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Informationen zum Dokument  BGer 9C_791/2019  Materielle Begründung
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BGer 9C_791/2019 vom 09.11.2020
 
 
9C_791/2019
 
 
Urteil vom 9. November 2020
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Parrino, Präsident,
 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Moser-Szeless,
 
Gerichtsschreiberin Stanger.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Ausgleichskasse des Kantons Freiburg, Impasse de la Colline 1, 1762 Givisiez,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft,
 
Beschwerde gegen den
 
Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg
 
vom 29. Oktober 2019 (608 2019 201).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Der 1999 geborene A.________ erwarb im Juni 2018 die Matura. Anschliessend leistete er vom 25. Juni bis 26. Oktober 2018die Rekrutenschule und vom 27. Oktober 2018 bis 17. April 2019 den Normaldienst im Durchdiener-Modell. Während seines Dienstes erhielt er eine Erwerbsersatzentschädigung von Fr. 62.- pro Tag. Sein Gesuch, die Entschädigung für die Dauer des Normaldienstes auf der Grundlage eines versicherten Verdienstes von Fr. 2756.- festzusetzen, wies die Ausgleichskasse des Kantons Freiburg mit Verfügung vom 18. Januar 2019 ab. Dagegen erhob der Versicherte Einsprache und beantragte, die Entschädigung sei aufgrund eines monatlichen Einkommens von Fr. 3500.- (inkl. 13. Monatslohns) zu berechnen. Mit Einspracheentscheid vom 19. Juni 2019 wies die Ausgleichskasse die Einsprache ab.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde mit dem Rechtsbegehren, die Entschädigung sei auf der Grundlage eines monatlichen Einkommens von Fr. 3300.- (inkl. 13. Monatslohn) zu ermitteln, wies das Kantonsgericht Freiburg mit Entscheid vom 29. Oktober 2019 ab.
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C. A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, die Erwerbsersatzentschädigung sei für die Dauer des Normaldienstes auf der Grundlage eines monatlichen Einkommens (Bruttolohn inkl. 13. Monatslohn) von Fr. 3300.-, eventualiter eines solchen von Fr. 2750.- festzusetzen.
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Die Ausgleichskasse wie auch das Bundesamt für Sozialversicherungen schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
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Erwägungen:
 
1. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2. Streitig ist die Höhe der Erwerbsersatzentschädigung für den Zeitraum vom 27. Oktober 2018 bis 17. April 2019, als der Versicherte als Durchdiener seinen Militärdienst leistete. Der Beschwerdeführer macht unter Hinweis auf das Bestätigungsschreiben der B.________ AG vom 27. Juni 2019 geltend, die Entschädigung sei nach dem entgangenen Einkommen von monatlich Fr. 3300.- festzusetzen.
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3.
 
3.1. Grundsätzlich haben Personen, die in der schweizerischen Armee oder im Rotkreuzdienst Dienst leisten, für jeden besoldeten Diensttag Anspruch auf eine Entschädigung (Art. 1a Abs. 1 EOG). Während der Rekrutierung, der Rekrutenschule und der Grundausbildung von Personen, die ihre Dienstpflicht ohne Unterbruch erfüllen (Durchdiener), beträgt die tägliche Grundentschädigung 25 % des Höchstbetrages der Gesamtentschädigung (Art. 9 Abs. 1 EOG). Für Durchdiener wird die Entschädigung nach Abschluss der Grundausbildung gestützt auf Art. 10 Abs. 1 EOG festgesetzt. Danach beträgt die tägliche Grundentschädigung 80 % des durchschnittlichen vordienstlichen Erwerbseinkommens. Als Erwerbstätige in diesem Sinne gelten Personen, die in den letzten zwölf Monaten vor dem Einrücken während mindestens vier Wochen erwerbstätig waren (Art. 1 Abs. 1 EOV).
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3.2. War die dienstleistende Person vor Beginn des Dienstes nicht erwerbstätig, so entspricht die tägliche Grundentschädigung den Mindestbeträgen gemäss Artikel 16 Absätze 1-3 (Art. 10 Abs. 2 EOG). Der Bundesrat kann für Dienstleistende, die nur vorübergehend nicht erwerbstätig waren oder die wegen des Dienstes keine Erwerbstätigkeit aufnehmen konnten, besondere Vorschriften über die Bemessung ihrer Entschädigung erlassen (Art. 11 Abs. 2 EOG).
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Den Erwerbstätigen gleichgestellt sind: a. Arbeitslose; b. Personen, die glaubhaft machen, dass sie eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätten, wenn sie nicht eingerückt wären; sowie c. Personen, die unmittelbar vor dem Einrücken ihre Ausbildung abgeschlossen haben oder diese während des Dienstes beendet hätten (Art. 1 Abs. 2 EOV). Für Personen, die glaubhaft machen, dass sie während des Dienstes eine unselbstständige Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätten oder einen wesentlich höheren Lohn als vor dem Einrücken erzielt hätten, wird die Entschädigung aufgrund des Lohns berechnet, der ihnen entgangen ist. Haben sie unmittelbar vor dem Einrücken ihre Ausbildung abgeschlossen oder hätten sie diese während des Dienstes beendet, so wird die Entschädigung aufgrund des ortsüblichen Anfangslohns im betreffenden Beruf berechnet (Art. 4 Abs. 2 EOV).
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4. Es steht fest und ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer in den letzten zwölf Monaten vor dem Einrücken nicht während mindestens vier Wochen einer Erwerbstätigkeit nachgegangen war und demzufolge nicht im Sinne von Art. 1 Abs. 1 EOV als erwerbstätige Person zu qualifizieren ist. Zu prüfen ist, ob er gestützt auf Art. 1 Abs. 2 EOV einer erwerbstätigen Person gleichzustellen ist. Letztinstanzlich unbestritten blieb die vorinstanzliche Auffassung, wonach die Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 2 lit. c EOV offensichtlich nicht erfüllt seien, da der Versicherte im Juni 2018 den gymnasialen Maturitätsausweis erhalten habe und er laut eigenen Angaben (vgl. Formular "Ergänzungsantrag zur EO" vom 11. Januar 2019) nach dem Militärdienst ein Studium/eine Ausbildung aufnehmen werde. Streitig ist indes, ob die Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 2 lit. b EOV erfüllt sind.
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5.
 
