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Informationen zum Dokument  BGer 8C_447/2020  Materielle Begründung
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BGer 8C_447/2020 vom 07.10.2020
 
 
8C_447/2020
 
 
Urteil vom 7. Oktober 2020
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
 
Gerichtsschreiberin Durizzo.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Gabriel Püntener,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle Bern,
 
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Invalidenrente),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 3. Juni 2020   (200 19 928 IV).
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________, geboren 1980, war zuletzt bei der B.________ GmbH als Bodenleger beschäftigt. Im Juni 2018 meldete er sich unter Hinweis auf psychische Beschwerden mit vollständiger Arbeitsunfähigkeit seit Januar 2017 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Gemäss den Berichten des behandelnden Psychiaters Dr. med. C.________, sowie des Hausarztes D.________, praktischer Arzt für Allgemeine Medizin FMH, musste sich A.________ nach einem Autounfall im Februar 2006 einer Amputation des rechten Fusses unterziehen und litt danach unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sowie Depressionen. Die IV-Stelle Bern holte ein Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle MEDAS ABI (Ärztliches Begutachtungsinstitut), Basel, vom 8. Juli 2019 mit orthopädischer und psychiatrischer Abklärung ein. Gestützt darauf lehnte sie den Anspruch auf eine Invalidenrente mit Verfügung vom 8. November 2019 ab.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 3. Juni 2020 ab.
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C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die Sache zur Neubeurteilung an die IV-Stelle zurückzuweisen. Eventualiter sei ihm eine ganze Invalidenrente zuzusprechen.
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Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
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Erwägungen:
 
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).
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2. Streitig ist, ob die vorinstanzlich bestätigte Ablehnung eines Rentenanspruchs durch die IV-Stelle vor Bundesrecht standhält. Zur Frage steht dabei die Feststellung der Arbeitsfähigkeit gestützt auf das ABI-Gutachten.
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3. Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zur Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und zur Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG, Art. 4 Abs. 1 IVG) zutreffend dargelegt. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der psychischen beziehungsweise psychosomatischen Leiden. Hervorzuheben ist, dass in diesen Fällen eine objektivierte Beurteilung Platz zu greifen hat, ob es der versicherten Person zumutbar sei, eine Arbeitsleistung zu erbringen (BGE 143 V 409 E. 4.2.1 S. 413; 143 V 418; 141 V 281; je mit Hinweisen).
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Zutreffend dargestellt werden von der Vorinstanz die hinsichtlich des Beweiswerts von ärztlichen Berichten oder Gutachten massgeblichen Regeln (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352), namentlich betreffend die im Administrativverfahren eingeholten medizinischen Berichte und Sachverständigengutachten von externen Spezialärzten. Praxisgemäss ist ihnen volle Beweiskraft zuzuerkennen, solange nicht konkrete Indizien gegen ihre Zuverlässigkeit sprechen (BGE 137 V 210 E. 1.3.4 S. 227; 135 V 465 E. 4.4 S. 470; 125 V 351 E. 3b/bb S. 353; 122 V 157; 104 V 209). Zu ergänzen ist, dass die Beschaffung medizinischer Entscheidungsgrundlagen durch externe Gutachtensinstitute wie die MEDAS in der schweizerischen Invalidenversicherung sowie deren Verwendung auch im Gerichtsverfahren verfassungs- und konventionskonform ist, dies insbesondere auch mit Blick auf die nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK vorausgesetzte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der betreffenden Gutachter (BGE 137 V 210   E. 1.3.1 S. 226; E. 2.3 S. 236 und E. 4.4.1.5 S. 265). Unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Abhängigkeit können nach der Rechtsprechung auch der regelmässige Beizug eines Gutachters oder einer Begutachtungsinstitution durch den Versicherungsträger, die Anzahl der beim selben Arzt in Auftrag gegebenen Gutachten und Berichte sowie das daraus resultierende Honorarvolumen für sich allein genommen nicht zum Ausstand führen (BGE 137 V 210 E. 1.3.3 S. 226 f.).
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4. Die Vorinstanz stellte gestützt auf das ihres Erachtens voll beweiskräftige ABI-Gutachten vom 8. Juli 2019 fest, dem Beschwerdeführer seien angepasste leichte bis höchstens intermittierend mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder, mehrheitlich sitzender Position vollzeitlich und ohne Leistungseinschränkung zuzumuten. Weder der behandelnde Psychiater noch der Chirurge Dr. med. E.________ hätten in ihren danach erstatteten Berichten vom 1. November 2019 beziehungsweise 13. Januar 2020 neue Befunde erhoben, die im Rahmen der MEDAS-Begutachtung (im Frühjahr 2019) unerkannt oder ungewürdigt geblieben wären.
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5. Der Beschwerdeführer macht sinngemäss im Wesentlichen geltend, auf das ABI-Gutachten könne wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit der Experten nicht abgestellt werden. Zudem hätten diese seine 14-jährige Leidensgeschichte zufolge eines kurz nach seiner Flucht aus der Türkei erlittenen Unfalls mit weiterhin zunehmenden Schmerzen am Amputationsstumpf, die Schwere des psychischen Leidens sowie die gegenseitigen Wechselwirkungen nicht hinreichend erfasst und gewürdigt. Auch hätten die in den Jahren 2017 und 2018 erlittenen Unfälle, die zufolge einer Schulterverletzung beziehungsweise Fraktur an der Hand den Gesundheitszustand noch weiter verschlechtert hätten, keine zureichende Berücksichtigung gefunden. Die Stellungnahmen seiner behandelnden Ärzte wichen denn auch diametral von der gutachtlichen Einschätzung ab.
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6.
 
