das kantonale Gericht habe damit in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes entschieden. Auf die Beschwerde, mit der eine ungenügende Sachverhaltsabklärung gerügt wird, ist demnach einzutreten.
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2.
 
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG; zum Ganzen BGE 145 V 57 E. 4 S. 61 f.).
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2.2. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit resp. deren Veränderung in einem bestimmten Zeitraum handelt es sich grundsätzlich um Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Gleiches gilt für die konkrete Beweiswürdigung. Dagegen sind frei überprüfbare Rechtsfragen die unvollständige Feststellung rechtserheblicher Tatsachen sowie die Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG) und der Anforderungen an den Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; zum Ganzen vgl. etwa Urteil 9C_721/2019 vom 27. Mai 2020 E. 2.2).
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2.3. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG), was in der Beschwerde näher darzulegen ist. Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein bildet noch keinen hinreichenden Anlass im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG für die Zulässigkeit von unechten Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne Weiteres hätten vorgebracht werden können.
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3. Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, indem es die bisherige ganze Invalidenrente revisionsweise aufhob.
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Das kantonale Gericht legte die massgebenden Rechtsgrundlagen zutreffend dar. Es betrifft dies unter anderem die Bestimmungen und Grundsätze zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3 S. 352 mit Hinweisen) sowie zur Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 134 V 131 E. 3 S. 132 f.; BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 10 f. mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.
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4.
 
