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Informationen zum Dokument  BGer 8C_603/2020  Materielle Begründung
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BGer 8C_603/2020 vom 04.12.2020
 
 
8C_603/2020
 
 
Urteil vom 4. Dezember 2020
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
 
Gerichtsschreiberin Durizzo.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Hardy Landolt,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung (Invalidenrente, Invalideneinkommen),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus vom 3. September 2020 (VG.2020.00044).
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________, geboren 1959, war seit November 1983 bei der B.________ AG beschäftigt und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) für die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert. Bei einem Sturz am Arbeitsplatz am 30. April 2005 und einem Velounfall am 31. Juli 2006 zog er sich Verletzungen zunächst der linken, dann der rechten Schulter zu. Er konnte beim bisherigen Arbeitgeber an einem Schonarbeitsplatz wieder eingegliedert werden. Die Suva sprach ihm gestützt auf die kreisärztliche Abschlussuntersuchung vom 8. Oktober 2008 mit Verfügung vom 11. Oktober 2008 eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von je 10 % für die linke und die rechte Schulter wegen Periarthropathia humeroscapularis zu.
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Im Dezember 2015 teilte der behandelnde Arzt mit, dass sich eine Verschlechterung eingestellt habe. Nach der kreisärztlichen Untersuchung vom 12. Dezember 2018 gewährte die Suva am 18. Dezember 2018 eine weitere Integritätsentschädigung von 20 % zufolge einer Periarthrosis humeroscapularis an beiden Schultern. Zwischenzeitlich hatte die Arbeitgeberin die Stelle gekündigt. A.________ arbeitete in der Folge als Chauffeur und Reinigungskraft beim Bäckereibetrieb C.________ AG wo er jedoch weniger verdiente als zuvor. Gestützt auf die Einschätzungen ihrer Abteilung Versicherungsmedizin, wonach sich an dem im Jahr 2008 formulierten Zumutbarkeitsprofil nichts geändert habe, lehnte die Suva die Zusprache einer Invalidenrente mit Verfügung vom 25. November 2019 und Einspracheentscheid vom 25. März 2020 ab (Invaliditätsgrad: 5 %).
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus mit Entscheid vom 3. September 2020 ab.
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C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
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Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).
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1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
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2. Streitig ist, ob die Vorinstanz zu Recht einen Rentenanspruch des Beschwerdeführers verneint hat.
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3.
 
