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Informationen zum Dokument  BGer 9C_380/2020  Materielle Begründung
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BGer 9C_380/2020 vom 25.09.2020
 
 
9C_380/2020, 9C_384/2020
 
 
Urteil vom 25. September 2020
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Parrino, Präsident,
 
Bundesrichter Meyer, Stadelmann,
 
Gerichtsschreiberin Dormann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
9C_380/2020
 
A.A.________, vertreten durch
 
Rechtsanwältin Regula Aeschlimann Wirz,
 
Beschwerdeführer,
 
und
 
9C_384/2020
 
B.A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Pensionskasse der NZZ-Mediengruppe,
 
c/o Aktiengesellschaft für die NZZ,
 
vertreten durch E.________ AG,
 
Beschwerdegegnerin,
 
Gegenstand
 
Berufliche Vorsorge,
 
Beschwerden gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
 
vom 30. April 2020 (BV.2019.00053, BV.2019.00059).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Der 1954 geborene D.A.________ bezog von der Pensionskasse der NZZ-Mediengruppe (nachfolgend: Pensionskasse) eine ganze Invalidenrente aus beruflicher Vorsorge, als er am 5. Oktober 2018 - mithin vor Erreichen des reglementarischen Rücktrittsalters - verstarb. Seine Erben sind seine Geschwister A.A.________, B.A.________ und C.A.________. Über die Frage, ob die Pensionskasse den Erben ein Todesfallkapital schuldet, konnte keine Einigung erzielt werden.
1
B. Mit separaten Klagen vom 17. Juni 2019 resp. 15. Juli 2019 beantragten A.A.________ und B.A.________, die Pensionskasse sei zu verpflichten, ihnen ein Todesfallkapital, dessen Betrag vom Gericht festzustellen sei, zuzüglich Verzugszins von 5 % ab jeweiligem Klagedatum auszurichten. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich vereinigte die Verfahren und lud C.A.________ zum Prozess bei, die sich nicht vernehmen liess. Mit Entscheid vom 30. April 2020 wies das Sozialversicherungsgericht die Klagen ab.
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C. A.A.________ (Verfahren 9C_380/2020) und B.A.________ (Verfahren 9C_384/2020) führen separat Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragen die Aufhebung des Entscheids vom 30. April 2020 und erneuern ihre Klagebegehren.
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Erwägungen:
 
1. Da den beiden Beschwerden der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, sie im Wesentlichen identisch sind und sich gegen den gleichen Entscheid richten, rechtfertigt es sich, die beiden Verfahren 9C_380/2020 und 9C_384/2020 zu vereinigen und in einem Urteil zu erledigen (Art. 24 BZP [SR 273] i.V.m. Art. 71 BGG).
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2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).
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3.
 
3.1. Die Pensionskasse ist eine registrierte, umhüllende Vorsorgeeinrichtung (vgl. Art. 1 des ab 1. Januar 2014 gültigen Reglements der Pensionskasse [nachfolgend: Reglement]). Das Gesetz erlaubt es den Vorsorgeeinrichtungen, im Rahmen der Kaskadenordnung von Art. 20a BVG reglementarische Hinterlassenenleistungen für die Geschwister eines Verstorbenen vorzusehen.
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Die Grundlagen für einen (überobligatorischen) Anspruch auf ein Todesfallkapital finden sich in Art. 13 Reglement. Dessen Abs. 1 lautet wie folgt: Stirbt ein Versicherter vor Erreichen des Rücktrittsalters, wird den Anspruchsberechtigten ein Todesfallkapital ausbezahlt. Abs. 2 und 3 regeln die Höhe des Todesfallkapitals, während die Abs. 4 bis 7 die anspruchsberechtigten Personen betreffen.
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3.2. Streitig und zu prüfen ist, ob der verstorbene Rentenbezüger im Zeitpunkt seines Todes ein "Versicherter" im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Reglement war, was die Vorinstanz verneint hat.
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4.
 
 
4.1.
 
