BGer 1C_441/2020 | |||
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BGer 1C_441/2020 vom 24.11.2020 |
1C_441/2020 |
Urteil vom 24. November 2020 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Chaix, Präsident,
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Bundesrichter Kneubühler, Haag,
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Gerichtsschreiber Hahn.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Lukas Rich, BEELEGAL Bösinger. Engel. Egloff,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich, Bereich Administrativmassnahmen.
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Gegenstand
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Führerausweisentzug,
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Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 1. Abteilung, Einzelrichter, vom 7. Juli 2020 (VB.2020.00249).
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Sachverhalt: |
A. | |
A.a. In einem ärztlichen Bericht vom 21. März 2018 an das Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich äusserte med. prakt. B.________ Bedenken bezüglich möglicher kognitiver Beeinträchtigungen von A.________ (geb. 1945) aufgrund eines bei diesem diagnostizierten Parkinson-Syndroms. Gestützt auf diese Meldung forderte das Strassenverkehrsamt A.________ mit Verfügung vom 3. August 2018 auf, bis zum 30. Juni 2019 einen medizinischen Verlaufsbericht einzusenden. Dieser unterzog sich daraufhin einer ärztlichen Untersuchung bei Dr. med. C.________. Mit ärztlichem Zeugnis vom 16. Juli 2019 bestätigte dieser die Diagnose des Parkinson-Syndroms, welches unter regelmässiger Medikamenteneinnahme und im Verlauf leichter Anpassungen (Erhöhung) der Medikamentendosis stabil und gut eingestellt sei. Eine Abklärung am Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich (IRM) sei daher nicht angezeigt.
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A.b. In der Folge liess das Strassenverkehrsamt die beiden Arztzeugnisse durch das IRM begutachten. Dieses kam zum Schluss, dass die Zeugnisse keine Aussagen zur kognitiven Leistungsfähigkeit von A.________ enthalten, weshalb eine verkehrsmedizinische Begutachtung durch einen Arzt der Anerkennungsstufe 4 zu erfolgen habe. Der Bericht des IRM veranlasste das Strassverkehrsamt dazu, A.________ mit Schreiben vom 29. August 2019 aufzufordern, sich bis am 29. Oktober 2019 durch einen Arzt der Anerkennungsstufe 4 begutachten zu lassen. Am 18. November 2019 liess sich A.________ von Dr. med. D.________ untersuchen. Mit Gutachten vom 20. November 2019 hielt diese fest, dass A.________ infolge seiner Parkinsonerkrankung die kognitiven Mindestanforderungen zum sicheren Führen eines Motorfahrzeugs nicht mehr erreiche. Aus verkehrsmedizinischer Sicht fehle ihm daher die Eignung, am Strassenverkehr gefahrlos teilzunehmen.
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A.c. Gestüzt auf das verkehrsmedizinische Gutachten von Dr. med. D.________ entzog das Strassenverkehrsamt A.________ mit Verfügung vom 19. Dezember 2019 den Führerausweis in Bezug auf alle Kategorien auf unbestimmte Zeit.
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B. Einen von A.________ gegen die Verfügung des Strassenverkehrsamts erhobenen Rekurs wies die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich mit Entscheid vom 23. März 2020 ab. Die von A.________ hiergegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 7. Juli 2020 ab.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 21. August 2020 beantragt A.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und ihm sei der Führerausweis wieder zu erteilen, eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Die Vorinstanzen sowie das Bundesamt für Strassen (ASTRA) beantragen die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hält replikweise an seinen Beschwerdeanträgen fest.
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Erwägungen: | |
1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über einen Führerausweisentzug gemäss Strassenverkehrsgesetz (SVG, SR 741.01). Dagegen kann Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben (Art. 83 BGG). Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt.
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2.
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2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 Abs. 1 BGG) durch die Vorinstanz. Zusammenfassend macht er geltend, entgegen dem verkehrsmedizinischen Gutachten von Dr. med. D.________ und der darauf abstützenden vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung verfüge er über die kognitiven und körperlichen Fähigkeiten, um ein Motorfahrzeug sicher zu führen. Der dem Gutachten zugrunde liegende zweiteilige Kurztest zur Überprüfung der Frontalhirn-Leistungsfunktion sei unvollständig, da der zweite Teil, der eine körperliche Untersuchung sowie eine begleitete Kontrollfahrt beinhalte, nicht durchgeführt worden sei. Gestützt auf das Gutachten könne somit keine exakte Diagnose betreffend seiner Fahreignung gemacht werden, da er als erfahrener Automobilist, der in seinem Berufsleben stets in der Transportbranche tätig gewesen sei, anlässlich der begleiteten Probefahrt seine Fahrtauglichkeit hätte beweisen können. Das unvollständige Gutachten habe somit nicht als Grundlage für den Führerausweisentzug verwendet werden dürfen. Überdies habe die Vorinstanz das Arztzeugnis von Dr. med. C.________, welches ihm ein gut eingestelltes Parkinson-Syndrom attestiere, bei der Beurteilung seiner Fahrtauglichkeit ausser Acht gelassen, obwohl dieser darin festgehalten habe, weitere Abklärungen betreffend die Beurteilung seiner Fahrtauglichkeit durch das IRM könnten unterbleiben. Diese Aussage sei als Indiz dafür zu werten, dass bei ihm keine kognitiven Einschränkungen bestünden. Mit ihrer Sachverhaltsfeststellung habe die Vorinstanz somit nicht nur gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV) verstossen, sondern auch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt.
