BGer 6B_1281/2019 | |||
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BGer 6B_1281/2019 vom 06.07.2020 |
6B_1281/2019 |
Urteil vom 6. Juli 2020 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichter Muschietti,
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Bundesrichterin van de Graaf,
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Gerichtsschreiber Matt.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Oliver Knakowski,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Strafzumessung,
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Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
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des Kantons Zürich, II. Strafkammer,
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vom 10. September 2019 (SB190128-O/U/cw).
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Sachverhalt: | |
A. Am 4. Dezember 2018 sprach das Bezirksgericht Hinwil A.________ der Nötigung, des Hausfriedensbruchs und des Führens eines Motorfahrzeugs ohne Führerausweis schuldig und verurteilte ihn unter Widerruf des bedingten Vollzugs einer 6-monatigen Freiheitsstrafe gemäss Strafbefehl der Jugendanwaltschaft See/Oberland vom 5. April 2013 zu 16 Monaten Gesamtfreiheitsstrafe, davon 8 Monate bedingt. Auf seine Berufung sowie Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft hin erhöhte das Obergericht des Kantons Zürich die Gesamtfreiheitsstrafe am 10. September 2019 auf 19 Monate. Es ordnete den Vollzug der Freiheitsstrafe an.
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B. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, der Vollzug der Freiheitsstrafe sei im Umfang von 13 Monaten aufzuschieben mit einer Probezeit von 4 Jahren. Eventualiter sei ein Teil der Strafe aufzuschieben und die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. A.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
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Erwägungen: | |
1. Der Beschwerdeführer beanstandet einzig die Strafzumessung. Er macht geltend, die Vorinstanz habe in Überschreitung ihres Ermessens keine teilbedingte Strafe ausgesprochen. Entgegen ihrer Auffassung sei hinsichtlich der Legalprognose von besonders günstigen Umständen auszugehen.
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1.1. | |
1.1.1. Das Gericht misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters (Art. 47 Abs. 1 StGB). Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden (Art. 47 Abs. 2 StGB). Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung nach Art. 47 ff. StGB und der Gesamtstrafenbildung nach Art. 49 Abs. 1 StGB in Anwendung des Asperationsprinzips wiederholt dargelegt (BGE 144 IV 313 E. 1.1, 217 E. 3; je mit Hinweisen). Darauf kann verwiesen werden.
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1.1.2. Wurde der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Tat zu einer bedingten oder unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder zu einer Geldstrafe von mindestens 180 Tagessätzen verurteilt, so ist der Aufschub einer Geldstrafe, von gemeinnütziger Arbeit oder einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren nur zulässig, wenn besonders günstige Umstände vorliegen (aArt. 42 Abs. 2 StGB).
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Unter "besonders günstigen Umständen" sind solche zu verstehen, die ausschliessen, dass die Vortat die Prognose verschlechtert. Die Gewährung des bedingten bzw. teilbedingten Strafvollzuges ist nur möglich, wenn eine Gesamtwürdigung aller massgebenden Faktoren den Schluss zulässt, dass trotz der Vortat eine begründete Aussicht auf Bewährung besteht. Dabei ist zu prüfen, ob die indizielle Befürchtung durch die besonders günstigen Umstände zumindest kompensiert wird. Anders als beim nicht rückfälligen Täter (aArt. 42 Abs. 1 StGB) ist das Fehlen einer ungünstigen Prognose nicht zu vermuten. Vielmehr kann eine günstige Prognose nur gestellt werden, wenn Umstände vorliegen, die ausschliessen, dass der Rückfall die Prognose verschlechtert. Das trifft etwa zu, wenn die neuerliche Straftat mit der früheren Verurteilung in keinerlei Zusammenhang steht oder bei einer besonders positiven Veränderung in den Lebensumständen des Täters. aArt. 42 Abs. 2 StGB stellt klar, dass der Rückfall für sich den bedingten Strafvollzug nicht ausschliesst (vgl. BGE 145 IV 137 E. 2.2; 134 IV 1 E. 4.2.3 mit Hinweisen; Urteil 6B_377/2017 vom 5. Juli 2018 E. 2.2, nicht publ. in: BGE 144 IV 277).
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1.1.3. Dem Sachgericht steht bei der Gewichtung der verschiedenen Strafzumessungsfaktoren und bei der Prüfung der Prognose des künftigen Legalverhaltens ein Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn die Vorinstanz von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist, wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen oder ihr Ermessen über- bzw. unterschritten oder missbraucht und damit Bundesrecht verletzt hat (vgl. BGE 145 IV 137 E. 2.2; 144 IV 313 E. 1.2; 217 E. 3; 141 IV 61 E. 6.1; zum Ganzen: Urteil 6B_301/2019 vom 17. September 2019 E. 1.3). Im Übrigen legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser ist offensichtlich unrichtig oder beruht auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (zum Begriff der Willkür vgl. BGE 146 IV 88 E. 1.3.1; 143 IV 241 E. 2.3.1; je mit Hinweisen). Die Willkürrüge muss explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden, andernfalls das Bundesgericht darauf nicht eintritt (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 145 I 26 E. 1.3 mit Hinweisen).
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Das Gericht würdigt Gutachten grundsätzlich frei (Art. 10 Abs. 2 StPO). In Fachfragen darf es davon indessen nicht ohne triftige Gründe abweichen, und Abweichungen müssen begründet werden. Auf der anderen Seite kann das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung (Art. 9 BV) verstossen (BGE 142 IV 49 E. 2.1.3; 141 IV 369 E. 6.1; Urteil 6B_729/2019 vom 1. Mai 2020 E. 2.1.1, mit Hinweis).
