BGer 6B_979/2020 | |||
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BGer 6B_979/2020 vom 02.12.2020 |
6B_979/2020 |
Urteil vom 2. Dezember 2020 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
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Bundesrichter Muschietti,
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Gerichtsschreiber Matt.
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Verfahrensbeteiligte | |
Staatsanwaltschaft des Kantons
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Basel-Landschaft, Erste Staatsanwältin, Grenzacherstrasse 8, 4132 Muttenz,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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A.________,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Strafzumessung; Beschleunigungsgebot
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(BetmG-Widerhandlung),
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Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht,
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vom 23. Dezember 2019 (460 19 100).
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Sachverhalt: | |
A. Am 2. November 2018 verurteilte das Strafgericht Basel-Landschaft A.________ wegen qualifizierter Widerhandlung und mehrfacher Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie Widerhandlung gegen das Ausländergesetz zu 24 Monaten Freiheitsstrafe bedingt. Auf Berufung von A.________ hin reduzierte das Kantonsgericht Basel-Landschaft am 23. Dezember 2019 die bedingte Freiheitsstrafe unter Berücksichtigung einer Verletzung des Beschleunigungsgebots auf 11 Monate und sprach eine bedingte Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 80.-- aus.
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B. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, die Sache sei zur Neubeurteilung der Tatbeteiligung von A.________ im Anklagepunkt 2.1 (gewerbs- und bandenmässige Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz) sowie zur Festsetzung eines neuen Strafmasses an das Kantonsgericht zurückzuweisen.
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Erwägungen: | |
1. Die Beschwerdeführerin kritisiert die Strafzumessung. Sie rügt in diesem Zusammenhang die vorinstanzlichen Feststellungen zur Tatbeteiligung des Beschwerdegegners an der gewerbs- und bandenmässigen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, insbesondere am Verkauf des Cannabis aus der Plantage der Mitbeschuldigten. Dies sowie die Berücksichtigung der Verfahrensdauer resp. einer Verletzung des Beschleunigungsgebots habe zu Unrecht zur Reduktion der Freiheitsstrafe geführt. Die Anordnung einer Geldstrafe infolge der Schuldsprüche in den Anklagepunkten 2.2, 2.3 und 3.2 (eigene Plantage des Beschwerdegegners; geplante dritte Plantage; unrechtmässiger Aufenthalt) beanstandet die Beschwerdeführerin nicht.
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1.1. Die Beschwerdeführerin ist nach Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 3 BGG zur Beschwerde legitimiert, da sie betreffend die vom Erstgericht abweichende Strafzumessung der Vorinstanz eine Verletzung von Bundesrecht rügt. Darauf ist einzutreten.
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1.2. | |
1.2.1. Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung wiederholt dargelegt (BGE 136 IV 55 E. 5.4 ff. mit Hinweisen). Entsprechendes gilt für die Bildung der Einsatz- und der Gesamtstrafe nach Art. 49 Abs. 1 StGB in Anwendung des Asperationsprinzips (BGE 141 IV 61 E. 6.1.2; 132 IV 102 E. 8 f.) und die methodischen Grundsätze zur Bemessung der Zusatzstrafe (BGE 145 IV 1 E. 1.2; 142 IV 329 E. 1.4). Darauf kann verwiesen werden. Es liegt im Ermessen des Sachgerichts, in welchem Umfang es den verschiedenen Strafzumessungsfaktoren Rechnung trägt. Wird eine Verletzung des Beschleunigungsgebots festgestellt, ist dieser Umstand angemessen zu berücksichtigen. Als Sanktionen fallen in Betracht die Berücksichtigung der Verfahrensverzögerung bei der Strafzumessung, die Schuldigsprechung unter gleichzeitigem Strafverzicht oder in extremen Fällen - als ultima ratio - die Einstellung des Verfahrens. Das Bundesgericht greift in die Beurteilung der Sanktion für die Verletzung des Beschleunigungsgebots nur ein, wenn das Gericht sein Ermessen über- oder unterschritten oder missbraucht und damit Bundesrecht verletzt hat (BGE 143 IV 373 E. 1.4.1). Dies gilt ebenso für die Strafzumessung, hinsichtlich welcher dem Sachgericht ein erheblicher Ermessensspielraum zusteht, in den das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung eingreift (BGE 144 IV 313 E. 1.2; 141 IV 61 E. 6.1.1; 244 E. 1.2.2; 136 IV 55 E. 5.4 ff.; 134 IV 17 E. 2.1; 132 IV 102 E. 8.1). Das Sachgericht hat aber die für die Strafzumessung erheblichen Umstände und deren Gewichtung festzuhalten und seine Überlegungen in den Grundzügen wiederzugeben, so dass die Strafzumessung nachvollziehbar ist (Art. 50 StGB; BGE 134 IV 17 E. 2.1; Urteil 6B_441/2019 vom 12. September 2019 E. 3.1 mit Hinweisen).