4.1. Das Sozialversicherungsgericht würdigte die medizinischen Akten ausführlich. Es stellte fest, der Rentenzusprache vom 27. November 2009 und deren Bestätigung mit Mitteilung vom 2. Februar 2012 hätten in erster Linie eine seinerzeit manifeste und erheblich ausgeprägte Essstörung der Versicherten zugrunde gelegen. Diesbezüglich sei von einem gebesserten Gesundheitszustand auszugehen; eine Anorexie werde im asim-Gutachten nur noch anamnestisch und ohne Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit festgehalten. Liege mithin ein Revisionsgrund vor, sei der Rentenanspruch in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend zu prüfen. Gemäss asim-Expertise vom 28. September 2015 seien mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit eine chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren sowie eine rezidivierende depressive Störung, im Gutachtenszeitpunkt leichte depressive Episode, diagnostiziert worden. Aus somatischer Sicht könne laut Gutachten in einer körperlich leichten bis mittelschweren Tätigkeit mit der Möglichkeit zur Einnahme von Wechselpositionen keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit attestiert werden; aus psychiatrischer Sicht betrage die Arbeitsfähigkeit 80 % für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit im Büro (bei vermehrtem Pausenbedarf und einem grösseren Erholungsbedarf mit verminderter Leistungsgeschwindigkeit). Die Vorinstanz erwog, der polydisziplinären asim-Expertise komme Beweiswert zu. Die durch die Versicherte nachgereichten Berichte der behandelnden Ärztinnen und Ärzte und der Psychotherapeutin vermöchten daran keine hinreichenden Zweifel zu wecken. Insbesondere bestünden nicht genügend Indizien für ein krankheitswertiges Verhaltensmuster, das Anlass für eine erneute psychiatrische Begutachtung geben würde. Gestützt auf das Gutachtensergebnis sei die Vorinstanz zu Recht von einem Invaliditätsgrad von 20 % ausgegangen.
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4.2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, das asim-Gutachten vom 28. September 2015 habe auf einer unvollständigen Aktenlage beruht und weder die erforderliche Tiefe noch Konsistenz aufgewiesen, um als Entscheidgrundlage zu dienen. Indem sie ohne weitere Abklärungen darauf abgestellt habe, habe die Vorinstanz den Untersuchungsgrundsatz verletzt und den Sachverhalt in willkürlicher Weise unrichtig festgestellt.
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4.2.1. Wie sie selber darlegt, hatten die Gutachter Kenntnis der laufenden, durch die Psychiaterin Dr. med. B.________ delegierte, Psychotherapie. Was sodann die offenbar parallel laufende Psychotherapie delegiert durch Psychiaterin Dr. med. C.________ sowie die Behandlung durch die Hausärztin Dr. med. D.________ angeht, so schmälert ihre fehlende Erwähnung im asim-Gutachten nicht dessen Beweiswert, zumal die Beschwerdeführerin nicht geltend macht, sie hätte in der Begutachtung auf die dortigen Behandlungen hingewiesen. Auf Aufforderung des Rechtsvertreters (Schreiben vom 3. August 2017) holte die IV-Stelle von den genannten Ärztinnen im Rahmen des Einwandverfahrens Berichte ein. Diese trugen indes nicht zur Klärung des Sachverhalts bei, da sich beide Ärztinnen zur Berichterstattung ausserstande sahen, die Hausärztin da sie über den aktuellen gesundheitlichen Zustand seit 2014 "schlecht informiert" sei, die Psychiaterin weil "ein Bericht an die IV-Stelle das Vertrauensverhältnis der Therapie stören würde und sie unter diesen Umständen nicht weitergeführt werden könnte". Damit ist nicht ersichtlich, welche massgeblichen Vorakten die Experten unbeachtet gelassen haben sollten. Andere Mängel des Gutachtens werden nicht - hinlänglich substanziiert (Art. 42 Abs. 2 BGG) - gerügt.
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4.2.2. Nebst dem asim-Gutachten aus dem Jahr 2015 würdigte das Sozialversicherungsgericht auch die seither erstatteten Arztberichte - insbesondere der behandelnden Psychiaterin Dr. med. B.________ - eingehend. Inwiefern sein Schluss, es bestünden keine genügenden Indizien für ein weiter abzuklärendes krankheitswertiges Verhaltensmuster, willkürlich sein soll, vermag die Beschwerdeführerin nicht aufzuzeigen und ist auch nicht ersichtlich, zumal die Vorinstanz - für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich (oben E. 2.1) - feststellte, Dr. med. B.________ und die delegierte Psychologin hätten (mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit) erstmals eine schwere Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, ohne indes ein tiefgreifendes Verhaltensmuster zu beschreiben, das bereits im Jugendalter eingesetzt hätte. Dies, obwohl sie selber festhielten, es sei für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung zwingend, dass Symptome bereits ab Kindheit/Jugendalter feststellbar seien. Die Vorbringen der Versicherten hierzu erschöpfen sich in appellatorischer Kritik an der Beweiswürdigung des kantonalen Gerichts, die vor Bundesgericht nicht zu hören ist. Die Vorinstanz hat auch nicht den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzt, indem sie auf eine detaillierte Auseinandersetzung mit den von der behandelnden Psychiaterin diagnostizierten Zwangsgedanken und Gedankenkreisen (ICD-10 F42.0) verzichtete. Dem Gedankenkreisen wurde im polydisziplinären Gutachten Rechnung getragen. Welche weiteren entscheidwesentlichen Aspekte konkret nicht abgeklärt worden sein sollen, legt die Beschwerdeführerin nicht dar, sondern beschränkt sich darauf, die Durchführung einer umfassenden psychologischen Testung zu fordern. Indem es darauf verzichtete, hat das Sozialversicherungsgericht kein Bundesrecht verletzt. Offenkundig verzichteten bereits die behandelnden Ärztinnen und Psychotherapeutinnen auf eine solche, was einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn unwahrscheinlich erscheinen lässt. Die Versicherte hält denn auch selber fest, sie erfahre eine langjährige Behandlung, "die weder einen korrekten Befund noch eine entsprechende Diagnostik zweifelsfrei ermöglicht". Damit spricht sie selber an, dass in ihrem Fall der geforderte Beweis für eine invalidisierende psychische Gesundheitsstörung nicht geleistet, aber auch nicht - durch weitere Abklärungen - zu erbringen war. Insbesondere belegt die Berichtsverweigerung der behandelnden Psychiaterin Dr. med. C.________ nicht das Vorliegen eines invalidisierenden Leidens. Die Beweislosigkeit nach erfolgter Abklärung wirkt sich nach den Regeln über die (materielle) Beweislast zu Ungunsten der Beschwerdeführerin aus (BGE 144 V 50 E. 4.3 i.f. S. 53 i.f.; BGE 143 V 418 E. 6 S. 427).
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4.2.3. Angesichts der rein kassatorischen Natur der gestellten Anträge (Sachverhalt lit. C sowie E. 1.2 hiervor) erübrigen sich Weiterungen zum von der Versicherten angestellten Einkommensvergleich, da das Bundesgericht so oder anders keine Invalidenrente zusprechen könnte (Art. 107 Abs. 1 BGG). Soweit die Versicherte auch hier überdies ungenügende Sachverhaltsabklärung geltend macht, beruft sie sich auf eine bei der E.________ AG vorgesehene Weiterbildung im Managementbereich, die ihr zufolge das Valideneinkommen weiter erhöht hätte. Damit führt sie neue Tatsachen in das Verfahren ein, die unbeachtlich bleiben (oben E. 2.3).
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4.3. Nach dem Gesagten besteht - mit der Vorinstanz - kein Anlass zu weiteren Abklärungen. Die Beschwerde ist unbegründet.
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5. Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 30. Juni 2020
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Parrino
 
Die Gerichtsschreiberin: Oswald
 
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