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Informationen zum Dokument  BGer 8C_254/2020  Materielle Begründung
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BGer 8C_254/2020 vom 11.08.2020
 
 
8C_254/2020
 
 
Urteil vom 11. August 2020
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
 
Gerichtsschreiberin Polla.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Advokat Dr. Martin Kaiser,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),
 
Beschwerde gegen den Entscheid
 
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft
 
vom 23. Januar 2020 (725 19 288 / 13).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die 1963 geborene A.________ war als Reinigungsmitarbeiterin der B.________ AG bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Am 24. Mai 2017 verfehlte sie beim Treppensteigen mit dem Wäschekorb in der Hand eine Stufe und stürzte. Die Suva erbrachte Heilbehandlungs- und Taggeldleistungen für die von Dr. med. C.________, Allgemeine Medizin FMH, am 25. August 2017 attestierte rechtsseitige Handgelenksprellung. Mit Verfügung vom 31. Januar 2019 stellte die Suva die gesetzlichen Leistungen rückwirkend auf den 15. Dezember 2018 ein, da die persistierenden Beschwerden an der rechten Hand nicht mehr unfallkausal seien. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 12. August 2019 fest.
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B. Die dagegen geführte Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 23. Januar 2020 ab.
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C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids seien ihr über den 15. Dezember 2018 hinaus die gesetzlichen Leistungen in Form von Taggeldern bzw. allenfalls in Form von einer Invalidenrente zu gewähren. Eventualiter sei die Sache zwecks weiterer Abklärungen (an die Vorinstanz oder die Suva) zurückzuweisen.
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Die Suva schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Stellungnahme.
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Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).
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1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
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2. Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht die Leistungseinstellung der Beschwerdegegnerin auf den 15. Dezember 2018 bundesrechtskonform geschützt hat.
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Die Vorinstanz hat die zur Beurteilung der Streitsache massgebenden Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Dies betrifft die Ausführungen zu den Voraussetzungen des Anspruchs auf Leistungen der Unfallversicherung (Art. 6 Abs. 1 UVG i.V.m. Art. 4 und 7 Abs. 1 ATSG), insbesondere zum Erfordernis eines natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall und einer gesundheitlichen Beeinträchtigung sowie zum Dahinfallen der Leistungspflicht bei Erreichen des Status quo sine vel ante (SVR 2016 UV Nr. 18 S. 55, 8C_331/2015 E. 2.1.1; SVR 2010 UV Nr. 31 S. 125, 8C_816/2009 E. 4.3; Urteile 8C_781/2017 vom 21. September 2018 E. 5.1; 8C_326/2008 vom 24. Juni 2008 E. 3.2 und 4). Richtig wiedergegeben werden auch die Regeln, die bei der Beurteilung des Beweiswerts eines ärztlichen Berichts oder Gutachtens zu beachten sind (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352), insbesondere bei versicherungsinternen Beurteilungen (BGE 145 V 97 E. 8.5 S. 105; 139 V 225 E. 5.2 S. 229; 135 V 465 E. 4.4 S. 469 f.; 125 V 351 E. 3b/ee S. 353 f.; 122 V 157 E. 1d S. 162). Es wird darauf verwiesen.
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3. Die Vorinstanz hat in eingehender Würdigung der medizinischen Aktenlage die Auffassung der Suva bestätigt. Der Kreisarzt Dr. med. D.________, FMH Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, sei anlässlich seiner Abschlussuntersuchung vom 14. Dezember 2018 zum Schluss gelangt, dass ab Dezember 2018 keine somatischen Ursachen mehr für die bestehenden Handgelenksbeschwerden vorlägen (Bericht vom 17. Januar 2019). Die Versicherte sei vollständig arbeitsfähig in der angestammten wie in einer leidensangepassten Tätigkeit. Dies stehe in Einklang mit den Feststellungen der Klinik E.________ vom 31. Oktober 2018, wonach gestützt auf das am 10. Oktober 2018 anlässlich des vom 4. bis 31. Oktober 2018 dauernden stationären Aufenthaltes veranlasste MRT keinerlei strukturelle Auffälligkeiten mehr ausgewiesen seien. Es sei im Bericht der Klinik E.________ auf eine erhebliche Symptomausweitung hingewiesen worden, wobei sich das Ausmass an demonstrierten Einschränkungen nicht mit den objektivierbaren pathologischen Befunden habe erklären lassen. Der behandelnde Dr. med. F.________, Handchirurgie, Leitender Arzt, Spital G.________, habe am 18. September 2017 sowie am 30. April 2018 eine Arthroskopie des Handgelenks durchgeführt und bereits am 7. Juni 2018 im Anschluss an die zweite Operation keine organischen Ursachen für die unverändert persistierende Schmerzsituation mehr ausmachen können. Am 29. August 2018 habe er ein chronisches Schmerzsyndrom mit konsekutiver Schonhaltung diagnostiziert, wobei er auch den beschriebenen drohenden funktionellen Verlust der Hand nicht auf eine somatische Ursache habe zurückführen können. Soweit er im Bericht vom 7. Dezember 2018 ein neuropathisches Schmerzsyndrom als mögliche Beschwerdeursache aufführe, begnüge er sich diesbezüglich mit pauschaler Kritik am Umstand, dass in der Klinik E.________ keine handchirurgische Begutachtung vorgenommen worden sei. Eine solche habe er aber ebenso wenig veranlasst. Zudem habe er ein halbes Jahr später nach einer vorgenommenen Infiltration im Sinne einer vorübergehenden Handgelenksdenervation die Versicherte angewiesen, ihre rechte Hand im Alltag einzusetzen. Seine Berichte erweckten daher keine auch nur geringen Zweifel an der Suva-ärztlichen Beurteilung. Die Leistungseinstellung per 15. Dezember 2018 sei demnach korrekt.
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4.
 