3.1. Die Vorinstanz hat die Bestimmung zum Anspruch auf eine Invalidenrente bei einer unfallbedingten Invalidität von mindestens 10 % (Art. 18 Abs. 1 UVG) sowie zur Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs zutreffend dargelegt. Dies betrifft insbesondere auch ihre Ausführungen zum Invalideneinkommen als Verdienst, den die versicherte Person durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte (Art. 16 ATSG; BGE 134 V 64 E. 4.2.1 S. 70 f.; 110 V 273 E. 4b S. 276; Urteil 8C_464/2019 vom 28. November 2019 E. 5.4).
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3.2. Zu ergänzen ist, dass für die Festsetzung des Invalideneinkommens nach der Rechtsprechung primär von der beruflich-erwerblichen Situation auszugehen ist, in der die versicherte Person konkret steht. Übt sie nach Eintritt der Invalidität eine Erwerbstätigkeit aus, bei der - kumulativ - besonders stabile Arbeitsverhältnisse gegeben sind und anzunehmen ist, dass sie die ihr verbleibende Arbeitsfähigkeit in zumutbarer Weise voll ausschöpft, und erscheint zudem das Einkommen aus der Arbeitsleistung als angemessen und nicht als Soziallohn, gilt grundsätzlich der tatsächlich erzielte Verdienst als Invalidenlohn. Ist kein solches tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen gegeben, namentlich weil die versicherte Person nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine oder jedenfalls keine ihr an sich zumutbare neue Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, so können nach der Rechtsprechung die Tabellenlöhne der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Lohnstrukturerhebung (LSE) herangezogen werden (BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301; SVR 2014 IV Nr. 37 S. 130, 8C_7/2014 E. 7.1; Urteil 8C_448/2014 vom 29. Dezember 2014 E. 4.2).
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3.3. Richtig wiedergegeben wird im angefochtenen Entscheid die Rechtsprechung zum leidensbedingten Abzug von dem auf statistischer Grundlage ermittelten Invalideneinkommen (BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301 mit Hinweisen). Anzufügen bleibt diesbezüglich, dass das Bundesgericht bisher offen gelassen hat, ob das Merkmal des fortgeschrittenen Alters in der obligatorischen Unfallversicherung grundsätzlich überhaupt einen Abzug vom Tabellenlohn rechtfertigen könnte (SVR 2018 UV Nr. 15 S. 50, 8C_439/2017 E. 5.6.3 und 5.6.4; SVR 2016 UV Nr. 39 S. 131, 8C_754/2015 E. 4.3; Urteil 8C_878/2018 vom 21. August 2019 E. 5.3.1). Ob ein Abzug vom Tabellenlohn zu gewähren sei, ist eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72 f.).
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Wenn ein Versicherter nach dem Unfall die Erwerbstätigkeit altershalber nicht mehr aufnimmt (Variante I) oder sich das vorgerückte Alter (im Bereich von "rund 60 Jahren", BGE 122 V 418 E. 1b S. 419) erheblich als Ursache der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit auswirkt (Variante II), sind gemäss Art. 28 Abs. 4 UVV für die Bestimmung des Invaliditätsgrades die Erwerbseinkommen massgebend, die ein Versicherter im mittleren Alter bei einer entsprechenden Gesundheitsschädigung erzielen könnte (BGE 122 V 418 E. 3 S. 421 f.; Urteil 8C_799/2019 vom 17. März 2020 E. 2.3).
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3.4. Mit Blick auf Art. 28 Abs. 4 UVV hat der Unfallversicherer nicht zu prüfen, ob und inwieweit eine versicherte Person fortgeschrittenen Alters die ihr verbliebene medizinisch-theoretische Restarbeitsfähigkeit zu verwerten vermag (Urteil 8C_732/2018 vom 26. März 2019 E. 7.2 mit Hinweisen).
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4. Das kantonale Gericht stellte fest, dass dem Beschwerdeführer eine leichte Tätigkeit vollzeitlich zumutbar sei. Das hypothetische Valideneinkommen hätte sich im Jahr 2019 auf Fr. 74'183.- belaufen. Das Invalideneinkommen ermittelte es gestützt auf die LSE und setzte es auf Fr. 68'012.- fest. Einen Abzug vom statistischen Durchschnittslohn erachtete es dabei als nicht gerechtfertigt. Aus dem Vergleich der beiden Einkommen resultierte ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad von 8 %.
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5. Der Beschwerdeführer macht sinngemäss im Wesentlichen geltend, dass beim Invalideneinkommens nicht die statistischen Werte hätten herangezogen werden dürfen. Vielmehr hätte auf den - deutlich tieferen - Lohn abgestellt werden müssen, den er bei der Bäckerei erzielt habe, denn er sei tatsächlich nicht in der Lage gewesen, mehr zu verdienen. Diese Tätigkeit entspreche insoweit dem von der Suva formulierten Zumutbarkeitsprofil, als er dort (im Umfang eines zeitlichen Pensums von 80 %) als Chauffeur beschäftigt gewesen sei. Er dürfe nicht dadurch bestraft werden, dass er in Wahrnehmung seiner Schadenminderungspflicht eine Stelle angenommen habe, bei der er unterdurchschnittlich entlöhnt werde; zumindest müsste diesem Umstand mit einer analogen Anwendung der Grundsätze über die Parallelisierung der Vergleichseinkommen Rechnung getragen werden. Jedenfalls sei es ihm nicht zuzumuten gewesen, wegen der schlechteren Bezahlung erneut einen Berufswechsel zu vollziehen. Inzwischen habe ihm die Arbeitgeberin allerdings ohnehin gekündigt. Es hätte deshalb angesichts seines fortgeschrittenen Alters die Zumutbarkeit der Verwertung seiner Restarbeitsfähigkeit geprüft werden müssen. Sofern auf die Tabellenlöhne abgestellt werde, sei ihm wegen seines Alters und unter Berücksichtigung, dass er keine Ausbildung genossen habe, ein leidensbedingter Abzug von 25 % zu gewähren.
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6.
 
