BGer 9C_287/2020 | |||
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BGer 9C_287/2020 vom 22.09.2020 |
9C_287/2020 |
Urteil vom 22. September 2020 |
II. sozialrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Parrino, Präsident,
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Bundesrichter Meyer, Stadelmann,
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Gerichtsschreiber Attinger.
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Verfahrensbeteiligte | |
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
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Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Adrian Rufener,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung (Neuanmeldung nach rechtskräftiger Ablehnung beruflicher Massnahmen),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 17. März 2020 (IV 2019/284).
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Sachverhalt: | |
A. Mit Revisionsverfügung vom 12. Februar 2013 hob die IV-Stelle des Kantons St. Gallen die seit Oktober 2001 ausgerichtete ganze Invalidenrente des 1970 geborenen A.________ auf Ende März 2013 hin auf, weil kein leistungsbegründender Gesundheitsschaden mehr vorliege. Die Rentenaufhebung wurde in der Folge durch das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen (Entscheid vom 5. Mai 2015) und das Bundesgericht (Urteil vom 22. September 2015) bestätigt. Im September 2017 meldete sich der Versicherte zum neuerlichen Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle trat mit Verfügung vom 24. November 2017 auf das Leistungsbegehren nicht ein, was unangefochten blieb. Im April 2019 reichte A.________ ein weiteres Anmeldeformular für "Berufliche Integration/Rente" ein. Die IV-Stelle trat mangels Glaubhaftmachung einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen auf die Neuanmeldung wiederum nicht ein (Verfügung vom 21. Oktober 2019).
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B. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher A.________ Eintreten auf sein Begehren um Gewährung beruflicher Eingliederungsmassnahmen beantragt hatte, gut und wies die Sache zur materiellen Prüfung des Gesuchs an die IV-Stelle zurück. Die Verwaltung müsse auf jede Neuanmeldung für berufliche Massnahmen eintreten und ein entsprechendes Gesuch materiell prüfen, unabhängig davon, ob seit der letzten Leistungsverweigerung eine wesentliche Veränderung des massgebenden Sachverhalts glaubhaft gemacht worden sei.
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C. Die IV-Stelle führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheids und Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz, eventuell sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Nichteintretensverfügung vom 21. Oktober 2019 zu bestätigen.
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A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, eventuell sei sie gutzuheissen und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Überdies lässt er um unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der unentgeltlichen Verbeiständung und der Befreiung von den Gerichtskosten) ersuchen. Das kantonale Gericht beantragt Nichteintreten, während sich das Bundesamt für Sozialversicherungen zur Beschwerde nicht hat vernehmen lassen.
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Erwägungen: | |
1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 145 V 380 E. 1 Ingress S. 382 mit Hinweis).
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1.1.
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1.1.1. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen Rückweisungsentscheid. Die IV-Stelle wird darin angewiesen, die Neuanmeldung betreffend berufliche Eingliederungsmassnahmen materiell zu prüfen. Es liegt mithin ein Zwischenentscheid vor, gegen den die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich nur zulässig ist (Art. 93 Abs. 1 BGG), wenn er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b).
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1.1.2. Vom Grundsatz der Nichtanhandnahme direkter Beschwerden gegen ungerechtfertigte Rückweisungsentscheide mangels Vorliegens der Eintretensvoraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit. a und b BGG kann jedoch eine Ausnahme gemacht werden, wenn sich zeigt, dass ein Gericht regelmässig in entsprechender Weise vorgeht (BGE 139 V 99 E. 2.5 S. 104 mit Hinweis; SVR 2020 IV Nr. 30 S. 107, 8C_503/2019 E. 1.2 mit mehreren Hinweisen). Dahinter steht die Überlegung, dass eine strikte Einzelfallbehandlung der Eintretensvoraussetzungen es verunmöglichen würde, eine Fehlpraxis zu korrigieren. Es verhält sich insofern ähnlich, wie wenn unter bestimmten Bedingungen auf das Eintretenserfordernis des aktuellen praktischen Interesses (Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG) verzichtet wird, damit eine bestimmte Frage von allgemeinem Interesse überhaupt je einmal beurteilt werden kann (SVR 2018 IV Nr. 26 S. 83, 8C_580/2017 E. 3.2; 2016 IV Nr. 4 S. 11, 9C_703/2015 E. 7.1; 2015 IV Nr. 29 S. 89, 8C_929/2014 E. 4.4; vgl. BGE 140 III 92 E. 1.1 S. 93; 139 I 206 E. 1.1 S. 208; 137 I 23 E. 1.3.1 S. 25; 136 III 497 E. 1.1 S. 499).
