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Informationen zum Dokument  BGer 1B_357/2020  Materielle Begründung
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BGer 1B_357/2020 vom 22.07.2020
 
 
1B_357/2020
 
 
Urteil vom 22. Juli 2020
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Chaix, Präsident,
 
Bundesrichter Haag, Müller,
 
Gerichtsschreiberin Sauthier.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; Verlängerung Sicherheitshaft,
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
 
des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 2. Juli 2020
 
(UH200197-O/U/BUT).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich führte eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen versuchter schwerer Körperverletzung. Sie warf ihm vor, als Insasse im (offenen) Vollzugszentrum Bachtel in Hinwil am 5. September 2019 einen Mitinsassen am Hals gepackt, ihn gewürgt und ihm mehrere Faustschläge verpasst zu haben sowie, als dieser bereits am Boden gelegen sei, mit dem Fuss auf dessen linke Kopfseite "gekickt" zu haben. Am 6. April 2020 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage beim Bezirksgericht Hinwil und beantragte die Anordnung von Sicherheitshaft für A.________. Mit Verfügung vom 9. April 2020 ordnete das Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Hinwil gegenüber A.________ Sicherheitshaft bis zur Eröffnung des Urteils in der Hauptsache, vorerst jedoch längstens bis zum 9. Oktober 2020 an. Dagegen erhob A.________, damals vertreten durch seinen Rechtsanwalt, Beschwerde beim Obergericht des Kantons Zürich. Dieses wies die Beschwerde mit Beschluss vom 19. Mai 2020 ab. Eine dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht mit Urteil vom 3. Juli 2020 ab (Urteil 1B_309/2020).
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Anlässlich der Hauptverhandlung erkannte das Bezirksgericht Hinwil A.________ der versuchten schweren Körperverletzung schuldig und verurteilte ihn mit Beschluss vom 11. Juni 2020 zu einer vollziehbaren Freiheitsstrafe von 26 Monaten, unter Anrechnung von 281 Tagen Untersuchungshaft. Ausserdem ordnete es eine ambulante Massnahme an. Gegen dieses Urteil haben sowohl A.________ als auch die Staatsanwaltschaft Berufung angemeldet. Ebenfalls mit Beschluss vom 11. Juni 2020 verlängerte das Bezirksgericht die Sicherheitshaft bis zum Strafantritt bzw. zum Entscheid der Verfahrensleitung des Berufungsgerichts, längstens bis zum 11. Dezember 2020. Dagegen erhob A.________, vertreten durch seinen Rechtsanwalt, Beschwerde beim Obergericht, welches die Beschwerde am 2. Juli 2020 abwies.
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B. Mit eigenhändiger Eingabe vom 8. Juli 2020 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt sinngemäss die Aufhebung des Entscheids der Vorinstanz vom 2. Juli 2020 und die Rückversetzung in den Strafvollzug. Ausserdem stellt er einen Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege.
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Das Obergericht sowie die Staatsanwaltschaft verzichten auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Zwischenentscheid, der geeignet ist, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zu bewirken. Gegen ihn steht grundsätzlich die Beschwerde in Strafsachen offen (vgl. Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 und 2 sowie Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Der Beschwerdeführer ist durch die Verlängerung der Sicherheitshaft in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen und damit zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
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2.
 
Soweit sich der Beschwerdeführer erneut gegen die Annahme der Wiederholungsgefahr wendet, kann ihm nicht gefolgt werden. Diesbezüglich kann auf das ihn betreffende Urteil 1B_309/2020 vom 3. Juli 2020 verwiesen werden. In jenem Entscheid wurde in E. 2.2 festgehalten, weshalb der Haftgrund der Wiederholungsgefahr - wie im Übrigen auch der grundsätzlich unbestrittene Tatverdacht - weiterhin vorliegen und die Anordnung der Sicherheitshaft gemäss Art. 221 Abs. 1 StPO grundsätzlich vor dem Recht stand hält.
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3.
 