5.1. Sinn und Zweck von Art. 1 Abs. 2 lit. b EOV ist es, Dienstleistenden, die vor dem Einrücken nicht gemäss Art. 1 Abs. 1 EOV erwerbstätig waren, den Erwerbstätigen gleichzustellen. Sie sollen nicht benachteiligt werden, weil sie wegen des Militärdienstes keine Arbeit aufnehmen konnten, obwohl sie in der Zeit des absolvierten Dienstes glaubhafterweise einer erwerblichen Beschäftigung von längerer Dauer nachgegangen wären (BGE 136 V 231 E. 5.2 S. 236). Als zeitliches Element wird rechtsprechungsgemäss eine mindestens einjährige oder unbefristete Erwerbstätigkeit vorausgesetzt (BGE 136 V 231 E. 6.3 S. 238; vgl. auch Urteil 9C_57/2013 vom 12. August 2013 E. 3.3). Die hypothetische Aufnahme einer Erwerbstätigkeit muss zwar nicht mit dem Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, aber immerhin glaubhaft gemacht werden (BGE 137 V 410 E. 4.2.1 S. 413 f.).
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5.2. Mit Blick auf diese Ausführungen ist für den vorliegenden Fall einzig massgebend, ob der Beschwerdeführer nach der Matura glaubhafterweise während mindestens einem Jahr einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre, wenn er nicht Militärdienst geleistet hätte. Demgegenüber ist irrelevant, ob er nach Abschluss seines Studiums im Jahr 2024 eine höhere Erwerbsausfallentschädigung hätte erwirken können als in den Jahren 2018/2019, weshalb seine diesbezüglichen Vorbringen unbehelflich sind. Von vornherein ins Leere zielt auch sein Einwand, als Werkstudent sei es kaum je möglich, ein Einkommen zu erzielen, welches Anspruch auf mehr als den Mindestansatz von Fr. 62.- gebe, zumal er unbestrittenermassen kein Werkstudent war.
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5.3.
 
5.3.1. Das kantonale Gericht gelangte nach Würdigung der Akten- und Rechtslage zum Ergebnis, der Beschwerdeführer habe eine Erwerbstätigkeit von mindestens einem Jahr nicht glaubhaft machen können. Dabei hat es zutreffend erkannt, dass ein entsprechender Nachweis nicht durch das - im Hinblick auf das kantonale Beschwerdeverfahren erstellte - Bestätigungsschreiben der B.________ AG vom 27. Juni 2019 erbracht werden könne. Gemäss dieser Bestätigung hätte der Beschwerdeführer ohne Militärdienst während knapp zehn Monaten (vom 25. Juni 2018 bis 17. April 2019) für die B.________ AG gearbeitet, was mit Blick auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (vgl. E. 5.1) nicht genügt. Weiter erwog das kantonale Gericht, es sei nicht ersichtlich und werde vom Beschwerdeführer auch nicht glaubhaft gemacht, aus welchen Gründen er, der während seiner Gymnasialzeit nicht gezwungen gewesen sei, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, um sich etwas dazu zu verdienen, seine Ausbildung ohne Dienstpflicht alleine deshalb unterbrochen hätte, um während eines Jahres einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
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5.3.2. Diesen Erwägungen vermag der Beschwerdeführer nichts Substanzielles entgegenzusetzen. Dies gelingt ihm namentlich nicht mit seinem - erstmals vor Bundesgericht erhobenen - Einwand, nach dem Militärdienst sei er vom 17. Juni bis 12. Juli 2019 bei der B.________ AG tätig gewesen, was von der Beschwerdegegnerin nicht berücksichtigt worden sei. Die geltend gemachte tatsächliche Erwerbstätigkeit von knapp vier Wochen vermittelt - insbesondere auch unter Berücksichtigung des E-Mail-Verkehrs mit der B.________ AG - vielmehr das Bild, dass der Beschwerdeführer nur gelegentlich bei Bedarf als Aushilfskraft beschäftigt wurde. Die hypothetische Aufnahme einer mindestens einjährigen Erwerbstätigkeit vermag er damit nicht glaubhaft zu machen. Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob seine diesbezüglichen Vorbringen (samt den dazugehörigen Dokumenten) novenrechtlich überhaupt zulässig sind (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG).
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5.3.3. Abschliessend bleibt festzuhalten, dass am zeitlichen Erfordernis einer mindestens einjährigen Erwerbstätigkeit auch der - mit Blick auf seine Erwerbsbiografie ohnehin wenig überzeugende - Einwand des Beschwerdeführers nichts zu ändern vermag, er hätte in den (von der B.________ AG bestätigten) zehn Monaten auch an den Samstagen gearbeitet und daher so viele Stunden geleistet wie ein "5-Tage-Arbeiter" in einem ganzen Jahr.
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5.4. Zusammenfassend verletzte das kantonale Gericht kein Bundesrecht, als es die Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 2 lit. b EOV verneinte.
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6. Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Freiburg und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 9. November 2020
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Parrino
 
Die Gerichtsschreiberin: Stanger
 
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