BGer 6B_635/2020 | |||
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BGer 6B_635/2020 vom 20.10.2020 |
6B_635/2020 |
Urteil vom 20. Oktober 2020 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichter Muschietti,
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Bundesrichterin van de Graaf,
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Gerichtsschreiberin Schär.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.A.________,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, Leitender Oberstaatsanwalt,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Nichtanhandnahme (Diebstahl etc.),
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Beschwerde gegen die Präsidialverfügung des Obergerichts des Kantons Zug, I. Beschwerdeabteilung, vom 24. April 2020 (BS 2020 34).
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Sachverhalt: | |
A. Am 7. September 2017 stellte A.A.________ bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug Strafanträge bezüglich Diebstahls, Sachentziehung und Sachbeschädigung im Zusammenhang mit dem Tod seines Bruders B.A.________ und mit der nachfolgenden Räumung von dessen Wohnung in U.________.
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Die Staatsanwaltschaft nahm die Strafuntersuchung mit Verfügung vom 23. März 2020 nicht an die Hand.
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B. A.A.________ erhob Beschwerde ans Obergericht des Kantons Zug. Dieses trat am 24. April 2020 nicht auf die Beschwerde ein.
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C. A.A.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, die Verfügung vom 24. April 2020 sei aufzuheben.
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Das Obergericht verzichtete unter Verweis auf die angefochtene Verfügung auf eine Vernehmlassung und beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Staatsanwaltschaft liess sich nicht vernehmen.
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Erwägungen: |
1. | |
1.1. Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 145 V 380 E. 1 S. 382; 144 V 97 E. 1 S. 99; 139 V 42 E. 1 S. 44). Das Bundesgericht entscheidet kassatorisch oder reformatorisch (Art. 107 Abs. 2 BGG). Ein blosser Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheids ist nicht zulässig, ausser wenn das Bundesgericht ohnehin nicht reformatorisch entscheiden könnte (BGE 136 V 131 E. 1.2 S. 135). Mit seinem formellen Begehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben, stellt der Beschwerdeführer ein rein kassatorisches Rechtsbegehren. Aus der Beschwerdebegründung, die zur Interpretation des Rechtsbegehrens beigezogen werden kann (BGE 137 II 313 E. 1.3 S. 317), geht aber hervor, dass nach Auffassung des Beschwerdeführers die Vorinstanz zu Unrecht nicht auf seine Beschwerde eingetreten ist und er die Durchführung einer vollständigen Strafuntersuchung verlangt. Der Antrag ist somit zulässig.
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1.2. Der Privatklägerschaft wird ein rechtlich geschütztes Interesse an der Beschwerde zuerkannt, wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst kann der Privatkläger die Verletzung jener Parteirechte geltend machen, die ihm nach dem Verfahrensrecht, der Bundesverfassung oder der EMRK zustehen und deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung bedeutet. Zulässig sind nur Rügen formeller Natur, die von der Prüfung der Sache getrennt werden können. Nicht zu hören sind Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen (sog. "Star-Praxis"; BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4 f. mit Hinweisen).
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Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz sei zu Unrecht nicht auf seine Beschwerde eingetreten. Diese Beanstandung ist gemäss "Star-Praxis" einer bundesgerichtlichen Überprüfung zugänglich. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
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2. Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäss den Ausstand von Staatsanwalt Müller. Auf das Begehren kann nicht eingegangen werden. Die Frage des Ausstands bildet nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheids. Es ist daher fraglich, ob diesbezüglich der kantonale Instanzenzug ausgeschöpft wurde (vgl. Art. 80 Abs. 1 BGG). Die Kritik ist aber auch in der Sache unbegründet, nachdem die Nichtanhandnahmeverfügung nicht von Staatsanwalt Müller, sondern vom Leitenden Staatsanwalt Widmer und dem Assistenzstaatsanwalt Flückiger unterzeichnet wurde und der Beschwerdeführer zudem selbst ausführt, ein anderer Staatsanwalt habe das Verfahren bereits am 6. Dezember 2017 von Staatsanwalt Müller übernommmen
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3. | |
3.1. Die Vorinstanz trat auf die Beschwerde des Beschwerdeführers nicht ein mit der Begründung, die Beschwerdeschrift vom 6. April 2020 erfülle die Anforderungen an eine Beschwerde im Sinne von Art. 385 Abs. 1 StPO nicht. Der Beschwerdeführer schildere in seiner 16-seitigen Beschwerdeschrift den Sachverhalt aus seiner Sicht noch einmal eingehend. Er setze sich aber nicht mit den Erwägungen der Staatsanwaltschaft auseinander und führe namentlich nicht aus, aus welchen Gründen sich eine andere Sicht der Dinge aufdrängen sollte. Mangels hinreichender Begründung könne auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.