Der Beschwerdeführer bringt aber weiter vor, die Sicherheitshaft sei mit der Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 9. April 2020 und dem Beschluss des Bezirksgerichts vom 11. Juni 2020 auf insgesamt 8 Monate verlängert worden. Eine Verlängerung der Sicherheitshaft sei aber für maximal 6 Monate möglich. Damit macht er sinngemäss geltend, die angeordnete Verlängerung der Sicherheitshaft sei unverhältnismässig.
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3.1. Der Beschwerdeführer befand sich seit Eingang der Anklage vom 6. April 2020 beim Bezirksgericht bis zum erstinstanzlichen Urteil am 11. Juni 2020 bereits knapp zwei Monate in Sicherheitshaft (vgl. für die Berechnung der Dauer der Sicherheitshaft bzw. deren Beginn: Urteil 1B_292/2020 vom 6. Juli 2020 E. 3.5, zur Publikation vorgesehen). Diese Zeitspanne ist mit Urteil des Bundesgerichts vom 3. Juli 2020 als rechtmässig beurteilt worden und bildet vorliegend nicht mehr Streitgegenstand (vgl. das den Beschwerdeführer betreffende Urteil 1B_309/2020). Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung verlängerte das Bezirksgericht mit Beschluss vom 11. Juni 2020 die Sicherheitshaft bis zum Straf- bzw. Massnahmeantritt bzw. zum Entscheid der Verfahrensleitung des Berufungsgerichts, längstens bis zum 11. Dezember 2020, mithin um 6 Monate, was von der Vorinstanz geschützt wurde.
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3.2. Gemäss Art. 227 Abs. 7 StPO wird die Verlängerung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft (Art. 229 Abs. 3 lit. b StPO) jeweils für längstens 3 Monate, in Ausnahmefällen für längstens 6 Monate bewilligt. Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt ein Ausnahmefall im Sinne von Art. 227 Abs. 7 StPO etwa vor, wenn von Vornherein ersichtlich ist, dass der Haftgrund auch nach mehr als 3 Monaten noch gegeben ist oder langwierige Erhebungen mittels Rechtshilfe erforderlich sind (vgl. u.a. Urteil 1B_465/2018 vom 2. November 2018 E. 4.4 mit Hinweisen). Mit dem zur Publikation vorgesehenen Urteil 1B_292/2020 vom 6. Juli 2020 präzisierte das Bundesgericht seine Rechtsprechung insoweit, dass sich eine Verlängerung der Sicherheitshaft um 6 Monate ausnahmsweise rechtfertige, wenn die Strafuntersuchung voraussichtlich nicht innert 3 Monaten abgeschlossen werden könne. Das Bundesgericht hielt fest, es könne kein Ausnahmefall angenommen werden, wenn das erstinstanzliche Gericht aufgrund der Umstände und mit Blick auf das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen (Art. 5 Abs. 2 StPO) in der Lage sein müsste, die Hauptverhandlung innert 3 Monaten anzusetzen und durchzuführen (vgl. E. 2.5). Die Anordnung der Sicherheitshaft für längstens 6 Monate könne ausnahmsweise bei einem aufwändigen und komplexen Wirtschaftsstraffall mit umfangreichen Akten zulässig sein, wenn absehbar sei, dass das erstinstanzliche Gericht die Hauptverhandlung nicht innert 3 Monaten ansetzen könne (E. 2.4).
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3.3. Um einen derartigen Fall geht es hier nicht. Zwar ist im erwähnten Urteil 1B_292/2020 in E. 2 einzig die Rede davon, dass für die Festsetzung der Dauer der Sicherheitshaft wesentlich sei, wie lange das erstinstanzliche Gericht voraussichtlich für die Vorbereitung der Hauptverhandlung brauchen werde. Dies hat jedoch analog auch für das zweitinstanzliche Gericht zu gelten. Der Beschwerdeführer wurde erstinstanzlich wegen einer versuchten schweren Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 26 Monaten verurteilt. Der Fall bietet weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten, und es sind auch keine anderen Gründe ersichtlich, die gegen eine Beurteilung der Berufung innert 3 Monaten sprechen. Im Übrigen kann weder dem angefochtenen Entscheid noch dem Entscheid des Bezirksgerichts vom 11. Juni 2020 eine Begründung für die Haftverlängerung um 6 Monate entnommen werden.
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3.4. Nach dem Gesagten erweist sich die angeordnete Verlängerung der Sicherheitshaft um 6 Monate als rechtswidrig. Die Beschwerde ist gutzuheissen und der angefochtene Beschluss aufzuheben, soweit die Vorinstanz die Sicherheitshaft bis zum 11. Dezember 2020 genehmigt hat. Die Verlängerung der Sicherheitshaft wird für 3 Monate, d.h. bis vorerst zum 11. September 2020, bewilligt, längstens aber bis zur Eröffnung des Urteils des Berufungsgerichts.
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4. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführer, der keinen ausserordentlichen Aufwand darzutun vermag, hat praxisgemäss keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (vgl. Art. 68 BGG; BGE 133 III 439 E. 4 S. 446). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist damit gegenstandslos. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen zur Neuregelung der kantonalen Kosten- und Entschädigungsfolgen (Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 2. Juli 2020 aufgehoben, soweit dieses die Sicherheitshaft bis zum 11. Dezember 2020 genehmigt hat. Die Sicherheitshaft wird bewilligt bis vorerst zum 11. September 2020, längstens aber bis zur Eröffnung des Urteils des Berufungsgerichts.
 
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Parteientschädigung ausgerichtet.
 
3. Die Sache wird an das Obergericht zurückgewiesen zur Neuregelung der kantonalen Kosten- und Entschädigungsfolgen.
 
4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, und Rechtsanwalt B.________ schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 22. Juli 2020
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Chaix
 
Die Gerichtsschreiberin: Sauthier
 
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