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1.2. | |
1.2.1. Die Vorinstanz begründet überzeugend, weshalb sie keine besonders günstigen Umstände erkennt und eine unbedingte Freiheitsstrafe für angebracht hält. Sie erwägt, schon allein aufgrund der mehreren einschlägigen Vorstrafen des Beschwerdeführers könne kaum eine gute Prognose gestellt werden. Diese eigentliche Schlechtprognose finde in den von einem psychiatrischen Gutachter festgehaltenen Risikofaktoren ihre Bestätigung. Demnach leide der Beschwerdeführer an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, welche eine hohe Affinität zur Delinquenz habe. Diese Störung werde durch ADHS überlagert, das Rückfälle noch wahrscheinlicher mache und beschleunige. Der bestehende Substanzmissbrauch wirke sich ebenso ungünstig aus wie die Herkunft des Beschwerdeführers aus wenig stabilen Verhältnissen, die "broken-home"-Situation, die Heimkarriere und die organische Hirnschädigung (Epilepsie). Seine unrealistische Zukunftsperspektive und sein ebensolches Selbstbild würden sich in gleichem Masse ungünstig auswirken wie das geringe Interesse für Schule und Arbeit. Auch der kriminogene Lebensstil mit dissozialen Peers mit Tendenz zu Bandenkriminalität und Bewährungsversagen in der Vergangenheit würden gegen eine günstige Prognose sprechen. Immerhin wirke sich eine fehlende Affinität zu Waffen und Selbstschädigung prognostisch günstig aus. Insgesamt ergebe sich ein relativ geschlossenes Bild eines hohen Restrisikos, wobei wenigstens nicht zwingend von einer extremen Deliktsschwere auszugehen sei.
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Zwar sei mit dem Erstgericht eine verhalten positive Entwicklung zu erkennen, indem der Beschwerdeführer derzeit einer regelmässigen Arbeit nachgehe, so die Vorinstanz. Dies ändere jedoch nichts an der ausgesprochenen Schlechtprognose. Dass der Beschwerdeführer seit knapp einem Jahr unter dem Druck eines laufenden Strafverfahrens, in dem auch über seinen Verbleib in der Schweiz entschieden werde und eine Rückkehr nach Somalia drohe, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgehe, sei noch kein Zeichen von Einsicht und geändertem Lebenswandel. So habe er sich bereits unter dem Eindruck des letzten Strafverfahrens, das 2017 in einem Strafbefehl gemündet habe, reuig und einsichtig gegeben und einen Cannabis-Entzug in Aussicht gestellt. Die im nämlichen Strafbefehl ausgesprochenen 700 Stunden gemeinnütziger Arbeit hätten den Beschwerdeführer zudem offenbar nicht beeindruckt, zumal sie aufgrund seiner Epilepsie nicht hätten vollzogen werden können. Schliesslich sei unverständlich, wie das Erstgericht aus der Aussage des Beschwerdeführers, wonach er nur noch zweimal pro Woche kiffe, zum Schluss komme, dass er seinen Substanzkonsum weitestgehend eingeschränkt habe. Zusammenfassend müsse daher an der Schlechtprognose festgehalten werden, sodass die Strafe zu vollziehen sei.
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1.2.2. Was der Beschwerdeführer vorbringt, ist nicht geeignet, die vorinstanzliche Strafzumessung und Anordnung einer unbedingten Freiheitsstrafe von 19 Monaten als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Eine Ermessensüberschreitung oder Ausserachtlassung massgebender Kriterien sind nicht ersichtlich. Nach dem vorstehend Gesagten kann von besonders günstigen Umständen keine Rede sein. Daran ändert nichts, dass der Beschwerdeführer neuerlich beteuert, das zu beurteilende Delikt habe ihm die Augen geöffnet und er habe seinen Lebenswandel sowie seinen Bekanntenkreis geändert. Auch, dass er sich mit einem Kollegen um den Aufbau einer selbständigen Tätigkeit bemühen mag und eine unbedingte Freiheitsstrafe diese Bemühungen unterminieren würde, begründet keine besonders günstigen Umstände. Dies gilt ebenso für die Tatsache, dass er seit drei Jahren nicht mehr straffällig wurde. Abgesehen davon geht die Vorinstanz bezüglich der beruflichen Pläne des Beschwerdeführers von einer unrealistischen Zukunftsperspektive und einem ebensolchen Selbstbild aus, wobei sie sich nachvollziehbar auf ein psychiatrisches Gutachten stützt. Mit seiner diesbezüglichen Kritik am Gutachten vermag der Beschwerdeführer keine Willkür darzutun. Er bezeichnet die Einschätzung denn auch lediglich als falsch und spekulativ, ohne ihr etwas entgegen zu setzen. Die Behauptung des Beschwerdeführers, den Betäubungsmittelkonsum hinter sich gelassen zu haben, beurteilt die Vorinstanz ferner überzeugend als unzutreffend. Schliesslich begründet die blosse Möglichkeit, dass auch ein teilbedingter Vollzug der Freiheitsstrafe die erwünschte Warnwirkung erzielen könnte, keinen Ermessensmissbrauch.
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2. Die Beschwerde ist abzuweisen. Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen, zumal sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege aussichtlos erscheint. Seinen finanziellen Verhältnissen ist bei der Kostenfestsetzung Rechnung zu tragen (Art. 64, Art. 65 Abs. 1 und 2, Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
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3. Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten von Fr. 1'200.--.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 6. Juli 2020
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Der Gerichtsschreiber: Matt
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