4.1.1. Die Auslegung des Reglements einer privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtung als vorformulierter Inhalt des Vorsorgevertrages geschieht nach dem Vertrauensprinzip. Dabei sind jedoch die den Allgemeinen Versicherungsbedingungen innewohnenden Besonderheiten zu beachten, namentlich die sogenannten Unklarheits- und Ungewöhnlichkeitsregeln. Nach diesen Auslegungsgrundsätzen gilt es, ausgehend vom Wortlaut und unter Berücksichtigung des Zusammenhanges, in dem eine streitige Bestimmung innerhalb des Reglements als Ganzes steht, den objektiven Vertragswillen zu ermitteln, den die Parteien mutmasslich gehabt haben. Dabei hat das Gericht zu berücksichtigen, was sachgerecht ist, weil nicht angenommen werden kann, dass die Parteien eine unvernünftige Lösung gewollt haben (BGE 143 V 321 E. 3.1.1 S. 326; 140 V 50 E. 2.2 S. 51 f.).
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4.1.2. Das Ergebnis der Auslegung nach dem Vertrauensgrundsatz und in Anwendung der Unklarheits- und Ungewöhnlichkeitsregel kann vom Bundesgericht als Rechtsfrage frei überprüft werden (BGE 143 V 321 E. 3.1.2 S. 326; 140 V 50 E. 2.3 S. 52).
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4.2. Das kantonale Gericht hat auf die Definitionen ("verwendete Abkürzungen und Bezeichnungen") im Ingress zum Reglement verwiesen. Danach sind "Versicherte" die in die Pensionskasse aufgenommenen Mitarbeiter und "Mitarbeiter" die in einem Arbeitsverhältnis mit der Firma stehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Weiter hat es (verbindlich; vgl. obenstehende E. 2) festgestellt, dass der Verstorbene eine ganze Invalidenrente ab dem 20. August 2014 bezogen habe und sein Arbeitsverhältnis am 5. Oktober 2018 bereits aufgelöst gewesen sei. Sodann hat die Vorinstanz erwogen, dass deswegen der Verstorbene bei seinem Tod nicht mehr "Versicherter" im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Reglement gewesen sei. Diesbezüglich bestehe keine Mehrdeutigkeit. Insbesondere in den Bestimmungen zu den Hinterlassenenleistungen (Art. 11 bis 13 Reglement) werde begrifflich eindeutig zwischen (verstorbenen) Versicherten, Altersrentnern und Invalidenrentnern unterschieden.
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4.3. Die Beschwerdeführer berufen sich auf den Wortlaut von Art. 13 Abs. 1 Reglement: Die dortige Verwendung des Begriffs "Versicherter vor Erreichen des Rentenalters" impliziere, dass es auch Versicherte nach Erreichen des Rentenalters gebe. Darum hätten auch Alters- und Invalidenrentner als - passive - Versicherte zu gelten. Weiter machen sie geltend, der Begriff "Versicherter" werde an diversen Stellen des Reglements (Art. 5 Abs. 5; Art. 6 Abs. 1; Art. 10 Abs. 2; Art. 11 Abs. 1 und 4 bis 6; Art. 12 Abs. 1) nicht konsistent resp. unklar verwendet; deshalb müsse er bei der Anwendung von Art. 13 Abs. 1 Reglement zu ihren Gunsten ausgelegt werden.
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4.4.
 