6.1. Inwiefern das kantonale Gericht die (oben E. 3.1 und 3.2) dargelegten Regeln über die Ermittlung der Vergleichseinkommen verletzt hätte, indem es beim Invalideneinkommen auf die statistischen Durchschnittslöhne abstellte, lässt sich nicht erkennen. Der Beschwerdeführer vermag insbesondere nicht näher darzutun, inwiefern die Anrechnung des auf dem massgeblichen ausgeglichenen Arbeitsmarkt erzielbaren statistischen Einkommens bei (unbestrittenerweise zumutbarer) vollzeitlicher Ausübung einer leichten Tätigkeit nicht gerechtfertigt gewesen sein sollte. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass das kantonale Gericht erkannte, der Beschwerdeführer schöpfe die ihm verbliebene Restarbeitsfähigkeit an der neuen Stelle in der Bäckerei nicht aus und es sei daher nicht auf den effektiv erzielten Lohn abzustellen. Daran kann nichts ändern, dass dieser letztere (auch im 100 %-Pensum) unter dem statistischen Wert für einfache und repetitive Tätigkeiten liegt. Es lässt sich nicht ersehen, dass in einer solchen Konstellation von Bundesrechts wegen korrigierend in den vorinstanzlichen Einkommensvergleich eingegriffen werden müsste im Sinne einer Parallelisierung. Nach der diesbezüglichen Rechtsprechung (BGE 134 V 322 E. 4.1 S. 326; 135 V 58 E. 3.4.3 S. 61; 135 V 297 E. 5.1 S. 300) ist ein Ausgleich auf der Seite des Invalideneinkommens nur dann vorzunehmen, wenn ein Versicherter bereits als Gesunder etwa wegen geringer Schulbildung, fehlender beruflicher Ausbildung, mangelnder Deutschkenntnisse oder beschränkter Anstellungsmöglichkeiten zufolge Saisonnierstatus unterdurchschnittlich verdient hat. Inwiefern hier entsprechende Voraussetzungen vorlägen, wird beschwerdeweise nicht dargelegt.
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6.2. Auch was den leidensbedingten Abzug betrifft, ist eine Bundesrechtsverletzung nicht erkennbar. Dass die Vorinstanz das vom Beschwerdeführer ins Feld geführte Alter ausser Acht liess, ist nicht zu beanstanden (dazu oben E. 3.3 sowie BGE 146 V 16 E. 7.2.1 S. 26 mit Hinweisen). Gleiches gilt praxisgemäss auch hinsichtlich der fehlenden Ausbildung, wenn der statistische Durchschnittslohn für einfache und repetitive Tätigkeiten (Kompetenzniveau 1) angewendet wird (Urteil 8C_139/2020 vom 30. Juli 2020 E. 6.3.4 mit Hinweis).
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6.3. Schliesslich muss der Umstand, dass ein Versicherter zufolge fortgeschrittenen Alters keine Erwerbstätigkeit mehr aufnimmt, bei der Invaliditätsbemessung in der Unfallversicherung ausser Acht bleiben (oben E. 3.4). Ob die vom Beschwerdeführer letztinstanzlich als Argument für eine Bundesrechtsverletzung vorgebrachte Kündigung seiner letzten Arbeitsstelle durch die Arbeitgeberin am 20. Mai 2020 als unechtes Novum vom Bundesgericht überhaupt zu berücksichtigen wäre, kann daher offen gelassen werden (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 143 V 19 E. 1.2 S. 23; Urteil 8C_706/2019 vom 28. August 2020 E. 2.3). Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die vorinstanzliche Anrechnung eines Invalideneinkommens entsprechend dem statistischen Tabellenlohn nicht zu beanstanden.
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7. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 BGG). Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Glarus, II. Kammer, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 4. Dezember 2020
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo
 
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