 
4.1.
 
4.1.1. Soweit die Beschwerdeführerin der vorinstanzlichen Feststellung, im Juni und September 2017 sei ein intaktes und straffes TFCC festgestellt worden, entgegenhält, "dass die Arthroskopie des Handgelenks mit überwiegender Wahrscheinlichkeit unfallkausal" sei, ist nicht ersichtlich, was sie daraus zu ihren Gunsten ableiten will. Dass die Beschwerdegegnerin einen Kausalzusammenhang zwischen der Gesundheitsschädigung am Handgelenk und der durchgeführten Arthroskopie (nicht aber mit der damit verbundenen Arthrodese DIP Dig. II) bejahte, hat nichts mit dem triangulären fibrokartilaginären Komplex (TFCC) zu tun. Eine Verletzung desselben wurde ärztlicherseits zu keinem Zeitpunkt festgestellt (Operationsbericht des Spitals G.________ vom 18. September 2017). Indikation für die Arthroskopie bildeten vielmehr die persistierenden Schmerzen im rechten Handgelenk sowie die nicht auf den Unfall zurückzuführende DIP-Arthrose, die mittels Arthrodese versorgt wurde. Die Ursache der Handgelenksbeschwerden blieben gemäss Diagnose im Operationsbericht vom 18. September 2017 auch nach durchgeführter Arthroskopie unklar. Weiter sind die Darlegungen im Bericht des Kreisarztes Dr. med. D.________ nicht schon allein deswegen beweisuntauglich, weil die Vorinstanz ohne Datumsangabe festgestellt hat, der Kreisarzt sei u.a. gestützt auf die "aktuellste Bildgebung" zu seinem Ergebnis gelangt, wie die Beschwerdeführerin einwendet. Die Vorinstanz hat die entscheidwesentlichen medizinischen Akten detailliert aufgeführt. Aus ihren Erwägungen (S. 6) lässt sich ohne Weiteres schliessen, dass sich die Formulierung "aktuellste Bildgebung" auf die anlässlich des Rehabilitationsaufenthaltes in der Klinik E.________ veranlasste und am 10. Oktober 2018 am Spital H.________ durchgeführte MRI-Untersuchung des Handgelenks bezog.
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4.1.2. Nachdem sich aus den medizinischen Akten keine Hinweise für eine über das Datum der Leistungseinstellung hinaus bestehende Unfallkausalität der persistierenden somatischen Beschwerden am rechten Handgelenk ergeben, waren mit der Vorinstanz keine weiteren Abklärungen in handchirurgischer Hinsicht angezeigt. Eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes liegt nicht vor. Der Kreisarzt schloss nachvollziehbar und schlüssig eine namhafte Besserung der (natürlich) unfallkausalen Beschwerden somatischer Natur durch weitere ärztliche Behandlungsmassnahmen aus. Er ging von einer beim gemeldeten Ereignis vom 24. Mai 2017 bereits bestehenden beginnenden Handgelenksarthrose mit Synovitis als Vorzustand aus, der sich vorübergehend verschlimmert hatte. Dementsprechend ist ein im September/Oktober 2016 stattgehabtes Initialtrauma des rechten Handgelenks (Sturz auf die dorsal extendierte Hand) aktenmässig dokumentiert was unbestritten ist. Damit übereinstimmend wies ein CT des rechten Handgelenks vom 4. Juli 2017 zwei kleine Ossikel bei Status nach alter Verletzung aus. Dr. med. F.________ hielt anlässlich seiner ersten Untersuchung am 16. August 2017 weiter fest, die im CT beschriebenen knöchernen Fragmente seien suggestiv für eine stattgehabte perilunäre Verletzung, klinisch sei aktuell jedoch keine carpale Instabilität fassbar. Am ehesten liege eine symptomatische Pseudoarthrose durch das scapholunäre Fragment dorsal vor (Bericht vom 23. August 2017). Was die somatischen Unfallfolgen betrifft, durfte das kantonale Gericht demnach in beweisrechtlicher Hinsicht zur Beurteilung der Leistungspflicht des Unfallversicherers nach dem 15. Dezember 2018 auf die Darlegungen des Kreisarztes Dr. med. D.________ abstellen. Unfallkausale strukturelle Läsionen, welche über die Leistungsterminierung hinaus Anspruch auf Leistungen der Suva begründeten, hat es bundesrechtskonform verneint. Dass eine von Dr. med. F.________ wegen der weiterhin geklagten Schmerzen durchgeführte (Probe-) Infiltration im Sinne einer Handgelenksdenervation für einige Tage eine Besserung der Beschwerden brachte, ändert an der überzeugenden Kausalitätsbeurteilung in somatischer Hinsicht nichts (Berichte des Spitals G.________ vom 8. und 27. August 2019).
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4.2.
 