4.4.1. Die reglementarische Anknüpfung einer überobligatorischen Leistung an ein konkretes Arbeitsverhältnis resp. an ein "aktives" Versicherungsverhältnis, was (grundsätzlich) mit der Verwendung des Begriffs "Versicherter" zum Ausdruck kommt, ist nicht ungewöhnlich (vgl. BGE 136 V 65 E. 3.5 S. 70 f.). Sodann kennt das Reglement in der Tat auch die Kategorie von (aktiven) Versicherten nach Erreichen des Rücktrittsalters: Wird das Arbeitsverhältnis über diesen Zeitpunkt hinaus weitergeführt, kann die Altersleistung aufgeschoben und das Altersguthaben weiter geäufnet werden (Art. 9 Abs. 6 Reglement). Anders als die Beschwerdeführer glauben machen wollen, muss ein "Versicherter nach Erreichen des Rentenalters" somit nicht zwingend ein Altersrentner sein. Umso unhaltbarer ist ihr Schluss, wonach jeder Rentner als (wenn auch passiver) "Versicherter" gelten und andernfalls das in Art. 13 Abs. 1 Reglement statuierte Abgrenzungskriterium "Rücktrittsalter" sinnlos sein soll.
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Weiter ist es sachgerecht, wenn die Vorinstanz (vgl. obenstehende E. 4.2) für die Auslegung auf die reglementarischen Begriffsdefinitionen abgestellt hat. Daran ändert nichts, dass die den eigentlichen Reglementsbestimmungen vorangestellten Erklärungen der "verwendeten Abkürzungen und Bezeichnungen" keine Definitionen der Begriffe "Invalidenrentner" und "Altersrentner" enthalten, zumal sich deren Gehalt aus Art. 9 und 10 Reglement erschliesst. Ebenso ist es angezeigt, die Begriffsverwendung in Art. 13 Abs. 1 Reglement in den Kontext der korrespondierenden Bestimmungen zu den weiteren Hinterlassenenleistungen zu stellen. Während der Tod eines "Versicherten, Altersrentners oder Invalidenrentners" einen Anspruch auf Ehegatten- resp. Lebenspartnerrente und Waisenrente begründen kann, vermag nur der Hinschied eines "Versicherten" jenen auf ein Todesfallkapital auszulösen, wie das kantonale Gericht angesichts des klaren Wortlauts von Art. 11 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 Reglement - worin der jeweilige "Anspruch" (Randtitel) im Grundsatz geregelt wird - zutreffend erkannt hat.
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4.4.2. Was die Beschwerdeführer dagegen vorbringen, hält nicht stand. Dass der Bezüger einer Invalidenrente als "Versicherter" im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Reglement gelten soll, lässt sich keiner der von ihnen angerufenen Reglementsbestimmungen (vgl. obenstehende E. 4.3) entnehmen. Ob in den reglementarischen Vorschriften zu den Altersgutschriften bei Teilinvalidität (Art. 5 Abs. 5), zu den Beiträgen (Art. 6 Abs. 1), zum Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 10 Abs. 2), zur Anspruchsberechtigung des geschiedenen Ehepartners resp. des unverheirateten Lebenspartners und zur Geltendmachung von Ansprüchen (Art. 11 Abs. 4 bis 6) der Versichertenbegriff inkonsistent verwendet wurde, wie sie vorbringen, kann offenbleiben. Selbst wenn dem so wäre, leuchtet nicht ein, weshalb die genannten Bestimmungen zur Beurteilung des umstrittenen Anspruchs auf ein Todesfallkapital resp. zur Auslegung von Art. 13 Abs. 1 Reglement herangezogen werden sollten. Demgegenüber sind die soeben (in E. 4.4.1) dargelegten Vorgaben, insbesondere betreffend Begriffsdefinition und Begriffsverwendung, einschlägig und dermassen klar, dass der Vorinstanz keine Verletzung von Bundesrecht vorgeworfen werden kann, wenn sie mit Blick darauf eine Unklarheit verneint und die Anwendung der entsprechenden Regel versagt hat.
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4.5. Dass die vorinstanzliche Interpretation des Versichertenbegriffs von Art. 13 Abs. 1 Reglement aus einem anderen Grund bundesrechtswidrig sein soll, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht. Die Beschwerden sind unbegründet.
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5. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend haben die Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Verfahren 9C_380/2020 und 9C_384/2020 werden vereinigt.
 
2. Die Beschwerden werden abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von insgesamt Fr. 1000.- werden zu je Fr. 500.-den Beschwerdeführern auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, C.A.________ und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 25. September 2020
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Parrino
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann
 
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