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1.2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1; zum Willkürbegriff: BGE 143 IV 241 E. 2.3.1 und 141 IV 369 E. 6.3). Die Willkürrüge muss explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf ungenügend begründete Rügen oder appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 145 IV 154 E. 1.1; 143 IV 347 E. 4.4).
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1.3. Was die Beschwerdeführerin vorbringt, belegt, soweit es den gesetzlichen Begründungsanforderungen genügt, weder eine Verletzung von Bundesrecht hinsichtlich der Strafzumessung noch eine diesbezüglich willkürliche Feststellung des Sachverhalts. Es ist nicht ersichtlich, dass die Vorinstanz das ihr zustehende Ermessen unter Ausserachtlassung massgebender oder Einbezug sachfremder Kriterien überschritten resp. missbraucht hätte.
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1.3.1. Die Beschwerdeführerin begründet die Fehlerhaftigkeit der Strafzumessung damit, dass die Vorinstanz die Aussagen der Mitbeschuldigten, die den Beschwerdegegner mit Bezug auf dessen Beteiligung am Verkauf von Cannabis belasteten, aufgrund der blossen Möglichkeit von Absprachen zwischen den Mitbeschuldigten zurückhaltend würdigte. Dies genügt jedoch zum Nachweis von Willkür klarerweise nicht. Es erscheint im Gegenteil naheliegend, dass sich die Mitbeschuldigten als Ehegatten nach der Untersuchungshaft untereinander absprechen konnten, zumal feststeht, dass die beschuldigte Ehefrau bereits während der Haft zu kolludieren versucht hatte. Die Vorinstanz erkennt zudem durchaus Hinweise auf effektive Absprachen, indem sie erwägt, die Aussagen der Mitbeschuldigten bezüglich der angeblichen Verkaufstätigkeit des Beschwerdegegners würden im Wortlaut auffällig übereinstimmen. Im Übrigen ist die zurückhaltende Würdigung der belastenden Aussagen der Mitbeschuldigten durch die Vorinstanz angesichts von deren familiärer Nähe selbst unter der Annahme, es sei keine Absprache nachweisbar, nicht schlechterdings unhaltbar. Die Beschwerdeführerin selbst spricht davon, dass angesichts der "verschiedenen Lager" - der Mitbeschuldigten einerseits und des Beschwerdegegners anderseits - von einer "Aussage gegen Aussage Situation" auszugehen sei. Sie betrachtet die Aussagen der Mitbeschuldigten mithin gar als Einheit. Es ist daher schlüssig anzunehmen, dass sich die Mitbeschuldigten aufgrund ihrer familiären Nähe auch ohne konkrete Absprache nicht gegenseitig belasten würden. Da dies fast zwangsläufig zum Nachteil des Beschwerdegegners geschähe, ist es plausibel, die ihn belastenden Aussagen mit Zurückhaltung zu würdigen. Daran ändert nichts, dass das Erstgericht dies offenbar anders sah. Die Argumentation der Vorinstanz ist umso schlüssiger, als sie erwägt, die Mitbeschuldigten hätten den Beschwerdegegner als Verkäufer ihres Cannabis bezichtigt, da sie als Polizisten um die Folgen einer Involvierung ins Drogenmillieu als Verkäufer gewusst hätten. Inwiefern dies willkürlich sein soll, wie die Beschwerdeführerin rügt, ist unerfindlich. Ebenso ist es nachvollziehbar, wenn die Vorinstanz den den Beschwerdegegner belastenden Aussagen einer den Mitbeschuldigten nahestehenden Zeugin, welche noch dazu offensichtlich auf Hörensagen beruhen, keine entscheidende Bedeutung beimisst. Dies gilt unbesehen der Frage, ob die Mitbeschuldigte damit bewusst eine falsche Spur legen wollte, wie die Vorinstanz annimmt. Die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde sind nicht nachvollziehbar.
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Die Beschwerdeführerin bestreitet sodann nicht, dass der Beschwerdegegner "Kraft seines überlegenen Wissens" für den Betrieb der Anlage im Haus der Mitbeschuldigten verantwortlich war und dafür 20 % des diesbezüglichen Erlöses erhielt. Unter diesen Umständen ist es umso plausibler, jedenfalls aber nicht unhaltbar anzunehmen, dass er nicht auch noch den Verkauf des Cannabis der Mitbeschuldigten besorgte, zumal diese 80 % des Erlöses "ihrer" Plantage vereinnahmten. Es kann offen bleiben, ob die Vorinstanz in diesem Zusammenhang Aufzeichnungen des Mitbeschuldigten falsch interpretiert und von einem zu hohen Gesamtumsatz aus dem Verkauf des Cannabis der Mitbeschuldigten ausgeht. Dies lässt keine Schlüsse auf eine prozentual höhere Beteiligung des Beschwerdegegners am Erlös aus der Plantage der Mitbeschuldigten oder auf seine angebliche Verkaufstätigkeit insoweit zu. Dass dies zwingend anzunehmen wäre, ergibt sich aus den Ausführungen in der Beschwerde jedenfalls nicht. Ebenso wenig vermag die Tatsache, dass sich der Beschwerdegegner an den vom Mitbeschuldigten als Verkaufstage des Cannabis notierten Daten in der Schweiz aufgehalten haben soll, seine Involvierung in Verkaufsaktivitäten zweifelsfrei zu belegen. Die diesbezügliche Argumentation der Vorinstanz ist nicht zu beanstanden.