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2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Von den tatsächlichen Grundlagen des vorinstanzlichen Urteils weicht das Bundesgericht nur ab, wenn diese offensichtlich unrichtig - d.h. willkürlich - sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen und die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 142 I 135 E. 1.6 S. 145; 140 III 16 E. 1.3.1 S. 17 f.). Für die Rüge der offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG). Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist (BGE 144 V 50 E. 4.2 S. 53 mit Hinweisen).
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2.3. Gemäss Art. 16d Abs. 1 lit. a SVG wird der Lernfahr- oder Führerausweis einer Person auf unbestimmte Zeit entzogen, wenn ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nicht oder nicht mehr ausreicht, ein Motorfahrzeug sicher zu führen. Der Entzug des Führerausweises wegen fehlender Fahreignung ist ein Entzug zu Sicherungszwecken (sog. Sicherungsentzug). Dieser wird angeordnet, um die zu befürchtende Gefährdung der Verkehrssicherheit durch einen ungeeigneten Fahrzeugführer in der Zukunft zu verhindern, nicht um den Betroffenen wegen einer begangenen Verkehrsregelverletzung zu bestrafen. Er setzt keine schuldhafte Widerhandlung im Strassenverkehr voraus (BGE 141 II 220 E. 3.1.1 S. 223).
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2.4. Die Vorinstanz gelangte zum Schluss, dass gestützt auf die vorgenommene verkehrsmedizinische Beurteilung der kognitiven Leistungsfähigkeit genügend Hinweise bestünden, um einen Sicherungsentzug des Führerausweises gemäss Art. 16d Abs. 1 lit. a SVG anzuordnen und so den Beschwerdeführer in keiner Kategorie mehr zum Verkehr zuzulassen. Sein gesundheitlicher Zustand lasse es nicht zu, dass er weiterhin am Strassenverkehr teilnehme. Diese Beurteilung ist - wie zu zeigen - mit dem Bundesrecht vereinbar.
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2.4.1. Die von der Gutachterin festgestellten erheblichen kognitiven Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers betreffen gemäss den Ausführungen der Vorinstanz die Aufmerksamkeit, die Konzentration, die Aufnahmefähigkeit sowie das Erfassen und Verarbeiten von Sinneseindrücken innert nützlicher Frist. Das uneingeschränkte Vorhandensein dieser Elemente ist für das sichere Führen eines Motorfahrzeugs unabdingbar. Nach der Durchführung des ersten Teils des Tests betreffend die Überprüfung der Frontalhirn-Leistungsfunktion des Beschwerdeführers kam die Gutachterin zum Schluss, dass die genannten wichtigen kognitiven Voraussetzungen beim Beschwerdeführer nicht mehr bzw. nur noch eingeschränkt vorhanden sind. Dem Gutachten kann entnommen werden (Art. 105 Abs. 2 BGG), dass der Beschwerdeführer bereits bei den ersten Übungen deutlich überfordert war und plan- und konzeptlos wirkte. Die Gutachterin verzichtete deshalb auf die Durchführung des zweiten Teils, da sie eine ärztlich begleitete Kontrollfahrt nach den Resultaten des ersten Teils als nicht mehr vertretbar erachtete.
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Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist es bei dieser Sachlage nicht zu beanstanden und somit nicht willkürlich, dass die Gutachterin den Test vorzeitig abgebrochen hat und sich die Vorinstanz darauf beschränkte, seine Fahruntauglichkeit aufgrund des geschilderten Verlusts wichtiger kognitiver Fähigkeiten zu beurteilen. Der Einwand, der Beschwerdeführer hätte seine Fahrtauglichkeit aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit in der Transportbranche sowie seines tadellosen automobilistischen Leumunds anlässlich der begleiteten Probefahrt im zweiten Testteil unter Beweis stellen können, spricht nicht gegen die vorinstanzliche Würdigung des Gutachtens, ist doch bereits eine uneingeschränkte kognitive Leistungsfähigkeit für die Teilnahme am motorisierten Strassenverkehr unverzichtbar. Das Gutachten ist auch nicht als unvollständig zu qualifizieren, weil die Gutachterin - deren Kompetenz der Beschwerdeführer nicht in Frage stellt - auf die Durchführung der Probefahrt verzichtete, stand doch die Fahruntauglichkeit aufgrund der offensichtlichen Überforderung des Beschwerdeführers im ersten Testteil aus verkehrsmedzinizischer Sicht bereits fest.
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2.4.2. Ebenfalls nichts zu seinen Gunsten ableiten kann der Beschwerdeführer schliesslich aus dem Arztzeugnis von Dr. med. C.________. Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Vorinstanz hinreichend mit dessen Inhalt auseinandergesetzt hat (E. 3.4 des angefochtenen Urteils). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör des Beschwerdeführers durch die Vorinstanz liegt somit nicht vor. Sodann attestiert das Arztzeugnis dem Beschwerdeführer zwar ein gut eingestelltes und stabiles Parkinson-Syndrom. Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, schliesst ein stabiler Krankheitsverlauf das vollständige Ausbleiben kognitiver Beeinträchtigungen in verkehrsmedizinischer Sicht jedoch nicht aus. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann aus dem Arztzeugnis von Dr. med. C.________ somit nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, er sei nach wie vor fahrtauglich, was die nachfolgende verkehrsmedizinische Untersuchung aufzeigte.
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2.5. Eine offensichtlich unrichtige oder willkürliche Sachverhaltsfeststellung im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist nach dem Dargelegten zu verneinen.
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3. Zusammenfassend erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 1-3 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich, Bereich Administrativmassnahmen, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, und dem Bundesamt für Strassen ASTRA, Sekretariat Administrativ-massnahmen, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 24. November 2020
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Chaix
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Der Gerichtsschreiber: Hahn
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