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3.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe sich sehr wohl mit den Erwägungen der Staatsanwaltschaft in ihrer Nichtanhandnahmeverfügung auseinandergesetzt. Zudem hätte ihm die Vorinstanz eine Frist zur Verbesserung seiner Eingabe im Sinne von Art. 385 Abs. 2 StPO ansetzen müssen, zumal er ein juristischer Laie sei. Daneben rügt der Beschwerdeführer verschiedene weitere Verfahrensgrundsätze und Bestimmungen des Bundesrechts als verletzt (rechtliches Gehör, Rechtsgleichheits- und Fairnessgebot, Eigentumsgarantie usw.).
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3.3. Die Person, die ein Rechtsmittel ergreift, hat genau anzugeben, welche Punkte des Entscheides sie anficht, welche Gründe einen anderen Entscheid nahe legen und welche Beweismittel sie anruft (Art. 385 Abs. 1 StGB). Die Vorinstanz geht in ihrem Entscheid davon aus, der Beschwerdeführer habe diese Anforderungen nicht erfüllt und trat auf die Beschwerde nicht ein. Auf die Ansetzung einer Nachfrist im Sinne von Art. 385 Abs. 2 StGB wurde verzichtet. Vorliegend kann es nur um die Frage gehen, ob die kantonale Beschwerde den gesetzlichen Begründungsanforderungen genügte und ob die Vorinstanz darauf zu Unrecht nicht eingetreten ist. Soweit der Beschwerdeführer weitschweifige und detaillierte Ausführungen zur Sache und zu den Vorkommnissen im Rahmen der Wohnungsräumung macht, sind seine Ausführungen unbeachtlich.
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Einer näheren Betrachtung bedarf der Einwand des Beschwerdeführers, er habe sich mit den Erwägungen in der Nichtanhandnahmeverfügung befasst. Bezüglich des Vorwurfs der unrechtmässigen Räumung der Wohnung seines verstorbenen Bruders und der Entsorgung von dessen Hausrat basiert die Argumentation der Staatsanwaltschaft in der Nichtanhandnahmeverfügung im Wesentlichen auf der Feststellung, dass der Beschwerdeführer für das Erbschaftsamt nicht erreichbar gewesen sei, weshalb das weitere Vorgehen mit ihm nicht habe besprochen werden können. Der Bruder des Beschwerdeführers (C.A.________) habe den Auftrag zur Räumung der Wohnung nach Absprache mit dem Erbschaftsamt erteilt. Er habe sein Handeln für rechtmässig gehalten und könne sich auf einen Sachverhaltsirrtum im Sinne von Art. 13 StGB berufen, weshalb kein strafbares Verhalten ersichtlich sei. Der Beschwerdeführer führte in der Beschwerde an das Obergericht unter anderem aus, er habe stets auf behördliche Mitteilungen reagiert, sei aber über bevorstehende Verfahrenshandlungen wie etwa die Inventaraufnahme nicht (schriftlich) informiert worden. Weiter machte er geltend, es habe aus verschiedenen Gründen keine Dringlichkeit bestanden, den Hausrat zu liquidieren. Dieser hätte auch eingelagert werden können. Die Nichtanhandnahme sei insgesamt einseitig und parteiisch und es werde auf seine Argumente nicht eingegangen. Nach dem soeben Ausgeführten trifft es nicht zu, dass sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde ans Obergericht nicht mit den Erwägungen der Staatsanwaltschaft befasst hat. Die Vorinstanz, der im vorliegenden Verfahren volle Kognition zukam (vgl. Art. 393 Abs. 2 StPO), hätte sich mit den Einwänden des Beschwerdeführers inhaltlich befassen müssen. Indem sie dies nicht tat, verletzte sie Bundesrecht. Die Beschwerde ist somit gutzuheissen. Die vorinstanzliche Verfügung ist aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Damit erübrigt es sich, auf die weiteren Einwände des Beschwerdeführers in seiner Beschwerde ans Bundesgericht einzugehen.
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4. Für das bundesgerichtliche Verfahren sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Beschwerdeführer liess sich nicht anwaltlich vertreten, weshalb er keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung hat.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Präsidialverfügung des Obergerichts Zug, I. Beschwerdeabteilung, vom 24. April 2020 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug, I. Beschwerdeabteilung, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 20. Oktober 2020
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Die Gerichtsschreiberin: Schär
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