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Gleichfalls schlüssig ist nach dem vorstehend Gesagten die Annahme der Vorinstanz, wonach der Beschwerdegegner innerhalb des mit den Mitbeschuldigten begangenen Tatkomplexes der gewerbs- und bandenmässigen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Dafür spricht nicht zuletzt seine Beteiligung am diesbezüglichen Erlös von 20 %, was die Beschwerdeführerin nicht in Frage stellt. An der Schlüssigkeit ändert nichts, dass sich der Beschuldigte als Mittäter grundsätzlich auch die Handlungen der Mitbeschuldigten anrechnen zu lassen hat. Er kann dennoch innerhalb dieses Tatkomplexes eine bei der Strafzumessung zu berücksichtigende untergeordnete Rolle gespielt haben.
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1.3.2. Die Vorinstanz begründet sodann ausführlich, weshalb sie das Verschulden des Beschwerdegegners hinsichtlich der gewerbs- und bandenmässigen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz - gerade im Vergleich zu den Mittätern - als leicht einstuft. Nach dem in der vorstehenden Erwägung Gesagten ist zudem nachvollziehbar, weshalb sie die Einsatzstrafe mit 13 Monaten tiefer ansetzt als das Erstgericht. Diese liegt angesichts des Strafrahmens gemäss Art. 19 Abs. 2 BetmG innerhalb des vorinstanzlichen Ermessens und deckt sich mit dem leichten Verschulden. Die Täterkomponenten wertet die Vorinstanz wie das Erstgericht neutral.
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Angesichts der Tatsache, dass das Verfahren gegen den Beschwerdegegner am 18. Februar 2015 eröffnet wurde, was die Beschwerdeführerin nicht bestreitet, und bis zum vorinstanzlichen Urteil somit knapp fünf Jahre dauerte, ist es - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz eine Verletzung des Beschleunigungsgebots feststellt. Sie begründet dies nachvollziehbar mit der relativ geringen Bedeutung des Falls sowie der konkret zu untersuchenden und zu beurteilenden Delikte sowie der Belastung des Beschuldigten aufgrund der langen Unsicherheit. Wenn die Vorinstanz dem mit einer Strafreduktion von zwei Monaten Rechnung trägt, verletzt sie das ihr zustehende Ermessen nicht. Dies gilt unbesehen der Frage, ob sie die Zeiten von Verfahrensstillständen korrekt ermittelt hat und ob die Verfahrensverzögerung teilweise auch auf Handlungen des Beschuldigten zurückzuführen ist, was die Beschwerdeführerin kritisiert. Sie scheint damit zu verkennen, dass die Vorinstanz das Verfahren insgesamt als zu lange beurteilt, was nachvollziehbar ist. Auch, dass die von ihr ausgesprochene Freiheitsstrafe von 11 Monaten unter der gesetzlichen Mindeststrafe von einem Jahr gemäss Art. 19 Abs. 2 BetmG zu liegen kommt, verletzt kein Bundesrecht. Nachdem aufgrund der Verletzung des Beschleunigungsgebots grundsätzlich sogar ein Strafverzicht zulässig ist (vgl. oben E. 1.2.1), muss dies in maiore minus erst Recht für eine Unterschreitung des Strafrahmens gelten. Eine weitere Reduktion der Freiheitsstrafe gegenüber dem Erstgericht ergibt sich schliesslich daraus, dass die Vorinstanz für die übrigen Straftaten, anders als das Erstgericht, Geldstrafen verhängt, was die Beschwerdeführerin nicht beanstandet (oben E. 1). Dies darf dem Beschwerdegegner mit Bezug auf die schwerste Straftat indes nicht zum Nachteil gereichen, sodass sich eine Unterschreitung der gesetzlichen Mindeststrafe auch mit Blick auf die Grundsätze der Gesamtstrafenbildung und das Verbot der reformatio in peius rechtfertigt. Die Strafzumessung ist rechtens.
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2. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
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2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 2. Dezember 2020
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Der Gerichtsschreiber: Matt
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