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1.2.
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1.2.1. Rechtsprechungsgemäss liegt kein nicht wiedergutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG vor (Urteil 8C_91/2019 vom 16. April 2019 E. 2.3). Denn die beschwerdeführende IV-Stelle wird lediglich angewiesen, auf die Neuanmeldung einzutreten und das Leistungsbegehren materiell zu behandeln. Verbindliche Anordnungen für die Durchführung dieser materiellrechtlichen Behandlung sind jedoch mit der Rückweisung nicht verknüpft (vgl. BGE 140 V 282). Der Rückweisungsentscheid führt lediglich zu einer Verlängerung und Verteuerung des Verfahrens, was indes das Kriterium des nicht wiedergutzumachenden Nachteils praxisgemäss nicht erfüllt (BGE 140 V 282 E. 4.2 in fine S. 286 mit Hinweisen). Ebenso wenig ist damit das Merkmal des bedeutenden Verfahrensaufwands gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG gegeben (Urteil 8C_464/2017 vom 20. Dezember 2017 E. 2, nicht publ. in: BGE 144 V 35, aber in: SVR 2018 FZ Nr. 1 S. 1; Urteil 8C_272/2019 vom 4. Juli 2019 E. 1.2).
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1.2.2. Die IV-Stelle beruft sich jedoch auf den in E. 1.1.2 hievor dargelegten Ausnahmefall. Das Bundesgericht habe auf die Beschwerde einzutreten, weil das kantonale Gericht mit Bezug auf die Eintretensfrage bei Neuanmeldung für berufliche Massnahmen eine bundesrechtswidrige Rechtspraxis verfolge und auch künftig daran festhalten werde. Nach vorinstanzlicher Auffassung sei auf ein Gesuch um Gewährung beruflicher Eingliederungsmassnahmen jederzeit einzutreten, unabhängig davon, ob eine relevante Veränderung seit der letzten rechtskräftigen Leistungsablehnung glaubhaft gemacht worden sei oder nicht.
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1.3.
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1.3.1. Gemäss jahrzehntelanger ständiger Rechtsprechung ist eine Neuanmeldung nach vorangegangener Ablehnung eines Leistungsgesuchs (um Rente, Hilflosenentschädigung oder Eingliederungsmassnahmen) nur zu prüfen, wenn eine leistungsrelevante Änderung der tatsächlichen Verhältnisse glaubhaft gemacht worden ist. Diese Gerichtspraxis soll verhindern, dass sich die IV-Stellen immer wieder mit gleichlautenden und nicht näher begründeten, d.h. keine Veränderung des Sachverhalts darlegenden Leistungsgesuchen befassen muss (Art. 87 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 IVV [SR 831.201]; BGE 130 V 64 E. 5.2.3 S. 68; 125 V 410 E. 2b S. 412; 117 V 198 E. 4b S. 200; 109 V 108 E. 2a S. 114, 119 E. 3a und 3b, 262 E. 3; SVR 1999 IV Nr. 21 S. 63, I 269/97).
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1.3.2. Die IV-Stelle reicht zwei kantonale Gerichtsentscheide ein, in denen die Vorinstanz die Streitsache in gleicher Weise wie im hier angefochtenen Entscheid abweichend von der dargelegten Bundesgerichtspraxis erledigt hat. Nämlich durch unbesehene Rückweisung an die Verwaltung zur materiellen Prüfung des Anspruchs auf berufliche Eingliederungsmassnahmen, ohne dass das kantonale Gericht seinerseits geprüft hätte, ob überhaupt eine zwischenzeitlich eingetretene wesentliche Sachverhaltsänderung glaubhaft gemacht worden sei oder nicht. Entgegen der von der beschwerdeführenden IV-Stelle vertretenen Auffassung kann indessen nicht bereits anhand von drei Fällen geschlossen werden, das kantonale Gericht übergehe die angeführte Rechtsprechung systematisch. Es besteht daher im vorliegenden Fall kein Grund, vom Prinzip der Nichtanhandnahme direkter Beschwerden gegen ungerechtfertigte Rückweisungsentscheide im Sinne von E. 1.1.2 hievor eine Ausnahme zu machen (vgl. SVR 2015 IV Nr. 29 S. 89, 8C_929/2014 E. 4.4 in fine; Urteil 9C_100/2020 vom 12. Februar 2020).
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1.4. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde unzulässig.
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2. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 erster Satz BGG), welche dem Beschwerdegegner überdies eine Parteientschädigung auszurichten hat (Art. 68 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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3. Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 22. September 2020
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Parrino
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Der Gerichtsschreiber: Attinger
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