6.1. Inwiefern die Vorinstanz Bundesrecht (namentlich den Anspruch des Versicherten auf rechtliches Gehör) verletzt hätte, indem sie dem ABI-Gutachten ohne weitere Abklärungen zu den Einkommensverhältnissen der mitwirkenden Fachärzte vollen Beweiswert zuerkannte, lässt sich aufgrund der oben (E. 3) dargelegten Praxis nicht ersehen. Es wird im Übrigen auch nicht dargetan, welche formellen Garantien anlässlich der medizinischen Begutachtung missachtet worden wären. Der pauschale Vorwurf des Beschwerdeführers, mit der Einschätzung seiner Arbeitsfähigkeit durch die ABI-Gutachter habe er ein schlechtes Lotterielos gezogen, entbehrt daher jeglicher Grundlage.
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6.2. Aufgrund der Vorbringen des Beschwerdeführers sind keine offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellungen hinsichtlich seiner Arbeitsfähigkeit auszumachen. Rechtsprechungsgemäss lässt es die unterschiedliche Natur von Behandlungsauftrag der therapeutisch tätigen (Fach-) Person einerseits und Begutachtungsauftrag des amtlich bestellten fachmedizinischen Experten anderseits (BGE 124 I 170 E. 4 S. 175) nicht zu, ein Administrativ- oder Gerichtsgutachten stets in Frage zu stellen und zum Anlass weiterer Abklärungen zu nehmen, wenn die behandelnden Arztpersonen beziehungsweise Therapiekräfte zu anderslautenden Einschätzungen gelangen. Vorbehalten bleiben Fälle, in denen sich eine abweichende Beurteilung aufdrängt, weil diese wichtige - und nicht rein subjektiver Interpretation entspringende - Aspekte benennen, die bei der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben sind (Urteil 8C_29/2018 vom 6. Mai 2018   E. 5.2.2). Dies schloss das kantonale Gericht hinsichtlich der Tragweite der Einschränkungen zufolge der Verletzung am rechten Bein, namentlich auch nach den beiden weiteren vom Beschwerdeführer geltend gemachten Unfällen, aber auch bezüglich der Schwere des psychischen Leidens mit eingehender Begründung aus. Praxisgemäss liessen sich im Übrigen selbst aus einer kurzen Dauer der Untersuchung für sich gesehen keine negativen Schlüsse auf die Zuverlässigkeit der Einschätzung ziehen (Urteile 8C_767/2019 vom 19. Mai 2020 E. 3.4; 8C_756/2016 vom 29. Dezember 2016 E. 3.3.2), was hier auch für den Einwand des Beschwerdeführers, das psychiatrische Interview habe sich auf 55 Minuten beschränkt, gelten muss. Inwiefern die bidisziplinäre Beurteilung allfälligen Wechselwirkungen zwischen den somatischen und den psychischen Beschwerden nicht hinreichend Rechnung getragen und die Vorinstanz diesbezüglich offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellungen getroffen haben sollte, ist nicht erkennbar, zumal die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit gemäss den Gutachtern allein orthopädisch bedingt sei. Gleiches gilt insoweit, als sich der Beschwerdeführer darauf beruft, es sei nach der Begutachtung zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen. Es finden sich dafür in den aufgelegten jüngeren Berichten der behandelnden Ärzte keine Anhaltspunkte. Soweit beschwerdeweise die Einreichung eines neuen Berichts des behandelnden Psychiaters in Aussicht gestellt wird, müsste dieser ohnehin unbeachtlich bleiben (echtes Novum; Art. 99 Abs. 1 BGG).
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6.3. Zusammengefasst ist nicht erkennbar, dass die Vorinstanz den Umfang der dem Beschwerdeführer verbleibenden Arbeitsfähigkeit gestützt auf das ABI-Gutachten offensichtlich unrichtig oder unter Verletzung von Bundesrecht festgestellt hätte.
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7. Die vorinstanzlichen Feststellungen zu den erwerblichen Auswirkungen der Gesundheitsschädigung werden im Einzelnen nicht beanstandet und geben keinen Anlass zu Weiterungen.
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8. Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet und wird im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG mit summarischer Begründung und unter Verweis auf den vorinstanzlichen Entscheid erledigt.
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9. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 7. Oktober 2020
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo
 
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