4.2.1. Zutreffend ist indessen der unter Hinweis auf das Urteil 8C_689/2019 vom 9. März 2020 E. 5.3 erfolgte Einwand der Beschwerdeführerin, dass auch bei fehlenden objektivierten Beschwerden eine Leistungspflicht des Unfallversicherers bestehen kann, sofern die Beschwerden in einem natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zum Unfall stehen. Vorliegend konnte die verbliebene Schmerzproblematik nicht mehr auf ein pathologisches somatisches Substrat zurückgeführt werden. Der Kreisarzt verneinte unfallkausale somatische Pathologien nach dem Gesagten schlüssig.
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4.2.2. Zur Beurteilung der natürlichen Kausalität der weiterhin bestehenden Schmerzproblematik liegt dennoch keine hinreichende Entscheidungsgrundlage vor; eine fachärztliche Auseinandersetzung hiermit findet sich nicht in den Akten. Psychische Beschwerden werden zwar nicht geltend gemacht und eine mehrmals im Rahmen des stationären Aufenthalts in der Klinik E.________ angebotene psychiatrische Abklärung lehnte die Versicherte dementsprechend ab. Bei der von Dr. med. F.________ im Bericht vom 7. Dezember 2018 (verdachtsweise) als neuropathisches autonom unterhaltenes Schmerzsyndrom bezeichneten Restsymptomatik handelt es sich aber jedenfalls um keine organisch objektiv ausgewiesene Unfallfolge im Sinne der Rechtsprechung (vgl. Urteil 8C_647/2018 vom 16. Januar 2019 E. 4.3.2). Daher hat eine besondere Prüfung des adäquaten Kausalzusammenhangs nach den zu psychischen Fehlentwicklungen nach einem Unfall entwickelten Grundsätzen gemäss BGE 115 V 133 zu erfolgen. Die Suva verneinte in ihrem Einspracheentscheid im Sinne einer Eventualbegründung in Anwendung dieser Rechtsprechung einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen den geklagten Restbeschwerden und dem geltend gemachten Unfallereignis. Die Vorinstanz hat sich hierzu in Verneinung der natürlichen Kausalität nicht geäussert, was jedoch in beweisrechtlicher Hinsicht nach dem soeben Dargelegten nicht standhält. Die Frage, ob ein natürlicher Kausalzusammenhang zwischen der Schmerzproblematik und dem Unfall besteht, kann bei Verneinung der adäquaten Kausalität praxisgemäss offen gelassen werden (BGE 135 V 465 E. 5.1 S. 472). Weitere medizinische Abklärungen zur bestehenden Schmerzproblematik wären diesfalls nicht erforderlich. Nachdem eine Leistungspflicht des Unfallversicherers erst bei Fehlen des natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhangs entfällt, ist die Sache demnach an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie über die Beschwerde neu entscheide.
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5. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Rückweisung der Sache an den Versicherungsträger oder an das vorinstanzliche Gericht zu erneuter Abklärung (mit noch offenem Ausgang) gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt oder ob das entsprechende Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271 mit Hinweisen). Demgemäss sind die Gerichtskosten der Beschwerdegegnerin zu überbinden. Ferner hat diese der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung auszurichten.
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 23. Januar 2020 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
 
3. Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 11. August 2020
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla
 
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